Trotz unklarer Datenlage: WHO ruft Mpox-Notstand aus

WHO kann keine aktuellen Fallzahlen vorlegen / Abgrenzung zwischen bestätigten und vermuteten Fällen unklar / Ex-WHO-Arzt: Malaria und Tuberkulose sind viel größere Probleme – Fixierung auf Mpox ist „Geschäftsmöglichkeit“ für Pharmaindustrie

19. August 2024
Genf.
(multipolar)

Am 14. August hat der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tedros Ghebreyesus wegen der Ausbreitung von Affenpocken (Mpox) in Afrika einen internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Das ist die höchst mögliche Alarmstufe im internationalen Gesundheitsrecht. Anlass sind laut Ghebreyesus mehr als 15.000 Fälle und 537 Todesfälle in diesem Jahr sowie eine neue Variante (Clade 1 b), die sich hauptsächlich durch Sexualkontakte auszubreiten scheine. Zudem seien in den letzten Monaten mehr als 100 laborbestätigte Fälle aus Nachbarländern der Demokratischen Republik Kongo berichtet worden.

Die WHO-Veröffentlichung mit den aktuellsten verfügbaren Daten, die Multipolar auf Anfrage erhielt, bezieht sich jedoch lediglich auf Meldungen vom 1. Januar bis Ende Juni 2024. Darin werden kumuliert für das erste Halbjahr weltweit 99.000 laborbestätigte Fälle genannt, die große Mehrheit davon allerdings nicht in Afrika. Etwa zwei Drittel der Fälle beziehen sich auf den amerikanischen Kontinent. Der in den Daten erkennbare Rückgang der Fallzahlen von Mai bis Juni 2024 wird auf eine „Untererfassung“ zurückgeführt. Epidemiologischen Daten der afrikanischen Seuchenschutzbehöre (Africa CDC) ist zu entnehmen, dass unterschieden wird zwischen bestätigten, wahrscheinlichen und vermuteten Fällen. Wie die Abgrenzung erfolgt, ist unklar. Ebenfalls unklar bleibt auch weiterhin die Ermittlung der Todeszahlen und der Fallsterblichkeit.

Am 7. August hatte der WHO-Generaldirektor das Notfallverfahren (Energency Use Listing EUL) für Mpox-Impfstoffe eingeleitet. Am 9. August lud er Impfstoffhersteller ein, ihr Interesse an einer Aufnahme in die EUL anzumelden und Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe vorzulegen. Zu den Impfstoffen, die von der WHO Strategic Advisory Group of Experts on Immunization (SAGE), in der Sitzung am 24. März empfohlen worden sind, gehört auch MVA-BN der dänischen Firma Bavarian Nordic.

Das Unternehmen verbindet laut seiner Pressemitteilung vom 13. August mit dem, durch die WHO und die afrikanische Seuchenschutzbehörde verkündeten, Notstand die Hoffnung, dass sein Impfstoff schneller in Afrika zugelassen werden könnte. Bislang haben nur zwei afrikanische Staaten eine Notfallzulassung für Erwachsene gewährt. Für seine Impfstoffstudie und -produktion erhält Bavarian Nordic finanzielle Unterstützung sowohl durch die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) als auch von der EU-Organisation HERA (Health Emergency Preparedness and Response Authority). HERA hat 175.000 Dosen des Mpox-Impfstoffs bei Bavarian Nordic bestellt, um sie an die afrikanische Seuchenschutzbehörde zu „spenden“. Bavarina Nordic „spendet“ weitere 40.000 Impfstoffdosen.

David Bell, Arzt für öffentliches Gesundheitswesen und ehemaliger Wissenschaftler bei der WHO, kritisiert die Fixierung der Aufmerksamkeit und Finanzmittel auf Mpox, die dem „Pandemisch-Industriellen-Komplex“ zugute kämen. Während in der Demokratischen Republik Kongo in diesem Jahr 500 Menschen an Mpox gestorben seien, starben 40.000 vor allem junge Kinder an Malaria und hunderttausende weitere Menschen in diesem und angrenzenden Ländern an Tuberkulose, AIDS, Unterernährung oder unsauberem Wasser.

Vor vierzig Jahren hätte die WHO den Mpox-Ausbruch im Zusammenhang gesehen mit anderen Krankheiten, mit Armut und zivilen Unruhen, die sie begünstigten, schreibt Bell. Auch die Medien hätten die Krankheit kaum erwähnt. Doch heute sei die öffentliche Gesundheitsbranche auf die Ausrufung von Notständen und „Pandemien“ angewiesen, denn dies sei für die Pharmafirmen hinter der WHO eine „Geschäftsmöglichkeit“.

Währenddessen forderte WHO-Epidemiologin Maria van Kerkhove bei der Pressekonferenz zur Ankündigung des Mpox-Notstandes eine stärkere Überwachung, mehr Tests, eine stärkere Rückverfolgung von Kontakten, eine stärkere Risikokommunikation und das Engagement von Gemeinschaften mit Infizierten sowie von zivilgesellschaftlichen Organisationen, um die Mpox-Ausbreitung begrenzen zu können.

Im Hinblick auf diese Maßnahmen weist der Journalist und Experte für Impfungen, Bert Ehgartner, auf Multipolar-Anfrage darauf hin, dass die lokale Bevölkerung wie bei Ebola oder Corona nicht mit WHO und UN-Organisationen kooperieren wolle. „Niemand wollte in deren Einflussbereich geraten, weil die positiven Tests oft zu Quarantäne-Maßnahmen führten.“ Bei vielen Afrikanern sei eine Quarantäne allerdings kaum auszuhalten, weil der Lebensunterhalt oft durch tägliche Jobs gesichert werde und Familien auf diese Weise in Existenznot gedrängt würden.


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