Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron empfängt den damaligen Präsidenten Gabuns, Ali Bongo, im Juni 2023 in Paris | Bild: picture alliance / NurPhoto | Andrea Savorani Neri

Staatsstreiche in Westafrika: Wer profitiert?

Seit 2020 kam es in fünf afrikanischen Ländern im französischen Einflussbereich zu gewaltsamen Machtwechseln durch das Militär. Frankreich verliert seither massiv an Einfluss in einer Region, die es jahrzehntelang – vor allem finanziell – dominierte. Mehrere der Putschisten wurden von den USA ausgebildet. Wer profitiert und in welche Richtung entwickelt sich die Region?

PAUL SOLDAN, 4. Dezember 2023, 0 Kommentare, PDF

Frankreich blickt in Afrika auf eine lange Kolonialgeschichte zurück, die Mitte des 19. Jahrhunderts begann und nicht mit der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien ab Ende der 1950er Jahre endete. Bis in die Gegenwart befindet sich Françafrique – also Frankreichs Einflusssphäre, die sich über die ehemaligen französischsprachigen Kolonien erstreckt – unter einer Art neokolonialer Kontrolle der Grande Nation.

Wie ein Brief des damaligen französischen Finanzministers Michel Debré vom Juli 1960 an seinen Amtskollegen aus Gabun zeigt, hatte Frankreich damals das zentralafrikanische Land nur gegen spezielle Handelsverträge in die Unabhängigkeit entlassen. Mit diesen Verträgen sicherte sich Frankreich einen Sonderzugang zu „strategischen und rüstungsrelevanten Rohstoffen“ wie Erdöl, Gas, Kohle, Uran, Beryllium, Lithium oder Thorium. Identische Abkommen wurden auch mit anderen ehemaligen Kolonien getroffen. Bis heute bezieht Frankreich diese Rohstoffe teils zu einem Drittel der üblichen Weltmarktpreise. „Dadurch, dass wir unter Weltmarktpreisen nach Frankreich exportieren, verlieren wir weit mehr, als wir [in Form von Entwicklungshilfe] zurückbekommen“, sagte dazu vor einigen Jahren Mamadou Koulibaly, ehemaliger Finanzminister und Präsident der Nationalversammlung der Elfenbeinküste.

In diesen Kooperationsvereinbarungen wurde auch ein Rahmen für mögliche militärische Interventionen geschaffen, indem Frankreich die Legitimation erhielt, Truppen in Françafrique zu unterhalten.

Der eigentliche Hebel der wirtschaftlichen und finanziellen Kontrolle ist aber die Währung: der CFA-Franc (Franc de la Coopération Financière en Afrique). Mit einem Wechselkurs von 656 Franc ist dieser fest an den Euro gebunden. Mit je einer Zentralbank in Dakar (Senegal) sowie in Yaoundé (Kamerun) wird er in Westafrika von acht und in Zentralafrika von sechs Staaten benutzt. In beiden Zentralbanken sitzt jeweils ein französischer Vertreter mit Vetorecht. Zudem wird die Währung in Frankreich gedruckt, nur Frankreich hat das Recht auf Auf- oder Abwertungen und obendrein liegen 50 Prozent der Währungsreserven in Frankreich. Dadurch besitzt Frankreich faktisch die Hoheit über die Geldpolitik aller 14 CFA-Länder.

Die französische Journalistin Fanny Pigeaud betonte vor einigen Jahren, dass eine eigenständige Geldpolitik unter diesen Bedingungen unmöglich sei. 1945 sei die Währung zu dem Zweck gegründet worden, die Interessen Frankreichs durchzusetzen. Damals wie heute sei sie ein Mittel der wirtschaftlichen Ausbeutung. Diese Einschätzung wird auch von Adeline Masquelier, Professorin am Institut für Anthropologie der Tulane University (New Orleans), geteilt:

„Alle den CFA-Franc betreffenden Bestimmungen kommen letztlich Frankreich und nicht den afrikanischen Nationen zugute und gewährleisten, dass Frankreich die Kontrolle über die westafrikanische und die zentralafrikanische Wirtschaftszone behält.“

Die Verbannung Frankreichs

In der jüngeren Vergangenheit konnte bereits beobachtet werden, dass sich zunehmend mehr afrikanische Staatsführer kritisch dem Westen gegenüber äußerten und ihre nationale Ausrichtung zum Teil mehr in Richtung Russland und China verschoben (siehe der Multipolar-Beitrag „Afrika zwischen Ost und West“). Nach insgesamt sieben Militärumstürzen in Françafrique binnen drei Jahren wurden Teile der Region, insbesondere in Westafrika, nun von einer Welle antifranzösischer Stimmung erfasst – sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft.

Den Anfang machte Mali, das noch in den 1990er und 2000er Jahren als Musterbeispiel für eine erfolgreich aufgebaute Demokratie in Afrika galt. Unter der Führung des Offiziers Assimi Goïta stürzte das Militär am 18. August 2020 die Regierung und putschte ein weiteres Mal neun Monate später, erneut unter der Führung Goïtas. Dieser wurde daraufhin Interimspräsident und befindet sich bis heute im Amt.

Am 5. September 2021 folgte Guinea unter der Führung von Oberst Mamady Doumbouya, der am 1. Oktober 2021 als neuer Präsident vereidigt wurde und seitdem im Amt ist. Es wurde angekündigt, eine neue Verfassung zu erarbeiten, das Wahlsystem zu reformieren sowie freie und transparente Wahlen zu organisieren. Einen konkreten Zeitrahmen dafür nannte das Militär nicht.

In Burkina Faso fanden 2015 zum ersten Mal unabhängige Wahlen statt, die Roch Kaboré gewann. Nach zunehmender Kritik wurde der Präsident aber durch das Militär im Januar 2022 wieder abgesetzt. Als neuer Staatschef wurde Putschist Oberstleutnant Paul-Henri Damiba ernannt, jedoch am 30. September 2022 selbst durch einen weiteren Staatsstreich entmachtet. Neuer Präsident wurde der bis dahin verhältnismäßig rangniedrige Hauptmann Ibrahim Traoré. Laut der Junta sollen bis Juli 2024 Wahlen organisiert werden.

Im Niger war ein Putschversuch im März 2021, wenige Tage vor der offiziellen Amtseinführung des neuen Präsidenten Mohamed Bazoum, gescheitert. Der nächste Versuch zwei Jahre später sollte jedoch gelingen. Am 26. Juli 2023 umstellten Offiziere den Präsidentenpalast, nahmen Bazoum gefangen und übernahmen die Macht. Sich selbst bezeichnet der Offiziers-Zusammenschluss als Nationaler Rat für den Schutz des Vaterlandes (CNSP). Zwei Tage nach dem Staatsstreich erklärte sich Oberstleutnant Abdourahamane Tiani zum neuen Staatschef.

Der jüngste Militärputsch ereignete sich am 30. August 2023 im zentralafrikanischen Gabun, wo der Präsident Ali Bongo wenige Tage nach seinem umstrittenen Wahlsieg durch das Militär gestürzt wurde. Er und zuvor sein Vater Omar Bongo hatten das Land mehr als 55 Jahre lang regiert.

Kurz nach den Staatsstreichen konnte eine teils rigorose Abkehr von Paris beobachtet werden. So musste Frankreich auf Anordnung der neuen Militärregierungen seine militärische Präsenz in Mali im August 2022, in Burkina Faso im Februar 2023 und im Niger zu Ende 2023 beenden. Die nigrische Junta ordnete zudem Ende August an, dass der französische Botschafter Sylvain Itte das Land binnen 48 Stunden zu verlassen habe. Emmanuel Macron weigerte sich zunächst, gab jedoch schließlich nach, sodass Itte Ende September nach Paris zurückkehrte. Diese unmittelbare Verbannung Frankreichs nach den Staatsstreichen kam für viele Beobachter überraschend. Schließlich waren Militärumstürze auch in den vergangenen Jahrzehnten keine Seltenheit – ohne, dass man sich scharf von Paris distanzierte.

Zurückhaltung der USA

Die USA sind bislang von entsprechenden Protesten verschont geblieben. Tatsächlich hätte vermutet werden können, dass sich die neue antifranzösische Haltung zu einer kollektiven antiwestlichen und damit auch zu einer US-kritischen Haltung entwickeln würde. Schließlich waren auch afrikanische Nationen zuletzt nicht frei von US-Paternalismus.

Insbesondere nach dem Militärcoup im Niger hielt sich Washington lange zurück, diesen auch als solchen zu bezeichnen. Im Gegensatz zur EU: Diese hatte umgehend die scharfen Sanktionen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS gegen die nigrische Militärjunta unterstützt. Im Raum stand anfangs auch ein militärisches Eingreifen der ECOWAS im Niger, das bislang jedoch nicht stattgefunden hat.

Das US-Onlinemagazin The Intercept hatte diesbezüglich beim Pentagon nachgefragt. Eine Sprecherin erklärte: „Niger ist ein Partner und wir wollen nicht, dass diese Partnerschaft endet“. Die USA haben erst mehr als zwei Monate später von einem Staatsstreich gesprochen, woraus folgte, dass die bis dahin gezahlten US-Sicherheitshilfen ausgesetzt wurden. Humanitäre Hilfe und Nahrungsmittelhilfe werden aber weiter geleistet. Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte, dass die Voraussetzung für die Wiederaufnahme der US-Hilfe die Einführung einer demokratischen Regierungsführung in einem glaubwürdigen Zeitrahmen sei. Ebenso wurden die „Antiterroroperationen“ im Land pausiert und die Aktivitäten zum Aufbau der nigrischen Streitkräfte ausgesetzt. Jedoch habe Washington keine Pläne, die Truppenstellung im Land zu ändern. Lediglich eine kleine Anzahl von nicht unbedingt benötigten Mitarbeitern sei abgezogen worden.

Strategische Vorsicht oder Profitinteresse?

Da der Westen nahezu kollektiv die ECOWAS-Sanktionen, die unter anderem das Blockieren von Lebensmittel- und Medikamenteneinfuhren beinhalteten, gegen eines der ärmsten Länder der Welt unterstützte, stellt sich die Frage, was die USA veranlasste, sich diplomatisch so lange zurückzuhalten.

Washington unterhält Militärbasen in mehr als 20 afrikanischen Staaten, darunter auch in Mali, Burkina Faso und im Niger. Die Niger Air Base 201 nördlich der Stadt Agadez, ist nach Dschibuti die zweitgrößte Drohnenbasis in Afrika. Sie wurde für mehr als 100 Millionen US-Dollar gebaut und ist ein wichtiger Knotenpunkt für Militäreinsätze in der Region. Insgesamt haben die USA in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Westafrika mehr als eine Milliarde US-Dollar an „Sicherheitshilfe“ in Form von Ausrüstung, Ausbildung und Waffen investiert.

Der in Moskau lebende amerikanische Politikanalyst Andrew Korybko kommentierte:

„Praktisch gesehen können die USA proaktiv einen Teil der Lücke füllen, die der scheinbar unvermeidliche Rückzug Frankreichs aus Afrika hinterlässt, anstatt alles freiwillig an das chinesisch-russische Bündnis abzutreten.“

Mali gehört zu den größten Goldexporteuren Afrikas, die Erschließung von Lithium wird aktuell vorbereitet. In Guinea zählen die Bauxitvorkommen zu den größten weltweit, darüber hinaus gibt es Eisenerz, Gold und Diamanten. Auch Burkina Faso ist einer der großen Goldlieferanten des Kontinents und dazu mit reichen Vorkommen an Kupfer, Zink, Mangan und Phosphaten ausgestattet. Der Niger exportierte in der Vergangenheit überwiegend Uran, seit einiger Zeit ist aber Erdöl das bedeutendste Exportgut.

Laut dem brasilianischen Journalisten Pepe Escobar ist das Uran, das Frankreich und die EU aus dem Niger für die eigene Energiegewinnung beziehen, zwar wichtig, jedoch nicht von strategischer Bedeutung. Schließlich sei der Niger weit hinter Kasachstan und Kanada weltweit nur der fünftgrößte Lieferant. Der ultimative französische Albtraum sei jedoch der Verlust der „saftigen Urangeschäfte“.

Einen weiteren Konfliktpunkt sieht Escobar in der Trans-Sahara-Gaspipeline. Durch die Zerstörung von Nord Stream und die verhängten Sanktionen gegen Russland drohe der EU und insbesondere Deutschland eine langfristige Gas-Unterversorgung. Nach Escobar sei für Europa „nigerianisches Gas, das durch die Sahara und dann durch das Mittelmeer fließt“ die optimale Lösung. Mit 5,7 Billionen Kubikmetern verfüge Nigeria über mehr Gas als Algerien, jedoch sei bislang nicht klar, wie das Gas nach Europa gelangt. Hier komme der Niger ins Spiel, der damit zu einem wichtigen Transitland würde.

Die Versorgung Europas mit nigerianischem Gas kollidiert wiederum mit US-Interessen, die Europa gern als langfristigen Abnehmer ihres eigenen LNG-Gases sehen würden. Demnach könnte eine Ausweitung von Washingtons Einfluss im Niger auch größere Kontrollmöglichkeiten über Europas Energieversorgung mit sich bringen.

AFRICOM und die US-Ausbildung führender Putschisten

Der Öffentlichkeit bislang wenig bekannt sind die Verbindungen mehrerer Offiziere zum US-Militär, die in Westafrika an Putschen und Putschversuchen beteiligt waren. Wie der US-Journalist Nick Turse aufdeckte, betrifft dies Mauretanien (2008), Gambia (2014), Burkina Faso (2014, 2015, 2022), Mali (2012, 2020, 2021), Guinea (2021) und den Niger (2023).

Hauptsächlich laufen diese Verbindungen über das United States Africa Command (AFRICOM), das militärische Regionalkommando des US-Militärs für Afrika, dessen Hauptquartier sich in Stuttgart befindet. Aufgaben sind Militäroperationen sowie militärische Hilfs- und Aufbauprogramme. Dazu zählt auch die Ausbildung afrikanischer Offiziere.

Laut Turse trafen sich kurz vor dem nigrischen Staatsstreich Ende Juli Generalleutnant Jonathan Braga, Chef des US Army Special Operations Command, und Brigadegeneral Moussa Salaou Barmou, Chef der nigrischen Spezialeinheiten. Laut Aussage von US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland ist „General Barmou (...) jemand, der seit vielen, vielen Jahren sehr eng mit den US-Spezialkräften zusammengearbeitet hat.“ An dem wenige Wochen später folgenden Militärumsturz war Barmou maßgeblich beteiligt. Kurz danach stellte sich heraus, dass sowohl Barmou, der neue Staatschef Tiani als auch mindestens drei weitere hochrangige Putschisten durch das US-Militär ausgebildet wurden. Neben den nigrischen Offizieren haben auch Mamady Doumbouya, Anführer des Putsches (2021) und derzeitiger Staatschef in Guinea, Assimi Goïta, Anführer der Putsche (2020 / 2021) und derzeitiger Staatschef in Mali, sowie Paul-Henri Damiba, Anführer des ersten Putsches (2022) in Burkina Faso, Ausbildungsprogramme des US-Militärs durchlaufen.

Zu Ibrahim Traoré, der den zweiten Staatsstreich Ende September 2022 in Burkina Faso angeführt und Damiba entmachtet hatte, fragte das US-Magazin Rolling Stone kurz danach bei AFRICOM nach, ob dieser ebenfalls durch das US-Militär ausgebildet wurde. AFRICOM ließ diese Frage unbeantwortet. „Wir gehen der Sache nach“, erklärte eine Sprecherin. Bis zur Veröffentlichung des finalen Artikels vier Monate später gab es keine Rückmeldung. Bis heute ist die Frage ungeklärt. Die AFRICOM-Sprecherin teilte außerdem mit, man unterhalte „keine Datenbank“ darüber, welche ausgebildeten Offiziere später an Putschen beteiligt seien.

Kollision zwischen Frankreich und den USA?

Laut Michel Chossudovsky, emeritierter Professor für Wirtschaftwissenschaften, führt der begonnene Prozess der „französischen Dekolonisierung“ nicht zur Einführung demokratischer Regierungsformen, sondern begünstige eher „die hegemoniale Entwicklung eines US-Neokolonialismus und die Militarisierung“ des gesamten Kontinents. Chossudovsky sieht in diesen Entwicklungen eine offensichtliche Kollision zwischen den USA und Frankreich, die in der Öffentlichkeit jedoch „kaum zur Kenntnis genommen“ werde. Victoria Nuland habe dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Im Oktober 2022, zwei Wochen nach dem Putsch in Burkina Faso, reiste sie mit einer behördenübergreifenden Delegation nach Burkina Faso, Mauretanien, Mali und in den Niger, 2023 dann erneut in den Niger, ebenfalls zwei Wochen nach dem dortigen Putsch. Dazu erklärte sie:

„Wir wollten in den Ländern, mit denen wir gut zusammenarbeiten, darüber sprechen, wie wir unsere Unterstützung verstärken können. (...) In Burkina, im Niger und in Mauretanien arbeiten wir sehr eng mit diesen Streitkräften, ihrer Gendarmerie und ihren Antiterroreinheiten zusammen (...).“

Nach Chossudovsky sei das Ziel von Nulands Mission im Niger gewesen, Verhandlungen zu führen, „natürlich inoffiziell über die ‚Angleichung‘ von Niamey an Washington gegen Paris“.

Andrew Korybko vertritt einen ähnlichen Standpunkt und verweist darauf, dass die USA einige Wochen nach Nulands Besuch im Niger die Wiederaufnahme der Geheimdienst- und Überwachungsmissionen bekanntgaben, während Frankreich abziehen musste. Korybko sagt, dass „die USA Frankreich in Westafrika hintergangen“ hätten. Was nicht das erste Mal gewesen sei, wie er anmerkt. Im September 2021 hatte Australien ein vermeintlich sicheres 56-Milliarden-Euro-Abkommen zum Kauf französischer U-Boote in letzter Sekunde platzen lassen. Stattdessen gründete das Land mit den USA und Großbritannien das Sicherheitsbündnis „AUKUS“, welches den gemeinsamen Bau atomar betriebener U-Boote in Australien vorsah – jedoch ohne französische Beteiligung.

Korybko betont, dass für Frankreich der letztliche Rückzug aus dem Niger, besonders nach der anfänglichen Weigerung Macrons, nach Mali und Burkina Faso eine „demütigende strategische Niederlage“ darstelle und „das völlige Scheitern seiner neokolonialen Politik in Afrika beweist“. Frankreichs Hoffnung sei bis zum Schluss ein militärisches Eingreifen der ECOWAS im Niger gewesen, gestützt von den USA, um ihre dortigen Stützpunkte zu retten. Zu diesem Eingreifen sei es trotz der anfänglich scharfen Rhetorik aber nicht gekommen. Den finalen Abzug Frankreichs nach dem Streit mit der nigrischen Junta sieht er als Ergebnis eines Deals, den die USA mit der militärischen Übergangsregierung geschlossen haben und der „Frankreich praktisch zum Rückzug zwang“. Für Korybko sei dies in Anbetracht der Umstände das beste Szenario für die USA gewesen:

„Indem sie Frankreich in dessen afrikanischer ‚Einflusssphäre‘ ersetzen, können die USA außerdem die Folgen des erzwungenen Abzugs ihres ‚Partners‘ von dort bewältigen und zugleich die Pariser Abhängigkeit von Washington erhöhen. (...) Gleichzeitig könnten sie dafür sorgen, dass die Ressourcen, von denen Paris abhängt, über amerikanische Einflussnetzwerke anstatt über französische laufen.“

Die Journalistin Dagmar Henn sieht als Ziel dahinter den Zugang zu Ressourcen sowie die ökonomische Schwächung eines Konkurrenten. Westafrikas Rohstoffe und deren Sonderkonditionen nach französischem Vorbild könnten den USA „einen ordentlichen Ertrag für den Staatshaushalt“ einbringen, so Henn. Zudem „wäre auch das zweite europäische Kernland wirtschaftlich für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, als Konkurrent ausgeschaltet. Was natürlich für die USA (...) selbst dann Sinn ergibt, wenn es nicht gelingt, die Hegemonie zu verteidigen“.

Russland und China

Der einzige Kompromiss, den die USA nach Korybkos Ansicht eingehen müssten, würde darin bestehen, eine gewisse Ausweitung des chinesisch-russischen Einflusses zu akzeptieren. Gänzlich verhindern würden sie diesen ohnehin nicht können.

Peking besitzt aufgrund des direkten Seewegs über den Indischen Ozean in Ost- und Südafrika noch eine größere Präsenz als am Atlantik. Jedoch treibt es auch in Westafrika Infrastrukturprojekte für sein Projekt der „Neuen Seidenstraße“ konsequent voran, seit einigen Jahren mit großen Investitionen in Nigeria und Togo.

Russland ist sowohl über direkte bilaterale Abkommen auf dem Kontinent vertreten als auch indirekt über das private Militärunternehmen Wagner, insbesondere in Françafrique. Die sogenannten Sicherheitskooperationen mit Wagner begannen 2018 in der schwer vom Bürgerkrieg gebeutelten Zentralafrikanischen Republik (ZAR), um dort die Regierung zu stützen. In Mali ist Wagner seit Ende 2021 präsent. Victoria Nuland kommentierte dazu, dass die neue Militärregierung „einige sehr schlechte Entscheidungen getroffen hat, indem sie die Wagner-Kräfte einlud, Teil ihres Sicherheitsmixes zu sein“. Auch die Führung in Burkina Faso entschied sich wenige Monate nach dem letzten Staatsstreich, die Wagner-Gruppe als Unterstützung hinzuzuziehen.

Ausblick

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Lage in Afrika entwickelt und ob die USA tatsächlich, wie einige Experten annehmen, Frankreich in Françafrique ablösen werden. Ebenso ist unklar, ob Frankreichs Einflussverlust nur temporär oder dauerhaft sein wird – oder sich womöglich noch vergrößert. Adeline Masquelier betont, dass antifranzösische Gefühle in einer von Gewalt und Ausbeutung geprägten Kolonialgeschichte wurzeln, die tiefe Wunden hinterlassen habe.

Gabun hat nach dem Putsch im August 2023 die Verbindungen zu Frankreich bislang nicht gekappt. Es ist auch nicht bekannt, ob dortige Putschisten eine US-Ausbildung erhalten haben. Kandidat für einen nächsten Umsturz könnte laut Escobar Kamerun sein, wo der fast 91-jährige Paul Biya seit 1982 an der Macht ist. Fakt ist, dass für Frankreich seine bis heute existierende Sonderstellung in den alten Kolonien von essenzieller Bedeutung ist und ihr Verlust das Land wirtschaftlich und politisch massiv schwächen wird. Dies räumte einst auch der ehemalige französische Präsident Jacques Chirac ein, als er sagte, dass „Frankreich ohne Afrika in den Rang einer drittenklassigen Macht“ abrutschen würde.

Zu beobachten bleibt auch Mauretanien, das aktuell das einzig verbliebene stabile Land des Sahara-Sahel-Gürtels zwischen Rotem Meer und Atlantik ist. Im Tschad regiert seit 2021 ein Militärrat, dessen Vorsitzender Mahamat Déby, Sohn des 2021 verstorbenen Präsidenten, ebenfalls US-Verbindungen besitzt. Und im Sudan eskalierte dieses Jahr ein lang schwelender Konflikt innerhalb des Sicherheitsapparats. Sicher ist, dass eine Ausweitung der Militarisierung Afrika keinen Frieden bringen wird. Die US-amerikanische Politikanalystin und Afrikaexpertin Sarah Harrison sagte dazu:

„In vielen instabilen Ländern, in denen sich die USA auf die Terrorismusbekämpfung konzentrieren, leidet die lokale Bevölkerung in Wirklichkeit unter einem Mangel an Ressourcen. (...) Es ist ein Klischee, bei der Konfliktverhütung und -minderung von den ‚Grundursachen‘ zu sprechen, aber genau darauf läuft es hinaus. Was die Menschen brauchen, ist eine starke Wirtschaft, Gesundheitsfürsorge, Bildung und Infrastruktur, was wiederum von Ressourcen abhängt. Mehr militärische Ausbildung und Waffentransfers werden diese Probleme nicht lösen.“

Über den Autor: Paul Soldan, Jahrgang 1988, war nach seiner Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen bis zum Jahr 2017 für verschiedene Finanzdienstleistungs-unternehmen in Hamburg tätig. Von 2018 bis 2021 arbeitete er am Volkstheater Rostock, unter anderem als Regieassistent. Seit 2022 ist er als freier Autor und Onlineredakteur tätig und lebte zuletzt mehrere Monate in Afrika. Im Januar 2024 erschien sein literarisches Erstlingswerk "SHEIKHI - Ein afrikanisches Märchen" im Anderwelt Verlag.

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