Wie erwartbare Sterbefälle und Krankenhausbelegungen zur COVID-19-Notlage erklärt werden
KARSTEN MONTAG, 24. Mai 2021, 6 Kommentare, PDFHinweis: Dieser Beitrag ist auch auf Englisch verfügbar.
In seiner wöchentlichen Berichterstattung vom 21. Mai 2021 meldete das Robert Koch-Institut (RKI) 83.602 Todesfälle aufgrund von COVID-19, davon über 74.000 allein in der Grippesaison 2020/21. Diese Zahlen, die in den Medien ständig wiederholt werden, klingen sehr bedrohlich. Im Kontrast dazu sollen laut RKI in der Grippewelle 2017/18 schätzungsweise 25.000 Menschen an Influenza verstorben sein.
Damit erscheint auf den ersten Blick COVID-19 in Deutschland gut dreimal so gefährlich wie die saisonale Grippe. Doch vergleicht man den wöchentlichen Verlauf sowie die Höhe der Sterberaten während der Grippesaison 2020/21 mit den Vorjahren, erkennt man keine sonderlichen Abweichungen, außer dass der Höhepunkt der Todesfälle 2020/21 um die Jahreswende zu verzeichnen war, während dieser in den vorangegangenen Saisons erst im Frühjahr auftrat.
Abbildung 1: (für größere Anzeige hier klicken) Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Amt der Europäischen Union. Um demografische Veränderungen einzubeziehen, wurden in dieser Darstellung die Sterbefälle der Altersgruppen je Größe der Altersgruppe (Sterberate) pro Woche berechnet und aufaddiert.
Tatsächlich sind in der Grippesaison 2020/21 in Deutschland in der Summe über alle Altersgruppen weniger Menschen im Verhältnis zur Größe ihrer jeweiligen Altersgruppe verstorben als in der Grippesaison 2017/18.
Wo kommen die über 74.000 Corona-Toten in der Grippesaison 2020/21 her?
Betrachtet man die Anzahl der jährlichen Sterbefälle in Deutschland, ist zu erkennen, dass diese seit der Jahrtausendwende mit leichten Schwankungen zunimmt.
Abbildung 2: (für größere Anzeige hier klicken) Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Amt der Europäischen Union
Der Grund für die vermehrten Todesfälle steht jedoch nicht im Zusammenhang mit gefährlicheren Krankheiten oder anderen äußeren Umständen, sondern liegt ganz einfach in der Tatsache begründet, dass unsere Gesellschaft immer älter wird und die Lebenserwartung sich nicht grenzenlos steigern lässt.
Abbildung 3: (für größere Anzeige hier klicken) Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Amt der Europäischen Union
Verbesserte Lebensumstände, eine gesündere Lebensweise und Fortschritte in der Medizin haben insbesondere im 20. Jahrhundert zu einer Steigerung der Lebenserwartung geführt. Seit Anfang der 2010er Jahre steigt die durchschnittliche Lebenserwartung jedoch nicht mehr in dem Maße an wie in den Jahrzehnten zuvor. Gleichzeitig wächst die Gruppe der über 80-jährigen aufgrund geburtenreicher Jahrgänge Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre derzeit deutlich stärker an als noch vor wenigen Jahren.
Das Risiko, an typischen Alterskrankheiten oder akuten Atemwegserkrankungen in Kombination mit diesen Alterskrankheiten zu versterben, ist im Alter deutlich höher als in jüngeren Jahren. Daher kann es passieren, dass bei steigendem Anteil der über 80-jährigen die Anzahl der Sterbefälle anwächst, ohne dass im Verhältnis zur Größe der jeweiligen Altersgruppe mehr Menschen versterben. Dies lässt sich gut anhand des Vergleichs der Grippesaison 2017/18 mit dem Vergleichszeitraum 2020/21 darstellen.
Abbildung 4: Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Amt der Europäischen Union
Deutlich zu erkennen ist die höhere Anzahl der Sterbefälle in der Gruppe der über 80-jährigen in der Grippesaison 2020/21 im Verhältnis zum Vergleichszeitraum 2017/18. In Summe über alle Altersgruppen sind es über 30.000 Todesfälle mehr.
Da jedoch die Gruppe der über 80-jährigen in der Zeit zwischen den Vergleichszeiträumen stark angewachsen ist, kann man die beiden Saisons nur angemessen vergleichen, wenn man die Anzahl der Sterbefälle der Altersgruppen mit der Größe der jeweiligen Altersgruppen ins Verhältnis setzt. Was man dann erhält, sind die Sterberaten je Altersgruppe, und diese zeichnen ein vollkommen anderes Bild.
Abbildung 5: Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Amt der Europäischen Union. Da die offiziellen Bevölkerungszahlen für 2021 noch nicht vorliegen, wurde zur Berechnung der Sterberate in der Saison 2020/21 eine Bevölkerungsprognose des Statistischen Amtes der Europäischen Union verwendet.
Tatsächlich sind die Sterberaten in allen jüngeren Altersgruppen annähernd gleich geblieben und in der Altersgruppe der über 80-jährigen sogar gesunken. Man kann also feststellen, dass die COVID-19-Pandemie in der Grippesaison 2020/21 milder verlaufen ist als die saisonale Grippe 2017/18, obwohl die Anzahl der Sterbefälle höher ausfällt. Die COVID-19-Pandemie in Deutschland ist daher bisher nicht gefährlicher als saisonale Grippewellen, wenn man die demografischen Veränderungen berücksichtigt.
Und noch etwas ist auffällig. Wenn in der Grippesaison 2017/18 gemäß RKI 25.000 Menschen an Influenza verstorben sein sollen und 2020/21 die Anzahl der Sterbefälle mehr als 30.000 über 2017/18 liegt, dann kommt man rein rechnerisch auf eine COVID-19-Opferzahl von über 55.000. Das RKI gibt die Anzahl der krankheitsbedingten Sterbefälle jedoch mit 74.000 an. Entweder hat also das RKI die Zahl der Opfer der saisonalen Grippe 2017/18 zu niedrig eingeschätzt, oder bei der Erfassung der COVID-19-Sterbefälle liegt ein Fehler vor. Dieser ließe sich beispielsweise mit einer hohen Anzahl von falsch positiven PCR-Tests erklären.
In Zukunft ist aufgrund demografischer Veränderungen mit einer deutlichen Steigerung der jährlichen Todesfälle zu rechnen
Aufgrund geburtenstarker Jahrgänge zwischen 1950 und 1970 wird der Anteil der Altersgruppe der über 80-jährigen in den nächsten 30 Jahren noch deutlich weiter anwachsen. Da die Lebenserwartung in den letzten zehn Jahren nur noch langsam angestiegen ist, muss man davon ausgehen, dass diese auch in Zukunft nur moderat zunimmt.
Abbildung 6: (für größere Anzeige hier klicken) Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Amt der Europäischen Union
Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich der Trend der letzten zehn Jahre bei der Senkung der Sterberaten in allen Altersgruppen fortsetzt, wird die Anzahl der jährlichen Sterbefälle in Deutschland mit sehr großer Wahrscheinlichkeit weiter deutlich anwachsen. Bereits 2025 werden laut Prognose noch einmal knapp 40.000 Menschen mehr versterben als im Jahr 2020, 2050 werden es voraussichtlich über 200.000 sein.
Abbildung 7: (für größere Anzeige hier klicken) Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Amt der Europäischen Union
Um die Gefährlichkeit des Coronavirus und seiner zukünftigen Mutationen richtig einzuschätzen, ist es daher äußerst wichtig, die demografischen Veränderungen unserer Gesellschaft einzubeziehen. Summiert man einfach nur die absoluten Zahlen krankheitsbedingter Sterbefälle auf, entsteht ein dramatisches Szenario, obwohl die relativen Sterberaten in allen Altersgruppen tatsächlich im Mittel stetig zurückgehen.
Das deutsche Gesundheitssystem ist nicht ausgelegt für die Anforderungen einer älter werdenden Gesellschaft
Ausnahmezustand in Krankenhäusern. Klinikpersonal fällt krankheitsbedingt aus. Geplante Operationen werden verschoben. Gesundheitssystem am Rande der Kapazität. Krankenhäuser und Ämter lahmgelegt. – Was klingt wie Schlagzeilen aus der COVID-19-Pandemie im letzten Winter, stammt in Wirklichkeit vom Höhepunkt der Grippewelle im Frühjahr 2018. Die Grippewelle sei mit 25.000 Opfern die tödlichste in 30 Jahren gewesen, meldete das RKI. Kaum zu glauben, dass auch in 2018 im Vergleich zum Durchschnitt der Vorjahre in Deutschland eine Untersterblichkeit zu verzeichnen war, wenn man die demografischen Veränderungen berücksichtigt.
Die Entwicklung der Krankenhausbelegungstage in Deutschland sowie die demografischen Veränderungen geben Aufschluss darüber, warum die deutschen Krankenhäuser in den letzten Jahren selbst bei saisonalen Grippen so schnell an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen. Weil sich die durchschnittliche Verweildauer von Patienten im Krankenhaus seit den 1990er Jahren halbiert hat, sind die Krankenhausbelegungstage trotz einer älter werdenden Gesellschaft in Deutschland deutlich zurückgegangen.
Abbildung 8: Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Bundesamt
Da Krankenhäuser einen der größten Kostenfaktoren im Gesundheitssystem darstellen, hatte dies zur Folge, dass Überkapazitäten abgebaut wurden. Krankenhäuser wurden geschlossen und die Anzahl der Betten ging in den letzten drei Jahrzehnten um 20 Prozent zurück.
Abbildung 9: Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Amt der Europäischen Union
Doch was nicht zurückgeht, sind die hauptsächlich nur in den Grippesaisons kurzfristig auftretenden Krankenhausbelegungstage aufgrund akuter Atemwegserkrankungen bei älteren Patienten. Diese steigen sogar in der Altersgruppe der über 80-jährigen deutlich an.
Abbildung 10: (für größere Anzeige hier klicken) Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Bundesamt
Da die Altersgruppen der 70- bis 79-jährigen und der über 80-jährigen den Großteil der Krankenhausbelegungen verursachen und diese Altersgruppen in Zukunft weiter anwachsen werden, ist davon auszugehen, dass auch die Gesamtzahl der Krankenhausbelegungstage aufgrund akuter Atemwegserkrankungen zunehmen wird.
Abbildung 11: (für größere Anzeige hier klicken) Eigene Darstellung, Datenquelle: Statistisches Bundesamt
Man kann deutlich erkennen, dass hier etwas nicht zusammenpasst. Einerseits will man die Kosten im Gesundheitssystem reduzieren und Überkapazitäten abbauen. Andererseits müsste man jedoch für kurzfristige Belastungen aufgrund wiederkehrender akuter Atemwegserkrankungen bereits abgebaute Kapazitäten wieder ausbauen.
Schlussbetrachtung
Aus den hier dargestellten Zusammenhängen zwischen der demografischen Veränderung unserer Gesellschaft und einer daraus resultierenden erwartbaren höheren Belastung des Gesundheitssystems wird deutlich, dass bei einem weiteren Abbau von Kapazitäten im deutschen Gesundheitswesen eine regelmäßige Überlastung droht. Durch die Dramatisierung der Letalität von COVID-19 und der drohenden Überlastung des Gesundheitssystems durch das Coronavirus, welche in Wirklichkeit beide in erster Linie auf die demografischen Veränderungen der Gesellschaft zurückzuführen sind und nicht auf die Krankheit, sowie die Fokussierung auf einen Impfstoff als angeblich einzige Lösung wird eine andere, deutlich effektivere und sicherere Alternative der Krankheitsbekämpfung aus dem Bewusstsein der Menschen ferngehalten: der Erhalt und Ausbau von Kapazitäten im Gesundheitswesen, um den Anforderungen einer älter werdenden Gesellschaft auch in Zukunft gerecht zu werden.
Anmerkung: Angesprochen auf die hier dargelegten Zusammenhänge hat das Bundesministerium für Gesundheit bislang nicht reagiert.
Über den Autor: Karsten Montag, Jahrgang 1968, hat Maschinenbau an der RWTH Aachen, Philosophie, Geschichte und Physik an der Universität in Köln sowie Bildungswissenschaften in Hagen studiert. Er war viele Jahre Mitarbeiter einer gewerkschaftsnahen Unternehmensberatung, zuletzt Abteilungs- und Projektleiter in einer Softwarefirma, die ein Energiedatenmanagement- und Abrechnungssystem für den Energiehandel hergestellt und vertrieben hat.
Datenquellen:
- Online Datenbank des Statistischen Amts der Europäischen Union
- Genesis-Online Datenbank des Statistischen Bundesamts
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