Kapstadt, Südafrika | Bild: Shutterstock

Afrika zwischen West und Ost

Viele afrikanische Staaten sind im Ukraine-Krieg neutral geblieben. Mit China und Russland hat der Kontinent seit einigen Jahren Partner, die wirtschaftliche und politische Perspektiven versprechen. Südafrika, wo im August dieses Jahres der BRICS-Gipfel stattfinden wird, kommt eine Führungsrolle zu. Gelingt es Afrika, einen eigenen Weg zu gehen oder rutscht es in neue Abhängigkeiten?

PAUL SOLDAN, 5. Juni 2023, 1 Kommentar, PDF

Seit dem durch den Ukraine-Konflikt verschärften geopolitischen Wandel steht Afrika wieder verstärkt im internationalen Fokus. Hohe Minister und Regierungschef aus Ost und West versuchen, den Kontinent für sich zu gewinnen. Wirtschaftsminister Robert Habeck reiste vergangenen Dezember nach Namibia und Südafrika, Außenministerin Annalena Baerbock und ihre französische Amtskollegin Catherine Colonna im darauffolgenden Monat nach Äthiopien, während US-Finanzministerin Janet Yellen den Senegal, Sambia und Südafrika besuchte. Der französische Staatschef Emmanuel Macron bereiste Anfang des Jahres Gabun, Angola, die Republik Kongo und die Demokratische Republik (DR) Kongo, der russische Außenminister Sergej Lawrow Südafrika, Eswatini, Angola, Eritrea, Mali, Mauretanien und den Sudan. Im Jahr zuvor war er bereits in Ägypten, der Republik Kongo, Uganda und Äthiopien gewesen. Und auch der neue chinesische Außenminister Qin Gang entschied sich bei seiner ersten Auslandsreise für den afrikanischen Kontinent und besuchte Äthiopien, Gabun, Angola, Benin und Ägypten. Der politische Analyst des Instituts für Sicherheitsstudien in Südafrika, Jakkie Cilliers, kommentierte:

„Afrika ist zu einer Arena für den Wettbewerb zwischen den Weltmächten geworden. (...) Es handelt sich um ein gewaltiges diplomatisches Spiel.“

Südafrika ist in Sachen Wirtschaft und technologischer Entwicklung Vorreiter in Afrika und galt seit dem Ende der Apartheid als eine der Vorzeigedemokratien auf dem Kontinent. Mit seinem enormen Reichtum an Rohstoffen wie Gold, Platin, Chromit, Titan sowie Kohle ist auch hier der Bergbau eine tragende Säule der Wirtschaft. Die mineralischen Vorkommen sind so reichhaltig, dass Südafrika auch in Zukunft zu den wichtigsten Bergbaunationen der Welt zählen wird. Daneben sind die Petrochemie, der Automobilbau, die Landwirtschaft, die Getränke- und Nahrungsmittelindustrie sowie der Tourismussektor von Bedeutung. Allerdings ist die ökonomische Entwicklung vor mehreren Jahren spürbar ins Stocken geraten, sodass sich das Land mittlerweile hinter Nigeria und Ägypten auf Rang 3 der größten Volkswirtschaften auf dem Kontinent befindet.

Die Rolle von BRICS

Um die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu diversifizieren, trat Südafrika 2011 der Vereinigung BRICS bei – bis dato ein Wirtschaftsblock Brasiliens, Russlands, Indiens und Chinas. Laut einem Bericht des Südafrikanischen Instituts für Auswärtige Angelegenheiten (SAIIA) hat sich das Land seither vermehrt dafür eingesetzt, dass sich die BRICS als Gruppierung stärker mit Afrika befassen. Als diesjähriger Vorsitzender wird es im August zudem den 15. BRICS-Gipfel in Durban ausrichten.

BRICS wird im Westen zunehmend als „anti-westlicher Block“ oder „Gegenmodell zur G7“ wahrgenommen. Laut Fyodor Lukyanov, Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, ist die Vereinigung aber nicht auf Konfrontation aus. Ziel sei es nicht, dem Westen entgegenzuwirken, sondern ihn zu umgehen.

Die Beispiele dafür mehren sich: China und Brasilien haben sich im März darauf verständigt, ihre Handelsgeschäfte zukünftig in ihren eigenen Währungen und nicht mehr in US-Dollar abzuwickeln. Nach dem Einfrieren der russischen Dollar-Reserven – was viele Staaten als Warnung verstanden haben dürften – soll damit die Abhängigkeit von den USA reduziert werden.

Zusätzlich ist die Entwicklung einer gemeinsamen BRICS-Währung geplant, welche die Vorherrschaft des Dollar als Weltreservewährung weiter gefährdet. Laut dem stellvertretenden Vorsitzenden der russischen Staatsduma Alexander Babakov ist die Vorstellung der neuen Währung für den diesjährigen BRICS-Gipfel in Südafrika vorgesehen. Es sei wahrscheinlich, dass die geplante Währung nicht nur an den Wert von Gold, sondern auch an „andere Produktgruppen wie seltene Erden oder Boden“ gekoppelt sein wird. Die 2014 gegründete New Developement Bank könnte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen, nicht nur als Alternative zu Weltbank und IWF, sondern auch als Clearingstelle der geplanten Währung.

Laut dem Vizedirektor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Günther Maihold, nutzt China BRICS für seine weltpolitischen Ambitionen, Indien und Brasilien dagegen wollten sich „zwischen den Welten bewegen“ und aus einer „Situation der Distanz die besten Optionen für ihre nationale Entwicklung realisieren“, ebenso Südafrika. Als erstes afrikanisches Mitglied hat es bislang für die Interessen des Kontinents gestanden und „die natürliche Aufgabe“, die „afrikanische Agenda in dieser Gruppe zu fördern“, so Lukyanov. Damit fungiert es als Vorbild und Ansprechpartner für andere afrikanische Staaten.

Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor erklärte im März, es gebe weltweit „riesiges Interesse“ an BRICS. Allein auf ihrem Schreibtisch lägen zwölf Anfragen für einen Beitritt, darunter von Ägypten, Algerien, Nigeria, Argentinien, Mexiko, Saudi-Arabien sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Aufnahme von Ägypten, Argentinien, Saudi-Arabien, dem Iran und der Türkei in die BRICS+, so der Name der anstehenden Erweiterung, wird noch in diesem Jahr erwartet. Weitere afrikanische Kanditaten sind der Senegal, Simbabwe und der Sudan.

Die Kooperation innerhalb der BRICS findet teils auch auf militärischer Ebene statt. Im Februar veranstaltete Südafrika gemeinsam mit Russland und China vor der heimischen Küste ein gemeinsames Manöver. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell war deshalb in „ernster Sorge“. Auch die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, teilte über die gemeinsame Militärübung die „Besorgnis der USA“ mit. Die südafrikanische Oppositionspartei Demokratische Allianz (DA) kritisierte das Manöver ebenso, da es zeige, dass das Land im Russland-Ukraine-Konflikt nicht neutral bleibe. Außenministerin Pandor betonte bei einem Besuch ihres russischen Amtskollegen Lawrow dagegen: „Alle Länder halten Militärübungen mit ihren Freunden ab“. Berichten zufolge soll bei der Marineübung auch die russische Hyperschallrakete Zircon getestet worden sein.

Russland in Afrika

Russland ist seit vielen Jahren Hauptexporteur von Rüstungsgütern nach Afrika. Im Zeitraum von 2018 bis 2022 kamen rund 40 Prozent der Rüstungsimporte aus Russland. Hauptabnehmer waren die nordafrikanischen Staaten, dazu in der Subsahara-Region Angola, Nigeria und Mali.

Russland ist außerdem einer der Hauptexporteure von Getreide. Rund 30 Prozent der afrikanischen Getreideimporte stammen aus Russland, 95 Prozent davon Weizen im Wert von zuletzt 3,3 Milliarden US-Dollar. Von diesen Importen gehen 80 Prozent nach Nordafrika (Algerien, Ägypten, Libyen, Marokko und Tunesien) sowie nach Nigeria, Äthiopien, Sudan und Südafrika. Vor allem die nordafrikanischen Länder sind von den russischen Getreideimporten abhängig.

Auch auf den Import russischen Düngers sind viele afrikanische Staaten angewiesen. Angesichts der weltweiten Düngemittelknappheit und der seit 2020 steigenden Preise hatte das russische Chemieunternehmen Uralchem-Uralkali im letzten Jahr erklärt, 260.000 Tonnen Düngemittel an diejenigen afrikanische Staaten zu spenden, die von der Nahrungsmittelknappheit am stärksten bedroht sind. Die erste Lieferung von 20.000 Tonnen traf im Februar in Malawi ein.

Die russischen Wirtschaftsbeziehungen mit Afrika vertiefen sich derzeit auch im Energiesektor. So ist aktuell das erste ägyptische Kernkraftwerk im Bau, das von der staatlichen russischen Atomenergiegesellschaft Rosatom errichtet wird, das noch 17 weitere afrikanische Kooperationsabkommen unterzeichnet hat, darunter mit Äthiopien, Nigeria, Ruanda und Sambia.

Mit Südafrika, das für Russland neben den nordafrikanischen Staaten strategisch wichtig ist, wurden formelle diplomatische Beziehungen erst 1992 wieder aufgenommen, nachdem diese 1956 eingestellt wurden. Laut dem Bericht des SAIIA haben die Besuche des damaligen Vizepräsidenten Thabo Mbeki 1998 und Präsident Nelson Mandela 1999 in Russland schließlich eine neue Phase in den Beziehungen der beiden Länder eingeleitet. Unter Präsident Jacob Zuma (2009 bis 2018) wurde der Austausch noch enger. Beide Staaten unterzeichneten Abkommen in den Bereichen Landwirtschaft, Verteidigung, Bildung, Wissenschaft und Technologie, Fischerei, Bergbau, Verkeh, Kunst und Kultur sowie 2014 im Bereich Energie – die Errichtung von bis zu acht Atomkraftwerken wurde vereinbart. Jedoch wurde dieses Abkommen vom südafrikanischen Verfassungsgericht ausgesetzt und vom aktuellen Präsidenten Cyril Ramaphosa vorerst gestoppt. Auch wenn die Beziehungen unter Ramaphosa nicht mehr ganz so intensiv wie unter Zuma zu sein scheinen, eint die jeweiligen Regierungsparteien der Wunsch nach einer multipolaren Welt. Bereits im Oktober 2013 hatten daher der „African National Congress“ (ANC) und die Partei „Einiges Russland“ eine Absichtserklärung zu deren Umsetzung unterzeichnet.

China in Afrika

Zur Feier des 25. Jahrestags der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Südafrika und der Volksrepublik China veröffentlichte die südafrikanische Regierung am diesjährigen Neujahrstag eine Erklärung, laut der die bilateralen Beziehungen inzwischen zu einer „umfassenden strategischen Partnerschaft ausgebaut“ sind. China unterstütze Südafrika bei der „Verwirklichung seiner nationalen Entwicklungsziele“ und fördere zudem die „breiten sozioökonomischen Ziele“ des gesamten Kontinents. Zur Bekräftigung der strategischen Partnerschaft wurde daher von beiden Nationen ein neues „10-Jahres-Strategie-Programm für Zusammenarbeit“ auf den Weg gebracht.

Der chinesischer Botschafter in Südafrika, Chen Xiaodong, bestätigte die wachsende Verbundenheit. China und Südafrika hätten stets echten Multilateralismus praktiziert und sich für Fairness und Gerechtigkeit in der Welt eingesetzt. Chinesische Unternehmen hätten in Südafrika 400.000 Arbeitsplätze geschaffen, 20.000 weitere kämen innerhalb der nächsten drei Jahre hinzu. Für die Beziehungen zwischen China und ganz Afrika sei die Zusammenarbeit zwischen Peking und Pretoria wegweisend und ein „Beispiel für die Solidarität und Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern“.

Zukünftig werde die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen wie Erneuerbare Energien, intelligente Städte, digitale Wirtschaft, E-Commerce sowie der 5G-Technologie weiter ausgebaut. Bei letzterem ist China bereits in großen Teilen Afrikas vertreten. In Südafrika und Sambia hat China 5G schon etabliert und testet die Technologie darüber hinaus in mehr als 20 afrikanischen Ländern.

China ist bei weitem Südafrikas größter Handelspartner, umgekehrt ist Südafrika der wichtigste Handelspartner für China in Afrika. 2021 gingen Waren im Wert von 105,9 Milliarden US-Dollar nach China, vorrangig landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie Erdöl und wichtige Mineralien – aus Südafrika werden unter anderem Platin, Silber, Diamanten und Blei importiert. Bis 2025 sollen Chinas Importe afrikanischer Produkte auf den Wert von 300 Milliarden US-Dollar ansteigen. Aus China werden dagegen primär Elektronik- und Haushaltsgeräte, Kleidung und technologische Erzeugnisse importiert.

Afrika ist auch Teil der „Neuen Seidenstraße“ oder „Belt and Road Initiative“ (BRI), wofür China seit vielen Jahren gewaltige Infrastrukturprojekte vorantreibt. Bei der BRI liegt der Fokus hauptsächlich auf den Bau von Straßen-, Eisenbahn- und Luftverkehrsverbindungen. Neben der Schaffung dieser (interkontinentalen) Verkehrsverbindungen umfassen Chinas Infrastrukturvorhaben in Afrika aber auch Energieprojekte wie den Bau und die Finanzierung von Wasserkraftwerken in Kamerun und Uganda, Öl- und Gas-Pipelines in Uganda/Tansania und Äthiopien/Dschibuti, wie auch den Aufbau von Industrieparks in Ägypten und Äthiopien. Auch die Errichtung und Modernisierung ganzer Häfen ist Teil dieser Infrastrukturprojekte. Am Horn von Afrika zum Beispiel hat China 2018 in dem kleinen Land Dschibuti den Umschlaghafen modernisiert, mit chinesischer Technik ausgestattet und eine 48 Quadratkilometer große Freihandelszone eröffnet.

Südafrika ist seit 2015 Teil der BRI. Der südafrikanische Botschafter in China, Siyabonga Cyprian Cwele, erklärte, dass sich seit dem Beitritt zur BRI die Infrastruktur in Südafrika stark verbessert habe und dass diese Projekte eine bedeutende Rolle bei der Stärkung der Verbundenheit Südafrikas mit anderen Ländern sowie der Entwicklung der afrikanischen kontinentalen Freihandelszone spielten.

Kritik am Afrika-Engagement von China und Russland

Chinas Wirken in Afrika ist in westlichen Medien häufig Kritik ausgesetzt. Das Land würde den afrikanischen Kontinent nur ausbeuten, als Rohstoffquelle und billige Werkbank betrachten und durch seine Strategie „Kredite gegen Rohstoffe“ Afrika in eine Überschuldung führen, um letztlich Einfluss und Kontrolle über den Kontinent zu erlangen. Teilweise ist von neokolonialen Strukturen die Rede.

Auch wenn die Kritik an Chinas Engagement in Afrika durchaus berechtigt sei, „sind positive Effekte nicht von der Hand zu weisen“, so Sandra Tjong, Redakteurin des internationalen katholischen Missionswerks missio. Die neu geschaffene Infrastruktur ermögliche es den afrikanischen Ländern, den interkontinentalen Handel auszuweiten und sich dadurch eigenständiger zu entwickeln. Die Folge ist, dass auch andere Staaten wie die Türkei und Indien größeres Interesse zeigen, in Afrika zu investieren, wodurch sich Afrikas Abhängigkeit vom Westen verringert.

Die Wertschöpfung habe sich jedoch auch mit dem chinesischen Engagement nicht wesentlich verbessert, sagt Philipp Gieg, Politikwissenschaftler an der Universität Würzburg. In der Regel würde China afrikanische Rohstoffe unbearbeitet importieren und die verarbeiteten Produkte anschließend wieder reexportieren. Auch der Technologietransfer sei weiterhin gering. Der Aufbau der neuen Infrastruktur sei bislang vorrangig durch rein chinesische Technik und Arbeiter erfolgt, was sich aber seit kurzem zu ändern beginne.

Der Vorwurf, China würde Afrika in die Überschuldung führen, sei dagegen nicht unberechtigt. Peking verfolge häufig die Praxis, Kredite an kapitalschwache Länder für Bauprojekte zu vergeben, die dann mit Rohstofflieferungen direkt getilgt werden, so Robert Kappel, emeretierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Leipzig. Schwierig könne es für die Staaten werden, wenn die Weltmarktpreise für jene Rohstoffe sinken und sich die Schulden vergrößern. Laut Kappel haben die Investments von China die Verschuldung afrikanischer Staaten erheblich erhöht – wobei nach wie vor eine Lücke zwischen den öffentlich-privaten Investitionen und dem Bedarf an Infrastrukturfinanzierung in Subsahara-Afrika bestehe. Chinesische Geldgeber haben aber auch schon Darlehen gestundet, neu verhandelt oder sogar gestrichen.

Laut dem auf chinesische Wirtschaftshilfe spezialisierten Kenianer Justin Siocha schätzten viele Länder, dass sich China nicht in innenpolitische Angelegenheiten einmische, im Gegensatz zur „Big-Brother-Haltung“ des Westens. Anders als die Strukturanpassungsprogramme des IWF sei Peking der Meinung, „dass man durch ‚konstruktives Engagement‘ und Diplomatie mehr Fortschritte erzielt als durch Embargos und Sanktionen“, betont Deborah Bräutigam, Direktorin der China-Afrika-Forschungsinitiative an der Johns Hopkins University. Konstruktives Engagement erfordere „eine Haltung des Respekts“.

Chinas Engagement folgt in erster Linie der Prämisse, seine Einfluss- und Wirtschaftssphären auszuweiten, unabhängig ob es sich dabei um Despoten wie Omar al-Bashir (Sudan) oder Robert Mugabe (Simbabwe) handelt, oder um die Vergabe von Krediten zur Landwirtschaftsentwicklung mit dem Ziel der Stärkung der Nahrungsmittelautonomie in Nigeria. China besitzt keine politisch-ideologische Ausrichtung wie der Westen, sondern agiert sehr opportun und hat keine Probleme, seine Strategie anzupassen, wenn der Wind sich dreht – oder, wie der ehemalige chinesische Vizeaußenminister Zhou Wenzhong sagte: „Geschäft ist Geschäft“.

Neben China ist auch Russland regelmäßiger Kritik an seinem Afrika-Engagement ausgesetzt. Demnach ziele das russische Engagement darauf ab, einen Medien- und Informationskrieg gegen den Westen zu führen, seine Rüstungsexporte und militärischen Dienstleistungen auszuweiten sowie Destabilisierungspolitik zu betreiben. Laut Katharina Döring, Geopolitik-Expertin vom Stockholmer Institut für Ostsee- und Osteuropastudien, ist die zunehmende russische Zusammenarbeit insbesondere mit autoritären Regimen in Afrika besorgniserregend. Als sogenannter „Big Man“ sei Putin dabei für viele Staatsführer ein Vorbild, „wie man sich politisch gut in den Rängen hält“, so Döring. Zudem sei die Zusammenarbeit mit autoritären Staatsführern einfacher, da es weniger oder keine rechtsstaatlichen Strukturen gäbe, die beachtet werden müssten. Gleichzeitig stellten aber auch die Beziehungen zu Russland für die Länder Afrikas in erster Linie eine Diversifizierung der Außenbeziehungen dar, da viele Staaten nach wie vor dabei seien, sich international zu etablieren.

Die Rolle von Wagner

Was die Vorwürfe gegen Russland betrifft, ist die Söldnergruppe Wagner wohl das umstrittenste Thema. Da Wagner als Privatunternehmen operiert, kann die russische Regierung stets eine Beteiligung an den Einsätzen leugnen. Das Abstreiten einer Staatsnähe ist aber mittlerweile unglaubwürdig. In Mali zum Beispiel kündigte die im August 2020 an die Macht geputschte Militärregierung im Frühjahr 2022 die Anti-Terror-Kooperationen mit Frankreich und der EU auf und begann stattdessen eine Zusammenarbeit mit russischen Söldnern von Wagner. Lawrow bestätigte zwar die Präsenz, betonte aber gleichzeitig, dass es keine Verbindungen zum Kreml gäbe. Jedoch ist seitdem zu beobachten, dass sich das Land verstärkt in eine pro-russische Richtung entwickelt hat.

In Afrika ist Wagner unter anderem im Sudan präsent, in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), in Libyen sowie in Mali. Offiziell führt Wagner in den Ländern militärische Trainingsübungen durch, ist beratend tätig, leistet Personenschutz und unterstützt jene Staaten im Kampf gegen regierungsfeindliche Kräfte. Dem Unternehmen werden jedoch regelmäßig gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, wie zum Beispiel in Mali und der ZAR. Ebenso würde Wagner eine Destabilisierung in den Einsatzgebieten forcieren, erklärt Döring. Allerdings war die Sicherheitslage in der Regel bereits höchst instabil, bevor Wagner von den jeweiligen Regierungen beauftragt wurde. Als Vergütung für die Dienste der Gruppe sollen nicht selten auch Rohstoffkonzessionen, darunter für seltene Erden, Edelmetalle und Tropenhölzer eine Rolle spielen.

Mit dem Investitionsvolumen Chinas, Europas und der USA kann Russland nicht mithalten. Der Zugang zu Rohstoffen könnte zum einen eine mögliche Kontrolle über Konkurrenten zum Ziel haben – immerhin ist Russland selbst Rohstoffexporteur –, wie auch politischen Druck auf Europa ermöglichen. Geostrategische Zugänge am Roten Meer sowie am Mittelmeer sind ebenso von Bedeutung. Und nicht zuletzt besitzt der afrikanische Kontinent 54 von 193 Stimmen in der UN-Generalversammlung. Insbesondere bei den jüngsten UN-Resolutionen in Bezug auf den Ukraine-Konflikt hatte der Kreml ein erhebliches Interesse daran, von so vielen afrikanischen Staaten wie möglich unterstützt zu werden.

Afrika und der Ukraine-Konflikt: Druck aus den USA

Bis heute hat kein afrikanisches Land die vom Westen verhängten Sanktionen gegen Russland selbst umgesetzt. Viele Staaten haben kein Interesse, in einen außerafrikanischen Stellvertrerkrieg hineingezogen zu werden und betrachten die einseitige Schuldzuweisung an Russland obendrein als unehrlich. Der südafrikanische Präsident Ramaphosa hatte zuletzt vor dem heimischen Parlament erklärt:

„Der Krieg hätte vermieden werden können, wenn die NATO über die Jahre hinweg die Warnungen ihrer eigenen führenden Politiker und Beamten beherzigt hätte, dass ihre Osterweiterung zu mehr und nicht zu weniger Instabilität in der Region führen würde.“

Bei den jüngsten UN-Resolutionen gegen Russland (2. März 2022 / 12. Oktober 2022 / 23.02.2023) kam ein großer Anteil der Stimmen, die nicht mit „Ja“ stimmten, also entweder mit „Nein“ votierten, sich enthielten oder an der Abstimmung nicht teilnahmen, aus Afrika – jedes Mal knapp 50 Prozent. Das innerafrikanische Verhältnis zwischen Ja- und Nicht-Ja-Stimmen lag jedes Mal stabil bei rund 55 zu 45 Prozent. Südafrika enthielt sich in allen Fällen der Stimme.

Insbesondere die Haltung Südafrikas schien für den Westen dabei beunruhigend zu sein – zum einen als BRICS-Mitglied und seiner Vorreiterstellung innerhalb Afrikas wegen, zum anderen, da es bis dato als enger Verbündeter des Westens angesehen wurde, so Olayinka Ajala, Dozent für Politik und internationale Beziehungen an der Leeds Beckett University. US-Präsident Joe Biden besuchte Südafrika im September 2022, um es zu einer Änderung seiner Haltung zu bewegen und Russland zu verurteilen, was erfolglos blieb. Ramaphosa erklärte daraufhin beim BRICS-Außenministertreffen öffentlich, dass sein Land unter Druck gesetzt worden sei, eine „sehr feindselige Haltung gegenüber Russland einzunehmen“.

Von dieser versuchten Beeinflussung war aber nicht nur Südafrika betroffen. Bei einem Besuch in Uganda im August 2022 warnte die UNO-Botschafterin der USA, Linda Thomas-Greenfield, die afrikanischen Staaten, sich mit Russland einzulassen. Es sei möglich, dass gegen ein solches Land dann „Maßnahmen ergriffen werden“. Wie brisant Afrikas neutrale Haltung für die USA ist, zeigt auch der Versuch, mit dem „Countering Malign Russian Activities in Africa Act“, die Länder auf juristischer Ebene unter Druck zu setzen. Mit diesem am 27. April 2022 verabschiedeten Gesetz sollen afrikanische Regierungen sanktioniert werden, die mit Russland partnerschaftlich zusammenarbeiten – insbesondere dann, wenn gegen US-Interessen verstoßen werden, so Ajala. Mit diesem Gesetz würden die USA versuchen, ihre Macht zu nutzen, um Afrika zu dominieren und die afrikanischen Staaten auf ihre Seite zu zwingen.

Mangelnder Respekt

Zwar nicht warnend, aber überaus geringschätzig äußerte sich zuletzt auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell über die Haltung der afrikanischen Bevölkerungen zu Russland:

„Ich habe im Fernsehen diese jungen Afrikaner in den Straßem Bamakos [Hauptstadt von Mali] gesehen mit hochgehaltenen Schildern, auf denen stand: ‚Danke, Putin! Du hast den Donbass gerettet und nun wirst du uns retten.‘ Das ist wirklich schockierend. Nun, man kann davon ausgehen, dass diese Leute nicht wissen, wo der Donbass ist – vielleicht wissen Sie nicht einmal, wer Putin ist.“

Zusätzlich sorgte eine weitere Bemerkung, die Borrell im Oktober 2022 auf einer Veranstaltung in Belgien abgab, besonders wegen ihrer „kolonial-rassistischen Untertöne“ für Aufsehen:

„Europa ist ein Garten – wir haben einen Garten errichtet. Alles funktioniert gut. Es ist die beste Kombination von politischer Freiheit, wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Zusammenhalt, die die Menschheit je errichtet hat. (...) Der Rest der Welt (...) ist nicht gerade ein Garten. Der Rest der Welt, der größte Teil des Rests der Welt ist ein Dschungel. Und der Dschungel könnte in den Garten eindringen, weshalb sich die Gärtner gut um ihn kümmern sollten.“

Auch dem deutschen Auswärtigen Amt unterlief Anfang des Jahres ein grober Fehltritt, als es mit einem Tweet ihres englischsprachigen Twitter-Accounts eine despektierliche Haltung gegenüber Afrika offenbarte. In dem Beitrag, der sich auf einen Besuch des russischen Außenministers in Afrika bezog, hieß es, dass Lawrow nicht in Afrika sei, „um Leoparden zu sehen, sondern um unverblümt zu behaupten, die Partner der Ukraine wollten 'alles Russische zerstören'“. Die Sprecherin des Kommissionsvorsitzenden der Afrikanischen Union (AU), Ebba Kalondo, fragte daraufhin in einem Gegenbeitrag, ob Afrikas Menschen und Tiere für die deutsche Regierung ein Witz seien. Auch andere Kommentare kritisierten die Haltung, Afrika sei lediglich ein Safarikontinent. Vom Auswärtigen Amt hieß es wenig später: „Verstanden & Sorry. Wir schätzen unsere afrikanischen Partner“, man habe niemanden beleidigen wollen. Kalondos Antwort darauf lautete: „Entschuldigt euch nicht. Seid einfach vorsichtig. Und respektiert uns wie wir euch respektieren.“

Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt müssen auch Diskriminierung und Rassismus erwähnt werden, von denen afrikanische Studenten betroffen waren. So wurden kurz nach Kriegsbeginn in Lwiw Menschen mit dunkler Hautfarbe beim Betreten eines Zuges abgewiesen, während Ukrainer einsteigen durften. Wie es hieß, wurden sogar mehrere junge Afrikaner wieder aus einem Wagon hinausgeleitet. In einer Stellungnahme der AU hieß es daraufhin: „Sollten Afrikaner tatsächlich anders behandelt werden, ist das auf schockierende Weise rassistisch und ein Bruch des internationalen Rechts.“ Bis zum Angriff Russlands studierten in der Ukraine etwa 75.000 Ausländer, fast ein Viertel von ihnen kam aus Afrika.

Politik der Doppelmoral

Doppelstandards, insbesondere in Bezug auf den Ukraine-Konflikt, wurden zuletzt von mehreren afrikanischen Politikern offen kritisiert. Auf dem Internationalen Forum für Frieden und Sicherheit in Dakar (Senegal) im Oktober 2022 hatte Macky Sall, Präsident des Senegal und amtierender Vorsitzender der AU, einer Forderung der französischen EU-Abgeordneten Chrysoula Zacharopoulou entgegnet, dass Afrika „nicht gegen die Ukraine“ und „nicht unempfindlich gegenüber der dortigen Situation“ sei. Jedoch hätten viele Afrikaner das Gefühl, dass ihre eigenen Probleme wie Sicherheit, Wirtschaft oder Gesundheit ignoriert würden.

„Die Afrikaner sagen, dass Afrika permanent vom Terrorismus angegriffen wird, während in der Ukraine Krieg herrscht. (...) Wir sind nicht mehr in der Kolonialzeit.“

Zacharopoulou hatte auf dem Forum erklärt, dass die russische Invasion „eine existenzielle Bedrohung für die Stabilität und Integrität unseres Kontinents“ sei. „Deshalb erwarten wir von Afrika Solidarität.“

Der ehemalige nigrische Präsident Mahamadou Issoufou erklärte, dass es für die Afrikaner schockierend sei zu sehen, wie viele Milliarden in die Ukraine geflossen wären. Im Gegensatz dazu sei es für die G5 (eine Truppe aus der Sahelzone für den Kampf gegen den Dschihadismus) viel schwieriger gewesen, 400 Millionen US-Dollar aufzutreiben. Der malische Außenminister Abdoulaye Diop pflichtete Issoufou bei und erklärte:

„Für die Ukraine, wo man Afrika aufgefordert hat, Stellung zu beziehen, hat man in nur wenigen Tagen mehr als acht Milliarden [US-Dollar] aufgebracht. (...) Das ist eine Politik der Doppelmoral.“

Bezüglich der Vorwürfe gegenüber Russland, Afrika zu destabiliseren, dürften die Enthüllungen des US-amerikanischen Journalisten Nick Turse zumindest für Relativierung sorgen. Laut Turse haben von den USA ausgebildete afrikanische Offiziere allein in den letzten eineinhalb Jahren sieben Putsche und Putschversuche in Afrika geleitet. Seit 2008 waren es mindestens neun Putschversuche, von denen mindestens acht allein in fünf westafrikanischen Ländern erfolgreich waren: je dreimal in Burkina Faso und Mali sowie je einmal in Guinea, Gambia und Mauretanien. „Die Ausbildung und Unterstützung der USA für die Region erfolgt durch das Außenministerium und das Africa Command, eine Abteilung des Verteidigungsministeriums, die für militärische Operationen auf dem gesamten Kontinent zuständig ist“, so Turse. In einer hitzigen Anhörung Ende März räumte der US-Kommandant des Africa Command, General Michael Langley, gegenüber dem Kongressabgeordneten Matt Gaetz die Ausbildung der beteiligten Offiziere ein.

Auch das westliche Blockieren eigenständiger afrikanischer Entwicklungsvorhaben, sobald diese gegen westliche Interessen verstoßen, trifft auf zunehmenden Widerstand. So hat die EU ein großangelegtes Projekt zwischen Uganda und Tansania in einer Resolution vom 15. September 2022 kritisiert. Das Projekt namens East African Crude Oil Pipeline (EACOP) sieht vor, eine Erdölpipeline vom Fördergebiet in Westuganda zu einem Exporthafen an der Ostküste Tansanias zu errichten. Die Eigentumsrechte an dem Großprojekt teilen sich die beiden ostafrikanischen Staaten, der chinesische Staatskonzern China National Offshore Oil und der französische Ölkonzern Total. Letzterer ist Hauptanteilseigner und wird nun zunehmend unter Druck gesetzt, sich wegen mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen und prognostizierten negativen Auswirkungen auf die Umwelt aus dem Projekt zurückzuziehen.

Thomas Tayebwa, stellvertretender Sprecher der ugandischen Nationalversammlung, erklärte dazu, dass diese Forderung „die höchste Stufe des Neokolonialismus und Imperialismus gegen die Souveränität Ugandas und Tansanias darstellt“. Und Ugandas Präsident Yoweri Musevini äußerte:

„Wir können Arroganz nicht ausstehen. (...) Das Projekt wird wie geplant umgesetzt.“

Eine neue selbstbewusste Haltung

Laut Jérémy Lissouba, Parlamentsabgeordneter in der Republik Kongo, ist es genau diese „seit langem bestehende paternalistische und dissonante Haltung Europas“, die Afrika nicht länger bereit sei hinzunehmen. „Russland, China und andere, die keineswegs frei von Vorwürfen sind, ergreifen lediglich die sich bietenden Chancen.“

Dabei begegnen die beiden Großmächte den afrikanischen Nationen mit Respekt und behandeln sie als gleichwertige Partner, was auf dem Kontinent deutlich besser ankommt als die bevormundende Behandlung des Westens. Ein Beispiel ist die „2. Internationale parlamentarische Konferenz Russland-Afrika in einer multipolaren Welt“, die am 20. März 2023 in Moskau stattfand (Video).

Putin begrüßte die Teilnehmer in wertschätzendem Ton und verwies auf die Wichtigkeit der Veranstaltung, auch in Vorbereitung des 2. Russland-Afrika-Gipfels in St. Petersburg im Juli. Er betonte, dass die Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten eine der unveränderlichen Prioritäten der russischen Außenpolitik sei und er sicher sei, dass Afrika bei der Gestaltung einer multipolaren Weltordnung eine führende Rolle spielen werde. Er sprach davon, dass die Russische Föderation die afrikanischen Nationen stets im Kampf gegen Kolonialismus, Rassismus und Apartheid unterstützt habe und nun mehreren Ländern helfe zu wachsen und ihre Souveränität zu schützen.

Bei den Delegierten traf das auf Zustimmung. Nosiviwe Mapisa-Nqakula, Sprecherin der parlamentarischen Nationalversammlung von Südafrika, erklärte in ihrer Rede:

„Eine multipolare Welt bedeutet einfach, dass die Macht nicht von einem Land dominiert wird, sondern auf mehrere Länder verteilt ist. Die Befürworter dieser Ansicht argumentieren, dass sich die Welt zu einer multipolaren Ordnung entwickeln muss, in der mehrere Machtzentren ein Gleichgewicht bilden. (...) Das Ausmaß der Multipolarität bleibt noch ungewiss. Sicher ist, dass die alte Ordnung und damit die unipolare Welt nicht untergehen wird, ohne dass ihre Herrscher extreme Maßnahmen ergreifen, um sich an der Macht zu halten, zu dominieren und uns weiterhin zu teilen. (...) Afrika braucht einen fairen, ausgewogenen Partner zur Unterstützung.“

Auch das Thema Kolonialismus spielte bei den Teilnehmern eine wichtige Rolle. Léonard She Okitundu (DR Kongo) betonte, dass Russland ein sehr wichtiges Land für den afrikanischen Kontinent sei. „Vor allem, weil Russland an der Entkolonialisierung Afrikas beteiligt war.“ Salah Eddine Tiaru (Algerien) äußerte, dass Russland nie ein afrikanisches oder anderes Land kolonisiert habe, was einen „Meilenstein in unseren vertrauenswürdigen Beziehungen zu Russland“ darstelle. Edson Rugumayo (Uganda) erklärte: „Wenn wir auf Russland schauen, sehen wir Freunde. Aber wenn wir auf die meisten westlichen Länder blicken, werden wir auf die Wunden aufmerksam, die vor Jahren entstanden sind: Sklaverei und all die kolonialen Probleme, die wir haben und die wir nicht selbst lösen können.“ Ähnlich betonte Robert Capopusi (Benin):

„Jetzt hat der Westen alle Masken fallen lassen und predigt den Neokolonialismus mit seinen Nichtregierungsorganisationen, Militärbasen, Korruption, afrikanischen Führern und kulturellen Einmischungen. Diese Hegemonie tritt tatsächlich immer deutlicher zu Tage. Aber gegen diese Politik des Westens haben wir andere Partner, (...) die sich bereit erklären, uns im Kampf gegen den Neokolonialismus zu helfen. (...) Wir wollen eine multipolare Welt! Wir wollen, dass Afrika, Russland, China, Indien, Iran und andere Länder Widerstand leisten und den westlichen Kolonialismus wirksam bekämpfen.“

Zeitweise versuchten sich auch westliche Staatsführer in „überschwänglicher Rhetorik“ zu üben, wie Lissouba ausführte. So sprach der französische Staatschef Emmanuel Macron vor seiner letzten Afrikareise im März 2023 von „Neuanfängen“ und „tiefer Demut“ gegenüber Afrika, jedoch hielt ihn das nicht davon ab, dem Präsidenten der DR Kongo Félix Tshisekedi in einer gemeinsamen öffentlichen Erklärung einen Vortrag über Pressefreiheit zu halten. Tshisekedi ließ sich dies jedoch nicht gefallen und wies seinen französischen Amtskollegen zurecht:

„Was ich Ihnen verdeutlichen wollte, ist, dass sich dies auch in der Form ändern muss, in der wir mit Frankreich und Europa zusammenarbeiten. Sie müssen beginnen, uns zu respektieren und Afrika in einer anderen Art zu betrachten und damit aufhören, uns mit dieser herablassenden Haltung zu behandeln, als ob Sie immer wüssten, was richtig ist und wir nicht.“

Als Macron darauf antwortete, dass man es nicht vermischen solle, wenn ein französischer Journalist eine Erklärung abgibt, die nicht der französischen Regierung entspreche, unterbrach Tshisekedi ihn und sagte:

„Herr Präsident, ich habe mich nicht auf irgendeinen Journalisten bezogen. Ich beziehe mich auf die Aussagen des französischen Außenministers – Le Drian, Ihr Außenminister ...“

Auch der Tschad fackelte zuletzt nicht lange und wies im April 2023 den deutschen Botschafter wegen seiner „unhöflichen Haltung“ sowie „mangelnden Respekts für diplomatische Gepflogenheiten“ aus. Ähnlich resolut verhielt sich auch der Präsident Namibias Hage Geingob, der bereits im November 2018 den langjährigen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert nachdrücklich zum Schweigen gebracht hatte, als dieser darauf anspielte, dass in Namibia viermal so viele Chinesen wie Deutsche lebten. Seine Antwort lautete:

„Was ist Ihr Problem damit? (...) Sie sprechen über Chinesen (...) Wir erlauben den Deutschen, ohne Visum hierherzukommen – roter Teppich –, während unsere Leute in Deutschland schikaniert werden. Selbst Leute mit diplomatischem Pass. Also, warum die Chinesen? Reden Sie über die Deutschen – wie Ihr uns behandelt. (...) Wir wissen, wie wir unser eigenes Land regieren können. Bemitleiden Sie uns nicht!“

Ausblick

Die Tatsache, dass sich kein afrikanisches Land den Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat, Afrika in dem Konflikt eine überwiegend neutrale Haltung einnimmt und es obendrein von einigen Regierungen eine Schuldzuweisung an die USA und die NATO gab, habe den Westen relativ unerwartet getroffen, sagt der US-Journalist Ted Snider. Jérémy Lissouba präzisiert, dass viele afrikanische Nationen zwar den Krieg verurteilt hätten, nicht aber Russland.

Durch den Druck, den der Westen aufbaut, um Afrika auf seine Seite zu ziehen, könnte er letztendlich das genaue Gegenteil bewirkt und eine noch größere Annäherung an Russland und China geschaffen haben. Als größter Handelspartner ist China auf dem Kontinent fest etabliert, aber auch Russland baut seine Beziehungen auf ökonomischer und politischer Ebene aus. Beide Großmächte zeigen Afrika mit der Idee einer multipolaren Welt eine attraktivere Perspektive auf, als es der Westen bislang getan hat. Bezogen auf die Vergangenheit sind beide Mächte zudem unbelastet.

Grundsätzlich streben die afrikanischen Staaten eine blockfreie Position an. Deshalb, so Snider, sei auch die neutrale Haltung im Ukraine-Konflikt so wichtig, insbesondere zur „Unterstützung einer multipolaren Welt“. Außerdem sind noch immer viele Staaten auf die westlichen Handelspartner und Investoren angewiesen. Jedoch treten immer mehr afrikanische Regierungen selbstbewusst auf. Lissouba sagt, dass der Westen begreifen müsse, dass die „Entwicklungsländer die vielen Widersprüche in Rhetorik und Praxis, die die Welt, wie wir sie kennen, kennzeichnen, nicht übersehen“.

In diesem Sinn könnten westliche Doppelmoral und der Druck bei den Maßnahmen gegen Russland nicht nur eine Intensivierung von Afrikas Beziehungen zu China und Russland bewirkt, sondern auch einen Loslösungsprozess Afrikas vom Westen in Gang gesetzt haben. Südafrika scheint in diesem Prozess eine führende Rolle einzunehmen: als technisch entwickelstes Land und drittgrößte Volkswirtschaft auf dem Kontient, als erstes BRICS-Mitglied, als wichtigster Handelspartner Chinas in Afrika sowie als langjähriger Partner Russlands. Diese engen Verbindungen der aktuellen ANC-Regierungspartei mit Russland und China reichen überdies bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts zurück. Als bisheriger Repräsentant für Afrika fungierte Südafrika bislang als Ansprechpartner und Vorbild für viele afrikanische Nationen – eine Position, die sich mit dem BRICS-Beitritt von Ägypten und einem potenziellen zukünftigen Beitritt von Nigeria vermutlich relativieren wird.

Ob die afrikanischen Länder ihre blockfreie Position in Zukunft halten oder gar festigen können, bleibt abzuwarten. Der Verweis auf die Gefahr, dass Afrika von der bisherigen hegemonialen Struktur des Westens in eine neue von China oder Russland geraten könnte, ist berechtigt. Immerhin verfolgen diese beiden Großmächte genauso wie die USA und Europa ihre eigenen wirtschaftlichen wie politischen Interessen und agieren nicht als selbstlose Wohltäter. Es ist somit offen, wie der begonnene Emanzipationsprozess der afrikanischen Staaten fortgeführt wird und ob es Afrika gelingt, einen eigenständigen Weg zu gehen.

Über den Autor: Paul Soldan, Jahrgang 1988, war nach seiner Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen bis zum Jahr 2017 für verschiedene Finanzdienstleistungs-unternehmen in Hamburg tätig. Von 2018 bis 2021 arbeitete er am Volkstheater Rostock, unter anderem als Regieassistent. Seit 2022 ist er als freier Autor und Onlineredakteur tätig und lebte zuletzt mehrere Monate in Afrika. Im Januar 2024 erschien sein Debütroman "Sheikhi - Ein afrikanisches Märchen" im Anderwelt Verlag.

HEIDE HAGEN, 9. Juni 2023, 07:35 UHR

Lieber Paul Soldan,
ich hatte mich letztens gefragt, wann man mal wieder etwas von Ihnen zu lesen bekäme, und prompt erscheint etwas. ;) Wie immer sachlich und unaufgeregt, voller interessanter Informationen, dicht gepackt wie ein Heringsschwarm, und jeder Satz sitzt! Ich glaube, E.A. Rauter würde Ihnen auf die Schulter klopfen. Herzlichen Dank!

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