Halle/Saale, 24. Januar 2022 | Bild: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Proteste weiten sich aus: 370.000 am Montag auf der Straße, erste Bürgerdialoge

Über 1.600 Demonstrationen deutschlandweit allein am Montag, 24 Prozent mehr Teilnehmer als in der Vorwoche – die Protestwelle lässt sich offenbar nicht politisch aussitzen. Multipolar hat in weiteren Städten nachgefragt, ob nun Bürgerdialoge geplant sind und stellt die Ergebnisse vor. Außerdem: Werden die Demonstranten in ein falsches Licht gerückt? (mit Update zu den Zahlen)

PAUL SOLDAN, 26. Januar 2022, 1 Kommentar, PDF

Die Montagsdemonstrationen am 24. Januar

Am Montag haben erneut Hunderttausende gegen die Corona-Politik demonstriert. Zu den größten Protesten kam es laut offiziellen Angaben in Pforzheim (5.500 Teilnehmer), Nürnberg (4.400 Teilnehmer), Gera (3.100), Augsburg und Kempten (jeweils 2.500), Halle (2.400), Bamberg, (2.200), Schwerin, Lübeck und Bautzen (jeweils 2.000) – wo Vize-Landrat Udo Witschas am Montagabend erklärte, dass der Landkreis keine Betretungsverbote und Bußgelder gegen ungeimpfte Pflegekräfte und medizinisches Personal verhängen wird –, Neubrandenburg, Saalfeld, Altenburg und Bitterfeld (jeweils 1.700) sowie in Bayreuth, Wittenberg und Landshut (jeweils 1.500 Teilnehmer).

Bautzen, 24. Januar 2022 | Bild: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert

Die Angaben der Teilnehmerzahlen sind teils strittig. So gibt der Bayreuther Versammlungsleiter auf Nachfrage an, dass nach seiner Schätzung etwa 2.000 Menschen vor Ort waren und das Team Menschenrechte Nürnberg spricht, gemäß Zählungen und Schätzungen von Demoteilnehmern, von 9.000 Teilnehmern.

In Magdeburg hat die Polizei einen unangemeldeten Spaziergang mit 1.300 Teilnehmern aufgelöst, wobei es teilweise zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Beamten und den Demonstranten gekommen ist. Auch in Cottbus wurde eine nicht angemeldete Demonstration mit rund 1.200 Teilnehmern von der Polizei aufgelöst, da sich auch nach mehrfacher Aufforderung kein Versammlungsleiter gemeldet sowie der überwiegende Anteil der Personen sich nicht an einzuhaltende Abstände und das Tragen einer Maske gehalten habe.

In Rostock wurde die Versammlung noch vor der Eröffnung für beendet erklärt. Die Versammlungsbehörde hatte erst sehr kurzfristig, etwa zwei Stunden vor Versammlungsbeginn, die Auflagen für die angemeldete Demo mitgeteilt. Da die angemeldete Versammlungsfläche nicht genehmigt und der Protest stattdessen auf eine Fläche verlegt werden sollte, auf der ein Mund-Nasen-Schutz erforderlich gewesen wäre, lehnte der Versammlungsleiter diese Änderung ab und erklärte die Versammlung noch vor Eröffnung für beendet. Im weiteren Verlauf des Abends zogen laut MV-Innenministerium insgesamt 2.000 Menschen in größeren Gruppen durch die Rostocker Innenstadt. Die Polizei war wie in der Woche zuvor mit einem Großaufgebot von 800 Einsatzkräften präsent.

Rostock, 24. Januar 2022 | Bild: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Thomas Häntzschel

Die Gesamtzahlen

Multipolar hat die offiziellen Gesamtzahlen der Bundesländer erneut bei den Innenministerien und Polizeidirektionen der Länder abgefragt, soweit sie nicht bereits in der Presse veröffentlicht wurden. Demzufolge demonstrierten am Montag in:

  • Baden-Württemberg (68.800 bei 310 Demos)
  • Bayern (67.000 bei 150 Demos)
  • Sachsen (52.900 bei 176 Demos)
  • Nordrhein-Westfalen (37.000 bei 193 Demos)
  • Thüringen (26.500 bei 77 Demos)
  • Brandenburg (24.500 bei 86 Demos)
  • Hessen (19.000 bei 139 Demos)
  • Sachsen-Anhalt (19.000 bei 61 Demos)
  • Niedersachsen (14.500 bei 170 Demos)
  • Mecklenburg-Vorpommern (13.100 bei 32 Demos)
  • Rheinland-Pfalz (9.800 bei 101 Demos)
  • Schleswig-Holstein (9.200 bei 78 Demos)
  • Berlin (7.000 bei 37 Demos)
  • Saarland (1.200 bei 10 Demos)
  • Hamburg (850 bei 11 Demos)
  • Bremen (300 bei 1 Demo)

Damit nahmen am 24. Januar bundesweit mehr als 370.000 Menschen an 1.632 Demonstrationen teil – ein Zuwachs von 24 Prozent zur Vorwoche.

(Ergänzung 26.01.: Die zunächst noch ausstehenden Zahlen für Nordrhein-Westfalen wurden nach Veröffentlichung des Artikels ergänzt, die Gesamtsumme und die Überschrift entsprechend angepasst.)

Bezogen auf die Einwohnerzahl ist der Protest erneut in Sachsen und Thüringen am stärksten, wo am Montag jeweils rund 1,3 Prozent der Bevölkerung demonstrierten. Den stärksten Zuwachs im Vergleich zur Vorwoche gab es in Nordrhein-Westfalen (von 16.000 auf 37.000), Sachsen (von fast 40.000 auf 53.000), in Bayern (von 56.000 auf 67.000) und in Baden-Württemberg (von 61.000 auf fast 69.000). Die vereinzelt, meist in größeren Städten auftretenden Gegendemonstrationen sind in den meisten Bundesländern (dort, wo ihre Zahl durch die Polizei separat ausgewiesen wird), bereits herausgerechnet.

Tod eines Demonstranten

In Wandlitz in Brandenburg kam es am Montagabend zum Tod eines 53-jährigen Demonstranten. Nach Angaben der Polizei war der Mann nur wenige Minuten vor seinem Zusammenbruch in einen Polizeieinsatz verwickelt gewesen, nachdem er versucht haben soll, eine Polizeikette zu durchbrechen. Daraufhin seien seine Personalien aufgenommen worden. Handgreiflichkeiten habe es nicht gegeben, so die Polizei. Nachdem der 53-jährige dann von einem Polizisten zu seinem Auto begleitet wurde, sei er plötzlich zusammengebrochen und anschließend im Krankenhaus gestorben.

Dies ist innerhalb weniger Monate der zweite Todesfall im Zusammenhang mit einer Polizeimaßnahme bei Corona-Protesten. Am 1. August vergangenen Jahres war ein 49-jähriger Mann während einer polizeilichen Maßnahme kollabiert und daraufhin im Krankenhaus gestorben.

Die Polizei zwischen den Stühlen

Wird die Polizei zwischen der teils strikten Umsetzungspflicht der Versammlungsauflagen und dem stetig weiter anwachsenden Bürgerprotest aufgerieben? Mittlerweile stehen sich jede Woche buchstäblich Extreme gegenüber. Auf der einen Seite können friedliche Großdemonstrationen, wie unter anderem in Saarbrücken und Nürnberg – Multipolar berichtete – ohne besondere Vorkommnisse durchgeführt werden. Auf der anderen Seite jedoch nimmt ein rigoroses Einschreiten der Polizeikräfte zu. Unter anderem geschehen am 26. Dezember letzten Jahres in Schweinfurt, wo das Pfefferspray der Einsatzkräfte ein vierjähriges Kind getroffen hatte, oder in Magdeburg, wo nach der Montagsdemonstration vom 10. Januar gegen einen Beamten ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet wurde, oder vergangenen Montag in Rostock, wo es zur Eskalation und zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei gekommen ist.

Laut einem Bericht auf Reitschuster.de soll es jedoch innerhalb der Rostocker Polizei einen Tag vor der Montagsdemonstration vom 17. Januar zu einem Konflikt gekommen sein, da sich „Teile der Polizei geweigert hätten, das von der Polizeiführung geforderte Vorgehen durchzusetzen. Eine Konfrontation der Polizei mit den Demonstranten sei intendiert gewesen. Da sich die Unterführer der Polizei Rostock geweigert hätten, gewaltsam gegen die Spaziergänger vorzugehen, wären diese nicht zu der Besprechung zugelassen worden“, so der Bericht. Es ist nicht auszuschließen, dass solche internen Konflikte auch in den Polizeidirektionen anderer Städte ausgetragen werden.

In diesem Zusammenhang bietet Multipolar Polizisten, die sich kritisch zu diesem Thema äußern möchten, an, sich an die Redaktion zu wenden. Vertraulichkeit wird garantiert. Eine Kontaktadresse findet sich am Ende des Artikels.

Weitere Bürgerdialoge – Sachsens Bürgermeister gehen voran

Waren die Bürgerdialoge in Neubrandenburg und Mülheim eine Initialzündung? In den sächsischen Städten Freital und Rodewisch haben die Bürgermeister nun aktiv das Gespräch zu den Demonstranten gesucht beziehungsweise zu einem ersten Bürgerdialog eingeladen. Multipolar hat erneut bei den Bürgermeistern weiterer Städte als auch bei Teilen der politischen Opposition in diesen Städten dazu nachgefragt.

Freital

Im südwestlich von Dresden gelegenen Freital hat am Montag Oberbürgermeister Uwe Rumberg (parteilos, vormals CDU) vor dem Rathaus zu den Demonstranten gesprochen und alle interessierten Bürger zu einem Bürgerdialog am 8. Februar eingeladen, der jedoch vorerst in einem geschützten, nichtöffentlichen Rahmen stattfinden soll (Video der Rede). Mit großer Sorge beobachte er die aktuellen Entwicklungen, so der Bürgermeister. Der Ton werde schärfer, die Spaltung der Gesellschaft tiefer und die Nerven lägen überall blank. Zu seinen Aufgaben als Bürgermeister gehöre, „ein friedliches Zusammenleben in Freiheit in unserer Stadt zu ermöglichen“. In einer freiheitlichen Gesellschaft dürfe niemand ausgegrenzt werden. Er respektiere die, die sich impfen, genauso wie die, die sich nicht impfen ließen, egal ob jemand für oder gegen die Maßnahmen sei. Jede friedliche Aktion auf Basis des Grundgesetzes sei legitim. „Beginnen wir den Dialog!“, so Rumberg.

Auf Nachfrage, ob dieser Bürgerdialog in Zukunft regelmäßig stattfinden soll, erhielt Multipolar die Rückmeldung, dass dieser erste Dialog zunächst als Auftakt vorgesehen sei. Weitere Termine seien möglich – jedoch wolle die Stadt erst die Ergebnisse des ersten Dialogs abwarten, so ein Sprecher.

Rodewisch

In der Kleinstadt Rodewisch im sächsischen Vogtland ist die Bürgermeisterin Kerstin Schöniger (CDU) aktiv auf „Spaziergänger“ zugegangen, um in den Dialog mit ihnen zu treten. Etwa 400 Personen hatten sich am 16. Januar in der Stadt getroffen und sich daraufhin auf den Weg zum Rathaus begeben. Die Bürgermeisterin erklärte:

„Circa ein Viertel der Spaziergänger stellten vor dem Rathaus Kerzen (mehrheitlich Teelichter, weniger Grabkerzen) auf. In den Briefkasten des Rathauses wurden 8 Kopien von Berufsabschlüssen (2x Krankenschwester, 2x Physiotherapeutin, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin, Altenpflegerin, Koch, Arzt) eingeworfen. Ein Sprecher bzw. eine Sprecherin trat nicht vor, insofern habe ich den Dialog gesucht, was mir bei circa 10 Personen gelang. Eine Teilnehmerin kam aktiv auf mich zu und bat mich, ihren Unmut darüber, dass es für einen bestimmten Personenkreis eine Impfpflicht gibt, an die Landesregierung weiterzutragen. Zwei Teilnehmerinnen aus Reichenbach beziehungsweise Mylau wollten mit der Teilnahme am Spaziergang ihren Unmut über die verschiedenen Regelungen im Einzelhandel sowie ebenfalls über die Impflicht in medizinischen Berufen kundtun.“

So ein Auszug aus Schönigers Stellungnahme, die sie Multipolar auf Nachfrage zukommen ließ. Ihr Fazit: Es sei eine sehr friedliche Aktion gewesen, antidemokratische Äußerungen und Zeichen habe es nicht gegeben. Sehr gerne hätte sie mehr Gespräche geführt. Die schweigenden Teilnehmer seien jedoch in der übergroßen Mehrheit gewesen.
Auf die Frage, ob sich am 23. Januar ein erneuter Dialog mit den Demonstranten ergeben habe, erklärte Schöniger, dass sich an diesem Abend keine „Spaziergänger“ vor dem Rathaus eingefunden hätten.

Fulda

In Fulda hat Multipolar bei verschiedenen oppositionellen Stadtfraktionen (SPD, Die Grünen, Die Linke, AfD) nachgefragt, ob die Demonstranten ihre Forderung nach einem Runden Tisch auch an sie formuliert hätten oder ob es seitens der Fraktionen geplant sei, aktiv mit den Bürgern in einen Dialog zu treten.

Pierre Lamely, Vorsitzender der AfD in Fulda, hatte zum 17. Januar die „Fuldaer Spaziergänger Sprechstunde“ eingerichtet, die auch „gut angenommen“ worden sei, so der Lokalpolitiker. „Wir nehmen die Spaziergänger sehr ernst. Dabei ist es uns wichtig nicht einfach über, sondern mit den Spaziergängern zu sprechen“, so Lamely.

„Soweit das Wort ‚extrem‘ in Zusammenhang mit den Spaziergänger benutzt wird, so kann ich nur bestätigen, dass sie ‚extrem‘ verunsichert sind, wohin die Maßnahmen der Administration unser Land gebracht haben und noch bringen werden. Dabei ist unerheblich ob man ‚Pro‘ oder ‚Contra‘ Impfung ist, denn die vielen Herausforderungen an allen Ecken wie Energiepreisexplosion, wirtschaftliche Eintrübung, ausbleibende Kunden und Besucher in Einzelhandel, Hotels und Gastronomie, die Sorgen, die man in unserem Land als Bürger haben kann, wachsen stetig. Genauso stetig, wie die Auflagen hinsichtlich der Corona-Maßnahmen, die über die vergangenen zwei Jahre nur zahlreicher wurden, die Situation aber immer noch nicht unter Kontrolle scheint. Die Konsequenz zeigt sich in den Spaziergängen: Es ist die Folge eines Vertrauensverlustes in die Maßnahmen der Administration, eine Folge nicht eingehaltener Versprechen sowie unlogischer Maßnahmen (zum Beispiel Genesenenstatus in Deutschland 3 Monate, in Österreich 6 Monate, in der Schweiz 12 Monate).“

Am 24. Januar habe diese Sprechstunde ein weiteres Mal stattgefunden, so Lamely zu Multipolar. Von den weiteren angefragten Stadtfraktionen erhielt Multipolar bislang keine Rückmeldung.

Osnabrück

In einem offenen Brief hatten sich am 14. Januar 52 Unterzeichnende mit der Forderung nach einem Runden Tisch an die Osnabrücker Oberbürgermeisterin gewandt, Multipolar berichtete. Die Bürgermeisterin hatte es jedoch abgelehnt, den Vorschlag umzusetzen, da die Beteiligten keine eigenen Entscheidungs- und Handlungsspielräume hätten.

In einem offenen Antwortbrief vom 20. Januar haben die Unterzeichnenden ihre Forderung nun erneuert. Sie widersprechen der Aussage der Bürgermeisterin, dass ein Runder Tisch nur dann sinnvoll sei, wenn alle Beteiligten über Entscheidungs- und Handlungsspielräume verfügten:

„In der Stadt Osnabrück gibt es eine Vielzahl von Beiräten, die keine Entscheidungsbefugnis haben, aber dennoch wertvolle Beiträge zur Meinungs- und Entscheidungsfindung leisten und in ihrer breiten Zusammensetzung die Stadtgesellschaft nicht nur repräsentieren, sondern allein durch ihr Vorhandensein und den gegenseitigen Austausch atmosphärisch das demokratische Miteinander begünstigen.“

Weiter heißt es, dass der erste Brief zunächst anregen sollte, ein Forum der Begegnung, der Verständigung und des Ausgleichs einzurichten. Zudem solle die Bürgermeisterin in ihrem Amt als „Erste Person unserer Friedensstadt zur Befriedung der Debatte einladen und beitragen“, so die Unterzeichnenden.

Auf Nachfrage, ob es durch den Antwortbrief zu einem Umdenken bei der Bürgermeisterin gekommen sei und sie der Forderung nach einem Runden Tisch nachkommen werde, erklärte ein Sprecher, dass man darüber informieren würde, wenn es neue Entwicklungen gäbe.

Cottbus

Aus Cottbus heißt es, dass die Forderung nach Bürgerdialogen für die Stadt weder neu noch überraschend sei, diese jedoch nicht auf den Versammlungen und Demos der zurückliegenden Tage und Wochen erhoben worden sei. Die generell vorhandenen Dialogformate seien unter der Einschränkung der Pandemie sowie der Eindämmungsverordnung des Landes Brandenburg derzeit kaum umsetzbar, so ein Sprecher. Mit einem neu eingeführten Format beleuchte der Bürgermeister mit verschiedenen Gesprächspartnern kommunale Themen, darunter auch die Corona-Thematik. „In allen Formaten ist auf kommunaler Ebene jedoch die Dialogführung schwierig, wenn es sich um bundes- und landespolitischen Themen bzw. Zuständigkeiten handelt. Der Stadtverordnetenversammlung am 26.01.2022 liegt ein Antrag vor, gemeinsam nach geeigneten und umsetzbaren Formaten für Bürgergespräche zu suchen“, so die Pressestelle der Stadt Cottbus.

Magdeburg

Die Pressestelle der Stadt Magdeburg erklärte auf Nachfrage, dass über Formate regelmäßig stattfindender Bürgerrunden „nachgedacht“ würde, aber noch keine Entscheidung dazu getroffen worden sei.

Auch in Magdeburg hat Multipolar bei den Oppositionsfraktionen (CDU, Die Linke, GRÜNE/future!, AfD) zu möglichen Bürgerdialogen nachgefragt. Laut Tilo Bremer, Fraktionsassistent der GRÜNE/future!, seien der Fraktion keine Anfragen seitens der Demonstrierenden, der Ärzteschaft, des Oberbürgermeisters oder der Stadtverwaltung bekannt. „Auf Fraktionsseite ist in der Hinsicht zur Zeit nichts geplant. Aus der Partei ist uns auch nichts weiteres bekannt.“, so Bremer. Von den weiteren angefragten Stadtfraktionen erhielt Multipolar bislang keine Rückmeldung.

Kiel

Aus Kiel heißt es auf Nachfrage dazu, dass zurzeit donnerstags eine größere Demonstration für den Zusammenhalt der Gesellschaft stattfinden würde, an der auch, aber nicht nur, Menschen teilnehmen würden, die gegen staatliche Corona-Maßnahmen sind. Aus diesen Demonstrationen sei bislang keine öffentliche Forderung nach einem rein auf die Corona-Maßnahmen bezogenen Bürgerdialog hervorgegangen und derzeit auch nicht geplant.

Offenbach

Aus Offenbach erhielt Multipolar die Rückmeldung, dass Forderungen nach einem institutionellen Bürgerdialog bisher nicht von Bürgern an den Magistrat der Stadt gerichtet worden seien. Auch sei ein solches Format aktuell nicht geplant. Die Demonstration am 22. Januar sei die erste dieser Art in Offenbach und nicht von Offenbachern angemeldet worden, sondern von einem regionalen oder gar überregionalen Netzwerk, dass dieselben Protestzüge bereits in anderen Städten organisiere und keinen direkten Bezug zu Offenbach habe. Dementsprechend hätten auch sehr viele Auswärtige, also Nicht-Offenbacher, daran teilgenommen. Ein wie auch immer formuliertes Anliegen an die Offenbacher Politik habe es nicht gegeben, so ein Sprecher.

Frankfurt am Main und Koblenz

Aus den Städten Frankfurt am Main und Koblenz erhielt Multipolar keine Rückmeldung.

Anhang 1: Das Protestgeschehen vom 18. bis 23. Januar

Auch außerhalb der Montagsdemonstrationen haben in der vergangenen Woche abermals Tausende Menschen gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert. Wie schon oft kam es zu den größten Protesten dabei am Samstag in Düsseldorf, Hamburg, Freiburg und Chemnitz sowie am Sonntag in Saarbrücken.

Düsseldorf: Laut Polizeiangaben liefen am Samstag rund 7.500 Teilnehmer, 500 mehr als in der Woche zuvor, durch die Innenstadt. Die Demonstration sei insgesamt friedlich verlaufen, so die Polizei.

Hamburg: Der Polizei zufolge gingen insgesamt 6.100 Menschen bei mehreren Versammlungen auf die Straße. Die größte der Demos, der sich etwa 3.300 Teilnehmer anschlossen, stand unter dem Motto: „Gegen Ausgrenzung, Spaltung und Zwang“. Auf Schildern und Plakaten stand unter anderem "Nein zur Impfpflicht" oder "Mein Risiko – mein Körper – meine Entscheidung". Ein Videomitschnitt, aufgenommen rund um den Bahnhof Mundsburg, gibt einen Eindruck.

Freiburg: Hier nahmen laut Polizei rund 5.500 „Corona-Maßnahmen-Kritiker“ an einem fast drei Kilometer langen Aufzug teil. Zu einer Gegenveranstaltung kamen 2.000 Menschen. Bei einem zwischenzeitlichen Aufeinandertreffen der beiden Versammlungen sei es zu verbalen Auseinandersetzungen gekommen. Trotzdem sei es ein friedlicher und weitgehend störungsfreier Einsatzverlauf gewesen, so die Polizei. Ein Reporter der Badischen Zeitung war vor Ort und sprach mit beiden Seiten (Video).

Chemnitz: Hier liefen zeitweise mehr als 5.000 Demonstranten gegen die Corona-Politik durch die Innenstadt. „Die Versammlung ist vor Ort angezeigt worden und ohne Störungen verlaufen“, so ein Polizeisprecher. (Video).

Saarbrücken: Wie in den Wochen zuvor, wurde hier am Sonntag demonstriert. Laut Polizei nahmen etwa 5.000 Bürger, zum Großteil aus dem bürgerlichen Spektrum, an der Versammlung teil. Unter ihnen befanden sich auch Trommler-Gruppen, die „entsprechende Stimmung verbreiteten“, so die Polizei. Dass die Stimmung erneut „Spitzenklasse“ war, bestätigt auf Nachfrage auch die Veranstalterin Saskia Varga. Es war „laut, aber absolut harmonisch“, so Varga. Das Orga-Team schätzte die Teilnehmerzahl auf 10.000.

Frankfurt am Main: Hier befanden sich laut dem Deutschlandfunk 4.500 Menschen auf der Straße.

Stuttgart: Zur Teilnehmerzahl machte die Polizei in ihrem Bericht keine Angaben. Auf Nachfrage von Multipolar erklärte das Stuttgarter Polizeipräsidium, dass seit längerer Zeit keine Teilnehmerzahlen mehr herausgegeben würden. Ein Videomitschnitt gibt einen Eindruck über die Größe des Demozugs. Während des Aufzugs kam es zu einer Zwischenkundgebung vor dem Funkhaus des SWR, wo die Art der Berichterstattung kritisiert wurde.

Augsburg: Hier gingen laut offiziellen Angaben rund 3.000 Menschen gegen eine mögliche Impfpflicht auf die Straße. V-Partei-Stadtrat Roland Wegner sagte, er sei bei einer selbst durchgeführten Zählung auf 7.500 gekommen, so die Augsburger Allgemeine (Video).

Ansbach: Unter dem Motto „Ansbach läuft laut – für Menschenrechte, Freiheit und Selbstbestimmung" fand hier eine Versammlung gegen die Corona-Politik mit 2.500 Menschen statt. In Regensburg waren es 2.300, in Osnabrück 1.750 und in Erfurt 1.500.

Wie jeden Mittwoch wurde auch in Wolgast wieder demonstriert. Polizeiangaben zufolge nahmen an der Versammlung mit dem Motto "Corona und die Auswirkungen auf die Landwirtschaft!" bis zu 2.500 Personen teil. Zudem seien an dem Abend zehn Traktoren beteiligt gewesen, die während des Aufzugs an der Spitze im Verband fuhren, so die Polizei. Die Zahlen über die Teilnehmer gehen hier erneut auseinander. Laut Angaben eines Mitveranstalters haben an der Demonstration 4.800 Protestierende teilgenommen, so der Nordkurier (Video).

Dresden: Im Stadtzentrum war die Polizei am Mittwoch erneut mit einem Großaufgebot von fast 800 Einsatzkräften präsent. Im Verlauf des Tages hätten sich mehrere potenzielle Protestgruppen an unterschiedlichen Orten zusammengefunden, die jedoch von der Polizei, unter anderem mittels Platzverweisen, aufgelöst wurden, so ein Bericht der Polizei Sachsen. Im Vorfeld hatte die Stadt für Samstag ein „stadtweites Verbot von Versammlungen des maßnahmenkritischen Klientels“ verhängt, sofern die Versammlung nicht bis Freitagmittag angezeigt und durch die Versammlungsbehörde bestätigt wurden. Insgesamt 98 Versammlungsanzeigen seien bei der Versammlungsbehörde eingegangen, jedoch habe keine davon eine behördliche Bestätigung erhalten. Der Stadt zufolge sei demnach davon auszugehen gewesen, dass es im Zusammenhang mit einem zentralen Spaziergang des „maßnahmenkritischen Klientels“ in Dresden zu massiven Verstößen gegen die Corona-Schutz-Vorschriften oder Strafnormen kommen würde.

Anhang 2: Werden die Demonstranten in ein falsches Licht gerückt?

Zurzeit nehmen Medienberichte zu, wonach die Demonstranten sich radikalisieren und teils verfassungsfeindlichen Gruppierungen nahestehen würden. So sieht Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, unter den Demonstranten eine „neue Szene von Staatsfeinden“, die sich nicht den bisherigen Kategorien wie Rechts- oder Linksextremismus zuordnen ließen. Sie verbinde keine ideologische Klammer, sondern „die Verachtung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Repräsentanten“, so Haldenwang. Gleichzeitig betonte er, dass der „überwiegende Teil der Demonstranten“ normale Bürger ohne Extremismusbezug seien.

Dennoch wird in der Berichterstattung der Schwerpunkt auf jene gelegt, die dem Staat feindlich gegenüber stehen. Auch die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns Manuela Schwesig (SPD) hatte zum Jahreswechsel in Bezug auf die Demonstranten geäußert, dass es eine sich radikalisierende Gruppe geben würde, die dem Staat faschistisches Handeln unterstelle, sich aber „selbst solcher Methoden“ bediene. Christian Pegel (SPD), Innenminister von MV, hielt dagegen die Kritik an der Corona-Politik für legitim. Die meisten Demonstranten seien „fest in der Demokratie verankert“, so Pegel.

Der Niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) sprach im Zusammenhang mit den Demos von „Corona-Leugnern, selbst ernannten Querdenkern und sonstigen Kritikern der Corona-Maßnahmen“. Er kündigte an, dass die Polizei weiterhin das Versammlungsrecht und seine Regeln durchsetzen und Versammlungen, wenn nötig, in letzter Konsequenz auch auflösen werde. Nach Einschätzung von Barbara Havliza (CDU), Justizministerin von Niedersachsen, gehe es bei den Corona-Demos nur noch am Rande um die Pandemie: „Viele der Teilnehmer sind letztlich gegen alles, was der Staat ihnen vorschreibt, und dagegen wenden sie sich“. Bei den Demonstrationen beobachte sie „eine bedenkliche Form von Demokratie- und Staatsverdrossenheit“. Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien sehr hohe Güter der Verfassung, aber „wenn dabei Grenzen überschritten werden, müssen wir klare Kante zeigen“, so die Justizministerin. Niedersachsens Staatsanwaltschaften wurden daher aufgefordert, „in geeigneten Fällen“ beschleunigte Verfahren anzuwenden. „Die Betroffenen sollen spüren, dass ihr Verhalten unmittelbare Konsequenzen hat. Das hätte dann durchaus Signalcharakter“, so Havliza.

Kommentar: Schon allein die Wortwahl „Corona-Leugner“, wie Pistorius die Demonstranten bezeichnete, suggeriert, dass die Menschen einem gefährlichen bis kriminellen Lager angehören würden. Dies wird durch die Äußerungen von Justizministerin Havliza noch unterstützt, indem der Fokus auf eine unbelegte Zunahme von Kriminalität bei den Protesten gelegt wird, wodurch die Teilnehmer in einen kriminellen Kontext gesetzt werden.

Der Fuldaer Bundestagsabgeordnete Michael Brand (CDU) appellierte jüngst an „jede und jeden, die überlegen, dort mitzugehen, sich bitte nicht vor diesen falschen Karren spannen zu lassen“. „Diese Demonstrationen in zahlreichen Städten werden gezielt auch von Extremisten, Querdenkern und Provokateuren organisiert. Niemand kann sich hier aus der Verantwortung nehmen, wem er hinterherläuft. Jeder trägt für sich und unser Gemeinwesen insgesamt die Verantwortung.“ Weiter äußerte er: „Aber wir dürfen, als schweigende Mehrheit, die Straßen und Plätze in Deutschland nicht zunehmend Querdenkern oder gewaltbereiten Extremisten überlassen.“

Kommentar: Durch diese Aussagen wird der Eindruck erweckt, dass eine Minderheit der Maßnahmen-Kritiker sich einer Mehrheit gewaltbereiter Provokateure angeschlossen habe.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt erklärte dazu, dass es vielen Menschen inzwischen um weitaus mehr als um Maskenpflicht oder Abstandsgebote ginge: „Sie sehen ihre Grundrechte und die Demokratie insgesamt in Gefahr und gehen deshalb auf die Straße“.

Alexander Straßner, Politikwissenschaftler an der Uni Regensburg, erläuterte in einem BR-Interview über die Demonstranten, dass es mittlerweile ein „ziemlich buntes Potpourri an Menschen“ sei, die dort mitlaufen würden. „Selbstverständlich gibt es immer die Versuche rechtsextremer Akteure, gesellschaftlich anschlussfähig zu werden. Nur sind nicht alle Menschen derartig gepolt. Ganz im Gegenteil. Es sind viele Menschen dabei, die aufgrund der Coronamaßnahmen Familienbetriebe zu verlieren drohen, es sind viele Menschen dabei, die sich Sorgen machen, die unsicher sind angesichts der Tatsache, dass die Impfung ihrer Kinder ansteht. Und insofern kann man diese Gruppierung auf gar keinen Fall über einen Kamm scheren", so Straßner.

Auch Uwe Schüler (CDU), Innenstaatssekretär von Brandenburg, hat der Ansicht widersprochen, bei den Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen handele es sich überwiegend um Extremisten. „Das bürgerliche Spektrum geht momentan auf die Straße“, stellte er am 5. Januar im Innenausschuss des Landtages klar.

Ethikratsmitglied Steffen Augsberg betonte jüngst, dass die Bedenken der Bürger bezüglich einer Corona-Impfpflicht ernst genommen werden müssten. „Ich erhalte aber immer wieder Nachrichten von Menschen, die sich vor allem sorgen. Das sind keine unzurechnungsfähigen Irren, sondern ernst zu nehmende Bürger, die nicht wissen, wohin mit ihren Bedenken. Für sie müssen wir mehr Raum schaffen und sie auch politisch abbilden.“

Von einem Teilnehmer der Wolgaster Versammlungen erhielt Multipolar eine Zuschrift, in der er seine persönlichen Eindrücke schildert:

„Am Wolgaster Demonstrationsgeschehen habe ich 4 mal in den letzten 5 Wochen teilgenommen. Die Veranstaltung ist seitdem stetig gewachsen und hat sich auch in ihren Organisationsstrukturen professionalisiert. (...) Allgemein ist die Stimmung in der Veranstaltung stets positiv und nicht aggressiv. Ich denke, dass sie vielen Teilnehmern Kraft und Hoffnung gibt. (...) Völlig entgegengesetzt zu den Darstellungen der überwiegenden Zahl der hiesigen Hauptmedien, besteht das Teilnehmerfeld aus der sprichwörtlichen ‚Mitte der Gesellschaft‘. Unter den Menschen, die hauptsächlich aus Wolgast, Anklam und von der Insel Usedom stammen dürften, finden sich Bürger aus dem medizinischen Berufsfeld, die um ihre Arbeitsplätze ab Mitte März fürchten, ebenso wie zahlreiche besorgte Eltern und Großeltern, Handwerker, Musiker, Rentner, Jugendliche usw. (...) Natürlich, aber dies ist bei derartigen Veranstaltungen nie auszuschließen oder zu verhindern, mögen bei tausenden Teilnehmern sich auch einzelne Menschen in der Menge befinden, die politischen Rändern zugeordnet werden könnten. Diese findet jedoch ein Stadionbesucher im Ostseestadion oder in Dortmund, Essen etc. ebenso vor, ohne dass er aufgefordert wird, sich von diesen Gruppen zu distanzieren bzw. als Nazi beschimpft zu werden, nur weil man gemeinsam im Stadion ist. Diese gesamte Diskussion ist in meinen Augen völlig absurd und nur ein, zugegeben kläglicher, Versuch, die Proteste zu deligitimieren.“

In Osnabrück hat ein „Youtuber“ mit den Menschen der verschiedenen Demonstrationen vom 17. Januar gesprochen, um ein eigenes Bild von den Teilnehmern zu erhalten. Ein Video zeigt das Ergebnis.

Anhang 3: Portrait Thomas Polewsky – „Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“

Thomas Polewsky, Initiator des bereits erwähnten offenen Briefes an die Bürgermeisterin seiner Heimatstadt, ist ein unermüdlich engagierter Osnabrücker. Der pensionierte Lehrer, der in seinen vierzig Dienstjahren die Fächer Deutsch, Religion / Werte und Normen, Philosophie und Solzialkunde unterrichtet hat, war bereits in seiner Jugendzeit politisch aktiv und ist es bis heute geblieben. Multipolar hat bei Polewsky nachgefragt und stellt seine persönlichen Hintergründe sowie seine politische Motivation im folgenden Portrait vor.

Aufgewachsen in Osnabrück lebt er bis heute in der Friedensstadt. „Ich bin ein Jahr älter als das Grundgesetz, werde in wenigen Wochen 74“, sagt er über sich. In der Adenauerära wuchs er in einem konservativen Elternhaus auf, jedoch immer mit der Maßgabe, kritisch zu hinterfragen. „Auch im ‚altehrwürdigen‘ Gymnasium Carolinum wurden wir zu kritischem Denken angehalten“, so Polewsky, und „später dann an der Uni war das ‚Querdenken‘ ein Adelsprädikat“. Der Begriff „Querdenker“ sei heute zu einem Diffamierungsbegriff (gemacht) worden, so wie „Gutmensch“ schon vor Jahren, so Polewsky weiter. Sein persönliches Motto habe er von einem verstorbenen Onkel übernommen, was dieser bei fast jedem Besuch gesagt hatte: „Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“.

Der 1. Bericht des Club of Rome („Grenzen des Wachstums“, 1972) habe ihn aufgeweckt, sagt er. Die ökologische Krise sei die große Herausforderung für die Gesellschaft. Dieses Thema hat ihn bis heute nicht losgelassen. „Um auch praktisch-politisch nicht tatenlos zu sein, habe ich im Frühjahr 1978 hier in Osnabrück die Grüne Liste Umweltschutz (GLU) mitgegründet, die zur Landtagswahl im Sommer angetreten ist. Ich wollte praktisch etwas tun und sah die Parlamente als Bühne an, um die notwendigen Inhalte zu transportieren; gleichwohl hatte ich immer meine Vorbehalte gegen Parteipolitik.“. Da ihm die Arbeitsbelastung zu groß wurde, zog er sich 1987 zurück und war 1998, aufgrund der Zustimmung der rot-grünen Bundesregierung zum Kosovokrieg, dem Austritt nahe. Er blieb, jedoch mit Bauchschmerzen. „Als aber der Rostocker Parteitag meinte, es sei richtig, Bomben auf Afghanistan zu werfen, war Schluss.“, so Polewsky. Nichtsdestotrotz sei er weiterhin in der ökologischen Frage und der Klimafrage engagiert geblieben, überwiegend in bürgerschaftlichen Organisationen, wie der Lokalen Agenda, der Osnabrücker Klimaallianz oder als Vertreter im Osnabrücker Klimabeirat.

Zu seinen persönlichen Beweggründen, sich so stark in der Protestbewegung gegen die Corona-Maßnahmen zu engagieren, erklärt er, dass man sich in einer offenen, freien und demokratischen Gesellschaft auch offen, frei und demokratisch um den richtigen Weg bemühen sollte. „Dazu gehört eine umfassende Information und Debatte. Schon zu Anfang der sogenannten Pandemie wurde ich schnell stutzig über die vielen Unplausibilitäten. Auslöser waren wohl die absoluten grafisch präsentierten Zahlen in der Tagesschau – ohne Relation zur Einwohnerzahl des jeweiligen Landes. Ich habe also das gemacht, wofür ich eigentlich meine Zeitungsabos und Rundfunkgebühren zahle: Ich habe recherchiert. Glücklicherweise gibt es informative Nischenmedien und Bücher jenseits des politmedialen Mainstreams.“

Auf die Frage, wie die Reaktionen in seinem persönlichen Umfeld zu seinen Widerstandsaktivitäten aussehen würden, sagt Polewsky, dass sich die Kernfamilie, obwohl verstreut wohnend, einig sei. Jedoch gäbe es in der Nachbarschaft, zum Teil in der Verwandtschaft, vor allem aber unter vielen politischen Weggefährten eine „Schweigestarre“. „Sobald noch einmal zum Thema Corona etwas Informatives nachgeschoben oder nachgefragt wird, bricht die Kommunikation ab. Vorwürfe werden mehr oder weniger deutlich ausgesprochen: Tausende Tote auf dem Gewissen, wenn Du Dich nicht impfen lässt; nach rechts abgedriftet; ein Querdenker oder Neurechter, kein Vorbild zu sein – als ehemaliger Lehrer! – bis hin zu: Schäm dich!“, so Polewsky weiter. „Auffallend und schmerzlich: Es sind überwiegend Menschen, die akademisch gebildet sind, immer politisch kritisch waren, sich womöglich stramm links verorten, und jetzt nur schubladisieren, framen, diffamieren – vor allem aber schweigen.“

„Meine größte Sorge besteht darin, dass unsere freie und offene Gesellschaft nicht nur weiterhin Schaden nimmt, sondern selbst bei einem Umdenken es lange Zeit dauern wird, dass die Schäden behoben und die Verletzungen geheilt würden“, erklärt Polewsky, angesprochen auf seine persönlichen Ziele in der Protestbewegung. „Darum ist es längst überfällig, das diskursive Koma zu überwinden. Darum auch meine Initiative mit dem Offenen Brief an die Oberbürgermeisterin.“ Ihm gehe es um Austausch, Wertschätzung, gutes Streiten, fried- und respektvolles Miteinander und „natürlich um den Erhalt der Grund- und Freiheitsrechte“.

Anmerkung der Redaktion: Multipolar wird weiterhin zu den Corona-Protesten berichten und neben den amtlichen Angaben auch die Stimmen der Organisatoren und Teilnehmer einholen. Unser Autor Paul Soldan ist dazu unter dieser E-Mail-Adresse zu erreichen.

Über den Autor: Paul Soldan, Jahrgang 1988, war nach seiner Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen bis zum Jahr 2017 für verschiedene Finanzdienstleistungsunternehmen in Hamburg tätig. Von 2018 bis 2021 arbeitete er am Volkstheater Rostock, unter anderem als Regieassistent. Seit Anfang 2022 schreibt er regelmäßig für Multipolar über das Demonstrationsgeschehen in Deutschland.

BERNHARD MÜNSTERMANN, 27. Januar 2022, 14:50 UHR

Die beharrlichen Bemühungen um Deeskalation wie eine Versachlichung des angestrebten Dialogs in gegenseitigem Respekt, zu denen zweifellos auch diese Artikelserie von Paul Soldan gezählt werden kann, bleiben offenbar nicht ohne Wirkung. Zunehmend auch Mitarbeiter in öffentlichem Dienst trauen sich, mit abweichender Meinung öffentlich aufzutreten. Der Mehrheitsblock ist eben kein Monolith sondern franst an den Rändern gut erkennbar zunehmend aus. Er ist damit kein zuverlässiger Erfüllungsgehilfe mehr zur Umsetzung schikanöser Maßnahmen gegen das eigene Volk.

Das gilt auch für die Polizeitaktik am 23. Januar in Brüssel. Statt haltlos zu spekulieren hält man auf Seiten der Maßnahmenkritiker sein Pulver trocken, bis handfeste Hinweise, bis Bilder und Videos gründlich gesichtet und ausgewertet sind. Nämlich wie dieser Einsatz geplant war, so dass wegen gewalttätiger Ausschreitungen der Polizeieinsatz gerechtfertigt schien. Es gibt inzwischen eben sympathisierende Polizisten, die wie seinerzeit vor dem Reichstag in Berlin die vorbereiteten Fallen der Polizeitaktik erkennen und in Zusammenhang bringen können. Auch in den USA beim „Sturm“ der Trump-Sympathisanten des Capitols war das schon gelungen, so dass den Propagandisten der Biden Administration dieses Narrativ nicht mehr ohne Skepsis abgekauft wurde.

Dieser um Deeskalation und gegenseitigen Respekt bemühte Stil, wieder über die Gräben hinweg miteinander ins Gespräch zu kommen, wird auch bei der Aufarbeitung dieser geplanten „Pandemie“ unentbehrlich sein. Die Gesellschaft muss am Ende ja wieder einen Modus Vivendi finden, um ihre Zukunft zu gestalten und miteinander zu leben. Allerdings ohne faule Kompromisse zu machen setzt dies voraus, dass man dieses ungeheuerliche Geschehen wirklich bestmöglich aufklärt und die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Die beliebte Formel, dass man jetzt nach vorn schauen und die Vergangenheit ruhen lassen müsse, diese Formel wird den inneren Frieden nicht herstellen können.

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