Jerome Powell, Präsident der Federal Reserve, bei einer Pressekonferenz im März 2023 | Bild: picture alliance / EPA | Shawn Thew

Neue Berechnung: Dollar wird durch Abkehr der BRICS-Staaten 10 Prozent an Wert verlieren, Kettenreaktion droht

Die Pläne der BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika –, Zahlungen untereinander nicht mehr in Dollar abzuwickeln und eine eigene gemeinsame Handelswährung einzuführen, haben scharfe Auswirkungen auf die USA. Multipolar hat den dadurch drohenden Wertverlust des Dollars für verschiedene Szenarien errechnet. Eine wahrscheinliche Folge: US-Staatsanleihen werden als Geldanlage unattraktiv. Die Gefahr für die USA wächst um so mehr, als sich in diesem Jahr weitere große Länder der BRICS-Gruppe anschließen wollen.

KARSTEN MONTAG, 9. Juni 2023, 1 Kommentar, PDF

Hinweis: Dieser Artikel ist auch auf Englisch verfügbar.

Die Pläne der BRICS-Staaten, sich aus der globalen finanziellen Dominanz der USA zu lösen, reichen mehrere Jahre zurück und begannen zunächst mit einer Bankgründung. 2014 entstand die New Development Bank als Alternative zu Weltbank und IWF, um durch sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Investitionen die eigene Entwicklung zu fördern. Den Gründungsmitgliedern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gehört die Bank zu gleichen Teilen. 2021 wurden die Vereinigten Arabischen Emirate, Bangladesch, Uruguay und Ägypten als kleinere Partner aufgenommen. Mit Saudi-Arabien werden zur Zeit Beitrittsgespräche geführt.

Weltweite Abkehr vom Dollar

Auch die weltweite Abkehr vom Dollar, die seit dem Krieg in der Ukraine 2022 entscheidend an Fahrt aufnimmt, hat eine mehrjährige Vorgeschichte. Spätestens seit 2016 finden Beratungen zwischen Peking und Riad statt, zumindest einen Teil der saudi-arabischen Öllieferungen nach China in der chinesischen Währung Yuan zu begleichen. Diese Gespräche intensivierten sich 2022. Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping ermunterte die arabischen Staaten, die Begleichung der Öllieferungen nach China in Yuan zu akzeptieren.

Im März 2023 kündigte Russlands Präsident Wladimir Putin an, zukünftig alle Öl- und Gasgeschäfte mit China in Yuan abwickeln zu wollen. Im Mai wurde zudem bekannt, dass Pakistan russisches Öl gegen Yuan erwerben will. Russland und der Iran planen außerdem aktuell die Einführung einer gemeinsamen, goldgedeckten Kryptowährung, um den Dollar bei ihren Handelsgeschäften abzulösen.

Lula da Silva hatte im Wahlkampf 2022 um die brasilianische Präsidentschaft eine neue gemeinsame lateinamerikanische Währung mit dem Namen „Sur“ (spanisch für „Süd“) vorgeschlagen. Nach seiner erneuten Wahl zum Präsidenten gab er zusammen mit dem argentinischen Präsident Alberto Fernandez im Januar 2023 bekannt, dass Brasilien und Argentinien die Gespräche über eine gemeinsame südamerikanische Währung vorantreiben wollen. Andere südamerikanische Länder seien aufgefordert, sich dem Projekt anzuschließen, um den Dollar als Austauschwährung in Lateinamerika abzulösen.

Am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos im Januar 2023 äußerte Thani Al Zeyoudi, Minister für Außenhandel der Vereinigten Arabischen Emirate, dass sich sein Land in Gesprächen mit Indien befände, den grenzüberschreitenden Handel in Rupien abzurechnen. Der Ölhandel soll davon nicht betroffen sein.

Auf einer Veranstaltung des St. Petersburg International Economic Forum in Neu Delhi Ende März 2023 verriet der Vizevorsitzende der russischen Staatsduma Alexander Babakow schließlich, dass die BRICS-Staaten an der Entwicklung einer neuen Währung arbeiten würden, die auf dem bevorstehenden BRICS-Gipfel im August in Südafrika vorgestellt werden soll. Der Übergang zu Abrechnungen in nationalen Währungen sei der erste Schritt. Der nächste bestehe darin, in naher Zukunft den Umlauf von digitalen oder anderen Formen einer grundlegend neuen Währung zu ermöglichen. Diese Währung soll laut Babakow durch Gold und andere Rohstoffe wie seltene Erden abgesichert werden.

Fast zeitgleich unterzeichneten Brasilien und China ein Abkommen, wonach die beiden Länder zukünftig beim Handel ihre nationalen Währungen Real und Yuan anstatt des Dollars akzeptieren. Während eines Staatsbesuchs in China im April fand Brasiliens Präsident Lula deutliche Worte:

„Warum sollte jedes Land im Handel an den Dollar gebunden sein? Wer hat entschieden, dass der Dollar die Währung sein soll? Warum kann eine Bank wie die BRICS-Bank keine Währung haben, um den Handel zwischen Brasilien und China, zwischen Brasilien und anderen BRICS-Ländern zu finanzieren? Heute müssen die Länder dem Dollar hinterherjagen, um zu exportieren, obwohl sie in ihren eigenen Währungen exportieren könnten.“

Ende der Dollar-Hegemonie nur eine Übertreibung?

Angesichts dieser Entwicklungen wird in einigen Medien über ein mögliches Ende der Dollar-Hegemonie spekuliert. Das Magazin „Responsible Statecraft“ stellte im Mai unter der Überschrift „Entdollarisierung: Nicht eine Frage des Ob, sondern des Wann“ fest, dass der plötzliche Rückgang der Dollarnachfrage eine Dollarkrise auslösen könnte, „die zu einer sehr hohen Inflation oder sogar Hyperinflation führt und einen Schulden- und Gelddruckkreislauf in Gang setzt, der das soziale Gefüge der Gesellschaft zerreißen könnte“. Die These wurde allerdings nicht mit Zahlen unterlegt.

Ganz anders ein Beitrag der US-Investmentbank Morgan Stanley, ebenfalls vom Mai, in dem es heißt: „Auch wenn die überragende Rolle des Dollars im globalen Handel und Finanzwesen mit der Zeit abnehmen könnte, scheinen die jüngsten Befürchtungen über seinen Untergang übertrieben.“ In diesem Text finden sich zwar einige Zahlen, beispielsweise zum Anteil von Dollar, Euro und Yuan an den Zahlungen im globalen Handel, sowie an den Währungsreserven. Doch letztere sind von Zentralbanken unter anderem in Fremdwährungen gehaltene Mittel zu Devisenmarktinterventionen und zur Finanzierung von Außenhandelsdefiziten. Und der Anteil des Dollar am globalen Handel gibt noch keinen Hinweis darauf, wie viele Dollar außerhalb der Vereinigten Staaten im Umlauf sind. Daher lassen sich kaum Rückschlüsse ziehen, welche Auswirkungen die Verwendung alternativer Währungen auf den Wert des Dollars hätte. Dazu wird das bilaterale Handelsvolumen derjenigen Staaten benötigt, die dem Dollar den Rücken kehren – sowie die tatsächliche Menge an global umlaufenden US-Dollar.

Grundlegende Zahlen ermitteln

Im vorliegenden Beitrag wird daher der Anteil des Handelsvolumens verschiedener Wirtschaftsräume – BRICS, BRICS zuzüglich Beitrittskandidaten, zuzüglich Südamerika, zuzüglich Asien – am Gesamtvolumen des globalen Austauschs von Waren und Dienstleistungen mithilfe aktueller bilateraler Handelsdaten berechnet. Darüber hinaus wird mit unterschiedlichen Ansätzen die außerhalb der USA umlaufende Menge an US-Dollar geschätzt – eine Zahl, zu der keine offiziellen Angaben vorliegen. Zudem wird näher darauf eingegangen, wie US-Dollar überhaupt in den internationalen Umlauf gelangen und was das „exorbitante Privileg“, die Weltleitwährung zu stellen, für die Vereinigten Staaten bedeutet.

Auf Basis dieser Zahlen und unter Zuhilfenahme von Prognosen für den globalen Handel lässt sich berechnen, welche Auswirkungen eine Abkehr vom Dollar in den verschiedenen Wirtschaftsräumen auf dessen Wert hat – und damit auch auf die Deckung der Außenhandelsbilanz der USA sowie auf die Finanzierung des US-Staatshaushaltes.

Volumen des Welthandels und Bedeutung des Dollar

Der globale Handel mit Waren und Dienstleistungen ist in den letzten 50 Jahren enorm gewachsen. Lag dessen Volumen Mitte der 1970er Jahre noch bei einer Billion Dollar, so ist er 2022 auf insgesamt 32 Billionen angestiegen. 25 Billionen entfallen auf den Austausch von Waren, sieben Billionen auf den Handel mit Dienstleistungen.

Abbildung 1: Globaler Handel in Milliarden US-Dollar, Datenquelle: Welthandelsorganisation

Es existieren verschiedene Ansätze, die Bedeutung des Dollar im globalen Handel abzuschätzen. Beispielsweise lag dessen Anteil an der Summe aller Währungsreserven in den letzten 20 Jahren bei circa 60 Prozent, der Anteil des Euro bei circa 20 Prozent. Zudem hatte der Dollar in den letzten 20 Jahren einen Anteil von circa 88 Prozent an allen Transaktionen auf dem Devisenmarkt. Zusammengefasst finden sich diese Informationen in einem Dokument der US-Zentralbank Federal Reserve (Fed). Aus diesem Dokument stammt auch die folgende Abbildung.

Abbildung 2: Anteil der Währungen an der Abwicklung von Exporten nach Region im Zeitraum 1999 bis 2019, wo Daten verfügbar waren, Bildquelle: Federal Reserve

Der US-Dollar hat demnach, bis auf Europa und je nach Region, einen hohen bis sehr hohen Anteil an der Abwicklung des globalen Handels. Vor dem Euro hatten bereits europäische Währungen wie die D-Mark, der französische Franc sowie der holländische Gulden einen relativ hohen Anteil an den Austauschwährungen insbesondere in Europa sowie an den Währungsreserven. Zur Vereinfachung der Berechnungen wird im Folgenden von einem Anteil des US-Dollars an der weltweit umlaufenden Geldmenge zur Abwicklung des globalen Handels, ausgenommen Europas, von 80 Prozent ausgegangen.

Um den Anteil des Handelsvolumen der BRICS-Staaten, der lateinamerikanischen, asiatischen und afrikanischen Staaten untereinander im Verhältnis zum Volumen des globalen Handels zu berechnen, benötigt man die bilateralen Handelsdaten dieser Länder. Diese Daten veröffentlicht die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), ein ständiges Organ der UN-Generalversammlung.

Szenarien einer Entdollarisierung

Aus Abbildung 1 folgt, dass im Jahr 2021 der globale Austausch von Waren einen Wert von 22,3 Billionen Dollar hatte. Das Handelsvolumen der BRICS-Staaten untereinander betrug 1,3 Billionen Dollar, was einem Anteil von sechs Prozent entspricht.

Abbildung 3: Anteil am globalen Austausch von Waren, Datenquelle: UNCTAD

Werden noch die BRICS-Beitrittskandidaten Saudi-Arabien, Iran, Argentinien, Mexiko, Vereinigte Arabische Emirate, Algerien, Ägypten, Nigeria, Bahrain, Indonesien und Türkei hinzugenommen, so lag deren Handelsvolumen bei zehn Prozent des globalen Austauschs, inklusive aller südamerikanischen Staaten bei elf Prozent.

Werden sämtliche asiatische Staaten – bis auf klassische Verbündete der USA und Europas wie Japan, Südkorea, Taiwan, Georgien und Aserbaidschan – hinzugenommen, erreicht der Handel dieser Länder untereinander die Marke von 20 Prozent. Wenn alle diese Länder ihre Waren zusätzlich auch noch in den Rest der Welt nicht mehr gegen Dollar exportieren würden, läge deren Anteil am Welthandel bei 41 Prozent.

Ein ähnliches Bild ergibt sich beim globalen Handel mit Dienstleistungen. Anhand der Daten der UNCTAD lässt sich feststellen, dass der Export von Dienstleistungen aus Nordamerika, Europa, Ozeanien sowie deren engsten Verbündeten wie beispielsweise Japan, Südkorea und Taiwan im Jahr 2021 70 Prozent des weltweiten Handels mit Dienstleistungen ausmachte.

Der Anteil des Handels der BRICS-Staaten und ihrer möglichen Beitrittskandidaten am Welthandel mag auf den ersten Blick gering erscheinen. Doch wie nachfolgend gezeigt wird, können kleine Ursachen große Wirkungen entfalten.

Um letztlich einzuschätzen, inwieweit eine Abkehr vom Dollar im globalen Handel dessen Wert beeinträchtigen könnte und welche Folgen dieser Wertverlust dann für die USA hätte, muss zunächst geklärt werden, wie viele Dollar weltweit im Umlauf sind. Das ist weniger trivial, als vermutet werden könnte. Selbst die Fed, die einzige Institution, die offiziell US-Dollar schöpfen darf, veröffentlicht nicht, welche Dollarmenge außerhalb der Vereinigten Staaten im Umlauf ist. 2006 hat sie mit der fragwürdigen Begründung, dass diese Geldmenge, die „Eurodollar“ genannt wird, keine Rolle mehr im geldpolitischen Prozess spielen würde, aufgehört, sie zu publizieren.

Was sind Eurodollar?

US-Dollar gelangten nach dem Zweiten Weltkrieg aus verschiedenen Gründen auf die Konten von Banken außerhalb der Vereinigten Staaten. Der Marshallplan, der den Wiederaufbau der europäischen Staaten vorantreiben sollte, wurde mit Dollar finanziert. Europäische Staaten, die ihre Produkte in die USA exportierten, erhielten im Gegenzug Dollar. Und die Sowjetunion zog ihre Währungsreserven aus den Vereinigten Staaten ab und verlagerte sie auf Konten europäischer Banken, um etwaigen Sanktionen der USA, beispielsweise aufgrund des Koreakriegs oder der russischen Invasion Ungarns nach der dortigen Revolution im Jahr 1956, zuvorzukommen. Da sich die ersten größeren Mengen an US-Dollar außerhalb der USA vornehmlich auf den Konten europäischer Banken ansammelten, entstand der Begriff „Eurodollar“. Heute bezeichnet der Terminus alle US-Dollar, die sich in Banken außerhalb der Vereinigten Staaten befinden.

Weil der Eurodollar-Markt größtenteils unreguliert und keiner staatlichen Institution unterstellt ist, spricht man in dessen Zusammenhang auch von „Offshore-Banken“ oder einem „Schattenbankensystem“. Da Offshore-Banken weniger Regulierungen und Transparenzansprüchen unterworfen sind, werden sie genutzt, um unversteuertes Einkommen vor den Finanzbehörden zu verstecken. Bei Schattenbanken wird es noch undurchsichtiger. Dabei handelt es sich um Finanzunternehmen wie Hedgefonds und Versicherungen, die ähnliche Finanzdienstleistungen wie Geschäftsbanken anbieten, jedoch nicht von staatlichen Bankregulierungen beaufsichtigt werden. Offshore- und Schattenbanken finden sich vornehmlich an Offshore-Finanzplätzen wie Luxemburg, Schweiz, Liechtenstein, Andorra, Monaco, Hongkong, Singapur, Panama, den Bahamas oder den Cayman Inseln. An diesen Orten werden auch mithilfe von Finanzprodukten und Krediten weitere US-Dollar geschöpft.

Eurodollar und US-Außenhandelsdefizit – ein exorbitantes Privileg

Steuerhinterziehung ist ein Weg, wie US-Dollar in den Eurodollar-Markt gelangen. Die weitaus größte Quelle stellt jedoch der US-amerikanische Import dar. Amerikanische Firmen und Konsumenten kaufen Produkte im Ausland und zahlen dafür mit US-Dollar. Da die Vereinigten Staaten seit Mitte der 1970er Jahre jedoch ein stetig steigendes jährliches Außenhandelsdefizit zu verzeichnen haben, kehrt ein großer Teil dieser US-Dollar nicht mehr in die USA zurück.

Abbildung 4: Außenhandelsbilanz der USA in Milliarden US-Dollar, Datenquelle: Weltbank

2022 lag das US-Außenhandelsdefizit bei der Rekordsumme von fast einer Billion Dollar. Da die aus den USA abgeflossenen Dollar für die Abwicklung des stetig wachsenden globalen Handels im Ausland benötigt werden, entsteht den USA daraus ein „exorbitantes Privileg“. Die US-Zentralbank Fed ist regelrecht gezwungen, neue Dollar zu schöpfen, da die ins Ausland abgeflossenen Geldmengen im eigenen Land fehlen.

Dadurch steigen zwar die Schulden der USA, denn neu geschöpftes Geld erblickt stets durch die Senkung des Leitzinses und Kreditvergabe oder den Aufkauf von Staatsanleihen das Licht der Welt. Doch solange der globale Handel kontinuierlich wächst und der US-Dollar weiterhin als Leitwährung für dessen Abwicklung verwendet wird, brauchen die USA nicht zu befürchten, zahlungsunfähig zu werden. Denn letztendlich deckt der wachsende globale Handel die Schulden der Vereinigten Staaten. Wo andere Länder aufgrund eines Jahrzehnte andauernden Außenhandelsdefizits längst überschuldet und pleite wären, weil ihnen die Devisen fehlen, um im Ausland Öl, Gas oder andere Produkte zu kaufen, können die USA die fehlende Geldmenge einfach neu schöpfen. Die Menschen außerhalb der USA finanzieren damit indirekt den amerikanischen Wohlstand, die Subventionen amerikanischer Firmen sowie das US-Militär – dessen Schlagkraft letzten Endes der Garant ist, dieses Finanzsystem aufrecht zu erhalten.

Schätzung der Eurodollar-Menge

Als die Fed 2006 die Veröffentlichung der Eurodollar-Menge einstellte, gab sie deren Höhe mit knapp 430 Milliarden US-Dollar an. Dass diese Zahl wahrscheinlich um den Faktor zehn zu klein ist, ergibt sich unter anderem aus dem Außenhandelsdefizit der USA. Summiert man die jährlichen Defizite der Vereinigten Staaten, so sind von 1970 bis 2005 knapp fünf Billionen US-Dollar ins Ausland abgeflossen. Bis Ende 2022 waren es über 15 Billionen. Dass diese Mengen realistisch und eher noch zu gering beziffert sind, zeigen verschiedene Schätzungen. 1985 wurde die Größe des Eurodollar-Markts auf 1,7 und 2016 auf 13,8 Billionen Dollar geschätzt.

Einen weiterer Hinweis darauf, dass die derzeitige Menge an Eurodollar eher größer als 15 Billionen sein dürfte, gibt das Verhältnis zwischen der Geldmenge M1 – also dem nicht fest angelegten, täglich verfügbaren Geld – und dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). 2022 betrug die Geldmenge M1 in den USA 19,8 Billionen Dollar, das BIP 25,5 Billionen Dollar, das Verhältnis also 78 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland lag das Verhältnis zwischen der Geldmenge M1 und dem BIP 2022 bei 74 Prozent.

Geht man davon aus, dass für die Abwicklung des globalen Handels ein ähnliches Verhältnis zwischen Geldmenge und dem Gesamtvolumen von 32 Billionen Dollar besteht und dass der Anteil an US-Dollar an der dafür benötigten Geldmenge bei 80 Prozent liegt, dann folgt daraus, dass die Menge an Eurodollar 2022 zwischen 19 und 20 Billionen US-Dollar gelegen haben dürfte. Zur Vereinfachung der Rechnung wird nachfolgend von einem Verhältnis zwischen umlaufender Geldmenge und dem jährlichen Wert der ausgetauschten Waren und Dienstleistungen von 75 Prozent ausgegangen.

Berechnung des Dollar-Wertverlustes durch Abkehr großer Staaten

Die Welthandelsorganisation schätzt für 2023 einen Anstieg des globalen Handels mit Waren um 1,7 Prozent und für 2024 um 3,2 Prozent. Der Handel mit Dienstleistungen ist 2022 gegenüber 2021 um 15 Prozent gestiegen. Angenommen das Wachstum des Handels mit Dienstleistungen setzt sich auch 2023 und 2024 in gleichem Maße fort, dann könnte der globale Handel mit Waren und Dienstleistung 2023 auf 33,5 und 2024 auf 35,5 Billionen Dollar ansteigen. Das US-Außenhandelsdefizit könnte sowohl 2023 als auch 2024 bei einer Billion Dollar liegen, ohne dass dies dem Wert des Dollars etwas anhaben könnte. Denn dies entspräche ungefähr der Menge an Eurodollar, welche der wachsende globale Handel zur Abwicklung zusätzlich benötigte – sofern der Dollar seine Dominanz als Leitwährung weiterhin behaupten kann.

Angenommen, die BRICS-Staaten würden jedoch zusammen mit ihren aktuell bekannten Beitrittskandidaten ab 2024 ihren Handel untereinander nicht mehr in Dollar abwickeln, dann entspräche dies nach den vorangegangenen Analysen etwa zehn Prozent des globalen Handels, wahrscheinlich sogar mehr, da die Wirtschaft in den BRICS-Staaten derzeit schneller wächst als in den etablierten Industrienationen. Andererseits exportieren letztere mehr Dienstleistungen als die Schwellenländer. Der Einfachheit halber wird daher nachfolgend von einem Anteil von zehn Prozent ausgegangen.

Zehn Prozent von einem prognostizierten globalen Handelsvolumen von 35,5 Billionen Dollar entspricht 3,5 Billionen Dollar. Bei einem Verhältnis von umlaufender Geldmenge zum Handelsvolumen von 75 Prozent und einem bisherigen Anteil des Dollar an der umlaufenden Geldmenge von 80 Prozent, würden dann circa 2,1 Billionen US-Dollar weniger benötigt werden, um den entsprechenden Austausch von Waren und Dienstleistungen abzuwickeln.

Andererseits würde der Welthandel, falls die Prognosen zutreffen, zwischen 2023 und 2024 um zwei Billionen Dollar anwachsen. Bei einem Verhältnis von umlaufender Geldmenge zum Handelsvolumen von 75 Prozent und einem Anteil des Dollars von 80 Prozent ergäbe dies eine zusätzlich benötigte Menge an US-Dollar auf dem Eurodollar-Markt von circa 1,2 Billionen. Zieht man davon nun die durch die Entdollarisierung für den Welthandel nicht mehr benötigte Menge an US-Dollars ab, dann ergibt sich eine Differenz von -0,9 Billionen Dollar.

Im Jahr 2024 wäre dann ein US-Außenhandelsdefizit von einer Billion Dollar nicht mehr vom Wachstum des globalen Handels gedeckt. Tatsächlich würden die knapp zwei Billionen Dollar, die durch das Außenhandelsdefizit der USA sowie die Entdollarisierung zu viel auf dem Markt wären, den Wert des Dollar um 10 Prozent verringern. Nachfolgende Abbildung zeigt den Wertverlust des Dollar im Zuge der Entdollarisierung verschiedener globaler Wirtschaftsräume.

Abbildung 5: Wertverlust des US-Dollars durch Entdollarisierung verschiedener Wirtschaftsräume, Datenquelle: eigene Berechnung auf Basis von Daten der UNCTAD und der Fed sowie Schätzungen

Domino-Effekte

Verliert der US-Dollar an Wert, weil im Verhältnis zu den getauschten Waren und Dienstleistungen zu viel davon im Umlauf ist, werden auch US-Staatsanleihen unattraktiv. Welchen Gewinn bringen jährliche Zinsen von zwei bis vier Prozent, wenn der Dollar im selben Zeitraum zehn Prozent an Wert verliert? Allein die Abkehr der BRICS-Staaten inklusive der Beitrittskandidaten vom Dollar in ihrem bilateralen Handel ist daher in der Lage, eine Lawine ins Rollen zu bringen, an deren Ende massenweise US-Staatsanleihen abgestoßen werden könnten, die Bonität der USA herabgestuft wird und das Land bei Neuverschuldung die höheren Zinsen nicht mehr begleichen kann – ein Schicksal, das beispielsweise die Griechen Anfang der 2010er Jahre ereilte.

Noch gefährlicher für die USA wird es, wenn weitere Staaten dem Dollar den Rücken kehren, etwa die südamerikanischen und insbesondere die asiatischen Staaten. Wie zuvor bereits analysiert, entspricht der Handel dieser Staaten untereinander etwas mehr als 20 Prozent des Welthandels. Unter den vorangegangenen Annahmen zum Verhältnis des umlaufenden Geldes zum Handelsvolumen und zum Anteil des Dollar beliefe sich die Differenz zwischen zusätzlich benötigten US-Dollars aufgrund des Wachstums des globalen Handels und den Auswirkungen der Entdollarisierung dann nicht mehr auf -0,9 Billionen Dollar, sondern auf -3 Billionen Dollar. Käme 2024 noch ein US-Außenhandelsdefizit von einer Billion Dollar hinzu, wären insgesamt vier Billionen Dollar mehr auf dem Eurodollar-Markt vorhanden, als für den globalen Handel benötigt würden. Der Dollar würde damit schlagartig 20 Prozent an Wert verlieren. Eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise, eine sehr hohe Inflation sowie ein US-Staatsbankrott dürften dann unvermeidlich sein.

Über den Autor: Karsten Montag, Jahrgang 1968, hat Maschinenbau an der RWTH Aachen, Philosophie, Geschichte und Physik an der Universität in Köln sowie Bildungswissenschaften in Hagen studiert. Er war viele Jahre Mitarbeiter einer gewerkschaftsnahen Unternehmensberatung, zuletzt Abteilungs- und Projektleiter in einer Softwarefirma, die ein Energiedatenmanagement- und Abrechnungssystem für den Energiehandel hergestellt und vertrieben hat.

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RALLE, 9. Juni 2023, 17:35 UHR

Selbst Schuld. Die USA verlagerten mit dem Doller erfolgreich ihre Schulden ins Ausland. „Too big to fail“ hieß es immer bei ins Straucheln geratenen Großbanken, bei der US-Währung erst recht. Dank Petro-Dollar und Status als weltweite Reservewährung konnten die USA auch ohne Golddeckung sehr gut auf großem Fuß leben. Der US-„Verteidigungshaushalt“ steht in keinem Verhältnis zur realen Wirtschaftskraft. Er wird finanziert von allen Staaten, die ihre Reserven in Dollar halten und abgesichert, solange der Dollar die internationale Handelswährung Nummer 1 ist.

Das alte Sprichwort: „Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht“ beschreibt es wunderbar. Mit ihrer hirnlosen Sanktionspolitik, mit den Erpressungsversuchen und „Einfrieren“ von ausländischem Dollarvermögen haben die USA den Bogen überspannt. Nicht erst seit Venezuela, aber spätestens seit der „Beschlagnahme“ des russischen Auslandsvermögens schaut die Welt genauer hin. Das Vertrauen in den Dollar hat die US-Regierung selber verspielt. Welches Land soll Dollar halten, wenn es dann erpressbar ist und auch sieht, wie rücksichtslos die USA davon Gebrauch machen? Das trifft auch (in kleinerem Format) auf den Euro zu. Wobei ich glaube, dass der sowieso in naher Zukunft zerbricht.

BRICS ist die Alternative, gerade für Schwellen und Entwicklungsländer. Bin gespannt, wann die ihre eigene Währung rausbringen und ob ich meine Euros in diese Währung tauschen kann (Fremdwährungskonto außerhalb der EU).

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