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Medien aussortieren

NewsGuard ist ein US-Unternehmen, das die journalistische Qualität und Glaubwürdigkeit von mehreren Tausend Medien in verschiedenen Ländern fortlaufend untersucht und seine Bewertungen an Internet-Konzerne lizenziert. Diese kennzeichnen „nicht vertrauenswürdige“ Medien dann mit einem Warnschild. In der vergangenen Woche hat auch Multipolar einen Fragenkatalog der Firma erhalten. Unsere Arbeit wird derzeit überprüft. Anlass für Multipolar, die Prüfer selbst unter die Lupe zu nehmen.

PAUL SCHREYER, 30. März 2022, 11 Kommentare, PDF

Hinweis: Dieser Artikel ist auch auf Englisch verfügbar.

NewsGuard wurde 2018 in New York gegründet und operiert inzwischen auch in Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland. Geleitet wird das Unternehmen von den beiden Journalisten und Medienunternehmern Steven Brill und Gordon Crovitz. Letzterer ist ein ehemaliger Herausgeber des Wall Street Journal. Zum Start sammelten die beiden Gründer bei Investoren sechs Millionen Dollar ein. Die Anwerbung der Finanziers organisierte Publicis, einer der größten Werbe- und PR-Konzerne der Welt, der zugleich einer der Hauptinvestoren von NewsGuard ist.

Das Unternehmen widmet sich nach eigenen Worten dem „Kampf gegen Desinformation“ und arbeitet dabei seit diesem Jahr auch mit der Europäischen Kommission zusammen. NewsGuard setzt nicht auf maschinelle Algorithmen, sondern auf Handarbeit, indem es Tausende Medien einzeln von Journalisten überprüfen lässt. Am Ende der Bewertung steht entweder ein grünes Häkchen („glaubwürdig“) oder ein rotes Ausrufezeichen („nicht glaubwürdig“). Diese Bewertungen, die fortlaufend aktualisiert werden, sind das Produkt, das NewsGuard verkauft. In der Eigenwerbung heißt es, man ermögliche damit „einer Vielzahl von Unternehmen, Institutionen und Behörden, Fehlinformationen zu bekämpfen und vertrauenswürdige digitale Umgebungen zu schaffen.“ Ein Hauptabnehmer ist Microsoft. Der Konzern hat die Bewertungen standardmäßig in seinen Internetbrowser Edge integriert. Auch eine App ist verfügbar. Das Unternehmen erklärt dazu:

„Die Bewertungen und Labels von NewsGuard können durch Anbieter von Internetdiensten, Browsern, Nachrichtenaggregatoren, Social Media-Plattformen und Suchmaschinen lizenziert werden, um ihren Benutzern die Informationen von NewsGuard zur Verfügung zu stellen. Diese Bewertungen werden den Verbrauchern über eine Browser-Erweiterung zur Verfügung gestellt, die in Chrome, Safari, Edge und Firefox verwendbar ist, sowie auf mobilen Geräten über NewsGuards iOS- und Android-Apps und über den mobilen Edge-Browser.“

Im Ergebnis werden als unglaubwürdig bewertete Webseiten von Nutzern gar nicht erst angeklickt und die „Fake News“ erreichen ihr Ziel nicht – so die Idee. Problematisch ist daran einiges, wie ein gründlicherer Blick auf das Unternehmen, die Mitarbeiter und die Bewertungskriterien zeigt.

Problem 1: Interessenkonflikte durch Sponsoren

Wie bereits erwähnt, ist einer der Hauptinvestoren von NewsGuard der PR- und Werbekonzern Publicis. In seinem letzten Geschäftsbericht weist Publicis mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz im Gesundheitssektor aus. Zu den Kunden zählen zahlreiche weltweit tätige Pharmakonzerne, darunter Pfizer, größter Hersteller von Covid-19-Präparaten. NewsGuard ist intensiv mit der Bewertung von journalistischen Inhalten zu diesen „Impfstoffen“ befasst. Wer die mRNA-Präparate kritisiert, gilt tendenziell als unglaubwürdig. Ist an dieser Stelle eine Unabhängigkeit von NewsGuard gegeben? In der Eigendarstellung der Firma heißt es zum Einfluss der Finanziers:

„Externe Investoren spielen keine Rolle bei der Bestimmung von Bewertungen oder der Erstellung von Website-Mediensteckbriefen oder sonstigen Inhalten von NewsGuard.“

Fraglos handelt es sich hier um einen schwerwiegenden Interessenkonflikt. Auf Nachfrage von Multipolar, wie NewsGuard mit diesem Interessenkonflikt konkret, also abseits von pauschalen Willensbekundungen, umgeht und wie das Unternehmen sicherstellen will, dass die Interessen eines der Hauptfinanziers keinen Eingang in die Bewertungen finden, erklärt Marie Richter, Managing Editor Germany bei NewsGuard:

„Hier muss ich bekräftigen, was wir bereits auf unserer Webseite sagen: Investoren sind in keiner Weise in unseren Bewertungsprozess involviert, noch haben sie irgendeinen Einfluss auf oder gar Kontakt zu unseren Analysten oder Redakteuren. Unser Bewertungsverfahren ist so konzipiert, dass es frei von solchen Einflüssen ist und gewährleistet, dass unsere neun grundlegenden, unpolitischen journalistischen Kriterien fair und in gleicher Weise auf alle Webseiten angewandt werden – unabhängig von deren Thema, Tonfall oder politischer Ausrichtung, falls vorhanden.“

Problem 2: Interessenkonflikte der Mitarbeiter

Die Interessenkonflikte fangen mit den Investoren des Unternehmens allerdings erst an. Nicht weniger bedenklich erscheinen die beruflichen Verstrickungen vieler Mitarbeiter. Im Folgenden drei Beispiele:

  • Die Süddeutsche Zeitung hat von NewsGuard ein Höchstranking von 100 Punkten erhalten; Kritik gibt es im Bewertungstext keine, stattdessen die pauschale, undifferenzierte Aussage: „Artikel sind ausgewogen, faktenbasiert und mit Quellen belegt.“ Mitverantwortlich für diese Bewertung ist die Journalistin Alina Fichter – die jedoch selbst schon als Redakteurin für die Süddeutsche Zeitung gearbeitet hat.

  • Tagesschau.de, das Nachrichtenflaggschiff der ARD im Internet, erhielt von NewsGuard ein Rating von 95 Punkten. Auch hier gibt es fast keine Kritik. Dass die Programmbeschwerden gegen Tagesschau-Beiträge wegen journalistischer Verfehlungen inzwischen mehrere Bücher füllen, ist kein Thema. Verfasst wurde die unkritische Bewertung von der Journalistin Rebecca Kuesters – die jedoch selbst als freie Journalistin für die ARD tätig ist.

  • Bild.de erhielt ein Rating von 69,5 Punkten. Die Artikel der Boulevardzeitung seien „in der Regel faktenbasiert“. Zwar findet Kritik in dieser Bewertung breiten Raum, doch am Ende steht die Einstufung mit grünem Siegel: „glaubwürdig“. Nur wer bis zum Ende des 20 Seiten langen Bewertungstextes liest, erfährt: „Gordon Crovitz, Co-CEO von NewsGuard, war ein Investor und ist derzeit Vorstandsmitglied bei Business Insider, welcher von Axel Springer übernommen wurde.“ Der NewsGuard-Chef arbeitet also zugleich für den Springer-Konzern, der die Bild-Zeitung herausgibt.

Marie Richter von NewsGuard erklärt dazu gegenüber Multipolar:

„Alle unsere Journalisten müssen auf unserer Webseite ihre früheren Arbeitgeber oder andere Tätigkeiten transparent offenlegen. Darüber hinaus fordern wir alle unsere Teammitglieder auf, sich mit unseren umfassenden Richtlinien in Form einer Einverständniserklärung und Selbstverpflichtung für Redaktionsmitglieder vertraut zu machen, an die sie sich halten müssen, während sie für uns arbeiten. Die Richtlinie enthält zwei Absätze über die Verpflichtung zur Offenlegung von Interessenkonflikten unserer Analysten selbst sowie ihrer Angehörigen.“

Doch das eigentliche journalistische Problem ist nicht das Verschweigen, sondern die Existenz von Interessenkonflikten. Notwendig wäre es, Interessenkonflikte zu vermeiden, anstatt sie nur transparent zu machen. Es ist unmöglich, dass ein Mitarbeiter oder ehemaliger Mitarbeiter eines Mediums dieses „unabhängig“ bewertet.

Die Interessenverquickung des NewsGuard-Chefs Gordon Crovitz mit dem Springer-Konzern hat noch eine andere Ebene. NewsGuard bietet seine Ratings auch der Werbebranche an; wie erwähnt, hatte überhaupt erst eine Werbeagentur die Sechs-Millionen-Dollar-Finanzierung von NewsGuard organisiert – und diese Agentur ist aktuell auch einer der Hauptinvestoren. Kein Wunder: Den Werbekunden helfen die Einstufungen, da sie möglichst nicht in einem kontroversen Umfeld Anzeigen schalten wollen. Ein als unglaubwürdig eingestuftes Medium läuft daher Gefahr, in erheblichem Maße Anzeigeneinnahmen zu verlieren – was NewsGuard auch offen als Ziel seiner Arbeit angibt. Würde NewsGuard die Bild-Zeitung mit einem roten Warnschild versehen, drohten dem Springer Konzern, für den NewsGuard-Chef Crovitz auch arbeitet, finanzielle Einbußen.

Problem 3: Struktureller Interessenkonflikt

Schaut man genauer auf die Bewertungen der einzelnen Medien, dann wird ein weiterer Interessenkonflikt sichtbar, der struktureller Art ist: Bei NewsGuard warnen Journalisten, die für etablierte Leitmedien arbeiten oder gearbeitet haben, vor Oppositionsmedien, die die Erzählungen der großen Medien in Frage stellen. Anders gesagt: Man redet die Konkurrenz schlecht. Während Leitmedien so gut wie ausnahmslos als glaubwürdig bewertet werden (Spiegel: 100 Punkte – „Die Beiträge sind gut belegt und ausgewogen“), ist es bei den Kritikern aus der Nische der Oppositionsmedien umgekehrt – sie bekommen fast immer das rote Warnschild:

  • Rubikon (35 Punkte) „unterstützt Narrative der russischen Regierung und veröffentlicht Verschwörungsmythen sowie falsche und irreführende Behauptungen“

  • Apolut (20 Punkte) „hat mehrfach falsche und unbelegte Aussagen veröffentlicht“

  • Reitschuster (59,5 Punkte) „recherchiert Informationen nicht verantwortungsvoll und präsentiert irreführende Überschriften“

  • Achgut (35 Punkte) „hat zu den Themen Migration und Klimawandel falsche und irreführende Behauptungen veröffentlicht“ (Achgut hat im November 2021 eine fünfteilige Artikelserie zu seinen Erfahrungen mit NewsGuard publiziert.)

Ausnahmen sind Tichys Einblick (69,5 Punkte), Telepolis (87,5 Punkte) und die NachDenkSeiten (82 Punkte), die als glaubwürdig eingestuft werden, wenn auch mit Abstrichen. So heißt es zu den NachDenkSeiten einschränkend: „Die Seite hat unbelegte Behauptungen über COVID-19 verbreitet.“ Die NachDenkSeiten bemühten sich mit Nachbesserungen darum, die Kritik von NewsGuard zu berücksichtigen.

Die Überprüfung der Oppositionsmedien stellt sich in der Regel so dar, dass die veröffentlichten Beiträge auf Ansichten durchsucht werden, die als umstritten gelten, also etwa zum Ursprung des Coronavirus, zur Sicherheit der mRNA-Präparate oder zum Thema Russland/Ukraine. Umstrittene Ansichten zu solchen Themen werden dann in einem Faktencheck „widerlegt“, indem der verantwortliche NewsGuard-Mitarbeiter die Aussagen offizieller Regierungsstellen dazu zitiert. Dass auch die Regierung lügen oder Dinge interessengeleitet irreführend darstellen kann, liegt in dieser Sicht außerhalb des Vorstellbaren. Rubikon, Reitschuster & Co. machen sich daher prinzipiell verdächtig.

Umgekehrt gilt: Medien die diese Oppositionsstimmen scharf kritisieren, sind für NewsGuard besonders glaubwürdig, so etwa der Blog Volksverpetzer (87,5 Punkte), der im aggressiven Stil Menschen gegeneinander aufhetzt („Grenzt Impfgegner aus“, „Warum die AfD überwacht werden muss“, „Wer hat Schuld an der Impfpflicht? – Impfgegner“.) Laut NewsGuard betreibt dieser Blog einwandfreien Journalismus und „recherchiert und veröffentlicht Informationen verantwortungsbewusst“:

„Artikel sind in der Regel meinungsbetont, aber faktenbasiert, und beinhalten Quellenangaben und Links zu Originalquellen. Überschriften sind manchmal emotionsgeladen, spiegeln aber den Inhalt zutreffend wider und sind nicht irreführend.“

Problem 4: Bewertung durch journalistische Berufseinsteiger

Die oben genannte Einschätzung stammt von Marie Richter, die bereits mehrfach in diesem Artikel zitiert wurde und die als „Managing Editor Germany“ des Unternehmens firmiert. Richter ist 25 Jahre alt. Gegenüber Multipolar erklärt sie: „Als Managing Editor unseres Deutschland-Teams koordiniere ich unsere Analysen und weise sie unseren AnalystInnen zu.“ Auf einer Online-Konferenz des Aspen Instituts im Februar dieses Jahres erläuterte sie, der Analyseprozess bei NewsGuard sei deshalb so aufwändig, „weil wir uns die Mühe machen, Fachexperten heran zu setzen.“ Offenbar meint sie damit auch sich selbst, verfasste sie doch unter anderem die Bewertungen zum Rubikon, zu Telepolis und zu Achgut als Hauptautorin. An den Ratings von Apolut und Reitschuster war sie beteiligt. Die aktuell durchgeführte Bewertung von Multipolar wird von ihr überwacht.

Was qualifiziert sie für diese Tätigkeit, was macht sie zu einem Fachexperten auf dem Gebiet? NewsGuard gibt an, dass Richter auf einem privaten College in den USA einen Bachelor in „internationalen Beziehungen, Literatur und Schriftstellerei“ erworben habe sowie anschließend einen Master in Journalismus an der renommierten Columbia University. Dieser Master-Studiengang – das steht nicht in der Kurzbiografie – dauert an der Columbia University neun Monate. Richter hat keine weitere Berufserfahrung im Journalismus.

Aufgewachsen in Sachsen als Tochter eines aus Hamburg stammenden Jura-Professors, der seit 20 Jahren in Dresden einen Lehrstuhl für Wirtschaftsrecht bekleidet, hat sie einige Jahre in den USA gelebt, verschiedenes studiert und 2019, mit 23 Jahren, den erwähnten neunmonatigen Schnellkurs in Journalismus absolviert, der als „Masterstudium“ bezeichnet wird. Direkt danach begann ihre Laufbahn bei NewsGuard. Dort entscheidet die Berufseinsteigerin nun darüber, welche Oppositionsmedien in Deutschland noch Werbeeinnahmen generieren können und welche vom Werbegeld- und Leserstrom abgeschnitten werden, da sie „Desinformation“ verbreiten und vor denen daher alle Internetnutzer bereits in den Suchergebnissen gewarnt werden müssen; zumindest ist das die Idee, für die NewsGuard steht und das Ziel, auf das die Bemühungen des Unternehmens ausgerichtet sind.

Einschränkend sei erwähnt: Nicht alle Mitarbeiter sind so unerfahren. So gibt es auch ein qualifizierteres „Führungsteam“, zu dem Florian Meißner und Eric Effron zählen. Meißner hat an der TU Dortmund Journalismus studiert, dort 2018 promoviert und anschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet. Daneben war er mehrere Jahre lang für WDR und ZDF tätig, bevor er 2019 bei NewsGuard einstieg, wo er aktuell als Senior Advisor Germany firmiert. Seit 2021 kann Meißner zusätzlich mit einem Professorentitel aufwarten („Medienmanagement und Journalistik“). Der wesentlich ältere New Yorker Journalist Eric Effron wird vom Unternehmen als Editorial Director bezeichnet. Er war unter anderem lange für die Nachrichtenagentur Reuters tätig. Meißner und Effron fällt regelmäßig die Aufgabe zu, die Bewertungen, die oft von jüngeren Kollegen verfasst werden, vor der Veröffentlichung zu überprüfen. So weist NewsGuard es zumindest aus, wobei unklar bleibt, ob Effron überhaupt Deutsch spricht – er selbst gibt zur Frage seiner Sprachkenntnisse nur Englisch an – und worin die Bearbeitungen von Meißner und Effron genau bestehen.

Die eigentliche Bewertungsarbeit wird bei NewsGuard aber von den jungen bis sehr jungen, meist nicht festangestellten, Kolleginnen (es handelt sich ausschließlich um Frauen) geleistet. Neben Marie Richter sind das:

  • Roberta Schmid, Abitur 2014, zwischen 2018 und 2019 Praktikantin beim ZDF, der Deutschen Welle und dem Auswärtigen Amt, anschließend Studium der „Politischen Kommunikation“ in Amsterdam

  • Liron Baur, ebenfalls 2019 Absolventin des neunmonatigen Journalismus-Studium an der Columbia University in New York, davor Studium der Politikwissenschaften und des Drehbuchschreibens; eine praktische journalistische Erfahrung ist aus ihrem Lebenslauf nicht ersichtlich

  • Caroline Lindekamp, Diplom in Journalistik an der TU Dortmund, Praktika unter anderem bei dpa, WDR und dem Auswärtigen Amt; für die ZEIT interviewte sie 2021 den Verschwörungstheorie-Forscher Michael Butter (Überschrift: „Die Corona-Impfung ist ein Traum für Verschwörungstheoretiker“) und fragte ihn, ob denn, wenn Argumente und Warnhinweise gegen Zweifler wenig nutzten, „das Löschen der Inhalte eine Alternative“ sein könne

  • Elena Bernard, 2014 Volontärin beim Wissenschaftsmagazin Spektrum, wo sie bis heute vor allem veröffentlicht; 2019 Master in Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund; das Thema ihrer Abschlussarbeit lautete „Erfolgreiche Gesundheitsbotschaften“; im gleichen Jahr erschien bei Quarks (WDR) ihr Text „Warum du Leute selten mit Fakten überzeugst“, in dem es heißt: „Wenn Menschen sich aufgrund unbegründeter Ängste nicht impfen lassen, gefährden sie nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern untergraben auch weltweite Gesundheitsziele“. Elena Bernard verfasste unter anderem die Ratings von Apolut und Reitschuster und arbeitet aktuell an der Bewertung von Multipolar.

  • Karin König, 2020 Bachelorabschluss in Journalistik; danach Volontariat beim WDR, wo sie aktuell freie Mitarbeiterin ist; König verfasste unter anderem die negative Bewertung zum regierungskritischen Blog Anti-Spiegel („pro-russische Webseite, die regelmäßig fehlerhafte Behauptungen veröffentlicht“) sowie gemeinsam mit Elena Bernard die Ratings zu Tichys Einblick und den NachDenkSeiten

Problem 5: Mehrdeutige Kriterien lassen Raum für Willkür

NewsGuard gründet seine Bewertungen auf neun Kriterien, deren jeweilige Erfüllung mit einer bestimmten Punktzahl verknüpft ist. Eine Seite mit einer Punktzahl unter 60 Punkten erhält eine rote Wertung. Die Bewertung wird fortlaufend aktualisiert, Medien erhalten also immer wieder Post von NewsGuard, wenn die Firma Beanstandungen hat. So entsteht ein permanenter Rechtfertigungsdruck. Im Folgenden werden die Kriterien in der Reihenfolge ihrer Gewichtung vorgestellt. Multipolar hat zu einigen Punkten Fragen an NewsGuard gerichtet, die jeweils darunter eingefügt werden, ergänzt um die Antworten des Unternehmens, die Marie Richter übermittelte.

1.) Es werden nicht regelmäßig Falschinformationen veröffentlicht: In den vergangenen drei Jahren hat die Webseite nicht wiederholt Beiträge veröffentlicht, die NewsGuard-Analysten oder andere Faktenchecker widerlegt haben und die nicht rasch und deutlich richtig gestellt wurden. (22 Punkte)

Dazu hat Multipolar das Unternehmen gefragt, welche konkreten Organisationen mit „andere Faktenchecker“ gemeint sind und um eine vollständige Auflistung gebeten sowie um eine Begründung für die Auswahl dieser Organisationen. NewsGuard antwortete:

„Wir haben keine vollständige Liste der von uns berücksichtigten Faktenchecker, zumal wir solche Faktenchecks als Indikatoren verwenden und unsere Analysten alle Faktenchecks auch selbst überprüfen. Wir verlassen uns nie nur auf eine Quelle oder einen Faktencheck, um zu bestimmen, ob eine Behauptung irreführend oder falsch ist, sondern konsultieren mehrere solcher und anderer Quellen. Zu den von uns häufig zitierten Faktencheckern gehören unter anderem Correctiv, BR Faktenfuchs, Faktenfinder (Tagesschau), AFP und dpa.“

Hier entsteht ein neues Problem: Da die genannten Faktenchecker-Organisationen finanziell nicht unabhängig sind oder zu bestimmten Medienhäusern gehören, zielen deren Faktenchecks immer auf Konkurrenzmedien und nie auf die eigenen Geldgeber und Medien. NewsGuard bezieht sich somit einseitig auf parteiische Bewertungen. Ein Faktencheck von Multipolar oder den NachDenkSeiten etwa hat bislang keinen Eingang in eine NewsGuard-Bewertung gefunden. Warum eigentlich nicht?

2.) Verantwortungsbewusste Recherche und Aufbereitung von Informationen: Journalistinnen und Journalisten bemühen sich um akkurate, unabhängige und ausgewogene Recherchen, die auf einer Vielzahl von Quellen beruhen, bevorzugt auf Original- oder auf glaubwürdigen Sekundärquellen. Die Berichterstattung verzerrt Informationen nicht oder stellt diese falsch dar, um den eigenen Standpunkt zu unterstützen. (18 Punkte)

Dazu hat Multipolar nachgefragt, wie NewsGuard die Begriffe „glaubwürdige Quellen“ und „verzerrte Informationen“ genau definiert. Das Unternehmen antwortete:

„Glaubwürdige Quellen sind Quellen, die die grundlegenden Standards des Journalismus in Bezug auf Glaubwürdigkeit und Transparenz einhalten und die keine falschen Behauptungen verbreiten oder einseitig/mit einer versteckten Agenda berichten. Verzerrte Informationen beziehen sich auf Behauptungen, die nicht per se falsch sind, sondern aus dem Zusammenhang gerissen oder in einen irreführenden oder falschen Kontext gestellt.“

Hier wird nun ein ungenauer Begriff einfach durch einen anderen ersetzt. „Verzerrte Informationen“ sind Fakten in einem „irreführenden Kontext“. Was aber soll das sein? „Irreführend“ legt nahe, es gäbe einen einzigen „wahren“ Zusammenhang, in den die Fakten gehören und alle anderen Deutungen der (sachlich zutreffenden) Fakten seien daher falsch. Diese Definition bietet viel Raum für Willkür, da eine Bewertung dann weniger an den Fakten, als an der eigenen Haltung hängt. Medien eine „versteckte Agenda“ zu unterstellen, ist zudem kein objektiv überprüfbares Kriterium.

3.) Unterlaufene Fehler werden regelmäßig richtiggestellt. Die Redaktion hat wirkungsvolle Standards für Klar- und Richtigstellungen sowie Korrekturen etabliert. Auf der Seite ist eindeutig zu erkennen, wie Nutzerinnen und Nutzer redaktionell Verantwortliche kontaktieren können. (12.5 Punkte)

4.) Klare Unterscheidung zwischen Nachricht und Meinung: Webseiten, die sowohl Nachrichten als auch Kommentare veröffentlichen, unterscheiden diese deutlich voneinander. Die Berichterstattung greift nicht auf eine einseitige Auswahl an Fakten zurück, um einen bestimmten Standpunkt zu unterstützen. Webseiten, die eine bestimmte Sichtweise vertreten, legen diese offen. (12.5 Punkte)

Eine Trennung von Nachrichten und Kommentaren – das klingt auf den ersten Blick gut und sinnvoll. In der Medienwelt gibt es allerdings nicht nur eine Dualität aus Nachrichten und Kommentaren, sondern auch eine Fülle von Texten, die sowohl Fakten recherchieren als auch diese wertend einordnen. Erklärt NewsGuard diese Texte sämtlich für journalistisch mangelhaft? Wenn ja, auf welcher Grundlage? Auf diese Fragen antwortete das Unternehmen:

„Bei der Bewertung dieses Kriteriums berücksichtigen wir die folgenden Punkte: 1) Wenn die Webseite eine Mischung aus Nachrichtenartikeln und Kommentaren veröffentlicht, prüfen wir, ob diese eindeutig als solche gekennzeichnet sind, 2) Wenn die Webseite insgesamt meinungsbetont ist, prüfen wir, ob dies für die Leser erkennbar ist, und 3) Wenn die Webseite in ihrer Berichterstattung eine allgemeine politische Tendenz oder Perspektive erkennen lässt, prüfen wir, ob dies offengelegt wird. Die von Ihnen beschriebenen Texte würden wir von Fall zu Fall betrachten. Darauf gibt es keine pauschale Antwort, und es hängt auch von der allgemeinen Natur der Webseite ab. Wenn zum Beispiel die meisten Artikel auf einer Webseite gut recherchiert sind, aber dazu dienen, die Meinung des Autors oder der Webseite zum Ausdruck zu bringen, und die Webseite dies nicht als ihre allgemeine Aufgabe/ihr Format offenlegt, dann würden wir das als einen Mangel an Transparenz betrachten und das Kriterium als nicht erfüllt ansehen.“

Hier wird es nun endgültig willkürlich: Wenn NewsGuard die Artikel eines Magazins inhaltlich nicht gefallen, das Unternehmen sie aber mit sauberer Sachkritik nicht widerlegen kann, dann können die zu vergebenden Punkte trotzdem wegen einer „nicht offengelegten politischen Tendenz“ abgezogen werden. Eine nicht offengelegte Tendenz ist jedoch schon ein Widerspruch in sich. Denn wenn ein NewsGuard-Prüfer diese Tendenz erfassen kann, dann können die Leser – als mündige, selbstständig denkende Bürger – das selbstverständlich auch. NewsGuard hat hier offenbar ein anderes, elitäres Menschenbild, wonach die Öffentlichkeit vorsichtshalber in die „richtige“ Richtung gelenkt und vor strittigen Deutungen „geschützt“ werden muss. Spätestens an dieser Stelle überschreitet das Unternehmen klar die Schwelle zum „Meinungsmanagement“.

5.) Vermeiden irreführender Überschriften: Es werden keine Überschriften veröffentlicht, die falsche Informationen enthalten, erheblich sensationalisieren oder übertreiben oder die nicht den tatsächlichen Inhalt des Beitrags wiedergeben. (10 Punkte)

6.) Die Webseite veröffentlicht Eigentumsverhältnisse und Finanzierung: Eigentumsverhältnisse und/oder Finanzierung werden ebenso veröffentlicht wie ideologische Standpunkte/Positionen, die mit den Interessen der Eigentümerinnen und Eigentümer verbunden sind. Dies geschieht in einer nutzerfreundlichen und transparenten Art und Weise. (7.5 Punkte)

7.) Werbung wird als solche gekennzeichnet: Die Seite zeigt deutlich, welche Inhalte bezahlt sind und welche nicht. (7.5 Punkte)

8.) Offenlegen der redaktionell Verantwortlichen, einschließlich möglicher Interessenskonflikte: Informationen über Verantwortliche und mögliche Interessenkonflikte sind auf der Webseite zugänglich. (5 Punkte)

9.) Informationen über Journalistinnen und Journalisten: Informationen über Personen, die die Inhalte des Mediums erstellen, sind auf der Webseite zugänglich. (5 Punkte)

Es fällt auf, dass die fragwürdigen Kriterien vor allem jene sind, für die es die meisten Punkte gibt. Die Möglichkeiten zu einer Bewertung nach Gesinnung sind damit von vornherein umfassend.

Problem 6: Objektivitätsmythos

Die NewsGuard-Bewertung basiert ganz allgemein auf der Annahme, es gäbe die Möglichkeit, Journalismus „objektiv“ zu betreiben und dabei eigene politische Ansichten vollkommen außen vor zu lassen. Michael Meyen, Professor für Kommunikationswissenschaften an der LMU München kommentiert diese Annahme auf Multipolar-Nachfrage so:

„Hier (vermeintlich objektive) Nachrichten, dort Meinungen: Dieses Trennungsgebot ist Teil einer Ideologie, die die Interessen hinter der Berichterstattung der Leitmedien verschleiert. Journalismus ist Selektion. Das beginnt bei der Entscheidung, was überhaupt zum Thema wird, und endet längst nicht bei der Gewichtung (was steht groß vorn, was eher klein weiter hinten) oder bei der Berufung auf opportune Zeugen. Wertungen werden über Sprache transportiert – auch und gerade im 'Nachrichten'-Teil. Die Forschung hat vielfach nachgewiesen, dass dort die gleiche Botschaft zu finden ist wie in den Kommentaren. Wer wie NewsGuard das Gegenteil behauptet und auf dieser Basis auch noch Gütesiegel verteilt, wird zum Wächter der herrschenden Meinung. Es ist deshalb kein Zufall, dass diese Organisation überhaupt keinen Wert auf Vielfalt legt und das Kriterium Transparenz (wer schreibt hier, wer bezahlt und wer liefert warum zu) unter ferner liefen behandelt.“

Problem 7: Politische Berater

NewsGuard beschäftigt zahlreiche ehemalige Politiker und hochrangige Beamte der US-Regierung sowie der Nato in einem Beirat, der das Unternehmen „strategisch berät“, darunter:

  • Michael Hayden, NSA- und CIA-Direktor unter US-Präsident George W. Bush

  • Tom Ridge, Minister für Heimatschutz unter George W. Bush

  • Elise Jordan, Redenschreiberin für US-Außenministerin Condoleezza Rice

  • Don Baer, PR-Chef („White House Communications Director“) im Weißen Haus unter Bill Clinton

  • Richard Stengel, PR-Chef („Undersecretary of State for Public Diplomacy“) im US-Außenministerium unter Minister John Kerry

  • Anders Fogh Rasmussen, Ex-Generalsekretär der Nato

Auf Nachfrage von Multipolar, wie die Beschäftigung dieser politischen Berater zum Anspruch von journalistischer Objektivität und Unabhängigkeit passt, erklärt NewsGuard:

„Unsere Berater sind weder an unserem Verfahren zur Bewertung von Webseiten beteiligt, noch haben sie die Befugnis, redaktionelle Entscheidungen oder Geschäftsentscheidungen zu treffen. Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, Ratschläge und Einblicke in wichtige Fragen im Zusammenhang mit Desinformation in verschiedenen Bereichen zu geben.“

Doch wozu werden die „Ratschläge und Einblicke“ der Ex-Chefs von Nato und CIA sowie von diversen US-Regierungsexperten für PR überhaupt benötigt – wenn nicht dazu, deren politisch gefärbte Sicht auf Desinformation zum Standard der eigenen Ratings zu machen? Wozu sonst sollen sich Journalisten von PR-Experten der Regierung „helfen“ lassen?

Worum geht es eigentlich bei NewsGuard?

Die Liste der Berater, dazu die oben aufgeführten zahlreichen Interessenkonflikte des Unternehmens sowie schließlich die geschilderten schwerwiegenden Probleme bei den Bewertungskriterien lassen kaum einen anderen Schluss zu, als dass NewsGuard selbst ein Instrument politischer PR ist.

Den jungen und engagierten Mitarbeitern des Unternehmens sei nahegelegt, sich vielleicht einmal selbst die Frage zu stellen, warum die Geschäftsleitung einer Firma mit millionenschweren Investoren und internationalen politischen Schwergewichtern im Hintergrund die besonders heikle Aufgabe der Medienbewertung so gut wie ausschließlich wenig erfahrenen Nachwuchskräften anvertraut – und worum es bei dem Produkt „NewsGuard“ eigentlich geht.


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Diskussion

11 Kommentare
NORBERT PIECHOTTA, 30. März 2022, 08:55 UHR

Vielen Dank für diese erstklassige Recherche. Via dieser Arbeit sollten die offensichtlich neuen Marionetten in dieser neuen Desinfomations-Plattform Recherche und kritischen Journalismus lernen. Zu dieser Selbstanalyse und Reflektionsfähigkeit wird es erwartbar jedoch wohl nie kommen, denn die Aktuelle Kamera 2.0 - die ARD - mit 95 Punkten und den Volksverpetzer mit 85,5 Punkten einzustufen, disqualifiziert abgrundtief und lässt NewsGuard geräuschlos in den Orkus des Vergessens gleiten.

GERT GREINER, 30. März 2022, 09:35 UHR

Lieber Herr Schreyer, für diesen Artikel gibt es von mir 100 Punkte. Das ist Journalismus!

STRUPPI, 4. April 2022, 10:20 UHR

Neben diesen antidemokratischen Werkzeugen, die eine freie Meinungsbildung verhindern sollen, indem Medien die Verbreitungskanäle entzogen werden, gibt es weitere Plattformen, wo auf politischer Ebene Grenzen gezogen werden.

Eine ganz neue Plattform, die schon in ihrem Namen und Beschreibung zeigt, mit welchen Mitteln hier gekämpft werden soll, ist "gegneranalyse.de" -"Gegen­me­dien als Radikalisierungsmaschine".

Da wird also von der Regierung finanziert und gespickt mit Journalisten aus dem Öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Staatsnähe von anderen (RT:DE) angeprangert. Oder einfach die Meinung, die von der staatlichen Direktive abweicht, pauschal als (teils) rechts bezeichnet wird, wie z.b. die Nachdenkseiten.

"Der neue Medi­en­staats­ver­trag schreibt die Spiel­re­geln nun auch für Google, Face­book fest – und, und das ist neu: auch für Online-Medien, Nach­rich­ten­sei­ten und Blogs, die keine Ableger von Zei­tun­gen oder Zeit­schrif­ten sind. Das betrifft Web­sei­ten wie correctiv.org und netzpolitik.org genauso wie die teils ver­schwö­rungs­theo­re­ti­sche oder rechte Web­sei­ten wie zum Bei­spiel Nach­Denk­Sei­ten, PI-News und Co.."

Allein diese Dreistigkeit, dass der Staat solche Behauptungen verbreitet und dabei so tut als ginge es um etwas Aufklärerisches ist beängstigend und entspricht dem, was unsere Generation als Dystopie in Büchern wie 1984 gelesen hat und von dem wir immer geglaubt haben, das kann hier nicht passieren.

FRANK BERNERS, 30. März 2022, 10:30 UHR

Hervorragend recherchiert, aufbereitet und im Text verfasst, Herr Schreyer! Wenn man sich die Lebensläufe der "Redakteure", gerade auch von Marie Richter, anschaut, und mit den Einstellungen ähnlich junger Menschen aus dem Bekannten-Umfeld vergleicht, wird einem bewußt, wie sehr diese jungen Menschen indoktriniert wurden und werden – und was dies auch mit der Psyche dieser Menschen machen muss. Es macht mich wirklich traurig, dass hier jegliche Entwicklung in Richtung selbstständig und eigenverantwortlich handelndes Individuum unterbrochen wird – und damit jegliches Lebensziel verschleiert und unklar bleiben muss.

Materialismus/Determinismus hat ja in Bezug auf das LEBEN und den Sinn desselben erhebliche Erklärungsdefizite, und die transatlantische Ideologie ist nichts anderes als pure Fixierung auf Materialismus und Determinismus – Demut und Selbst-Reflektion haben hier keinen Platz.

FAUNA FLOKATI, 30. März 2022, 11:50 UHR

Lieber Herr Schreyer,

vor einiger Zeit hätte ich mich noch über das, was Sie über NewsGuard recherchiert haben, geärgert. Aber Ihr Kollege Stefan Korinth hat mich aus einer menschlichen Perspektive mit Leuten wie den NewsGuard-Mitarbeitern irgendwie versöhnt, als er in dem Multipolar-Beitrag „Der Gleichklang und das Narrativ – Wie Medien Auslandskonflikte strukturieren. Das Beispiel Maidan“ schrieb:

„(…) denn in den Redaktionen der großen etablierten Medien dominiert eine pro-westliche Weltanschauung von der viele Redakteure ehrlich überzeugt sind. Diese Weltanschauung leitet sich aus der Zugehörigkeit des eigenen Landes zu wirtschaftlichen und militärischen Bündnissystemen sowie aus kultureller Nähe zu Bündnispartnern und etwaigen Konfliktakteuren ab, hat also auch etwas mit der Sozialisation der Journalisten zu tun.“

Für die jungen Mitarbeiterinnen bei NewsGuard ist es also vollkommen klar: Sie kämpfen gegen Desinformation und für ein Recht aller Menschen auf vertrauenswürdige Berichterstattung. Dass ihre Quellen und Berater vielleicht auch eine einseitige Perspektive auf manch Thematik haben könnten, kommt ihnen genauso wenig in den Sinn, wie den deutschen Leitmedien, dass vielleicht nicht nur russische Medien, sondern auch sie selbst staatliche Propaganda verbreiten.

Ein bisschen schmunzeln muss ich aber, wenn ich mir so ein Gespräch zwischen einer NewsGuard-Mitarbeiterin und einem NewsGuard-Berater vorstelle: „Herr Rasmussen, das Narrativ, die NATO führe Angriffskriege, das ist doch Desinformation, oder?“ „Ja, natürlich. Total aus der Luft gegriffen, Russen-Propaganda.“ „Alles klar, danke Herr Rasmussen.“

:-)

Aber NewsGuard hin oder her, ganz blöd sind die Menschen auch nicht. Sehen Sie sich mal an, wie viel Gegenwind die Leitmedien in letzter Zeit bekommen, v.a. auf Social Media, wo ja nicht nur Abonnenten kommentieren können, sondern alle. Das fällt mir gerade auf der Facebook-Seite der ARD-Sendung Monitor besonders auf, wo der Redaktion ununterbrochen die eigene alte, teils sehr interessante und ausgewogene Berichterstattung von früher um die Ohren gehauen wird, kombiniert mit dem Vorwurf der jetzigen Einseitigkeit.

Und mein Lieblingsbeispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der Shitstorm, den die Süddeutsche Zeitung auf Twitter abbekommen hat, nachdem sie einen diffamierenden Artikel über den UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, veröffentlicht hat. Das war im Januar 2022 und es war einfach überdeutlich, dass die SZ noch so renommiert sein und als vertrauenswürdig eingestuft werden kann; viele Leute teilen die reine, ich würde fast sagen naive, „pro-westliche Weltanschauung“ nicht mehr und durchschauen, dass ihre Meinung gelenkt werden soll. Die negativen Reaktionen auf den Artikel waren überwältigend.

Wer weiß, vielleicht wird man irgendwann die Kritik auf Social Media besser kontrollieren können, aber im Moment sieht man da noch immer wieder, dass die angebliche öffentliche Meinung eigentlich nur die Meinung bestimmter Redaktionen ist, die bei der Verbreitung höchstens semi-erfolgreich sind.

Herzliche Grüße und noch einen schönen Tag,
Fauna Flokati

RALLE, 30. März 2022, 18:00 UHR

Aus den Lebensläufen der jungen Damen dort geht eindeutig hervor: Bei NewsGuard geht es nicht um seriösen Journalismus, sondern nur um Haltung. Bedeutet: Wen immer die zerreißen und herunterstufen, er kann sich geadelt fühlen und als glaubwürdig gelten. Die aber mit 95% + x bewertet werden, kann man getrost als System- und Propagandablätter abstrafen. Bestes Beispiel: anti-spiegel.ru = hervorragende Beiträge, lesenswert und informativ. Der Spiegel (ohne Anti davor) = billigste US-Propaganda und nicht wert, die Zeit zu vertrödeln.

DIRK GINTZEL, 30. März 2022, 18:50 UHR

Lieber Herr Schreyer, vielen Dank für diesen interessanten Artikel!

Die Leute, die der Tagesschau noch trauen, werden auch die Etiketten von NewsGuard schlucken. Die anderen werden sehr schnell verstehen, dass man die Farben grün und rot im Kopf tauschen muss, um der Propaganda zu entgehen und vernünftige Informationen zu bekommen. Das ginge ja noch, aber leider ist es viel schlimmer.

NewsGuard ist, ähnlich den sogenannten „Faktencheckern“, ein Teil des Zensurmechanismus, der bereits installiert wurde und weiter ausgebaut wird. Was die Faktenchecker anmeckern, wird von BigTech gelöscht. Was NewsGuard anmeckert, wird möglicherweise von den Suchmaschinen nicht mehr angezeigt und von einigen oder allen Browsern demnächst nicht mehr geladen (natürlich nur zum Schutz der Leser).

Dies könnte dann die Grundlage zur völligen „Reinigung“ des Internets sein. Es müssen dringend Strategien gefunden werden, wie Informationsfreiheit trotzdem auch in naher Zukunft sichergestellt werden kann. Ich habe leider keine Ideen und wäre für Hinweise dankbar.

AYU, 30. März 2022, 23:30 UHR

Der Internetauftritt ist aufschlussreich - oder auch nicht; also ist er es. Ansichten eines Opfers der Desinformation, bitte Filter im Kopf anschalten! Danke.

Zitate übertragen aus:
https://www.newsguardtech.com/de/uber-uns/warum-sollten-sie-uns-vertrauen/

zu Punkt 3:

" Warum sollten Sie uns vertrauen?

Weil wir eine Richtlinie zu Ethik und Interessenkonflikten haben, der alle unsere Analysten und Redakteure zustimmen müssen." ->https://www.newsguardtech.com/de/uber-uns/einverstandniserklarung-und-selbstverpflichtung-fur-redaktionsmitglieder/

->Dort findet man (lediglich) eine: "Einverständniserklärung und Selbstverpflichtung für Redaktionsmitglieder" mit (lediglich) vier Punkten, mehr nicht. Nun ließ ich mich also überzeugen und baute Vertrauen auf:

(1) Hä? Was wäre denn ein Grund, weswegen man sich selber dessen nicht bewusst sein müsste? Unsinnige Klausel! Ist das an den Eliteunis üblich, sinnfreie Statements am Kern der Sache vorbeizuformulieren? Ich verstehe es jedenfalls nicht: was soll mir das sagen?

(2) Eine Selbstverständlichkeit... Die explizite Erwähnung ist für mein Verständnis völlig Fehl an dieser Stelle; ich kann Vertrauen nicht aufbauen, wenn mir, als Vergleich, ein jüngst aus dem Knast entlassener Gewalt-Straftäter ungefragt eine Beteuerung abgibt, die von Leuten, wenn sie grundsätzlich schlicht nichts Böses anrichten würden, so nicht gemacht werden würde. Im Gegenteil! Das Studienfach nennt sich übrigens Mensch of Empathie, geht bis zu 120 Jahre und kann überall frei gelernt und gelehrt werden.

(3) Fängt durchaus gut an, reiht sich aber sogleich neben Punkt zwei ein und wirkt ähnlich vertrauensfördernd wie eine Selbstverpflichtung bei der CDU, oder auch die Aktion eines ungefragten Einstecken von (selbstverständlich gutgemeinten und hilfebietenden) Print-Werbetextträgern an Autoscheiben oder Briefkasteneinwurf, wo nicht ausdrücklich kenntlichgemacht wurde, dass eine Hausentrümpelung hier i.M. nicht nachgefragt wird: nichts davon hat sich je als vertrauensbildende Maßnahme erwiesen oder durchgesetzt. Wenn newsguardtech.commerce - unter vielen weiteren anderen Aspekten - derartige Interessenskonfikte bei 7500 mehrsprachigen Medien-Internetauftritten prüfen und für 7 Miliarden Mediennutzer (sicher gerne, oder?) auf Verträglichkeit (welche bei wem eigentlich?) vorkauen oder vorenthalten möchte, macht es sich lächerlich, Leute überhaupt einzustellen, welche Interessenskonflikte aufweisen können/werden/bekanntgeben "einschließlich einer früheren Beschäftigung oder freiberuflichen Tätigkeit bei der Einrichtung, die Gegenstand dieses Materials ist, oder einer Ablehnung einer Bewerbung als Angestellter oder als Freiberufler durch diese Einrichtung".

Wer weltweit keine neutralen, unbelasteten Leute für den aufgerufenen extrem VERANTWORTUNGVOLLEN Job findet, noch nicht mal unter den u30-jährigen, sollte es vielleicht lieber lassen, so großspurige Vorhaben loszutreten. Z.B. hat ein Ken Jebsen keinen Zweifel aufkommen lassen, wie er zu seinem früheren Arbeitgeber und Ausbilder steht, und darum wusste ich noch vor jedem Faktenfinder, dass ich in der Hinsicht seine Urteilsabgabe an und über seine frühere Stelle mit einer gewissen Nachsicht aufnehmen sollte, mal abgesehen davon, dass er keinen Faktenfinder und keine Webseitenbewertung für Dummies betrieben hat. Diese Fähigkeit einer Selbsteinschätzung habe ich u.a. bei KenFM mehr als neun Monate lang an mir geschult bekommen (können). Frau Richter war noch keine 5 Jahre alt, als Mathias Bröckers am Abend des 11.09.2001 den Falschinformationen nahezu aller Medien zu dem Zeitpunkt (wie heute fast allen klar ist) ausgesetzt war und sich nicht irreleiten ließ - jetzt bewertet sie seine Artikel bei apolut auf Glaubwürdigkeit und Falschinformation. Hier stellt sich die Frage, wo NewsGuard-Tech und die Förderer vom Schlage jener wie im Beirat (Gott bewahre!) das Problem sehen?

(4) same here - und wenn das alles ist, ausgerechnet nur diese vier Punkte, frage ich mich, wie weit der Ethik-Eichpunkt dieses Unternehmens mit meinem auseinanderliegt. Ich trenne übrigens meinen Müll. Und nun?

Letzter Punkt:

" Weil unser einziges Ziel ist, Menschen besser über die Nachrichtenquellen zu informieren, die sie online vorfinden. Unser Erfolg hängt vollständig von unserer Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit ab. "

Eine Zeitung oder Internet-Informationsseite und den transportierten präsentierten Inhalt kann ich wie jedes andere Lebewesen mit aufrechtem Gang auch selber finden, bewerten, einordnen: ich lese, was mich interessiert und lese nicht, was uninteressant ist. Sollte ich medieninkompetent sein und mir das Probleme bereiten, könnte ich ja lernen, das selber erledigen zu können, selber auszuwählen, anzunehmen, abzulehnen, zu unterscheiden und zu differenzieren, mir zu vertrauen, statt mich für jeden shortmessageservice auf andere verlassen zu müssen. Klar, dabei kann ich mir Hilfe holen. Wem kann ich vertrauen? Sie sagen jetzt: Du solltest mit Deiner unzureichenden Medieninkompetenz uns konsultieren und unsere Informationen hierzu und über alles außer 5% in "der Online-Interaktion in Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada und den USA" verinnerlichen. Warum sind Sie anders? "Weil unser Erfolg von unserer Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit abhängt."
Was für ein Argument! Lassen Sie das nicht andere Unternehmen und Dienstleister hören...

Wer den Ozean überqueren will, braucht ein schnelles Kamel, oder wie war das?

WILFRIED NELLES, 31. März 2022, 11:40 UHR

Hervorragender Faktencheck. Das Erschreckende sind aber nicht die Fakten hinter den Faktencheckern, sondern dass man annehmen muss, dass diese jungen Menschen selbst an das glauben, was sie tun. Sie wähnen sich auf der richtigen Seite, der Seite des "Guten" und der Wahrheit. Es gibt aber nicht "die Wahrheit", etwa über Corona oder über den Ukraine-Krieg, oder, genauer gesagt: Die Wahrheit liegt nicht in den Fakten. Wahrheit und Fakten sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Ich drücke mich wieder falsch aus: Fakten sind Dinge, die Wahrheit ist kein Ding.

Alles, was uns vorgesetzt wird, sind Meinungen und - subjektiv geradezu "heilige" - Überzeugungen (und, darauf weist Paul Schreyer zu Recht hin, auch ganz handfeste Interessen), die sich hinter "Fakten" verstecken.

PAUL SCHREYER, 1. April 2022, 00:00 UHR

Ergänzend zum Artikel: Die Europäische Kommission meldete am 31. März:

https://germany.representation.ec.europa.eu/news/microsoft-meta-tiktok-und-twitter-gehen-weiter-gegen-corona-desinformation-vor-2022-03-31_de

Die EU-Kommission hat heute (Donnerstag) weitere Berichte des Programms zur Überwachung von Desinformation im Zusammenhang mit COVID-19 veröffentlicht. Konkret geht es darin um Maßnahmen, die Microsoft, Meta, TikTok und Twitter im Januar und Februar 2022 ergriffen haben, um gegen Falschinformationen mit Bezug zur COVID-19-Pandemie vorzugehen. So hat etwa Microsoft einen Tracker erstellt, der Webseiten erkennt, die Falschinformationen zu COVID-19 veröffentlichen. Die Funktion ist in Frankreich, Deutschland und Italien aktiv. In Zusammenarbeit mit Newsguard gelang es dadurch seit Februar 547 entsprechende Webseiten zu identifizieren.

BERNHARD MÜNSTERMANN, 1. April 2022, 12:30 UHR

Ich erinnere noch, dass Präsident Putin uns Deutschen einmal zum Tag des Scherzes gratulierte. Das ist inzwischen nicht mehr der Fall. Vielmehr steht der 1. April 2022 für ein neues Abrechnungsverfahren in Rubel oder Gold. Obligatorisch auch im Gas- und Rohölhandel mit Russland. Der Westen spielt Monopoly, Putin spielt Schach. Man muss dem russischen Präsidenten nicht in allem zustimmen, so auch seine intransparente Kooperation in Fragen der weltweit inszenierten Test-Pandemie. Und das wäre nur ein Beispiel. Aber er handelt offenbar im Interesse seines Landes, wie es ihm als Aufgabe zukommt.

Die Oligarchen in Russland können nicht ganz nach Belieben verfahren und Einfluss ausüben. Heute musste ich wieder einmal die Adresse ändern, um RT-Beiträge sehen zu können. Diese Art von Zensur des vorgeblichen Feindsenders ist ein unwürdiger Aprilscherz. Ich bewundere Paul Schreyers akribische Recherche, die Mechanismen der Zensur zu dokumentieren. Privatisierte Institutionen auch hier, wie jetzt Supermärkte wie Lidl, Edeka und Aldi über die Maskenpflicht in den Filialen auf der Basis ihres Hausrechts entscheiden sollen. Der Staat wäscht seine Hände in Unschuld. Auch multipolar ist so faktisch durch drohende Zensur gefährdet und die Redaktion wird entsprechend versuchen, für einen solchen Fall im Vorfeld das weitere Vorgehen zu überdenken. Die Einschläge kommen näher.

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