Gasdrosselung aus „Solidarität“ mit EU-Nachbarn oder um US-Politik zu stützen?
KARSTEN MONTAG, 7. Juli 2023, 2 Kommentare, PDFAm 12. Juni 2023 betonte Wirtschaftsminister Robert Habeck im Rahmen einer Tagung des Ostdeutschen Wirtschaftsforums, „dass die Transitverträge, die Russland mit der Ukraine geschlossen hat, im Jahr 2024 auslaufen.“ Habeck weiter:
„Es gibt kein sicheres Szenario, wie das da weitergeht. Und würde das russische Gas nicht in dem Maße, wie es ja noch immer durch die Ukraine fließt, nach Südosteuropa kommen, gilt, was europäisch verabredet wurde. Bevor die Leute dort frieren, müssten wir unsere Industrie drosseln oder gar abschalten. So sind die europäischen Regeln und Vereinbarungen.“
Konkret geht es um die Länder Österreich, Slowakei, Italien und Ungarn, die weiterhin von russischem Gas, das über die Ukraine geliefert wird, abhängig sein sollen. Eine Woche nach Habecks Rede, am 19. und 20 Juni, fanden mehrere Online-Veranstaltungen der Bundesnetzagentur statt, in denen Referenten der Behörde darlegen, wie sie Netzbetreiber und Verbraucher mit einem Gasverbrauch von mehr als 10 MWh/h, aber auch Gewerbekunden mit geringeren Abnahmemengen, bei einer Notlage in den deutschen Nachbarländern in die Reduzierung des Gasverbrauchs einbeziehen wollen.
Je nach Bedarf sollen bei diesen Kunden demnach „Komfortkürzungen“, „individuelle ratierliche Kürzungen“, „differenzierende Kürzungen“ und allgemeine Kürzungen vorgenommen werden. Bei Verstößen durch die Verbraucher könnten Zwangsgelder verhängt oder sogar Anschlüsse physisch gesperrt werden. Sollte der Gasanschluss auf dem Gelände des Endverbrauchers liegen und dieser den Anordnungen der Behörde nicht Folge leisten, ist sogar von einem Einsatz der Polizei die Rede.
Habecks Rede und die Aussagen der Bundesnetzagentur lassen den Eindruck entstehen, eine Gasnotlage in den betroffenen Ländern im Süden und Osten Europas sei ein realistisches Szenario. Doch ist dem so? Eine Recherche auf den Webseiten des Wirtschaftsministeriums und der Bundesnetzagentur gibt keinen Hinweis darauf, dass eine entsprechende Analyse seitens der Regierung stattgefunden hat. Auf eine Multipolar-Anfrage gingen sowohl das Wirtschaftsministerium als auch die Bundesnetzagentur nicht ein (siehe Anhang).
Wie sicher ist die Gasversorgung der Nachbarländer?
Die folgende von Multipolar durchgeführte Untersuchung der Gasversorgungslage im benachbarten EU-Ausland stützt sich auf die Daten des Verbands Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber. Aufgrund Artikel 18 der EU-Verordnung Nr. 715/2009 sind diese Betreiber verpflichtet, „für alle maßgeblichen Punkte, einschließlich Ein- und Ausspeisepunkte, regelmäßig und kontinuierlich und in einer nutzerfreundlichen, standardisierten Weise numerische Informationen über die technischen, kontrahierten und verfügbaren Kapazitäten“ zu veröffentlichen. Der Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas publiziert die entsprechenden Daten für den Transport von Erdgas täglich über seine Plattform „Entsog Transparency“. Um die Gasversorgung eines EU-Mitgliedslandes zu untersuchen, müssen die verfügbaren Import- , Export- und Produktionsdaten jedoch nachträglich aufbereitet werden.
Vorab: Insbesondere die Slowakei, Ungarn und Österreich sind Mitte 2023 noch zu großen Teilen von russischen Gaslieferungen abhängig und Russland hat seine vertraglich vereinbarten Gaslieferungen über das Transitland Ukraine trotz des Krieges bislang eingehalten. Der Gastransitvertrag zwischen Russland und der Ukraine, der bis Ende 2024 gültig ist und die Option einer Verlängerung um weitere zehn Jahre enthält, kam durch intensive Vermittlung der EU-Kommission 2019 zustande.
Da sich Russland und die Ukraine seit Februar 2022 im Krieg befinden und die EU-Kommission schon länger ein Einfuhrverbot von russischem Öl und Gas ab 2027 diskutiert, ist es derzeit unwahrscheinlich, dass der Vertrag nach 2024 verlängert wird. Spätestens bis dahin müssen sich die Gasversorgungsunternehmen dieser Länder alternative Bezugsquellen sichern. Allerdings verpflichtet Artikel 13 der „EU-Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung“ zu solidarischen Gaslieferungen an EU-Nachbarländer, falls es dort zu einer Notlage kommt. Anhand der folgenden Karte der wichtigsten Pipelines ist erkennbar, dass Deutschland, aber auch anderen Ländern, bei der Versorgung Österreichs, der Slowakei und Ungarn eine wichtige Rolle zukommt, sollten diese Länder kein Gas aus Russland mehr beziehen.
Abbildung 1: Pipelines mit einem Durchmesser größer als 600 Millimeter, Datenquelle: Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSO-G)
Slowakei
Die Slowakei ist wie die Ukraine ein Gastransitland. Es leitete große Mengen des einst über Nord Stream, Deutschland und Tschechien sowie über die Ukraine importierten russischen Gases an Österreich weiter.
Abbildung 2: Die wichtigsten Gasimport- und Gasexportländer der Slowakei in Gigawattstunden pro Monat, Datenquelle: Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSO-G)
Im Mai 2023 ist die Slowakei zu fast 100 Prozent von russischem Gas abhängig und leitet noch immer große Mengen davon an Österreich weiter. Doch dem slowakischen Wirtschaftsminister zufolge ist es wahrscheinlich, dass das Land auch ohne russisches Gas über den nächsten Winter kommt. Aufgrund neuer Verträge mit BP, ExxonMobil, Shell, ENI und RWE könne das Land derzeit circa 70 Prozent der einheimischen Gasverbraucher aus nicht-russischen Quellen versorgen. Zudem seien die Speicherfüllstände hoch. Der Minister betont jedoch, dass er eine Stabilisierung der Gasversorgung der Slowakei erst 2026 erwartet, wenn die sich derzeit im Bau befindlichen neuen LNG-Terminals in Europa fertiggestellt sind und die Erdgastransportinfrastruktur verbessert ist.
Ungarn
Ungarn hat im Verhältnis zu seinem Verbrauch eine relative hohe eigene Produktion an Erdgas, die seit Februar 2023 durch den Einsatz von Fracking-Technologie und die Förderung von Schiefergas sogar noch erheblich gesteigert werden konnte. Ein weiteres unkonventionelles Gasfeld soll in naher Zukunft erschlossen werden.
Abbildung 3: Die wichtigsten Gasimport- und Gasexportländer Ungarns in Gigawattstunden pro Monat, Datenquelle: Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSO-G)
Zudem hat die ungarische Regierung mit dem russischen Gaslieferanten Gasprom 2021 einen 15-jährigen Vertrag über die Lieferung von Gas abgeschlossen. Seit 2021 erhält Ungarn die russischen Lieferungen zum Teil auch über die Pipeline TurkStream, weitergeleitet durch die Türkei, Bulgarien und Serbien. Seit 2022 exportiert Ungarn sogar mehr Gas über seine direkte Anbindung in die Ukraine, als es von dort erhält.
Fazit: Dass es bei einem Auslaufen des Transits über die Ukraine zu einer Gasmangellage in Ungarn kommt, ist unwahrscheinlich, da das Land derzeit seine eigene Produktion erheblich steigert und über die Türkei, Bulgarien und Serbien eine Alternativroute zur Verfügung steht, um russisches Gas zu importieren.
Österreich
Hinsichtlich der Abhängigkeit von russischem Gas über das Transitland Ukraine ist Österreich aktuell der größte Problemfall in der EU. Als Gastransitland hat es in der Vergangenheit große Mengen russischen Gases, das über die Ukraine und die Slowakei importiert wurde, nach Italien weitergeleitet.
Abbildung 4: Die wichtigsten Gasimport- und Gasexportländer Österreichs in Gigawattstunden pro Monat, Datenquelle: Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSO-G)
Doch seit Ende 2022 importiert Österreich fast genauso viel Gas aus Italien wie es dorthin exportiert. Trotz diverser Bemühungen, Gas aus anderen Ländern außer Russland zu beziehen, ist Österreich auch im April 2023 noch zu 64 Prozent von russischen Lieferungen abhängig gewesen.
Italien
Italien hat seine Abhängigkeit von Russland 2022 deutlich reduziert sowie den Import aus Algerien und über LNG gesteigert. Zudem importiert das Land bereits seit 2020 über die Transadriatische Pipeline Gas aus Aserbaidschan. Eine vollkommene Unabhängigkeit von russischem Gas wird für 2024 erwartet.
Abbildung 5: Die wichtigsten Gasimport- und Gasexportländer Italiens in Gigawattstunden pro Monat, Datenquelle: Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSO-G)
Sollte es 2025 zu einer Gasmangellage in Österreich oder der Slowakei kommen, wäre Italien daher ebenso in der Pflicht, diesen Ländern solidarisch beizustehen, wie Deutschland.
Solidaritätsfall mit Einschränkungen
Klar scheint also, dass letztendlich nur Österreich und die Slowakei in einer Notlage unter anderem von Deutschland unterstützt werden müssten. Doch es gibt weitere einschränkende Faktoren. Der Solidaritätsfall gemäß Artikel 13 der „EU-Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung“ tritt nur dann ein, wenn ein EU-Mitgliedsland nicht mehr in der Lage ist, seine geschützten Kunden ausreichend mit Gas zu versorgen. Laut Artikel 2, Absatz 6 der Verordnung gehören zu dieser Gruppe die Haushaltskunden sowie grundlegende soziale Dienste. Zu letzterer Kategorie sind beispielsweise Krankenhäuser und Altenheime zu zählen, jedoch nicht Bildungseinrichtungen und die öffentliche Verwaltung. Auch Industrie, Gewerbe, Handel und anderweitige Dienstleistungen gehören explizit nicht dazu.
In der Slowakei liegt allein der Anteil des Gasverbrauchs der Industrie am Gesamtverbrauch bei bis zu 42 Prozent. Wenn die zuvor genannte Aussage des slowakischen Wirtschaftsministers stimmt, dann kann die Slowakei sich zu 70 Prozent aus nicht-russischen Quellen mit Gas versorgen. Der Fall, dass die Slowakei also aufgrund des Ausbleibens russischer Gaslieferungen über die Ukraine ihre geschützten Kunden nicht mehr versorgen kann, ist demnach so gut wie unmöglich.
In Österreich liegt der Anteil des Gasverbrauchs der Industrie am Gesamtverbrauch in den Wintermonaten bei circa 30 Prozent. Gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, dass es der vergleichsweise reichen Alpenrepublik bis Ende 2024 nicht gelingt, seine derzeitige Abhängigkeit von russischem Gas von bis zu 70 Prozent maßgeblich zu reduzieren oder über andere Wege als über die Ukraine russisches Gas zu importieren, dann – und nur dann – könnte es zu einer Solidaritätsanfrage an die Nachbarländer kommen. Zieht man den Verbrauch der Industrie sowie die bereits bestehende Versorgung mit nicht-russischem Gas ab, dann liegen die benötigten Mengen für die geschützten Kunden rechnerisch bei circa 40 Prozent des normalen Gesamtverbrauchs.
Nicht nur Deutschland und Italien in der Pflicht
Wer einem EU-Mitgliedsstaat bei einer entsprechenden Notlage solidarisch verpflichtet ist, ist in Absatz 1 und 2 der EU-Verordnung festgelegt. Demnach müssen nicht nur direkte Nachbarländer einem EU-Mitglied aushelfen, sondern auch Mitglieder, die über ein Drittland mit diesem verbunden sind. Daher wären bei einer Notlage in Österreich neben Deutschland auch Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Italien, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Dänemark und Luxemburg zum Beistand verpflichtet.
Rechnet man diesen Solidarfall durch, dann müsste Deutschland lediglich ein Prozent seines Eigenverbrauchs nach Österreich weiterleiten, um dem Land auszuhelfen. Zum Vergleich: In Deutschland lag der Anteil der Industrie am Gesamtverbrauch 2022 bei 35 Prozent. Dass es aufgrund einer Solidaritätsanfrage aus Österreich zu einer Drosselung oder gar zum Abschalten der deutschen Industrie kommt, wie Habeck dies erklärte, ist demnach unplausibel.
Geschürte Panik, um US-Ziele durchzusetzen?
Habecks Aussagen über die Drosselung oder gar Abschaltung der deutschen Industrie sind in der offiziell präsentierten Logik sachlich schwach begründet. Naheliegend ist, dass es eigentlich um die Rechtfertigung der umstrittenen LNG-Terminals zur Umstellung auf US-Flüssiggas aus Fracking geht. Darauf deutet auch eine Stellungnahme der Bundesnetzagentur vom Mai hin.
Noch ein weiterer plausibler Hintergrund ist zudem denkbar. Die EU-Kommission diskutiert, wie bereits erwähnt, schon seit längerem, ab 2027 die Einfuhr russischen Gases in die EU generell zu verbieten. Im Mai wurde bekannt, dass man russische Gas-Pipelines dauerhaft stilllegen möchte. Anfang Juni äußerte Walter Boltz, ehemaliger Vorsitzender von E-Control, dem österreichischen Pendant zur deutschen Bundesnetzagentur, und Berater des österreichischen Energieministeriums, auf EU-Ebene werde zunehmend erkannt, dass man auch ohne das verbleibende russische Pipeline-Gas auskommen könne, das derzeit über die Ukraine und die Türkei importiert werde. Boltz wörtlich: „Wenn es einen wichtigen Grund gäbe, eine weitere Runde umsetzbarer Sanktionen gegen Russland zu verhängen, dann wäre [Pipeline-]Gas ein logischer Kandidat.“
Sollte es tatsächlich zu einem vorgezogenen Embargo russischen Gases in der ganzen EU kommen, das noch deutlich vor Ende 2024 in Kraft tritt, dann erschienen die Aussagen Habecks sowie die Vorbereitungsmaßnahmen der Bundesnetzagentur zur Kürzung der Gasversorgung deutscher Industrieunternehmen wieder schlüssig. Denn dann könnte es tatsächlich zu einer Gasnotlage in Österreich, Ungarn, Italien und der Slowakei kommen, die eine derartige Drosselung auch in Deutschland nach sich ziehen würde.
Diese Länder verhalten sich hinsichtlich der Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine derzeit noch zögerlich oder sprechen sich sogar deutlich dagegen aus. Die Aussagen des Ministers und die konkreten Maßnahmen der ihm unterstellten Bundesnetzagentur könnten als Botschaft an die betroffenen Länder verstanden werden, dass sie nach einer derartigen Entscheidung nicht von Deutschland im Stich gelassen werden.
Es ginge demnach bei der angedrohten Drosselung nicht nur um eine gesicherte Gasversorgung Deutschlands und seiner Nachbarländer – Stichwort „Solidarität“ –, sondern vor allem um das geopolitische Ziel der US-Regierung, die EU noch stärker von Russland abzuschotten.
Anhang
Multipolar-Anfrage an die Bundesnetzagentur:
Ihre Behörde hat am 19. und 20. Juni mehrere Online-Veranstaltungen durchgeführt, in denen dargelegt wurde, wie Netzbetreiber und Verbraucher mit einem Gasverbrauch von mehr als 10 MWh/h, aber auch Gewerbekunden mit geringeren Abnahmemengen, bei einer Notlage in den deutschen Nachbarländern konkret in die Reduzierung des Gasverbrauchs einbezogen werden. Bei derartigen Veranstaltungen, welche die energieintensiven Industrieunternehmen in Deutschland verunsichern, sollte man annehmen, dass zuvor eine gründliche Analyse durchgeführt wurde, wie realistisch das Szenario einer Notlage in den betreffenden Nachbarländern ist, in der die geschützten Kunden nicht mehr ausreichend mit Gas versorgt werden können. Doch sowohl auf den Webseiten des Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums als auch auf denjenigen der Bundesnetzagentur sind keine Hinweise zu finden, ob eine derartige Analyse stattgefunden hat. Ist diese Analyse vom Wirtschaftsministerium oder von der Bundesnetzagentur durchgeführt worden, und wenn ja, zu welchen Erkenntnissen ist sie gelangt?
Antwort der Bundesnetzagentur:
Die Verpflichtung, benachbarte Mitgliedstaaten auf deren Ersuchen mit Solidaritätsmaßnahmen zu unterstützen, ergibt sich aus der SoS-Verordnung. Solidaritätsmaßnahmen sind an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die ebenfalls in der Verordnung geregelt sind. Eine Solidaritätsmaßnahme wird nur angewendet, wenn der Solidarität ersuchende Mitgliedstaat
a) nicht in der Lage war, einen Engpass bei der Gasversorgung seiner geschützten Kunden zu bewältigen,
b) alle ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen ausgeschöpft hat,
c) der Europäischen Kommission und allen Nachbarstaaten ein ausdrückliches Ersuchen notifiziert hat, dem eine Beschreibung der Maßnahmen beigefügt ist, die er bereits durchgeführt hat,
d) sich zu einer angemessenen und unverzüglichen Entschädigung an den Solidarität leistenden Mitgliedstaat verpflichtet.
Nachfrage von Multipolar:
Leider sind Sie nicht auf meine Frage eingegangen. Ist eine Analyse vom Wirtschaftsministerium oder von der Bundesnetzagentur durchgeführt worden, ob das Szenario einer Gasnotlage in EU-Mitgliedsstaaten wie die Slowakei, Ungarn, Österreich oder Italien beim Wegfall der russischen Gaslieferungen über die Ukraine realistisch ist – und falls ja, zu welchen Erkenntnissen ist diese Analyse gelangt?
Antwort der Bundesnetzagentur auf die Nachfrage:
Hierzu verweise ich auf folgende Stellungnahme der Bundesnetzagentur.
Presseanfrage an das Wirtschaftsministerium:
Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck hat am 12. Juni 2023 auf der Tagung des Ostdeutschen Wirtschaftsforums geäußert, dass es bei einer Gasnotlage aufgrund des Auslaufens des Transitvertrages zwischen Russland und der Ukraine Ende 2024 in EU-Nachbarländern, die noch auf Lieferungen russischen Gases über die Ukraine angewiesen sind, zu einer Drosselung oder zum Herunterfahren der deutschen Wirtschaft kommen kann. Eine Woche später, am 19. und 20 Juni, fanden mehrere Online-Veranstaltungen der Bundesnetzagentur statt, in denen dargelegt wurde, wie Netzbetreiber und Verbraucher mit einem Gasverbrauch von mehr als 10 MWh/h, aber auch Gewerbekunden mit geringeren Abnahmemengen, bei einer Notlage in den deutschen Nachbarländern konkret in die Reduzierung des Gasverbrauchs einbezogen werden.
Bei derartigen Äußerungen und Veranstaltungen, welche die energieintensiven Industrieunternehmen in Deutschland verunsichern, sollte man annehmen, dass zuvor eine gründliche Analyse durchgeführt wurde, wie realistisch das Szenario einer Notlage in den betreffenden Nachbarländern ist, in der die geschützten Kunden nicht mehr ausreichend mit Gas versorgt werden können. Doch sowohl auf den Webseiten des Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums als auch auf denjenigen der Bundesnetzagentur sind keine Hinweise zu finden, ob eine derartige Analyse stattgefunden hat. Ist diese Analyse vom Wirtschaftsministerium oder von der Bundesnetzagentur durchgeführt worden, und wenn ja, zu welchen Erkenntnissen ist sie gelangt?
(Die Antwort des Wirtschaftsministerium wurde bereits im Anhang des Beitrags „Realer Gasnotstand oder geschürte Panik?“ veröffentlicht und enthält keinerlei Informationen zur konkret gestellten Frage.)
Über den Autor: Karsten Montag, Jahrgang 1968, hat Maschinenbau an der RWTH Aachen, Philosophie, Geschichte und Physik an der Universität in Köln sowie Bildungswissenschaften in Hagen studiert. Er war viele Jahre Mitarbeiter einer gewerkschaftsnahen Unternehmensberatung, zuletzt Abteilungs- und Projektleiter in einer Softwarefirma, die ein Energiedatenmanagement- und Abrechnungssystem für den Energiehandel hergestellt und vertrieben hat.
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