RKI-Präsident Wieler bei einer Pressekonferenz am 22.10.20 | Bild: Screenshot ZDF

Intransparente Risikobewertung: Multipolar klagt gegen das Robert Koch-Institut

Regierung und Gerichte in Deutschland rechtfertigen die anhaltenden Freiheitsbeschränkungen seit Monaten mit einer „hohen Gefährdung“ der Bevölkerung durch das Coronavirus. Mehrfache Versuche von Multipolar, vom Robert Koch-Institut (RKI) die konkreten Kriterien für diese Einschätzung zu erfahren, blieben erfolglos. Zur Durchsetzung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs wurde daher in dieser Woche Klage gegen die Behörde beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht.

PAUL SCHREYER, 7. November 2020, 16 Kommentare

Hinweis: Dieser Beitrag ist auch als Podcast verfügbar.

Seit März 2020 erklärt das RKI, dass „die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland hoch“ sei. Immer wieder, wenn Bürger in den vergangenen Monaten gegen die Maßnahmen der Regierung vor Gericht zogen, verwiesen Richter auf diese Behauptung und hinterfragten sie nicht. Doch wie kommt das RKI zu seiner Schlussfolgerung? In einem am 17. Juli erstmals veröffentlichten Dokument mit dem Titel „COVID-19: Grundlagen für die Risikoeinschätzung des RKI“ heißt es:

„Die Risikobewertung wird durch den RKI-Krisenstab formuliert und situativ adaptiert.“

Multipolar versucht bereits seit mehreren Monaten in verschiedenen Anfragen zu erfahren: Welche Personen gehören zum RKI-Krisenstab? An welchen Tagen erfolgten die Treffen des Gremiums? Hat sich die Zusammensetzung des Krisenstabs seit Einrichtung geändert? Vor allem: Existieren Sitzungsprotokolle des Krisenstabs? Die RKI-Pressestelle erklärte dazu bislang lediglich:

„Notizen gibt es, Veröffentlichungen dieser Notizen sind nicht vorgesehen. Der Krisenstab besteht aus verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterschiedlicher, in die Pandemiebewältigung involvierter Abteilungen, Fachgebiete und Projektgruppen.“

Die dem Gesundheitsministerium von Jens Spahn nachgeordnete Behörde verweigert somit die konkrete Auskunft darüber, welche Personen die alles entscheidende Risikobewertung vorgenommen haben (und fortlaufend erneuern), auf deren Grundlage das Land in den Ausnahmezustand geschickt wurde, Millionen von Menschen um ihre berufliche Existenz bangen müssen und in nahezu allen Bereichen ihres Lebens massiv eingeschränkt werden. Besonders fragwürdig und kaum glaublich: Zu den Sitzungen des anonymen Krisenstabs scheint es nicht einmal ordentliche Protokolle zu geben, sondern lediglich „Notizen“, deren „Veröffentlichung nicht vorgesehen“ ist.

In unseren Fragen an das RKI heißt es weiter:

„Trotz einer sich seit Anfang März stark verändernden Situation (Fallzahlen, Testgeschehen, Hospitalisierte, Tote) schreibt das RKI in seinen Lageberichten seit dem 9. März bis heute unverändert: 'Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation.' Nach welchem Kriterium wird 'sehr dynamisch' hier bewertet? Konkreter gesagt: Welche Kennziffern müssten wie lauten, damit die Situation aus Sicht des RKI nicht mehr als 'sehr dynamisch' beschrieben wird?

Ergänzung: Falls die 'Fallzahlen' (Anzahl der positiven Tests) die maßgebliche Kennziffer sein sollte, wie kann seitens des RKI sichergestellt werden, dass dieser Wert nicht in erheblichem Maße durch den (gestiegenen) Testumfang, die Falsch-Positiven-Rate sowie die normale saisonale Entwicklung (mehr Atemwegserkrankungen im Herbst) bedingt ist?“

Außerdem fragten wir mit Blick auf den ersten Lockdown im Frühjahr:

„Am 17. März hat das RKI die Risikoeinschätzung auf 'hoch' heraufgesetzt und es heißt in den Lageberichten seither, 'die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung [wird] in Deutschland derzeit insgesamt als hoch' eingeschätzt. Bis zum 16. März war von 'mäßig' die Rede. Die Änderung welcher konkreten Kennziffern bewirkte die Änderung der Risikobewertung am 17. März?“

Auch die Antworten auf diese Fragen stehen bislang aus. Zur Definition der Gefährdungsstufen heißt es im eingangs erwähnten RKI-Papier vom 17. Juli:

„Für die verwendeten Begriffe 'gering', 'mäßig', 'hoch' oder 'sehr hoch' liegen keine quantitativen Werte für Eintrittswahrscheinlichkeit oder Schadensausmaß zugrunde. Allerdings werden die für die Schwerebeurteilung (= Schadensausmaß) genutzten drei Kriterien bzw. Indikatoren (Übertragbarkeit, Schwereprofil und Ressourcenbelastung) mit jeweils messbaren Größen beurteilt.“

Seit mehreren Monaten wollen wir vom RKI nun wissen:

„Welche konkreten Kennziffern ('messbare Größen') bei Übertragbarkeit, Schwereprofil und Ressorcenbelastung ergeben aus Sicht der Behörde eine 'hohe Gefährdung'? Und welche konkreten Kennziffern ('messbare Größen') müssen aus Sicht des RKI erreicht sein, um die Risikobewertung wieder auf 'mäßig' bzw. auf 'niedrig' abzusenken? Sind diese Kennziffern schriftlich festgehalten? Sind sie öffentlich einsehbar?“

Wir haben dem RKI gegenüber deutlich gemacht, dass diese Fragen darauf abzielen, den Eindruck einer etwaigen Willkür bei der Entscheidungsfindung durch größtmögliche Transparenz auszuschließen, eine Beantwortung somit im direkten Interesse der Behörde liegen sollte. Ein Willen zur Transparenz ist bislang jedoch nicht erkennbar. Dies ist besonders relevant vor dem Hintergrund der vom RKI selbst im September 2019 veröffentlichten „Guten Praxis Gesundheitsberichterstattung – Leitlinien und Empfehlungen 2.0“, wo es in Leitlinie 7 (Datenauswertung) heißt:

„Die Auswertung von Daten für die Gesundheitsberichterstattung soll zeitnah unter Verwendung wissenschaftsbasierter Methoden erfolgen. Die den Ergebnissen zugrunde liegenden Rohdaten sind in vollständig reproduzierbarer Form gemäß den Informationsfreiheitsgesetzen aufzubewahren. In diesem Zusammenhang gelten die Leitlinien und Empfehlungen zur Sicherung von Guter Epidemiologischer Praxis und Guter Praxis Sekundärdatenanalyse. Insbesondere gilt dies für die Dokumentationspflicht von Berechnungen komplexer Kennzahlen und Indizes. (…) Empfehlung 7.2: Die Replizierbarkeit der Analysen und Ergebnisse soll gewährleistet werden.“

Dass RKI sollte sich an seinem eigenen Anspruch messen lassen. Im Interesse der Bürger dieses Landes ist zu hoffen, dass ein Gericht rasch und unmissverständlich klarstellt, dass solche grundlegenden Informationen der Öffentlichkeit zugänglich sein müssen.

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Diskussion

16 Kommentare
RONNY, 7. November 2020, 06:00 UHR

Ganz wichtiger Schritt. Wie kann multipolar bei der Klage finanziell unterstützt werden?

RONNY, 9. November 2020, 22:30 UHR

Der Trend im Lockdown geht zu Selbstgesprächen, also warum nicht auf den eigenen Kommentar antworten ;). Ich habe heute Abend das Schauspiel des Busses von Dr. Schiffmann ... per Stream verfolgt, eine wunderbare Episode. Ich frage mich, was passiert, wenn sich ein journalistischer Widerstand, so wie dieser juristische Widerstand etablieren täte, Beschwerden beim Presserat über die vielen bewussten Falschmeldungen am Wochenende, Klage gegen die Falschmeldungen in erheblichem Umfang, das lässt sich nur mit ausreichend finanziellen Mitteln bewerkstelligen, aber viele Hände, schnelles Ende, so heißt es doch.

CHRISTOPH KLEIN, 7. November 2020, 09:10 UHR

Da haben Sie einen interessanten Ansatz gewählt. Meine volle Unterstützung. Hoffentlich wird die Klage nicht wegen irgendwelcher angeblicher formaler Fehler nicht zugelassen.

BERND EBERT, 7. November 2020, 09:45 UHR

Wünsche dem Vorhaben viel Erfolg. Nicht zuletzt wegen genau dieser notwendigen, eigentlich für ehemalige investigative Groß/Qualitätsmedien selbstverständlichen Aktivitäten habe ich mein Soli-Abo hier begründet.

BERNHARD MÜNSTERMANN, 7. November 2020, 13:45 UHR

Diese Klage ist ein gut überlegter Schritt, an welcher Stelle wirkungsvoll der Hebel anzusetzen ist. Auch unter dem Gesichtspunkt, die Verantwortlichen der Entscheidungen im RKI namhaft zu machen für spätere juristische Verfahren. Es zwingt durch verschiedene Ansatzpunkte das Regime dazu, seinen totalitären Charakter zu offenbaren. Allerdings sind erweisliche und solide belegte Fakten schon seit längerem nicht die Grundlage für Meinungsbildung und Entscheidungen gesellschaftlicher Eliten in den einschlägigen Themenbereichen.

Daniel P. Sheehan, ein einschlägig sehr erfahrener Constitutional and public interest lawyer in den USA, schilderte bei seinem Auftritt beim New Yorker Symposium Justice in Focus in seiner Rede vor den in der Cooper Union versammelten US Architekten und Ingenieuren (ae911truth.org) die Hürden, die man für ein rechtliches Verfahren vor US Gerichten erwarten müsse, auf die man sich vorbereiten müsse. Auch die Mehrheit in Deutschland hat sich mit der mit Lügen wie ein Rehrücken nur so gespickten Erweckungspropaganda für den War On Terror seit 20 Jahren häuslich eingerichtet und arrangiert. Das Gutachten von Prof. Leroy Hulsey (University Of Alaska Fairbanks UAF) oder der Artikel der Autoren auch in den Europhysics News in 2009 erreicht wie viele andere Anstrengungen auch zwar eine wachsende Minderheit, wird ohne den großen Durchbruch aber von der Mehrheit auch in Deutschland weiter über Jahre erfolgreich ausgeblendet und verdrängt, weil die Massenmedien darüber nicht berichten. Das bleibt nicht ohne Folgen, wie man sie jetzt bei der aktuell inszenierten Pandemie sehen kann.

Für viele Zeitgenossen ohne Zugang zu juristischem oder akademischem Fachwissen hebt Herr Raphael Bonelli, ein Psychotherapeut aus Wien, in einem seiner vielen Videos ein ebenso deeskalierendes wie niederschwelliges Vorgehen im Alltag in unseren Blick: https://www.youtube.com/watch?v=HQCf1QKhPZQ

BERNHARD MEYER, 7. November 2020, 16:40 UHR

Auf „testen, testen, testen“ folgt nun klagen, klagen, klagen. Gaby Weber hat damit viele Erfolge erzielt. Bitte teilt der Leserschaft mit, was das kostet. Weil ihr das auch in unserem Interesse tut, wollen sich sicher viele beteiligen.

MICHAEL KARI, 7. November 2020, 18:55 UHR

Ich bin immer wieder begeistert mit welch hoher Kompetenz hier gearbeitet wird. Danke und weiter so. Der Multipolarstern lichtet.

KLAUS RIEDLE, 8. November 2020, 09:00 UHR

https://corona-transition.org/kary-mullis-mit-dem-pcr-verfahren-kann-man-alles-finden-in-jedermann

Wie ließe sich ein Prozess gegen die Anwendung der PCR-Tests beginnen?

RALLE, 8. November 2020, 14:10 UHR

Ein mutiger Schritt, allerdings bezweifele ich, dass das zum Erfolg führt, weil
a) Die Coronakrise von der Regierung missbraucht wird um das Grundgesetz auszuhebeln und Deutschland weiter in Richtung totalitärer linker Staat zu lenken.
b) das RKI kein unabhäniges Institut ist, sondendem Gesundheitsministerium untersteht (somit der Regierung)
c) Deutschland kein Rechtsstaat ist, die Staatsanwälte handeln weisungsgebunden.
Trotzdem vie Glück, es muß wenigstens versucht werden. Kann man die Klage mit einer Spende unterstützen?

NORBERT PIECHOTTA, 9. November 2020, 11:10 UHR

Corona ist der Vorwand für Neo-Faschismus und Totalitarismus. Punkt.PRERADOVIC mit Dr. Paul Brandenburg. Zig-mal informativer als die ganzen bisherigen Corona-Brennpunkte und die Lauterbach-Corona-Talk-Shows ... Ein MUSS zur Stärkung des gesunden Menschenverstandes - https://www.youtube.com/watch?v=9J5yRz08r88&feature=emb_logo

THOMAS MATTHÄUS, 9. November 2020, 17:05 UHR

Dieser Schritt findet meine volle Unterstützung. Ich denke, dass im Glauben an die generelle Funktionsweise von Gerichten auf diesem Weg versucht werden sollte, Klarheit zu bekommen. Gerichte und das Agieren der Polizei – siehe die Demonstration in Leipzig vom Wochenende – haben gezeigt, dass es diesen Spielraum noch gibt. Das gibt etwas Hoffnung. Ich selbst klage als Mensch mit Beeinträchtigung gegen den Berliner Senat auf Entschädigung wegen der „Mittelfinger-Kampagne“ und ebenso gegen meine Stammbibliothek, die mich trotz Attest nicht in die Bibliothek gelassen hat.

SIMULANT, 10. November 2020, 09:05 UHR

Ein guter und wichtiger Schritt. Ich hoffe, ihr habt Erfolg.

AKIN HEVENK, 11. November 2020, 10:55 UHR

An die Richterinnnen und Richter in diesem Lande habe ich eine einzige Frage, die sich mir die ganze Zeit aufdrängt: Erweisen Sie sich Ihres Amtes würdig? Nach zwei Diktaturen muss sich jeder Richter und Richterin diese Frage ehrlich stellen. Rückgrat oder Feigheit.

HEINER TETTENBORN, 13. November 2020, 14:30 UHR

Klasse, Hut ab Multipolar! Bitte schreibt, wie man Euch da finanziell unterstützen kann, einfach Spende auf das Konto? Bestimmter Text, oder nicht nötig? Macht weiter so, und vielen Dank!

STEPHAN GEUE, 28. Februar 2021, 18:25 UHR

Es ist einige Zeit vergangen. Was ist aus der Klage geworden?

PAUL SCHREYER, 3. März 2021, 17:05 UHR

Das Gericht hat noch nicht entschieden. Sobald es Neuigkeiten gibt, werden wir darüber informieren.

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