Energiepolitische Narrative: Schutz des Klimas oder Schutz der Monopole?
ANJA BAISCH, 28. August 2023, 9 Kommentare, PDFVor wenigen Wochen fanden zwei G20-Treffen in Indien statt. Doch weder die Runde der Energieminister noch der Kreis der Umwelt- und Klimaminister konnte sich auf eine gemeinsame Linie zum Klimaschutz einigen. Es war einmal mehr der Versuch, die weltweiten ökologischen Krisen durch einen globalen Vertrag lösen zu wollen. Und es hat einmal mehr nicht funktioniert.
An dieser Vorgehensweise arbeiten sich die Staats- und Regierungschefs nun seit der ersten Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen im Jahr 1995 in Berlin ab. Das Prozedere ist immer das gleiche: In langen Verhandlungsrunden wird diskutiert, welche Länder welche Emissionseinsparungen erzielen sollen. Viele Staats- und Regierungschefs nutzen Vermeidungsstrategien, um sich den Vorgaben zu entziehen oder sie zumindest abzuschwächen. Der Grund ist, dass sie wirtschaftliche Nachteile für ihr jeweiliges Land fürchten, denn die politischen Instrumente, die diskutiert und angewendet werden, zielen darauf ab, den Energieverbrauch zu erschweren oder zu verteuern. Das passiert über Preiserhöhungen oder mengenmäßige Beschränkungen. Diese Ansätze finden sich im Emissionshandel, bei Budgetierungen oder CO2-Fußabdrücken, die alle finanziell oder ordnungspolitisch den Energieverbrauch drosseln sollen.
Im Zentrum der Debatte steht also die Frage, wer sich wie stark einschränken müsse. Es geht um eine möglichst gerechte Verteilung der Lasten, auch bezeichnet als „burden sharing“. Die politischen Konfliktlinien verlaufen entlang dieser Vorstellung von Lasten: Flexibilität versus Verbindlichkeit, längere Zeitfenster versus Tempo, finanzielle Subventionierung versus Verbote.
Innerhalb dieses Rahmens existiert eine Bandbreite unterschiedlicher Positionen: Seitens der Klimaschutzbewegung werden die Maßnahmen als zu lasch eingeschätzt und ihre Vertreter fordern eine größere Verbindlichkeit, während Unternehmen solche Instrumente als wirtschafts- und wettbewerbsfeindlich kritisieren. Aus demokratischer Perspektive wird dagegen die Einschränkung der grundgesetzlichen Handlungsfreiheiten problematisiert. Sowohl die vorherrschende Politik als auch die diversen Kritiker argumentieren also innerhalb der Lastenidee.
Dieses Konzept transportiert die Idee, dass die Nutzung von Energie schlecht und gefährlich sei, weshalb die Verbraucher zu mehr Beschränkungen und Sparmaßnahmen gedrängt werden. Da Energie weltweit immer noch überwiegend fossil und atomar erzeugt wird, ist die Schlussfolgerung auch nicht falsch.
Dennoch hat die Kernbotschaft, den Energieverbrauch per se negativ zu brandmarken, weitreichende politische und emotionale Auswirkungen. Denn eine Verbesserung der ökologischen Situation kann dann nur über Verzicht passieren.
Diese eingeforderte Beschränkung betrifft sämtliche Lebensbereiche, weil Energie die Grundlage für alles ist. Jede wirtschaftliche Tätigkeit und jeder Aspekt der persönlichen Lebensführung brauchen Energie in irgendeiner Form. Diese existenziellen Bedürfnisse mit Schuld, Angst und Scham zu verknüpfen, ist psychologisch folgenreich und löst oft Abwehrmechanismen aus. Das ist einer der Gründe, warum das Thema Klimaschutz so emotional diskutiert wird. Und es ist ein Anlass, viel grundsätzlicher anzusetzen und zu hinterfragen, warum eigentlich die Kernbotschaft auf Verzicht und Beschränkung zielt und warum Klimaschutz deswegen mit der Verteilung von Lasten gleichgesetzt wird.
Geteilte Lasten oder geteilter Nutzen?
Die Analyse des Burden Sharing (Geteilte Lasten) funktioniert nur, wenn man auch das Gegenstück – also Benefit Sharing (Geteilter Nutzen) – identifizieren kann. Für wen könnten Klimaschutzmaßnahmen also einen Gewinn darstellen, der über ökologische Verbesserungen hinausgeht?
Um die Interessenkonflikte zu verdeutlichen, ist es erforderlich, sich von dem Begriff Klimaschutz zu lösen. Die diskutierten politischen Instrumente betreffen alle die Erzeugung und den Verbrauch von Energie. Im Kern geht es also um Energiepolitik. Dennoch wird die Frage der Energiepolitik seit den 1990er Jahren unter dem Label Klimaschutz diskutiert. Diese Umbenennung verschiebt die Debatte von konkreten energiepolitischen Auseinandersetzungen hin zu abstrakten Modellen, die viel Interpretationsraum eröffnen und reale Interessenkonflikte unsichtbar machen. Um die Lasten und Profite der politischen Instrumente zu analysieren, ist deshalb der Blick auf die energiesystemischen Strukturen sinnvoller, der insbesondere von dem SPD-Politiker und Energiewendevordenker Hermann Scheer ausgearbeitet wurde. (1)
Erneuerbare: Die Gefährdung eines systemischen Monopols
Die Energiewirtschaft ist ein hochprofitables Geschäft, das von monopolistischen Konzernen dominiert wird. Die Unternehmen sind maximal hierarchisch organisiert, von den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in den Rohstoffminen bis hin zu den politisch bestens vernetzten Konzernspitzen. Die Verwertung verläuft über lange Wertschöpfungsketten – von der Förderung über die Verarbeitung und den Transport bis hin zur Speicherung der Energie. Diese ausdifferenzierten Verfahren ermöglichen Profite an jeder einzelnen Stufe der Fertigung und sind mit ein Grund, weshalb das Energiegeschäft so profitabel ist.
Der zweite Grund besteht in der Geschlossenheit der Systeme. Die Anzahl der Kohleminen, Öl- und Gasfelder auf der Erde ist begrenzt. Der Eigentümer kann daher den Zugang beschränken, was ihm eine machtvolle Position sichert. Darüber hinaus erfordert die gesamte Wertschöpfungskette eine aufwändige Infrastruktur. Sobald die einmal steht, ist es nur sehr schwer möglich für potentielle Konkurrenten, überhaupt in den Markt zu kommen. Das sind optimale Bedingungen für ein Monopol.
Ein dritter Grund, warum die fossile Energiewirtschaft so profitabel ist, liegt in ihrer Vernetzung mit anderen Wirtschaftssektoren. Zahlreiche einzelne Bestandteile der fossilen Produkte, insbesondere des Öls, werden auch in anderen Wirtschaftssektoren verwendet: Pharma, Lebensmittel, Chemie und weitere. Die vielen aufeinander abgestimmten Prozesse ermöglichen Synergieeffekte, so dass die Energiekonzerne ein umfassendes und komplexes System von Vertragsbeziehungen steuern.
Die Energiekonzerne befinden sich also in einer äußerst machtvollen Position, indem sie ihr Monopol auf vielen Wegen stabilisieren. Diese Monopolstrukturen zu erhalten und auszubauen, ist der Kern ihrer Geschäftsstrategie. Und die notwendige Vorgehensweise liegt auf der Hand: Keine Konkurrenz zulassen.
Das ist eine leichte Aufgabe im Bereich der fossilen Produktionsverfahren, da diese nur in geschlossenen Systemen funktionieren. Weitaus schwieriger wird es mit den erneuerbaren Energien, denn Wind und Sonne sind überall verfügbar. Im Prinzip kann also jeder Akteur an jedem Ort der Welt Energie erzeugen. Damit sind dezentrale Energiestrukturen möglich.
Das ist für den Monopolisten deshalb gefährlich, weil hier die Gefahr besteht, dass seine Strukturen ausgehöhlt werden. Jeder einzelne Verbraucher, jedes Dorf, jede Kommune, jede Stadt, jeder Landkreis, der seine Energieversorgung auf lokale erneuerbare Quellen umstellt, entzieht dem Monopolisten einen Marktanteil. Und je mehr Verbraucher sich aus den Monopolstrukturen ausklinken, desto höher die Kosten für die Verbleibenden. Deshalb hat der Monopolist ein existenzielles Interesse daran, keine konkurrierenden Energieproduzenten in den Markt zu lassen. Anlagen, die Wind- und Sonnenkraft umwandeln, sind für ihn nur dann akzeptabel, wenn er sie in seine zentralistischen Strukturen pressen kann. Das ist aus betriebswirtschaftlicher Perspektive logisch und entspricht seinem Profitinteresse sowie den Verpflichtungen gegenüber seinen Anteilseignern.
Erneuerbare Energien sind also deshalb gefährlich für den Monopolisten, weil sie seine Monopolposition bedrohen. Es mag fast lächerlich aussehen, dass ein paar Photovoltaik-gedeckte Dächer die mächtige global agierende Energiewirtschaft herausfordern, aber systemisch ist genau das der Kern der energiepolitischen Konflikte.
Dezentrale Energie, Klimaschutz als Gewinn
An dieser Stelle zeigen sich die möglichen Gewinner einer energiesystemischen Wende. Das ist nicht nur eine theoretische Überlegung, sondern empirisch nachweisbar durch die Geschichte des Erneuerbare-Energien-Gesetzes aus dem Jahr 2000. Dass dieses Gesetz überhaupt in Kraft trat, war ein Durchbruch, den die Energiekonzerne unbedingt hatten verhindern wollen. Denn es machte sichtbar, dass und wie eine dezentrale Energieversorgung funktionieren kann und welche volkswirtschaftlichen Effekte durch eine Demokratisierung der Energiewirtschaft entstehen.
Als Reaktion darauf starteten die Energiekonzerne eine massive Kampagne, mit der sie ab 2009 den öffentlichen Diskurs und die politische Entscheidungsfindung stark beeinflussten. Im Auftrag der Fossilwirtschaft konzipierte die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ein mediales Dauerfeuerwerk gegen die erneuerbaren Energien allgemein (zu unsicher, zu schlechtes Wetter, fehlende Technik) und gegen das EEG im Besonderen (zu teuer, wettbewerbsfeindlich).
In der Folge wurde das Gesetz durch die Regierungen unter Angela Merkel schrittweise umgeschrieben und inhaltlich völlig auf den Kopf gestellt, um die mühsam erkämpfte Dezentralisierung wieder rückgängig zu machen. (2) Aber diesen kurzen Zeitraum von knapp zehn Jahren, in dem das Gesetz in seiner ursprünglichen Fassung Bestand hatte, können die Energiekonzerne nicht ungeschehen machen, daher ist ein Blick auf die damaligen Entwicklungen sehr wertvoll.
Das EEG wird den Monopolisten gefährlich
Das Gesetz basierte auf der Annahme, dass es möglich ist, an vielen Orten und in unterschiedlichen Formaten Energie zu erzeugen. Diese sollte ortsnah verbraucht und die Überschüsse ins öffentliche Netz gespeist werden. Die Energiekonzerne wurden dazu verpflichtet, den sauberen Strom mit Vorrang durch ihre Netze zu leiten. Damit schuf das Gesetz einen ordnungsrechtlichen Rahmen, der einen Frontalangriff auf die Monopolstrukturen darstellte, gerade weil er weniger mächtigen und weniger kapitalstarken Akteuren einen Marktzugang ermöglichte.
Die Idee war also, einen Markt zu schaffen, damit die Teilnehmer in eigenem Interesse Gewinne erzielen könnten. Im Zentrum standen nicht die zu tragenden Lasten, sondern die möglichen Chancen. Hermann Scheer, einer der Gründerväter des Gesetzes, formulierte den Ansatz so: „So entstehen technologische Revolutionen: Durch die Entfachung einer Dynamik zu sich selbst tragenden Entwicklungen.“ (3)
In den folgenden Jahren passierte genau das, was die Energiekonzerne hatten verhindern wollen: Das Gesetz funktionierte tatsächlich im Sinne der Erfinder. Die prognostizierten Wachstumsraten wurden übererfüllt. Das EEG löste einen Innovationsboom aus. In den ersten zehn Jahren wurden fast 150 Mrd. Euro investiert. (4)
Davon profitierten vor allem mittelständische Strukturen in Produktion, Handwerk und Landwirtschaft. Bis 2011 entstanden deutlich mehr Arbeitsplätze als erwartet. Kommunen stärkten mit der sauberen Energie ihre wirtschaftliche Entwicklung. Damit verlagerte sich mehr Wertschöpfung auf die regionale Ebene. Die Eigentümerstrukturen änderten sich. Gewerbe, Landwirte und Privatpersonen besaßen im Jahr 2010 etwa achtzig Prozent der Solaranlagen. (5) Dieser Gründungsboom bewirkte eine größere Kapitalstreuung: Weg von den Wenigen, hin zu den Vielen. Es gab also zahlreiche Akteure, die profitierten – mit Ausnahme der Energiekonzerne.
Neben diesen volkswirtschaftlichen Effekten bewirkte das Gesetz eine deutlich messbare Verringerung der schädlichen Emissionen und war dadurch die erfolgreichste Klimaschutzmaßnahme, die es je gegeben hatte. Dafür waren keinerlei Quoten, Reglementierungen und Verteuerungen notwendig gewesen, weil die Akteure aus eigenem Gewinnstreben heraus agiert hatten. Es trat genau das ein, was die Initiatoren des Gesetzes angestrebt hatten: Eine Dynamik zu entfachen.
Eine Lobbykampagne würgt die Entwicklung erfolgreich ab
Wie schwer diese Bewegung wieder zu stoppen war, zeigte sich in den Folgejahren. Obwohl die Diffamierungs- und Lobbykampagnen gegen das EEG zu diesem Zeitpunkt schon etwa vier Jahre liefen, titelte die Wirtschaftswoche noch im Februar 2013: „Politik der Energiewende macht große Versorger kaputt.“ „Jeder 60. Verbraucher versorgt sich bereits selbst mit Energie und braucht die großen Versorger nicht mehr, Tendenz steigend“, hieß es in dem Artikel. Nach einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) im Jahr 2012 prüfte jedes dritte Unternehmen, ob es sich lohnte, die Energie selbst zu erzeugen. Die Energiekonzerne bekamen den Deckel kaum noch auf den Topf.
Es bedurfte der tatkräftigen Mithilfe der Regierungen unter Merkel und den Wirtschaftsministern Rösler, Gabriel und Altmaier. Sie transformierten ein klares Gesetz mit 12 Paragraphen in ein bürokratisches Mammutwerk, das ohne eigene Rechtsabteilung kaum noch durchschaubar ist. Unzählige Regularien und Einschränkungen verkomplizieren den Ausbau und wirken dadurch abschreckend. Besonders hervorzuheben sind drei gesetzliche Umbauten, die jeweils besonders stark bremsten.
Im Jahr 2012 veranlasste Philipp Rösler (FDP) eine massive Kürzung der Vergütungszahlungen, so dass der Solarausbau ab 2013 heftig einbrach. Unter Wirtschaftsminister Gabriel (SPD), der ab 2013 im Amt war, wurden Besitzer von solaren Techniken gezwungen, ihren Strom selbst an der Börse zu vermarkten. Das war für kleine Energiegemeinschaften, in denen sich viele ehrenamtlich engagieren, kaum zu bewältigen.
Der große Einbruch erfolgte, als die Förderung 2016 auf Ausschreibungen statt fester Einspeisevergütungen umgestellt wurde. Seitdem werden Obergrenzen für den Ausbau festgelegt. Die Erzeuger müssen teure Angebote für vorgeschriebene Mengen abgeben, von denen nur das Günstigste den Zuschlag und damit die Vergütung erhält. Das ermöglicht den Energiekonzernen, ihre Kapitalmacht voll auszuspielen, denn kaum eine Energiegenossenschaft kann mehrere hunderttausend Euro für ein Angebot mit unsicherem Ausgang vorfinanzieren.
Gerade die Umstellung auf Ausschreibungen bewirkte daher, dass der zuvor so hohe Anteil der Bürgerenergie an den erneuerbaren Verfahren stetig zurückgeht. Das macht sich in den Zahlen zum Bestand und insbesondere beim Zubau bemerkbar.
Inzwischen ist die dezentrale Dynamik gebrochen, die Photovoltaik-Industrie weitgehend nach China abgewandert und der genossenschaftliche Gründungsboom nach 2012 massiv eingebrochen. Den Energiekonzernen ist es gelungen, nicht nur ihre Monopolstellungen zurückzuerobern, sondern auch auf den Bereich der erneuerbaren Energien auszuweiten. Wenn sauberer Strom erzeugt wird, dann meist in großtechnischen Anlagen der Konzerne, die sie in ihre zentralistischen Strukturen integrieren können.
Doch nicht nur das: Neben der Re-Zentralisierung waren die Energiekonzerne ebenfalls erfolgreich damit, die öffentliche Debatte zu steuern. Die gesellschaftlich entscheidende Frage, wer die Energiewende vorantreibt, praktiziert und Handlungsverantwortung übernimmt, spielt im medialen Diskurs überhaupt keine Rolle mehr. Völlig selbstverständlich wird davon ausgegangen, die Energiewende sei eine Sache der Energiekonzerne. Dezentrale Versorgung und Erzeugung gelten bestenfalls als Ergänzung.
In ihren Zielen, Konzepten und Plänen thematisiert die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien rein quantitativ. Die Frage der Akteure, Investoren und Eigentümer ist kein Thema. Kaum eine große Zeitung oder Nachrichtensendung berichtet darüber, dass sich zahlreiche Kommunen seit Jahren völlig autonom mit Energie versorgen und diese Vorgehensweise offensichtlich und nachweisbar bestens funktioniert. Stattdessen erleben alte Debatten über Dunkelflauten und verspargelte Landschaften eine Renaissance.
Interessenkonflikte: Klimaschutz-Narrativ dient mächtigen Akteuren
Dass die systemische Energiewende abgewürgt wurde, ist aus ökologischer und aus volkswirtschaftlicher Hinsicht ein immenser Verlust. Aber keine Lobbykampagne kann die empirisch gestützte Erkenntnis ungeschehen machen, dass dezentrale Lösungen möglich sind. Sobald die energiesystemischen Monopolstrukturen angefochten werden und vielfältigen Akteuren der Marktzutritt ermöglicht wird, entstehen ökologische und verteilungspolitische Verbesserungen. Es braucht keine Verteuerungen, Reglementierungen oder gar Lockdowns, wenn die politische Steuerung auf mögliche Gewinne – jenseits der Monopolisten – zielt.
Das Narrativ von Klimaschutz als einer großen Last ist also keineswegs zwangsläufig, sondern dient lediglich den Interessen bestimmter mächtiger Akteure. Zahlreiche andere Akteure würden gerne Profite machen, wenn sie Zugang zum Markt bekämen:
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Der Photovoltaikbranche, die sich zu Beginn der 2000er Jahre entwickelt hatte, wurde über diverse Reformen des EEG der Boden entzogen.
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Handwerker und Unternehmen hätten gerne Profite gemacht, wenn nicht durch die irrwitzige Bürokratie und sich verschlechternde Bedingungen ihre Tätigkeit verunmöglicht worden wäre.
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Zahlreiche Energiegenossenschaften hätten sich gerne gegründet und ihre autonome Energieversorgung organisiert, wenn nicht durch die Einführung von Ausschreibungen kapitalschwächere Akteure von der Energiewende ausgeschlossen worden wären.
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Viele Investoren hätten – allen Hürden der Ausschreibungen zum Trotz – gerne in Photovoltaik investiert, doch in der jüngsten Ausschreibungsrunde kamen bei weitem nicht alle Anträge zum Zug, so dass viele Projekte nicht realisiert werden können.
Diese Liste lässt sich lange fortsetzen, denn es existieren inzwischen zahlreiche Möglichkeiten, Strom, Wärme und Mobilität fossilfrei zu ermöglichen. Die Innovationsplattform Inspire, auf der Patente im Bereich der erneuerbaren Energien registriert werden können, wächst ständig, weil Ingenieure auf der ganzen Welt Ideen zu fossilfreien Produkten entwickeln. Ihre Verwertung scheitert nicht daran, dass die Technik noch nicht ausgereift sei oder dass das Wetter zu schlecht sei, sondern sie scheitert an den Monopolstrukturen der Fossilwirtschaft, die jede Konkurrenz zu verhindern wissen.
Dennoch haben die Geschichten von mutigen Pionieren, die neue Produkte auf den Markt bringen wollen, keinen Raum in der öffentlichen Debatte. Stattdessen wird Klimaschutz ständig als Bürde und als große Last dargestellt.
Den Energiekonzernen nützt die Idee des Burden Sharing vor allem deshalb, weil sie eine Benefit-Debatte verhindert. Darüber hinaus macht die Lastendebatte aus ihrem Produkt ein knappes Gut, so dass diverse Spekulations- und Preissetzungsmethoden möglich werden. Besonders gerne inszenieren sich die Konzerne außerdem als ambitionierte Klimaschützer. Sie erfinden grünfärberische Begriffe, deklarieren ihre fossilen und atomaren Erzeugnisse als klimaneutral und fordern umfangreiche Subventionen für den industriellen Umbau. Das heißt nicht, dass sie ihre Verfahren tatsächlich umstellen würden, denn parallel dazu bauen sie unbeirrt die Förderung von Kohle, Gas und Öl aus. Doch mit der Selbstinszenierung als Klimaschützer stärken sie ihre Machtposition.
Hinter dem gedanklichen Konstrukt einer zu verteilenden Last steckt also ein konkretes betriebswirtschaftliches Interesse der Energiekonzerne. Sowohl aus volkswirtschaftlicher als auch aus ökologischer Perspektive gäbe es eine Menge Gründe, statt der Lasten die möglichen Benefits anzustreben.
Klimaschutz als Last erzwingt zentralistische Lösung
Die Debatte darüber, wer profitiert und wer Lasten tragen muss, hat aber auch weitreichende politische Implikationen, die an der Geschichte der internationalen Klimaschutzkonferenzen abzulesen sind.
Wo Lasten verteilt werden müssen, hat niemand einen Anreiz, sich an die Spitze zu setzen. Es spielt keine Rolle, ob diese Nachteile zwischen Nationalstaaten oder zwischen Branchen oder zwischen Standorten zu verteilen sind. Gewinnschmälernde Initiativen übernimmt niemand freiwillig. Daher mobilisieren alle Akteure Vermeidungsstrategien, die umso wirkungsvoller sind, je einflussreicher der sich windende Akteur. Deshalb braucht es eine übergeordnete politische Instanz, die diesen Lastenausgleich möglichst gerecht organisiert. Und weil die ökologischen Folgen weltweit auftreten, scheint letztlich eine globale Instanz notwendig, um diesen Lastenausgleich zu organisieren. Anders formuliert: Die Idee von Klimaschutz als einer Last erzwingt supranationale, zentralistische Lösungen.
Wer Gewinne machen will oder seine eigenen Kosten senken möchte, braucht dagegen keine globalen Regularien. Das funktioniert auch dezentral. Eine systemische Energiewende bietet daher nicht nur ökologische und volkswirtschaftliche Gewinne, sondern zeigt auch einen Ausweg aus den immer stärker zentralisierten globalen Machtverhältnissen.
Über die Autorin: Anja Baisch, Jahrgang 1978, ist Politologin und Volkswirtin. Sie arbeitete wissenschaftlich zum Thema europäische Wirtschaftspolitik und beschäftigte sich mit Lobbyismus und Politikbeeinflussung. Auf der Seite klima-radikal.de bloggt sie über Macht und Ohnmacht in der Klimakrise. 2021 erschien ihr Buch "Fossile Strategien – Woran Klimaschutz scheitert".
Weitere Artikel zum Thema:
- Digitalisierung der Stromnetze: Von Nachfrageorientierung zu Nachfragesteuerung (Andreas Heyer, 20.2.2023)
- Klima-Lockdown? (Anja Baisch, 16.10.2021)
Anmerkungen:
(1) Hermann Scheer (2010): Der energet(h)Ische Imperativ. Verlag Antje Kunstmann, München.
(2) Anja Baisch (2021): Fossile Strategien. Woran Klimaschutz scheitert. Tredition, Hamburg.
(3) Hermann Scheer, a.a.O., S. 85
(4) Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, „Zeitreihen zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland“, Februar 2023, S. 17
(5) Klaus Novy Institut (August 2011): Marktakteure 'Erneuerbare – Energien – Anlagen' in der Stromerzeugung. Im Rahmen des Forschungsprojektes genossenschaftliche Unterstützungsstrukturen für eine sozialräumliche Energiewirtschaft, S. 62
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