„Die das stört, müssen demaskiert werden“
PAUL SCHREYER, 19. August 2024, 23 Kommentare, PDFMultipolar: Herr Wodarg, lassen Sie uns zunächst einen kurzen Rückblick auf den Beginn der Corona-Zeit werfen. Sie waren einer der Ersten, wahrscheinlich überhaupt der Erste in Deutschland, der gewarnt hat. Sie hatten im Februar 2020 einen Artikel verfasst mit der Überschrift „Panikmacher isolieren“, in dem Sie dazu aufgerufen haben, besonnen zu bleiben und sich die Daten genau anzuschauen. Den Artikel hatten Sie verschiedenen Zeitungen angeboten, der Süddeutschen Zeitung und dem Tagesspiegel. Die haben ihn nicht veröffentlichen wollen. Er ist dann in Ihrer Heimatzeitung, dem Flensburger Tageblatt, erschienen, mehrere Wochen vor dem ersten Lockdown. Wir haben ihn Anfang März für Multipolar übernommen. Die Hauptaussage war: „Wir messen derzeit nicht die Inzidenz von Coronavirus-Erkrankungen, sondern die Aktivität der nach ihnen suchenden Spezialisten.“ Das war eine Kritik an den PCR-Tests. Sie hatten am 10. März, also danach, noch einen Auftritt im ZDF. Da gab es einen kritischen Fernsehbeitrag mit dem Titel „Zwischen Panik und Pandemie“, dort konnten Sie Ihre Argumente vor der Kamera darlegen. Das ZDF geriet nach diesem Beitrag unter Druck und veröffentlichte eine Rechtfertigungserklärung dazu. Die Redaktion stellte sich damals aber noch hinter sie und schrieb, es gehöre „zur Aufklärung dazu, dass es Wissenschaftler, Ärzte und Experten des deutschen Gesundheitssystems gibt, die eine abweichende Einschätzung haben, was die Verbreitung des Coronavirus und mögliche Gegenmaßnahmen betrifft.“ Von diesem Zeitpunkt an aber wurden Sie nicht mehr in die großen Medien eingeladen, richtig?
Wodarg: Ja, das ist richtig. Es gab später dann ein Interview mit der ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten, wo sie gefragt wurde, weshalb sie solche Leute wie mich nicht mehr einlädt …
Multipolar: Das war im Sommer 2020 und Schausten sprach mit Blick auf Sie von einer „Einzelmeinung“. Der Sender hätte, so erklärte sie damals, auch die redaktionelle Freiheit, diese Einzelmeinung nicht zu senden.
Wodarg: Sie hat eine komische irrationale Grenze gezogen. Ich habe den Eindruck gehabt, dass es innerhalb der Redaktion dort durchaus Konflikte gab, aber dass man offensichtlich mit harter Hand dafür gesorgt hat, dass die Linie dann eingehalten wurde.
Multipolar: Man kann im Rückblick nachvollziehen, was damals passiert ist. Am 16. März, das war ein Montag – und übrigens auch der Tag, an dem das RKI intern mitteilte: „Es soll diese Woche hochskaliert werden“ – da hat Karl Lauterbach einen Tweet abgesetzt, in dem es hieß, Sie würden zu Covid-19 „blanken Unsinn“ reden und „unverantwortliche Fake News“ verbreiten“. Der erste Corona-Lockdown wurde ebenfalls genau an diesem Tag beschlossen, am 16. März. Am Folgetag, am 17. März, hat John Ioannidis, einer der weltweit renommiertesten Epidemiologen, seinen berühmten Beitrag „A fiasco in the making?“ veröffentlicht, in dem er die Zahlen hinterfragte, auf die sich die Regierungen weltweit beriefen. Das lag argumentativ genau auf Ihrer Linie. Und am 18. März hat Lauterbach dann nachgelegt und ein kurzes Youtube-Video hochgeladen, mit SPD-Logo, unter dem Titel „Wodarg erzählt blanken Unsinn“. Darin erklärte er, es sei für ihn, Lauterbach, eine „Gewissensfrage“, sich kritisch zu Ihnen zu äußern. Es gebe eine „hohe Sterberate“ von 0,5 bis 2 Prozent, so Lauterbach. Und deshalb solle man Ihr Video – was damals mehrere Millionen Menschen sahen – nicht weiter verbreiten, denn man hätte „schon genug Fake News“. Das war der Startschuss zur Ausgrenzung. Am 19. und 20. März gab es dann plötzlich und praktisch gleichzeitig in einem halben Dutzend großer deutscher Medien Faktenchecks zu Ihren Aussagen. Diese Faktenchecks waren sehr ähnlich, ob in der WELT, beim MDR, Bayerischen Rundfunk, SWR oder Stern. Der SPIEGEL titelte am 20. März: „Die gefährlichen Falschinformationen des Wolfgang Wodarg“. Studierte man die Faktenchecks, fiel auf, dass kein einziger Ihr Kernargument angriff, nämlich die fehlenden Hinweise aus Monitoring-Instrumenten. Nochmal zur Erinnerung: Um was ging es da?
Wodarg: Ich habe ja nichts weiter gemacht als immer die Jahre zuvor. Ich habe mir die Zahlen des Robert Koch-Instituts angeguckt. (lacht) Genau wie das die Wissenschaftler ja intern mühsam erarbeitet haben. Die haben schon lange diese Sentinel-Einrichtungen, haben Monitoring-Instrumente: 600 Arztpraxen etwa, Kinderärzte, Hausärzte, Internisten, die wöchentlich regelmäßig abgefragt werden und melden, wie viele Atemwegserkrankungen sie in ihrer Praxis haben. Das ist ein sehr schönes Instrument, welches ich mir übrigens schon als Amtsarzt für meine Region selbst angelegt hatte. Ich halte viel von diesen kontinuierlichen Beobachtungen, denn wenn man von einer Veränderung spricht, also von etwas Neuem, muss man wissen, wie es früher gewesen ist. Man muss es vergleichen können. Und dieses Monitoring-Instrument hat das Robert Koch-Institut dann aus Flensburg kopiert (lacht), hat es perfektioniert und ich habe das häufig angeschaut, weil ich dachte: „Oh, das ist schön, da kannst du mal sehen, ob in diesem Jahr eine stärkere Grippe-Welle kommt oder eine schwächere.“ Das habe ich dann 2009 auch bei der Schweinegrippe benutzt und gesehen: Da war nichts los. Auch schon als 2005 die alarmistischsten Meldungen von Herrn Stöhr kamen …
Multipolar: Klaus Stöhr war von 2004 bis 2006 Koordinator des Globalen Influenzaprogramms der WHO und wechselte 2007 zum Pharmakonzern Novartis.
Wodarg: Der sagte 2005 schon einmal, die Vogelgrippe sei so etwas ganz Gefährliches, was uns alle bedroht. Auch damals bin ich ja schon zur WHO gefahren und habe gemeutert und gesagt: „Hey, spinnt ihr wohl, wo ist denn die Evidenz dafür, wo sind denn eure Zahlen?“, und die hatten nichts. (lacht) Also, ich habe immer wieder gesehen, dass die WHO falschen Alarm geschlagen hat. Und 2009, bei der Schweinegrippe konnte ich dann auch einen Untersuchungsausschuss beim Europarat initiieren, der dann „Butter bei die Fische“ gemacht und gezeigt hat, dass es bei der WHO sehr viele Interessenkonflikte gab. Auch unter den Experten, welche die WHO sich an den Hof holte. Für mich ist das eine Szene gewesen, bei der die WHO immer schon falschgespielt hat, wo sie Panik gemacht hat, wo auch immer Interessen dahintersteckten, zum Beispiel damals die von Herrn Rumsfeld, der sein Tamiflu weltweit verkaufen wollte. Er war ja amerikanischer Verteidigungsminister, als das anfing. Vorher war er Chef beim Pharmaunternehmen Gilead Sciences. Auch später, bei der Schweinegrippe gab es über hundert Verträge weltweit, die vorsorglich abgeschlossen waren, wo die Firmen nur noch auf eine Pandemie warteten, damit diese in Kraft traten. Die WHO saß praktisch am Auslöser. Frau Chan, die damalige WHO-Chefin, musste eine Pandemie ausrufen, damit die Firmen ihr Zeug loswerden konnten. Das war mir 2020 noch alles sehr geläufig. Als ich dann hörte, in Wuhan sei wieder etwas los, dort machen sie wieder Angst, und diese lächerlichen Bilder sah von riesigen Desinfektionskanonen, die versuchten, den Dreck in den Straßen von Wuhan zu desinfizieren, da hab ich gedacht, das kann nicht wahr sein. (lacht) Das wirkte wie so ein Ballett, wie eine Aufführung. Ich habe ich mir auch die Daten vom CCDC angeguckt – das ist das CDC in China, das nennt sich ja auch CDC ...
Multipolar: Das Gegenstück zum deutschen RKI.
Wodarg: Da habe ich dann gesehen, dass nur in Wuhan sehr viele Fälle registriert waren. Ich habe dann geprüft, was „Fälle“ sind und habe gesehen: „Fälle“ definiert die WHO als positiven PCR-Test. Das heißt, ein positiver PCR-Test war für sie ein Covid-19-Fall. Und das ist blanker Unsinn, weil der PCR-Test nichts weiter aussagt, als dass da ein paar Moleküle multipliziert und nachweisbar gemacht werden können. Das allein sagt natürlich nichts aus über eine Infektion, über Ansteckungsfähigkeit und vorliegende Krankheitsfälle. In diesem Wissen habe ich das beurteilt und habe auch gesehen, dass es in China nur an einigen wenigen Orten erhöhte Fallzahlen gab. Schon Anfang März war in China alles vorbei. Als man bei uns den Alarm schlug, hatte China schon Entwarnung gegeben. Da gab es in China kaum noch Fälle, nur eingeschleppte, über Flughäfen von außen.
Multipolar: Der Verdacht war, dass China damals aufgehört hat zu testen.
Wodarg: Das, was man wirklich beobachten kann, wieviel Krankheitsfälle in Kliniken eingeliefert werden, wie viele die Arztpraxen aufsuchen, davon war wenig zu sehen.
Als ich so zu beruhigen versuchte, hieß es dann: „Aber Herr Wodarg, haben Sie denn nicht die Bilder aus Norditalien gesehen, da sterben sie wie die Fliegen, Sie können das doch nicht einfach verharmlosen!“ Ich habe dann mit dem italienischen Gesundheitsdienst Kontakt aufgenommen. Und die haben mitgeteilt, da seien nicht mehr Leute gestorben als sonst. Das Durchschnittsalter der Verstorbenen lag über achtzig. Man kann froh sein, wenn man so alt wird. Man hatte dort in Angst vor einer Seuche alte Leute auf Intensivstationen geschickt. In Italien ist es ja sehr verbreitet, dass günstige Pflegekräfte aus Osteuropa von den Familie zur Hilfe geholt werden. Davon waren aber viele nach Hause geflüchtet, als der Lockdown kam. Plötzlich gab es nicht mehr genug Pflegekräfte, sodass die Familien ihre Alten in ihrer Not in Krankenhäuser schickten. In den Krankenhäusern sind sie gleich getestet worden und waren dann häufig positiv. Viele Alte sind dort fehlbehandelt und beatmet worden oder in Notunterkünften ohne angemessene Pflege mit völlig anderen Leiden verstorben.
Multipolar: Der Lockdown hat eine Notsituation erzeugt.
Wodarg: Es ist richtig ein Horrorbild aufgebaut worden, um uns Angst zu machen. Im Gespräch mit Insidern der italienischen Gesundheitsbehörde haben wir das sehr schön rausgekriegt. Etwas Ähnliches geschah im April 2020 in New York, da gab es diese jungen Ärzte, die gesagt haben: „Das ist keine Pneumonie, so etwas haben wir noch nie gesehen.“ Nur in den Krankenhäusern von New York entstand plötzlich eine hohe Übersterblichkeit, und zwar nur im April. Und das war dann nach etwa einem Monat wieder vorbei. In San Francisco sah man so etwas nicht, in anderen Städten in den USA auch nicht, nur komischerweise in New York – solche Pandemien gibt es nicht. Dann habe ich diese Geschichte mit dem Hydroxychloroquin – HCQ – gefunden. Man hatte öffentlich empfohlen HCQ mehrfach überzudosieren und als mir auffiel, wie vor allem Menschen mit Wurzeln aus tropischen Ländern gestorben sind, da habe ich auch vor dem 6-Phosphat-Dehydrogenasemagel, dem Favismus, als mögliche Ursache tödlicher HCQ-Anwendungen gewarnt. Ich habe versucht, zu erklären, wie es an einigen Stellen der Welt, in New York, Madrid oder in Norditalien, zu dieser Übersterblichkeit kam. Das ist nur erklärbar durch Falschbehandlungen, durch Folgen dieser irrationalen Umgehensweise mit einer Bevölkerung in Angst. Vorgeführt wurden Patienten, die eigentlich normale andere Krankheiten hatten. Später wurde deutlich, dass es in Deutschland, über das ganze Jahr 2020 gesehen, keine Übersterblichkeit gab. Es gab nochmal ein Ansteigen im Herbst. Als Folge der skandalösen Misshandlung von Menschen in Altenheimen, wo man das Personal weggetestet hat, wo man gesunde, arbeitsfähige Mitarbeiter nach Hause geschickt hat und die verbleibenden Pflegekräfte, die ohnehin schon überfordert waren, allein gelassen hat mit den alten Leuten, wo die Angehörigen nicht einmal helfen durften, wo unheimlich viel Elend passiert ist und wo auch dann eine Übersterblichkeit bei alten Leuten ab 1. Oktober 2020, zu beobachten ist! Da hat man alte Leute verdursten, verkommen und sterben lassen, hat sie unnötigerweise aus Not in Krankenhäuser eingewiesen, wo sie als Covid-19-Fälle falsch behandelt wurden. All diese Dinge sind nachweisbar, man hat Menschen wirklich geschädigt und umgebracht in der Zeit und hat das alles immer als Covid-19 dargestellt. Das ist in anderen Ländern nicht so passiert.
Multipolar: Lassen Sie uns noch einmal zurückkommen auf den Anfang, Mitte März 2020. Es ist sichtbar, dass Karl Lauterbach der Taktgeber gewesen ist für Ihre Ausgrenzung. Das ging, wie beschrieben, unmittelbar nach dem Tweet und dem Youtube-Video von Lauterbach los. Einen Tag danach haben alle Medien diesen Tenor übernommen. Sie kennen Karl Lauterbach persönlich und waren ja beide in der SPD-Bundestagsfraktion Gesundheitspolitiker. Wie war denn vor Corona Ihr Eindruck von Lauterbach als Person?
Wodarg: Ich war ja schon lange vor ihm im Gesundheitsausschuss. Er wurde von der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt geholt als der Professor mit der Fliege und kam dann immer und hat uns mit seinen Statistiken belehrt. Er ist einer der Protagonisten gewesen, die den Krankenkassenwettbewerb erhalten wollten, dadurch dass man sehr viele Daten sammelt und die Risikostruktur der Kassen ausgleicht, was ja nur ein Trick ist, um Gesundheitsdaten zu sammeln. Er war derjenige, der all diese Deregulierungsmechanismen, die DRGs – also die Fallpauschalen –, den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich propagiert hat. Da hieß es immer, das Geld soll der Leistung folgen. Aber ob eine Leistung notwendig war (lacht) und wer definiert, was Leistung ist, das wurde nicht diskutiert. Das war die Zeit, wo Herr Lauterbach noch im Aufsichtsrat des Rhön-Krankenhauskonzerns saß.
Karl Lauterbach im Jahr 2013 | Bild: picture alliance / dpa | Kay Nietfeld
Ich hatte ihn ja auch mal bei mir im Wahlkreis und wir haben dort zusammen im Wahlkampf, lange vor Corona, eine Veranstaltung durchgeführt. Da war ich mit ihm auch im Damp-Klinikum an der Ostsee, das gehörte inzwischen Helios und er wollte da unbedingt hin. Ich fand das gut, weil ich dafür sorgen wollte, dass Helios sich an der Notfallversorgung beteiligt. Die hatten nämlich viele chirurgische Möglichkeiten und gute Anästhesisten und alles was man braucht. Die Rettungswagen konnten diese Klinik aber nicht anfahren, weil dort nur geplante Operationen stattfanden. Das ist viel lukrativer und einen Notdienst aufrechtzuerhalten kostet viel Geld. Dagegen sperrte man sich. Der Chef von Helios war dabei und wir haben uns alle nett unterhalten. Als ich dann fragte: „Warum können sie nichts für eine Verbesserung der Notfallversorgung tun?“, da hat der Helios-Chef gesagt: „Nein, Herr Wodarg, Sie müssen verstehen, wir müssen zweistellige Rendite bringen, sonst machen wir den Laden hier dicht.“ Da war Lauterbach auch dabei und nickte voller Verständnis. (lacht) Er hat in keiner Weise geholfen. Er hatte mir damals gesagt, als er zu mir in den Wahlkreis kam: „Wolfgang, ich komm zu dir in den Wahlkreis und wir können da etwas machen, aber nicht über Gesundheit.“ Das wollte er auf keinen Fall, er wollte auf keinen Fall an irgendeiner Veranstaltung über Gesundheitsthemen mit mir teilnehmen. Er hat dann immer über Bildung geredet.
Multipolar: Warum wollte er nicht öffentlich über Gesundheit mit Ihnen sprechen?
Wodarg: Er hat Angst gehabt vor den Konflikten, denen er dann ausgesetzt wäre. Ich war ja routiniert in diesen Fragen und hatte meine festen Vorstellungen, die kannte er auch.
Multipolar: Sie haben für Transparency International gearbeitet und sich mit systemischer Korruption im Gesundheitsbereich befasst.
Wodarg: Das war nachher. Ich habe während meiner Zeit als Abgeordneter innerhalb der SPD-Fraktion schon viele Schwierigkeiten gehabt, weil ich ein Gegner des Kassenwettbewerbs war.
Multipolar: Wir haben dazu vor über zehn Jahren einmal gemeinsam publiziert.
Wodarg: Außerdem war ich auch gegen die DRGs – die Fallpauschalen – und wusste, dass sie einfach dazu führen, dass Fälle produziert werden und dass das nur etwas ist, was die Rendite der Krankenhäuser aufbessern soll. Also bei diesen beiden Dingen, das wusste er, hatte er starken Gegenwind von mir. Das waren aber seine Hauptsteckenpferde. Und deshalb wollte er mit mir wahrscheinlich nicht darüber diskutieren. Ich war immer für Regionalbudgets, für Lösungen wie die Skandinavier, unsere Nachbarn in Schleswig-Holstein, uns das vorgemacht haben. Die haben ja Regionalbudgets im Gesundheitsbereich und können regional entscheiden, wie sie diese Gelder einsetzen. Es gibt dort übersichtlichere Verantwortlichkeiten, die klar sind, die jeder ansprechen kann und wo jeder weiß an wen er sich wenden kann, wenn etwas schief läuft.
Multipolar: Warum sind Regionalbudgets besser?
Wodarg: In Deutschland haben wir über 90 Solidarkassen, die im Wettbewerb gegeneinander stehen. In einer Region sind davon je etwa 40 Krankenkassen aktiv und machen auch alle ihre eigenen Verträge, zum Beispiel mit Ärzten, mit Kliniken oder Pharmafirmen, in Konkurrenz zueinander. Das ist völliger Blödsinn. Wenn die Einkäufer in Konkurrenz sind – so etwas findet man nur bei einer Auktion –, dann steigen die Preise. Ich war immer der Meinung, die Kassen sollen sich auf Landesebene zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschließen und sollen gemeinsam die Verträge machen.
Multipolar: Wie in Skandinavien?
Wodarg: Die haben gar keine Krankenkassen, sondern ein steuerfinanziertes Gesundheitswesen. Dort gibt es ein Budget für jede Region. Das wird ausgeglichen nach Wirtschaftskraft. Und dort existieren Versammlungen und Gremien, die entscheiden, was nötig ist, ob neue Krankenhäuser, neue Rettungshubschrauber oder ob man z.B. Präventionsmaßnahmen finanziert. Das entscheiden sie in den über 20 Regionen Schwedens jeweils regional. Das hat sich in Schweden sehr bewährt. In Deutschland hätte man das auch tun können. Aber da gab es erbitterten Widerstand der Selbstverwaltungsfürsten. Man hat die Krankenkassen nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ gegeneinander in Wettbewerb gestellt und hat sie dadurch in die Hand bekommen. So kann man uns jetzt melken. Da ist niemand mehr, der Verantwortung für unser Gesundheitssystem hat. Wenn man die Landesregierung fragt, dann sagt sie: „Nö, die Krankenkassen bezahlen ja.“ Wenn man eine Krankenkasse fragt, dann sagt die: „Nein, wir nicht, warum fragt ihr nicht die anderen Krankenkassen.“ Da ist keiner zuständig! Es gibt eine systematische Unzuständigkeit für die Qualität der Versorgung bei uns im Lande.
Multipolar: Man erkennt, wo schon vor Corona die großen Konfliktlinien lagen, die sich in der Corona-Zeit dann nur zugespitzt haben. Die Medien haben dabei eine wichtige Rolle gespielt, weil sie eben Stimmen wie die Ihre ab März 2020 nicht mehr aufgenommen haben in die Berichterstattung. Im August 2020 gab es deshalb eine Petition an die ARD, gestartet von Bastian Barucker, in der von den Senderverantwortlichen eine Talkrunde gefordert wurde, in der neben Lauterbach, Wieler und Drosten auch Bhakdi, Homburg und Sie eingeladen werden. Über 50.000 Bürger haben das damals unterzeichnet. Barucker hatte gemeinsam mit Unterstützern die Unterschriften in mehreren Städten direkt vor den Funkhäusern an die ARD-Verantwortlichen übergeben. Dann hat er organisiert, dass es im November 2020 zu einer Diskussionsrunde kam zwischen Kritikern und ARD-Verantwortlichen. Daran habe ich teilgenommen und dazu berichtet. Ein zentrales Argument aus dem Kreis der ARD-Verantwortlichen war damals, man könne es nicht, so wörtlich, „jedem Einzelnen überlassen, sich eine Meinung zu bilden, welcher Wissenschaftler recht hat“, denn damit „überfordere“ man das Publikum. Aus meiner Sicht ein bemerkenswertes Menschenbild. Aufgrund dieser Petition wurde der WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn Anfang Dezember 2020 öffentlich vor laufender Kamera danach gefragt, ob es eine solche Sendung geben solle. Schönenborn hat gesagt: „Es wird nicht dazu kommen, dass wir eine Sendung machen“. Und im nächsten Satz: „Es ist immer Aufgabe der Redaktionen, solche Entscheidungen zu treffen“. Also ein ziemlicher Widerspruch: Im ersten Satz sagt er, wir machen das nicht, und im zweiten Satz sagt er, das entscheiden aber die Redaktionen vor Ort. Das passt ja nicht zusammen. Schönenborns Argument war dann, wieder wörtlich, es ist auf Video dokumentiert: „Eine Talkshow ist nicht der richtige Ort, um über wissenschaftliche Fakten zu diskutieren“.
Jörg Schönenborn | Bild: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
Wodarg: Es sind uns ja immer angebliche wissenschaftliche Fakten vorgehalten worden, um das zu begründen, was man mit uns gemacht hat. Das waren herausgesuchte Fakten. (lacht) Man hat uns Dinge erzählt und behauptet, die seien wissenschaftlich begründet, aber man hat die wissenschaftlichen Details eben nicht diskutieren lassen, weder in irgendeiner Sendung noch in den anderen großen Nachrichtenmedien. Ich glaube, dass wir sehr viele konträre Ansichten hatten. Und wenn man solche konträren Bilder hat, wenn der eine sagt: „Da ist was“, der andere sagt: „Da ist nichts“, dann ist das Erste, was man gemeinsam klären muss: „Woran kann man erkennen, wer recht hat?“ Dass man das diskutiert. Dass man sich wenigstens einigt auf die Dinge, an denen man so etwas dann erkennen könnte, nicht einmal das ist passiert. Und das zeigt für mich eigentlich, dass da gar nicht der Wille war, nach Wahrheiten zu suchen oder nach guten Argumenten. Selbst das, was Ioannidis sagte – das ist ja ein sehr renommierter Epidemiologe –, selbst das wurde beiseitegeschoben und nicht diskutiert. Es wurde nicht ernst genommen.
Multipolar: Durch die RKI-Protokolle und das Leak haben wir jetzt, vier Jahre später, diese Diskussion. Wolfgang Kubicki hat vor wenigen Tagen praktisch den Rücktritt von Lauterbach gefordert deshalb. Er hat auf starke Widersprüche hingewiesen. Jetzt scheint etwas in Bewegung zu geraten und auch ein Untersuchungsausschuss rückt in die Diskussion. Was wären aus Ihrer Sicht denn die wichtigsten Punkte, die ein solcher Ausschuss angehen sollte?
Wodarg: Ich habe die Befürchtung, dass das eine Alibi-Veranstaltung wird. Ich war selbst Sprecher in einer Enquete-Kommission und weiß, wie da Einfluss genommen wird, auch auf die Veröffentlichung. Am Ende wird widergespiegelt, was die regierenden Parteien gerne als Ergebnis haben möchten.
Multipolar: Ein Untersuchungsausschuss ist ja aber ein anderes Instrument als eine Enquete-Kommission. Der wird direkt von der Opposition beauftragt. Wo sollte ein solcher Ausschuss aus Ihrer Sicht seinen Schwerpunkt setzen?
Wodarg: Ich denke, der sollte sich die Arbeit der Regierungsämter angucken. Die Regierung hat sich ja immer auf ihre Ämter berufen, das Robert-Koch-Institut, das Paul-Ehrlich-Institut und sie berufen sich jetzt auf das Friedrich-Löffler-Institut, wenn es um die Vogelgrippe geht. Sie haben immer ihre Ämter und die sind weisungsabhängig, das heißt, es gibt da nicht nur eine Rechtsaufsicht, sondern es gibt eine Fachaufsicht, und das ist mir sehr wichtig, das auseinanderzuhalten. Als Amtsarzt war der Bürgermeister mein Vorgesetzter, der hatte eine Rechtsaufsicht über meine Arbeit. Wenn ich also etwas Ungesetzliches machen würde, könnte er sagen: „Nein, das darfst du nicht.“ Aber er hatte keine Fachaufsicht. Und da hat es Konflikte gegeben. Ich sollte Dinge sagen, die hat er sich gewünscht, die ich aber nicht gesagt habe. Da konnte er nichts machen. Ich konnte bei meiner Meinung bleiben, auch öffentlich. Und er musste sich dann damit auseinandersetzen und musste politisch begründen, weshalb er dem nicht nachkam. Aber bei der Zerschlagung des Bundesgesundheitsamtes, das hat Seehofer damals gemacht, ist eine Fachaufsicht ins Gesetz geschrieben worden. Das heißt, die Bundesregierung, der Gesundheitsminister hat fachliches Weisungsrecht über diese Ämter. Über das BfArM, das Arzneimitteln die Zulassung erteilt, über das Paul-Ehrlich-Institut, über all diese Institute.
Multipolar: Auch über das RKI.
Wodarg: Ja, natürlich. Das RKI kann nicht fachlich etwas sagen, wenn der vorgesetzte Minister das nicht will. Und genau das haben wir erlebt und das ist sehr deutlich geworden aus den Protokollen – das ist ja Ihr Verdienst, dass wir da jetzt mehr wissen. Vielen, vielen Dank dafür. Inhaltlich haben die Protokolle für mich nicht viel Neues gebracht. Ich habe diesen Widerspruch zwischen der wissenschaftlichen Arbeit an den Instituten und den Verlautbarungen der vorgesetzten Gesundheitsbehörde, also des Ministeriums, immer wahrgenommen und auch angekreidet. Ein Beispiel: Das Paul-Ehrlich-Institut hat im Februar 2021 …
Multipolar: … also unmittelbar nach Start der massenhaften mRNA-Injektionen ...
Wodarg: … da hat es eine eigene wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, wo gewarnt wurde, wie gefährlich die Spikes sind! Und wie toxisch die sind. Und zur gleichen Zeit ließen sie zu, dass die Menschen so verändert wurden, dass sie selbst in ihren Zellen Spikes bilden.
Multipolar: Durch die sogenannte „Impfung“.
Wodarg: Ich habe mich damals sofort ans Paul-Ehrlich-Institut gewandt: „Sagt mal, seid ihr schizophren?“ So habe ich es nicht ausgedrückt, aber sehr höflich habe ich gesagt, da passt doch das Eine nicht zum Anderen. Geantwortet hat mir nur die Pressestelle: „Ja, ja, das macht nichts, der Stoff bleibt ja nur in dem Muskel, wo er hineingespritzt wird.“ Das war die offizielle Begründung. Und das war gelogen. Das wissen dort alle. Sie haben, obwohl sie es besser wussten, obwohl sie selbst die Ergebnisse hatten, dass die Menschen dadurch schwer geschädigt werden, durch Thrombosen, Synzytien-Bildung, dass es Gefäßschäden gibt, all das haben sie wissenschaftlich festgestellt und veröffentlicht. Und dann haben sie anschließend Millionen Menschen dem ausgesetzt. Das ist für mich unfassbar.
Multipolar: Und begründet mit einer Lüge, wie Sie gerade aufführten. Das ist ein Fall für Staatsanwälte.
Wodarg: Diese Widersprüche zwischen dem, was die Behörde einerseits wissenschaftlich macht, und andererseits nach außen hin verkünden muss, sind für mich nichts Neues gewesen. Was jetzt neu ist durch die Protokolle, ist die Situation für die Gerichte. Die ist völlig neu. Denn die Gerichte haben sich immer bezogen auf die wissenschaftlichen Aussagen des RKI. Bei ihren Urteilen gegen Ärzte und gegen alle möglichen Leute, die dort nicht mitgemacht haben, die sich gesträubt haben, die ihre Patienten geschützt haben vor diesen Lügen, da haben die Gerichte gesagt: „Nein, das ist die wissenschaftliche Aussage des RKI und das ist unser Maßstab.“ Es ist jetzt offenkundig: Das waren aber gar keine wissenschaftliche Aussagen. Gerichte haben sich gar nicht um wissenschaftliche Aussagen bemüht. Ich hatte mich darum gekümmert. Viele Gerichte haben keine Beweisaufnahme für nötig gehalten. Die haben einfach nur nachgebetet, was die Regierung meinte und die Spitze des RKI verlautbart hatte, die ja praktisch das Sprachrohr der Regierung ist und die nicht das wiedergeben muss, was die Wissenschaftler im RKI erarbeitet hatten. Das stand offenbar in starkem Widerspruch.
Multipolar: Das haben die Protokolle gezeigt, diesen Widerspruch zwischen der Fachebene im RKI und der Führungsebene um Wieler und Schaade.
Wodarg: Genau. Und wenn die Führungsebene nicht das sagt, was der Minister will, dann wird sie ausgewechselt. Aber man kann nicht ein ganzes Institut auswechseln und die Wissenschaftler, die Jahrzehnte ihre Arbeit sauber gemacht haben. Das geht schwer. Ich bin gespannt, wie die Gerichte und die Anwälte der Betroffenen damit jetzt umgehen. Denn diese Urteile wurden aufgrund von grobem Fehlverhalten und grober Nachlässigkeit gefällt, Fahrlässigkeit der Gerichte, die sich nicht um eine Beweisaufnahme gekümmert haben, obwohl viele Fachleute wie ich immer diesen Widerspruch veröffentlicht haben, obwohl er bekannt war. Gerichte haben sich nicht darum gekümmert, obwohl die Anwälte der Betroffenen häufig darauf hingewiesen haben, dass es nicht stimmt, was das RKI gesagt hat. Die Gerichte meinten dann: „Nein, das ist wissenschaftlich.“ Und durch die Protokolle kommt jetzt heraus: Das war nicht wissenschaftlich, das waren politische Aussagen. Ein Arzt darf sich aber nicht durch die Politik vorschreiben lassen, was er zu tun hat! Das ist verboten für einen Arzt. Ausdrücklich im Hippokratischen Eid, überall in allen Regeln. Das sind die Erfahrungen aus der Nazi-Zeit, die da eingearbeitet worden sind: dass Ärzte nicht durch politische Anordnungen ihre Patienten anders behandeln. Sie müssen sich am Wohl der Patienten orientieren und an der wissenschaftlichen Evidenz ausrichten, wenn sie etwas Gutes für ihre Patienten tun wollen. Und das sollen sie, sie dürfen den Patienten nicht schaden.
Das sind schwere Fehler, wo sich jetzt auch die Gerichte verantworten müssten meiner Meinung nach. Und das Zweite ist, dass man natürlich auch von der Ärzteschaft verlangen muss, nicht einfach das nachzuplappern, was sie in der Tagesschau hören und was der Chef des RKI sagt, sondern dass auch sie sich um die wissenschaftliche Evidenz kümmern müssen, wenn sie Patienten etwas zumuten. Und sie haben den Patienten viel zugemutet. Auch da gibt es viel aufzuarbeiten. Darum ist für mich die Aufarbeitung kein Prozess, der ersatzweise in irgendeiner Institution, irgendwo in einem Raum in Berlin tagt. Aufarbeitung ist für mich ein Prozess, der in der gesamten Bevölkerung, in jeder Stadt, wo Ärzte arbeiten, in jedem Bereich stattfinden muss. Wo die Menschen, die von ihren Ärzten fehlbehandelt worden sind, die Möglichkeit haben, mit ihnen das wieder aufzuräumen und zu sagen: „Was machen wir jetzt? Da sind Fehler passiert. Wie gehen wir damit um in Zukunft, wie willst du dafür sorgen, dass so etwas nicht nochmal passiert, Herr Doktor?“
Multipolar: Es muss öffentliche Diskussionsforen in allen Städten dazu geben.
Wodarg: Eine Alibi-Veranstaltung, wie immer sie auch heißt, die man leicht manipulieren kann, reicht überhaupt nicht aus. Das Ding ist viel zu groß.
Multipolar: Zum Schluss unseres Gespräches möchte ich noch auf eine andere, vielleicht noch beängstigendere Ebene der Corona-Zeit kommen. Es sind Menschen zu Tode gekommen, nicht nur wegen des Virus oder der Maßnahmen. Es gab auch politische Todesfälle, die zum großen Teil ungeklärt sind. Ich möchte an einen Fall erinnern, der in Vergessenheit geraten ist, nämlich an den im Oktober 2020 verstorbenen damaligen Bundestagsvizepräsidenten und vormaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann. Der hatte sich wenige Tage vor seinem Tod sehr deutlich und kritisch zu den Maßnahmen geäußert. Das war kurz vor dem zweiten Lockdown. Er hat damals gesagt, er rechne „mit weiteren Gerichtsentscheidungen, die Corona-Maßnahmen aufheben“. Der „Aktionismus der Landesregierungen“ führe zu Maßnahmen, „die entweder gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit oder den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen“. Das waren seine Worte in der Presse. Und er forderte im Oktober „eine offene Generaldebatte im Bundestag“ dazu. Eine Woche später trat der zweite Lockdown in Kraft.
Thomas Oppermann im Mai 2020 im Bundestag | Bild: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Britta Pedersen
Aber kurz vorher, zwischen seinen Aussagen und dem Lockdown, kam er ums Leben, am 25. Oktober 2020, und zwar unmittelbar, buchstäblich wenige Minuten vor einem großen Interview im ZDF, wo er seine Argumente noch einmal vor einem Millionenpublikum präsentieren wollte. Das ZDF hat am Folgetag einen kurzen Bericht dazu veröffentlicht. Darin hieß es: „Oppermann war am Sonntag zum Thema ‚Bundestag und Corona‘ als Live-Interview-Gast in die Sendung ‚Berlin direkt‘ eingeladen und sollte aus dem Göttinger Max-Planck-Institut live in die Sendung geschaltet werden. Während der erste Beitrag bei Berlin direkt lief, brach Thomas Oppermann plötzlich zusammen.“ Der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios Berlin, Theo Koll erinnerte sich, man habe „noch im Vorgespräch zur geplanten Schalte den wie stets professionellen und entspannten Politiker Thomas Oppermann erlebt.“ Seither hörte man nichts mehr von diesem Todesfall. Es liegen aber bislang unbekannte Aussagen eines Zeugen dazu vor.
Wodarg: Ich muss natürlich diejenigen schützen, von denen ich das habe. Ich habe die Situation so berichtet bekommen, dass er in der Maske war, also geschminkt wurde für den Auftritt, und diejenigen, die normalerweise dabei sind, die haben das auch mitgekriegt, wahrscheinlich alle. Und dass er dann einen Kaffee angeboten bekommen hat, einen Kaffee getrunken hat und dass er dann tot zusammengebrochen ist. Und was allen besonders aufgefallen ist: dass da keine Polizei kam, dass da auch mit dem Leichnam nichts gemacht wurde, dass er einfach weggeschafft wurde. Und dass da nicht besonders gründlich nach einer Todesursache geforscht wurde. Ich weiß auch nicht, ob toxikologische Untersuchungen angestellt wurden, mir ist das nicht bekannt, aber für mich sieht es so aus, als wenn er vor dem Auftritt vergiftet wurde. Ich kann das nicht beweisen, aber der Anfangsverdacht ist so groß, dass die Staatsanwaltschaft hätte aktiv werden müssen, und das ist sie nicht. Das ist etwas, was mir immer Angst gemacht hat, was ich katastrophal finde. Ich kannte Thomas Oppermann persönlich als Kollegen aus der Fraktion. Ich fand ihn immer nett und fand ihn sehr offen. Ich war nicht immer einer Meinung mit ihm, aber mit ihm ging es immer wunderbar zu diskutieren. Er war klug und ist auf alles eingegangen und hatte seine eigene Meinung. Ich habe ihn immer als fairen, guten Politiker erlebt. Und von daher hat mich das damals sehr erschrocken. Ich glaube schon, dass es da Leute gibt, die große Angst davor hatten, dass solche Leute wie er die geplanten Aktionen stören.
Multipolar: Man konnte jedenfalls den Eindruck haben, dass der zweite Lockdown im Herbst 2020 mit großer Gewalt durchgedrückt wurde und länger geplant war. Und vielleicht hatten nach Oppermanns Tod auch andere Politiker Angst, dass ihnen etwas ähnliches passiert, wenn sie den Mund aufmachen, so wie er.
Wodarg: Das ist natürlich ein Beispiel, ja. In Afrika, die plötzlich verstorbenen Präsidenten, das war ja auch eine Selektion von Leuten, die kritisch waren, die dann plötzlich nicht mehr lebten. Und das ist etwas, was man vermuten kann – wenn es eine groß eingefädelte Aktion ist, die die Welt verändern will und die Angstmache braucht, um das zu erreichen, dann würden kritische Politiker natürlich stören.
Multipolar: Sie spielen an auf den Tod der Staatspräsidenten Burundis im Juni 2020 und Tansanias im März 2021, die sich beide dem globalen Trend der Corona-Maßnahmen widersetzt hatten. Die Corona-Zeit muss also nicht nur medizinisch und politisch aufgearbeitet werden, sondern auch auf dieser Ebene. Ich danke Ihnen, dass wir über all diese Themen sprechen konnten. Es ist noch viel Arbeit nötig. Hoffen wir, dass sich viele Menschen jetzt an einer offenen Diskussion beteiligen und auch den Mut dazu finden.
Wodarg: Ja. Ich finde, den Mut müssen wir haben, auch wenn es manchmal schwer ist. Aber wenn wir nicht den Mut aufbringen, das zu sagen, was gesagt werden muss, was uns bewegt, dann werden wir Opfer, dann kann man mit uns machen, was man will. Das passt nicht zu dem, was wir brauchen, damit wir Menschen sind, was uns Würde verleiht, und Autonomie ermöglicht, damit wir selbst über unser Leben entscheiden können und gemeinsam unser Leben gestalten können, so wie wir es gut finden, und dass wir nicht nur gehorchen müssen. Das sind Grundwerte, auf die wir jahrzehntelang stolz waren. Ich bin immer noch stolz darauf und ich möchte, dass wir uns dieses Selbstbewusstsein erhalten. Diejenigen, die das stört, sollen an den Pranger gestellt werden. Sie müssen demaskiert werden, damit deutlich wird, wie böse all das ist, was sie mit ihren Mitmenschen veranstaltet haben.
Über den Interviewpartner: Dr. med. Wolfgang Wodarg, Jahrgang 1947, ist Internist und Lungenarzt, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin sowie für öffentliches Gesundheitswesen und Sozialmedizin. Nach seiner klinischen Tätigkeit als Internist war er unter anderem 13 Jahre Amtsarzt in Schleswig-Holstein, gleichzeitig Lehrbeauftragter an Universitäten und Fachhochschulen und Vorsitzender des Fachausschusses für gesundheitlichen Umweltschutz bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein; 1991 erhielt er ein Stipendium an der Johns Hopkins University, Baltimore, USA (Epidemiologie). Als Mitglied des Deutschen Bundestages von 1994 bis 2009 war er Initiator und Sprecher in der Enquête-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin", Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, dort Vorsitzender des Unterausschusses Gesundheit und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Kultur, Bildung und Wissenschaft. 2009 initiierte er in Straßburg den Untersuchungsausschuss zur Rolle der WHO bei der H1N1 (Schweinegrippe) und war dort nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament als wissenschaftlicher Experte weiter beteiligt. Seit 2011 ist er als freier Hochschullehrer, Arzt und Gesundheitswissenschaftler tätig und war bis 2020 ehrenamtlich als Vorstandsmitglied und Arbeitsgruppenleiter Gesundheit bei Transparency International Deutschland engagiert. Weitere Informationen finden sich auf seiner Webseite.
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