Wladimir Putin und Angela Merkel 2012 in Berlin | Bild: picture alliance / dpa | Kay Nietfeld

„Die Überlegenheit des Westens musste immer herausgestellt werden“

Der Hamburger Journalist Ulrich Heyden lebt seit Anfang der 1990er Jahre in Moskau. In seinem autobiographischen Buch „Mein Weg nach Russland“ schildert er auch seine jahrzehntelange Tätigkeit als Korrespondent für deutsche Medien in Russland und der Ukraine. Multipolar veröffentlicht Auszüge daraus, in denen Heyden schildert, welche vorurteilsbehafteten Themen und Wertungen die Redakteure bei ihm bestellten, warum sie die Zusammenarbeit mit ihm beendeten und welche entscheidende Rolle dabei die westdeutsche Dominanz in den Redaktionsstuben spielt.

ULRICH HEYDEN, 10. April 2024, 4 Kommentare, PDF

Im Februar 1993 eröffnete der Spiegel ein Korrespondentenbüro in Kiew. Offenbar erwartete die Chefredaktion, dass sich die Ukraine sehr schnell von Russland abnabeln würde. Und dass wollte man auf keinen Fall verpassen. Doch auf Revolution oder Staatsstreich war damals kein normaler Mensch aus. Mir schien Kiew eine ausgesprochen friedliche Stadt. Jeglicher Extremismus, selbst eine Demonstration von Krim-Tataren, die aus Zentralasien auf die Krim zurückkehren wollten, stieß bei den Einwohnern auf Misstrauen.

Doch beim Spiegel verfügte man möglicherweise über Informationen, dass in Kiew bald etwas passieren würde. Immerhin kam Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein persönlich zur Eröffnung des Korrespondentenbüros angereist. Er lud zum Empfang in ein Hotel im Stadtzentrum, einen schmucklosen Bau aus der Breschnjew-Zeit. Das Gebäude sah zwar nicht besonders schön aus, es hieß aber „National“, was zu Träumereien über eine von Russland unabhängige Ukraine verleitete und sich auch gut in einer Spiegel-Hausmitteilung machte.

Eine illustre Runde war zu dem Empfang erschienen, die Oberhäupter der verschiedenen ukrainischen Kirchen, deutsche Wirtschaftsleute, ein Pfarrer aus Deutschland und viele Ukrainer, die stolz waren, dabei sein zu dürfen. Auch ich war gekommen. Die Spiegel-Korrespondentin in Kiew hatte mich eingeladen. Von meinem schwierigen Verhältnis zum Blatt hatte ich ihr nichts erzählt.

Augstein 1993: Ukrainer und Deutsche „müssen jetzt fest zusammenstehen“

Um sich Gehör zu verschaffen, musste Augstein erst mal mit der flachen Hand aufs Rednerpult hauen. Wer kannte schon in Kiew den Spiegel-Herausgeber ? Augstein versuchte dann in großen Worten die historische Situation zu umreißen. „Der Krieg hat unsere beiden Völker getrennt. Aber es gibt viele Sympathien für ihr Volk in Deutschland. Jetzt müssen wir fest zusammenstehen“. Gegen wen und wofür man zusammenstehen muss und warum gerade Deutschland, sagte Augstein nicht. Er war übrigens im Zweiten Weltkrieg als Kanonier und Funker bis ins russische Woronesch – östlich der ukrainischen Grenze – gekommen und mit dem „Eisernen Kreuz“ II. Klasse ausgezeichnet worden. Der „Drang nach Osten“, wie die Russen gerne spötteln, steckte dem Spiegel-Herausgeber offenbar noch in den Knochen.

In mein Tagebuch schrieb ich,

„die Bundesrepublik beginnt ihre Beziehungen zur Ukraine zu verstärken, wohlwissend, dass das eine Verschlechterung der Beziehungen zu Russland zur Folge haben kann. Denn in der Ukraine sind sowohl Regierung als auch Opposition ziemlich nationalistisch und haben Schwierigkeiten, die einfachsten Abrüstungsverträge zu unterschreiben. Die ganz harten Nationalisten sprechen offen aus, was viele hier wohl insgeheim denken : Die Ukraine will ihre strategischen Atomwaffen als Druckmittel behalten, damit sie vom Westen Geld bekommen und von Russland geachtet werden. Hinter vorgehaltener Hand hört man, dass die Rüstungsindustrie munter weiter Waffen entwickelt. Wahrscheinlich, weil man die gerne für Dollar exportieren will. Das Ganze ist auch deshalb so verrückt, weil die einfachen Menschen hier nur damit beschäftigt sind, ihre physische Existenz zu sichern.“

Für einen freien Journalisten war es Anfang der 1990er Jahre nicht allzu schwer, Artikel aus der Post-Sowjetunion an deutsche Medien zu verkaufen, insbesondere dann nicht, wenn man populäre Themen anbot. Aber populäre Themen fand ich noch nie so spannend wie Themen, die noch keiner angepackt hatte. Und so handelte mein erstes Radiostück, welches ich an den Deutschlandfunk verkaufte, von einem Streik der Trolleybus-Fahrer in Kiew. Der bearbeitende Redakteur erklärte, er würde gerne weitere Texte von mir bringen. Er meinte, „es muss ja nicht unbedingt ein Streik sein“. Diesen Hinweis empfand ich als Einmischungsversuch, erwiderte aber nichts, denn ich war froh, überhaupt eine Ansprechperson gefunden zu haben.

Tschernobyl – panische Angst und langsame Gewöhnung

Irgendwann kreuzte ich bei der Presseabteilung der deutschen Botschaft in Kiew auf. Die Botschaft befand sich damals noch in einem schönen alten Gebäude in der oberen Altstadt. Als ich der Beamtin stolz erzählte, ich hätte schon viele Vertreter ukrainischer Parteien interviewt, wirkte sie erstaunt. Sie sagte nicht, dass das in Deutschland niemanden interessiert, aber ihr Gesicht schien genau das auszudrücken.

Die Beamtin schlug mir vor, etwas über die Folgen der Tschernobyl-Katastrophe zu schreiben. Ich griff den Vorschlag auf. Tschernobyl und die sozialen Folgen wurden in den kommenden Jahren eines meiner Arbeitsgebiete. Einen Artikel zum Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe im April 1992 verkaufte ich an zehn Zeitungen, von der taz bis zur Ost-CDU-Zeitung Neue Zeit. (…)

Streit um meine Ukraine-Berichterstattung

Dass die politische Elite in Deutschland an der Ukraine ein ganz besonderes Interesse hatte, merkte ich während meiner Arbeit für große deutsche Medien. Da war zum Beispiel die Äußerung eines Deutschlandfunk-Redakteurs, der mir 1994 am Telefon frank und frei erklärte, wenn Hitler nicht so brutal in der Ukraine vorgegangen wäre, hätte sich das Verhältnis zwischen Deutschland und der Ukraine nach 1945 besser entwickelt. Ich fragte mich, was ihn zu solchen Spekulationen trieb. Wollte da jemand den deutschen Faschismus kleinreden?

Im Frühjahr 2000 kam es – für mich völlig unerwartet – zum ersten Eklat mit einer Redakteurin der Kölner Sendeanstalt. Ich hatte mit dem Deutschlandfunk als freier Journalist eine Live-Schaltung – im BBC-Studio in Kiew – vereinbart und wollte über die Demonstration „Weg mit Kutschma“ berichten. Leonid Kutschma, von 1994 bis 2005 Präsident der Ukraine, galt in Deutschland wegen seiner ausgewogenen Politik gegenüber Russland als „Moskau-treu“ und hatte deshalb keinen guten Stand in den großen deutschen Medien, die ganz offensichtlich auf die Zerrüttung der damals noch leidlichen Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine hofften. Anlass der Demonstration gegen Kutschma war der Mord an dem Kutschma-kritischen Journalisten Georgi Gongadse. Ein paar Tausend Demonstranten liefen mit Transparenten über den Kiewer Prachtboulevard Kreschtschatik. Angeführt wurde die Demo von Juri Luzenko, damals Abgeordneter der Sozialistischen Partei in der Werchowna Rada. Fünf Jahre später, 2005 – nach der „Orangenen Revolution“ in Kiew – wurde Luzenko ukrainischer Innenminister und von 2016 bis 2019 war er Generalstaatsanwalt.

Einige Demonstranten trugen einen großen Käfig, in dem sich eine Puppe befand, die Präsident Kutschma darstellen sollte. Ich hatte keine Sympathie für Kutschma. Solange aber nicht zweifelsfrei feststand, dass der ukrainische Präsident den Mord an dem Journalisten Gongadse in Auftrag gegeben hatte, fand ich diese Art der Agitation abstoßend, was ich in meiner Reportage für den Deutschlandfunk auch deutlich machte. Daraufhin stauchte mich die zuständige DLF-Redakteurin am Telefon zusammen.

Mit der gleichen Redakteurin war ich schon 1996 aneinandergeraten. Damals hatte ich für den Deutschlandfunk aus Moskau berichtete, dass der vom Westen bejubelte Wahlkampfchef von Boris Jelzin, Anatoli Tschubais, über Mittelsmänner eine halbe Million Dollar in einem Pappkarton aus dem Sitz der russischen Regierung schmuggeln ließ. Die Dollars waren für den Jelzin-Wahlkampf bestimmt. Das Geld wurde dringend benötigt, denn es bestand die Gefahr, dass Jelzin die Präsidentschaftswahl gegen seinen kommunistischen Herausforderer Gennadi Sjuganow verlieren würde. Die DLF-Redakteurin weigerte sich den Satz über die geschmuggelten Dollars zu senden.

Ähnliche Einmischungsversuche erlebte ich beim Berliner Tagesspiegel, für den ich von 1999 bis 2000 in Moskau akkreditiert war. Beim Tagesspiegel musste die Ukraine als von Russland unterdrücktes Land dargestellt werden. Diesen Eindruck gewann ich zumindest, als ich für die Zeitung einen Artikel schrieb, in dem ich Russland und die Ukraine gleichgewichtig dargestellt und Russland nicht als Unterdrücker bezeichnet hatte. Als ich den Tagesspiegel bat, mir ein Akkreditierungsgesuch nicht nur für Russland, sondern auch für die Ukraine zu senden, stellte sich die Redaktion quer, ohne das zu begründen. Ich ahnte, dass den Redakteuren meine „unkritische Haltung zum russischen Großmachtdenken“ gegen den Strich ging.

Ich wechselte dann als Moskau-Korrespondent zur Sächsischen Zeitung, für die ich bis 2014 in Russland akkreditiert war.

Russische Kultur – kein Thema für deutsche Medien

Mit Redakteuren des Deutschlandfunk, für den ich von 1994 bis 2000 als freier Mitarbeiter Reportagen aus Russland lieferte, gab es immer wieder Probleme. Anfangs war ich davon überrascht, waren doch Deutschland und Russland – zumindest offiziell – auf Verständigungskurs. Doch mit der Zeit merkte ich, dass diese Probleme fast zwangsläufig auftraten, weil wir mit unterschiedlichen Blickwinkeln arbeiteten. Für die meisten DLF-Redakteure stand fest, dass das politische und kulturelle System im Westen den Verhältnissen in Russland überlegen war. Und das sollte immer wieder dokumentiert werden. Ich spürte in den zahlreichen Telefongesprächen, die ich mit den Redaktionen des Deutschlandfunk führte, dass man von mir mehr Kritik und weniger Verständnis für Russland erwartete.

Als ich 1995 einen Beitrag über die Einweihung eines Obelisken zum Sieg über den Hitler-Faschismus auf dem Verneigungshügel im Zentrum von Moskau anbot, wies mich der Redakteur – offenbar in Erwartung einer unkritischen Sendung – darauf hin, dass mein Hörfunkbeitrag so kritisch ausfallen müsse wie der Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit, in dem sich der Autor über das „Pompöse“ des Denkmals erregt hatte. Ich schrieb dann einen Text, wo ich das Pompöse erwähnte, aber ohne den in den westlichen Medien üblichen bissigen Unterton.

1998 wagte ich es, dem Deutschlandfunk einen Beitrag über die berühmteste Schlagersängerin Russlands, Alla Pugatschowa, anzubieten. Die Antwort des Redakteurs ließ mich am Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verzweifeln. Der Redakteur – völlig verfangen in seiner westdeutsch-zentrierten Sichtweise – meinte, Alla Pugatschowa sei beim Eurovision Contest 1997 nur auf Platz 15 gekommen und deshalb für die Hörer nicht interessant. Diese Reaktion war typisch für die Haltung der westdeutschen Redaktionen. Dass Pugatschowa, die ihre Karriere in der Sowjetunion begonnen hatte, bei den Ostdeutschen eine bekannte Sängerin war, spielte für den Redakteur des „Leitmediums“ Deutschlandfunk keine Rolle.

Sehr auffällig war auch, welche russischen Schriftsteller in westdeutschen Medien Platz bekamen. Es waren Leute wie Viktor Jerofejew und Wladimir Sorokin, die sich über das sowjetische System lustig machten und für die eine Modernisierung Russlands nur durch die Übernahme der westlichen Sichtweisen und Lebensregeln möglich war.

Redakteure denken in der Tradition des Kalten Krieges

Ich war der Meinung, dass öffentlich-rechtliche Sender die Aufgabe hätten, die Menschen zu informieren, auch über das, was fremd und unverständlich ist. Doch die Redakteure des Deutschlandfunk befanden sich noch in der Tradition des Kalten Krieges. Man musste bei jeder Gelegenheit – auch bei kulturellen Themen – die Überlegenheit der westlichen Demokratie herausstellen.

Beim Sender arbeiteten einige Journalisten, die iсh als regelrechte Russland-Hasser kennenlernte. Ein DLF-Korrespondent in Moskau warf mir vor, ich hätte einen „Tunnelblick“. Er sorgte dafür, dass ich ab 2001 keine Beiträge mehr in der DLF-Sendung „Hintergrund Politik“ unterbringen konnte.

Der Leiter eines DLF-Morgenmagazins mit Schwerpunkt Europa, dem ich ebenfalls Beiträge anbot, führte mich Mitte der 1990er Jahre aufs Glatteis. Er fragte mich freundlich, wie ich denn in Moskau mein Geld verdiene. Als ich treuherzig berichtete, dass ich News-Aufsager für das Berliner Privatradio 100,6 mache, wurde er eisig und erklärte, wenn ich „für Private“ arbeite, könne ich ja wohl kaum gleichzeitig für einen öffentlich-rechtlichen Kanal tätig sein.

Eigentlich hätte er sich bei mir bedanken können, dass ich in einer der teuersten Städte Europas noch Zeit für den Deutschlandfunk fand. Dieser famose Staatssender nutzte meine Ortsnähe und Ortskenntnis in Russland schamlos aus, kaufte von mir Reportagen aus Tatarstan, Tschetschenien und anderen russischen Regionen ein, ohne mir auch nur ein einziges Mal die Reisekosten zu zahlen.

Auf die eingeengte Sichtweise auf Russland stieß ich auch, als ich Ende der 1980er Jahre beim Moskauer ZDF-Büro als Wochenend-Producer arbeitete. Meine Aufgabe war es, den Redakteuren, die sich am Wochenende zuhause bereithielten, Themenvorschläge zu machen. Einmal schlug ich zur Auswahl zwei Themen vor, ein Jolka-Weihnachtsfest in einem Konzertsaal auf dem Territorium des Kreml und als Alternative eine Jubiläumsfeier der Sondereinsatzgruppe des Innenministeriums »Witjas« (Recken), die ähnlich wie das deutsche SEK zu bewaffneten Einsätzen im Zivilsektor herangezogen wird. Der diensthabende Redakteur – übrigens ein Ossi – entschied sich für das Thema »Witjas« und machte einen Beitrag mit martialischen Szenen aus dem Training dieser Spezialeinheit.

Ich hatte eine Zeit lang überlegt, ob ich mich für eine Korrespondentenstelle beim ZDF bewerbe. Doch nach diesem Vorfall war für mich klar, dass das deutsche Fernsehen eine einseitige Russland-Darstellung wollte, in der die Kulturvermittlung völlig fehlte. Das Ziel des deutschen Fernsehens war es, ein negatives Russland-Bild in den Köpfen der ostdeutschen Zuschauer zu installieren und in den Köpfen der westdeutschen Zuschauer die bereits bestehenden Vorurteile und Ressentiments zu festigen. (...)

Wladimir Putin empfängt die ZDF-Journalistin Maybrit Illner 2006 zum Gespräch | Bild: picture-alliance/ dpa | Tass / Dmitriy Astaxov

Das Ende des Traums vom fairen Journalismus (2000−2023)

2014 war für mich als Journalist ein Schlüsseljahr. Wegen dem ukrainischen Bürgerkrieg und der westlichen Frontstellung gegen Russland musste ich meine Arbeit komplett umstellen. Viele Redaktionen beendeten die Zusammenarbeit mit mir, weshalb ich mir neue Abnehmer suchen musste.

Für die deutschen Regionalzeitungen, für die ich bis 2014 schrieb, hatte ich ausführlich über die Protestbewegung in Kiew berichtet, allerdings ohne in Euphorie zu verfallen. Im Januar 2014 hatte ich den Maidan besucht. Ich war schockiert von den ausgebrannten Autobussen und den vermummten, grimmig dreinschauenden Nationalisten, die ich in der Kiewer Innenstadt sah. Ich bemühte mich aber um eine ausgewogene Berichterstattung. In meinen Artikeln mahnte ich an, dass die deutsche Politik nicht nur die Menschen auf dem Maidan, sondern auch die Menschen im Südosten der Ukraine wahrnehmen müsse.

Die Mittelbayerische Zeitung – für die ich ohne Vertrag arbeitete und pro Zeile bezahlt wurde – war bis März 2014 eines der wenigen Blätter, das noch Beiträge von mir zum Konflikt in der Ukraine veröffentlichte. (…) Die Sächsische Zeitung hatte mir schon im Dezember 2013 den Honorarvertrag gekündigt. Die Kündigung wurde am Freitag, den 13. Dezember 2013, per Telefon von der Leiterin der Politikredaktion, einer Dame aus Südwestdeutschland, übermittelt. In ostdeutschen Leitungsfunktionen sitzen meist Westdeutsche, denn den Ostdeutschen traut man nicht zu, dass sie die „westlichen Werte“ verinnerlicht und sich von Russland und dem Sozialismus wirklich verabschiedet haben.

Meine Kündigung begründete die Leiterin der Redaktion mit den Worten : „Wir drucken kaum noch Geschichten von Ihnen. Wir müssen deshalb den Vertrag mit Ihnen bis Mitte des nächsten Jahres beenden.“ Politische Gründe nannte sie nicht. Die lagen für mich aber auf der Hand. Ich hatte über den Maidan in Kiew ohne die damals in deutschen Medien übliche Euphorie berichtet.

Ich bemerkte zudem, dass die Redaktion der Sächsischen 2012/13 fast nur noch „bunte Themen“ bei mir bestellte, also Themen abseits der großen Politik, die auch gut auf die letzte Seite der Bild-Zeitung gepasst hätten.

Als ich 2013 gekündigt wurde, war ich schockiert. Denn ich war zwölf Jahre lang zu jeder gewünschten Zeit – auch an Wochenenden und nachts – für die Zeitung im Einsatz gewesen. 1500 Euro brutto ließ sich die Sächsische Zeitung einen „Moskau-Korrespondenten“ kosten. Das mag für einige viel Geld sein. Doch ich kam in der teuren Stadt Moskau nur über die Runden, wenn ich außerdem noch für zahlreiche andere Blätter für Zeilenhonorar schrieb.

Pro-westliche Kursänderung bei der Sächsischen Zeitung

Dass es mit der Abteilungsleiterin der Sächsischen aus Südwestdeutschland schwierig werden würde, hatte ich schon bei meinem Redaktionsbesuch im August 2013 bemerkt. In einem Vier-Augen-Gespräch hatte ich vorgeschlagen, eine Reportage über den neuen Industriepark südwestlich von Moskau bei Kaluga, zu schreiben, wo Volkswagen gerade sein erstes russisches Werk gebaut hatte. Die Abteilungsleiterin zog nur die Augenbrauen hoch und machte eine abschätzige Grimasse. Da ahnte ich schon, dass die Zeit für Russland-freundliche Texte bei der Sächsischen beendet ist.

Von 2001 bis 2008 klappte die Zusammenarbeit zwischen mir und dem Dresdner Blatt noch gut. Damals – unter Chefredakteur Hans Eggert, einem echten ostdeutschen Journalisten – gab es noch keinen zwanghaften Anti-Russland-Kurs. Eggert (Jahrgang 1946) war von 1983 bis 1986 stellvertretender Chefredakteur der jungen Welt gewesen.

Meine Kollegen von der Sächsische Zeitung waren zunächst froh, dass sie mit mir „einen Mann in Moskau“ hatten. Die Leserschaft der Sächsischen hatte ein großes Russland-Interesse und da machte sich ein eigener Korrespondent in der russischen Hauptstadt gut.

Doch 2007 kam ein neuer Chefredakteur, Uwe Vetterick, Jahrgang 1969. Er war gebürtiger Ostdeutscher, hatte aber seine Karriere von 1993 bis 2006 bei dem anti-linken Kampfblatt Bild gemacht. Vetterick war bei Bild zuständig für die „neuen Bundesländer“. 2004 wurde er stellvertretender Bild-Chefredakteur.

Die Inthronisierung von Vetterick war ein Erfolg der westdeutschen Kalten Krieger gegen eine der letzten Bastionen der DDR. Die Sächsische Zeitung war von 1946 bis 1991 Parteizeitung der SED mit einer Million Lesern. In den 1990er Jahren hatte sie in Westdeutschland noch den Stallgeruch einer sozialistischen Zeitung. Doch in meiner Zeit verflüchtigte sich dieser Geruch.

Die Eigentumsverhältnisse des Blattes machten klar, wohin der Hase lief. Die „Sächsische“ wird von der DDV-Mediengruppe herausgegeben, die zu 60 Prozent dem Medienkonzern Bertelsmann und zu 40 Prozent der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gehört. Dass mit Zustimmung der SPD als Chefredakteur einer der traditionsreichsten ostdeutschen Zeitungen ausgerechnet jemand von der Bild berufen wurde, war bitter für mich, aber damals noch kein Grund zur Kündigung. Ich wollte erstmal abwarten, wie sich das Blatt weiterentwickelt.

Seit 2008 verstärkter Anti-Putin-Kurs

Mit meinen Kollegen – fast alles Ostdeutsche und ausgebildete Journalisten – war ich immer gut ausgekommen. Geduldig führten sie mich – den ausgebildeten Historiker mit Hang zu langen Texten – in den Tageszeitungsjournalismus ein. Einmal im Jahr machte ich in Dresden einen Redaktionsbesuch und erkundigte mich, welche Themen gewünscht wurden. Und ich machte auch eigene Vorschläge.

Ich konnte in der Sächsische Zeitung viele Reportagen veröffentlichen, auf die ich stolz war ; so etwa eine Geschichte über den deutschen Naturwissenschaftler und Forscher Manfred von Ardenne, für die ich extra in den Kaukasus – genauer gesagt nach Abchasien – fuhr, wo sich Ardenne von 1945 bis 1951 in einem Labor am Projekt einer sowjetischen Atombombe beteiligte.

Stolz war ich auch über eine Reportage über ein Gulag-Straflager bei Salechard in Nordrussland und eine ihrer Insassen, eine Russin, die bei den sowjetischen Behörden in Verdacht geraten war, weil sie im nordrussischen Archangelsk mit einem amerikanischen Soldaten getanzt hatte, der an den amerikanischen Waffenlieferungen an die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg beteiligt war.

Im Gespräch mit meinen Kollegen von der Sächsischen spürte ich, dass die von der Chefredaktion vorgegebene Blattlinie nicht alle überzeugte. Ab 2008 leiteten sie ihre Telefonanrufe bei mir immer häufiger mit der Phrase ein, „die Chefredaktion wünscht sich von Ihnen einen Artikel zu folgendem Thema“. Es ging dann meist um die üblichen Mainstream-Themen wie Alkoholkonsum in Russland, russische Gesetzesverschärfungen und Maßnahmen gegen die liberale (nicht die linke) Opposition in Russland.

Weil ich mit dieser Linie komplett nicht einverstanden war, suchte ich nach einer alternativen Möglichkeit, meine Sicht auf Russland der deutschsprachigen Öffentlichkeit nahezubringen. Zusammen mit Ute Weinmann, einer deutschen Journalistin, die, wie ich, in Moskau lebte, schrieb ich ein Buch über die linke Opposition in Russland, das 2008 im Zürcher Rotpunktverlag erschien. (1)

Immerhin setzten meine Kollegen bei der Sächsischen Zeitung durch, dass die Auslandskorrespondenten des Blattes in einer regelmäßigen Rubrik von Alltagserlebnissen in ihrem Berichtsland erzählen konnten. Aber diese schöne Rubrik war nur ein Trostpflaster. Sie reichte nicht aus, um ein reales Russland-Bild zu vermitteln.

Es gab auch richtig unschöne Erlebnisse, so als die Leserbrief-Redaktion der Sächsischen – vermutlich auf Weisung der Chefredaktion – mich aufforderte, Briefe von Lesern zu beantworten, die sich über eine zu negative Russland-Berichterstattung beschwerten und fragten, warum die Sächsische die Einkreisung Russlands durch US-Militärbasen nicht kritisierte. Da war ich in einer Zwickmühle. Ich konnte den Lesern nicht so kritisch zu den US-Basen antworten, wie es meinem Gefühl entsprach. In meiner Antwort an die Leser gestand ich nur ein, dass es eine militärische Expansion der USA gibt, verteidigte aber meine Kritik an den inneren Zuständen in Russland. (…)

Zürcher Wochenzeitung sagt „Ade“ (2015)

Wo ich auch hinguckte, überall bröckelte die Unterstützung für meine journalistische Arbeit. Als Journalist eine Akkreditierung in Russland zu bekommen, wurde für mich ab 2014 immer schwieriger, nicht weil die Russen sich weigerten mich zu akkreditieren, sondern weil es schwieriger wurde, ein deutsches Medium zu finden, welches in Moskau ein Akkreditierungsgesuch stellte.

Nach der Kündigung durch die Sächsische Zeitung 2013 bat ich die linke Zürcher Wochenzeitung (WOZ), für die ich seit 1994 schrieb, einen Akkreditierungsantrag beim Moskauer Außenministerium zu stellen. Die Redaktion stellte den Antrag und ich wurde akkreditiert. Doch es dauerte kein Jahr, dass es auch bei der WOZ zum Eklat kam.

Der Anlass war eine Artikelüberschrift in der Internetzeitung Telepolis, für die ich damals ebenfalls schrieb. Ich hatte im Mai 2015, nach dem tödlichen Anschlag auf den pro-russischen Donbass-Feldkommandeur Aleksej Mosgowoi, getitelt: „Mordanschlag gegen den ‚Che Guevara von Lugansk‘“ . Das war zu viel für die Chefredaktion der linksliberalen Wochenzeitung. So eine Überschrift widerspreche den „Prinzipien der Neutralität“, erklärte mir ein WOZ-Redakteur.

RT DE – Ein Pakt mit dem Teufel ? (2017)

Weil 2014 ein Großteil meiner Abnehmer im deutschsprachigen Raum wegbrach, ging ich 2017 auf ein Angebot von RT deutsch ein. Die Redaktion bot mir an, als freier Mitarbeiter Video-Reportagen und Texte zu gestalten. Ich wählte den Schwerpunkt Alltag und Kultur in Russland und Berichte aus den Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Die Themen schlug ich weitgehend selbst vor.

Ich machte eine Reportage über Moskauer Gebäude, die in den 1920er Jahren im Stil des kommunistisch-utopischen Konstruktivismus gebaut wurden. Es gibt in Russland heute noch viele Studentenheime und frühere „Kommune“-Häuser, die in diesem Stil gebaut wurden. Ich fuhr auf die Insel Walaam im nordrussischen Ladoga-See und machte dort eine Reportage über das berühmte Männerkloster.

Auf der Krim schrieb ich über das international bekannte Jugendferienlager „Artek“ und machte eine Reportage über die Krim-Tataren, die gerade eine große, neue Schule bekommen hatten. Ich interviewte eine Aktivistin aus Leipzig, die mit Hilfe deutscher Spender seit 2016 zusammen mit ihrer Mutter ausrangierte Krankenhausausrüstung aus Deutschland in die Volksrepublik Lugansk schafft, wo die Ausrüstung an Krankenhäuser verteilt wird.

Kaum waren meine ersten Reportagen bei RT DE veröffentlicht, forderten mich linke deutsche Medien auf, mich von RT zu distanzieren. Die Redaktion des Berliner Antifaschistischen Infoblatts, für das ich seit 2010 Artikel über russische Rechtsradikale schrieb, hatte noch im April 2017 eine Analyse über ukrainische und russische Rechtsradikale bei mir bestellt. Zwei Wochen später wurde der Auftrag storniert. Man müsse zunächst meine Position zu RT DE prüfen, schrieb mir das AIB-Redaktionsmitglied S.

„Uns ist aufgefallen, dass du momentan schwerpunktmäßig für RT deutsch schreibst. Da es innerhalb der Redaktion deutliche Kritik an dem Wirken von RT gibt, nicht zuletzt hinsichtlich unseres Themas ‚Extreme Rechte‘, möchten wir das in Ruhe erörtern. Natürlich sind wir auch darin interessiert zu erfahren, wie du zu rt deutsch stehst und wie du rt politisch einschätzt.“

Ich antwortete :

„Liebe S., habe ich in meinen Artikel und Filmen für RT nationalistische Positionen vertreten ?? ?? Wird bei RT eine nationalistische Ideologie vertreten ? Könnt Ihr Beispiele dafür nennen ?“

Auf meine Mail bekam ich keine Antwort.

Linke Zeitungen: Kritik an RT, aber nicht an konservativen deutschen Medien

Auch für die linke Hamburger Monatszeitung Analyse und Kritik hatte ich aus Russland gelegentlich Artikel geschrieben. 2014 erschienen in Analyse und Kritik von mir noch zwei Reportagen zum Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa  und zur Lage in der Ostukraine.  2014 konnte man solche Artikel in dem Magazin noch veröffentlichen. Im Februar 2017 hatte mich Analyse und Kritik zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution interviewt. Das war für das Heft – das damals kaum noch über Russland und die Ukraine berichtete – gerade noch verkraftbar, weil man über das geringe Interesse der russischen Offiziellen an dem Jahrestag die Nase rümpfen konnte.

Doch als ich Analyse und Kritik kurz darauf eine Reportage über eine von der ukrainischen Armee beschossene Schule in der Donbass-Stadt Górlowka anbot, wurde die Ladentheke hochgeklappt. Die Reportage wurde abgelehnt, weil sie in anderer Form schon bei RT DE erschienen war. Ein Redakteur der Zeitung, der schon kritisiert hatte, dass ich 2016 meine Rückführung aus Odessa „Deportation“ genannt hatte, teilte mir mit, man habe „starke Vorbehalte“ gegen RT DE.

Ich antwortete dem Redakteur, „ich verstehe Eure Position nicht. Bei Euch können doch auch Autoren schreiben, die in deutschen Mainstream-Zeitungen schreiben. Ist dieser deutsche Mainstream denn besser als RT deutsch ?“

Ich dachte dabei vor allem an mich selbst. Die Redaktion von Analyse und Kritik hatte ja niemals beanstandet, dass ich in konservativen Medien, wie dem Deutschlandfunk, dem Rheinischen Merkur, der Wiener Presse und einmal auch in der Frankfurter Allgemeinen veröffentlicht hatte. Das soll mal einer kapieren ! Die Zusammenarbeit mit konservativen Medien wird akzeptiert, die Zusammenarbeit mit RT DE ist aber so schlimm wie ein Pakt mit dem Teufel ? Warum diese ungleiche Behandlung ? Weil Russland gefährlicher ist als deutscher Imperialismus und NATO ?

Der Redakteur von Analyse und Kritik antwortete mir, vernünftige Linksliberale wie Heribert Prantl (ehemals Süddeutsche Zeitung) kämen bei RT DE nicht vor. Außerdem sei die Kritik des Mainstream-Medienmagazins Zapp „am Verschwörungsdenken der RT-Macher und ihres Publikums (‚Fall Lisa‘ !) wohlbegründet.“

Ich hatte den Eindruck, dass die Kritik an meiner Zusammenarbeit mit RT DE vorgeschoben war. Der wahre Grund bestand darin, dass man zum Thema Ukraine einfach nichts aus der Sicht der Donbass-Bevölkerung veröffentlichte, weil man sich nicht „prorussisch“ positionieren wollte. Seit 2015 hatte Analyse und Kritik keine kritischen Artikel zum Kiewer Staatsstreich und zum Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa veröffentlicht. Das sagt eigentlich schon alles zum Standort dieser Zeitung, die von sich selbst behauptet, sie sei „linksradikal“. (…)

Die Jungs vom Christianeum (2022)

Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine gab mir auch die Berliner Wochenzeitung der Freitag den Laufpass. Für den Freitag schrieb ich seit 1992. Seit 2015 war ich für die Zeitschrift in Moskau akkreditiert. Am 23. März 2022 bekam ich einen Brief von Freitag-Chefredakteur Philip Grassmann, in dem dieser erklärte, ein neues Akkreditierungsgesuch für Moskau werde er nicht unterschreiben.

Ich ahnte, was der Anlass der Kündigung war, mein Porträt im Freitag über den russischen Außenminister Sergej Lawrow, in dem ich darstellte, dass dieser die Entscheidung für die russische Intervention in die Ukraine mitgetragen hatte. Mein Artikel widersprach der Ende Februar 2022 gängigen Behauptung in den großen deutschen Medien, die Intervention sei eine Allein-Entscheidung des „Diktators Putin“ gewesen. Auch hatte ich die damals in westlichen Zeitungen gängige Formulierung „russischer Angriffskrieg“ nicht benutzt, sondern vom „Einfall in die Ukraine“ geschrieben.

Es gäbe viele Texte von mir, die er schätze, hieß es im Schreiben des Chefredakteurs Grassmann. „Allerdings habe ich kein Verständnis für Ihre Positionierung im Ukraine-Krieg. Es gibt eine Vorgeschichte zu diesem Krieg – ja. Aber der Westen trägt keine Mitverantwortung an diesem Krieg. Das war Putins alleinige Entscheidung. Es handelt sich auch nicht um eine Intervention Russlands, sondern um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg.“ Ein Autor mit dieser Haltung habe „keinen Platz im Freitag – zumindest nicht solange, wie der Ukraine-Krieg dauert oder seine politischen Auswirkungen das Geschehen in Europa dominieren.“

Ich war wütend über die dreiste Behauptung, der Westen trage „keine Mitverantwortung an diesem Krieg“. Mit dieser Behauptung stellt Grassmann meiner Meinung nach das Selbstverständnis einer kritischen linken Zeitung auf den Kopf. Dem Freitag hätte es gut zu Gesicht gestanden, im Blatt eine Debatte über den Krieg in der Ukraine zu eröffnen, unterschiedliche Standpunkte gegenüberzustellen und andere Sichtweisen nicht von oben abzuwürgen. (…)

Westdeutsche Führungskräfte wissen nichts über Russland

Ich forschte nach, wer eigentlich dieser Chefredakteur Grassmann sei. Mit irgendwelchen interessanten Positionen oder Analysen war er mir bisher nicht aufgefallen. Grassmann hatte – wie auch Freitag-Herausgeber Jakob Augstein – sein Abitur am Christianeum gemacht, einem Gymnasium in den Hamburger Elbvororten, das traditionell von Kindern der Mittel- und Oberschicht besucht wird. Auch ich hatte dort 1966 ein Jahr die Schulbank gedrückt.

Grassmann hatte ein Jahr in London studiert und viele Jahre bei der Welt und der Süddeutschen Zeitung gearbeitet. Ein paar Jahre leitete er in Hamburg das Abaton-Programm-Kino, welches sein Vater gründete. Dass Grassmann irgendwann einen mutigen Schritt machte, gegen den Strom schwamm und seinen Namen für eine gute Sache hergab, indem er sich zum Beispiel für einen in Deutschland politisch verfolgten Journalisten oder Aktivisten einsetzte, ist mir nicht bekannt. Ich wundere mich, was Grassmann zum Chefredakteur einer linken Zeitung prädestiniert.

Offenbar hing die Berufung von Grassmann zum Chefredakteur damit zusammen, dass der Verleger Jakob Augstein, nachdem er 2008 den Freitag übernommen hatte, das Blatt zu einer „normalen Zeitung“ entwickeln wollte und eben dafür Grassmann als geeignet schien. (…)

Dass in fast allen ostdeutschen Zeitungen seit 1992 Westdeutsche den Ton angeben, ist im vereinigten Deutschland „normal“. Bei der Durchsetzung der westlichen Sichtweise auf die Weltlage stören Menschen ostdeutscher Herkunft offenbar. Denn sie haben nicht selten Verständnis für Russland.

Die Familiengeschichte westlicher Führungskräfte verbindet meist nichts mit Russland, außer dass die Väter oder Großväter in Russland im Krieg waren. Die meisten westlichen Führungskräfte können kein Russisch. Die wenigsten haben Russland besucht. Ihr Auslandsstudium haben sie meist in einer der westlichen Hauptstädte oder in einer Hauptstadt der „Dritten Welt“, aber so gut wie nie in Moskau gemacht, im Gegensatz zu vielen Ostdeutschen meiner Generation, die in Moskau oder in einer anderen sowjetischen Stadt studiert haben. So kommt es, dass einem westdeutschen Chefredakteur die Hand keine Sekunde zittert, wenn es darum geht, einem „Putin-nahen“ Moskau-Korrespondenten den Laufpass zu geben. (…)

Deutschland ist wieder dort angekommen, wo es in den 1950er Jahren schon mal war, als man im Westen die Remilitarisierung durchsetzte, die KPD verbot, zu den Verbrechen der Wehrmacht in der Sowjetunion schwieg und nicht wenige Deutsche der Meinung waren, Deutschland habe den Krieg gegen die Sowjetunion zu Unrecht verloren.

Ulrich Heyden, „Mein Weg nach Russland“, Promedia, 272 Seiten, 25 Euro

Über den Autor: Ulrich Heyden, Jahrgang 1954, stammt aus Hamburg und absolvierte dort von 1974 bis 1980 eine Lehre als Metallflugzeugbauer. Von 1981 bis 1991 studierte er Volkswirtschaft und Geschichte. Heyden lebt und arbeitet seit 1992 als freier Korrespondent in Moskau. Er ist Autor mehrerer Bücher – zuletzt erschien von ihm „Der längste Krieg in Europa seit 1945. Augenzeugenberichte aus dem Donbass“ (2022).

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GEORGE, 10. April 2024, 17:35 UHR

Ein sehr interessantes Buch. Danke Herr Heyden.

"Die Familiengeschichte westlicher Führungskräfte verbindet meist nichts mit Russland, außer dass die Väter oder Großväter in Russland im Krieg waren".

Um das zu verdeutlichen, hier ganz kurz eine wahre Begebenheit, die sich im 2. Weltkrieg bei Smolensk ereignet hat: Ein deutscher Soldat entdeckte bei seiner Nachtwache einen russischen Soldaten, der den Deutschen nicht bemerkt hatte und plötzlich in den Gewehrlauf des Deutschen schaute. Der Russe, der ein wenig Deutsch sprach, schmiss das Gewehr weg und sagte : "Scheiß Stalin". Der Deutsche sah in seine verzweifelten Augen und sagte dann: "Scheiß Hitler". Danach rauchten sie eine Zigarette und gingen friedlich auseinander.

JAMES B., 11. April 2024, 04:30 UHR

Sehr bittere Geschichte! Vollkommen konträr ist es dagegen, bei US-Korrespondenten deutscher "Leitmedien".

Die USA-Tour eines deutschen Journalisten ist ein wahres Karrieresprungbrett. Tom Buhrow landete in Washington als einfacher Korrespondent und wurde mit charmanten Lobgesängen dortiger ARD-Studioleiter. Übernommen hatte er von Claus Kleber, der ab da bis zu seiner Pensionierung 2021 das ZDF-heute-journal chefmoderieren sollte. Buhrow indes übernahm ab 2006 von Ulrich Wickert (1977 US-Korrespondent für die ARD) den Posten als "Erster Moderator" der ARD-Tagesthemen. Seit 2013 ist Buhrow WDR-Intendant, mit fürstlicherem Salär als der Kanzler oder US-Präsident.

Und noch ein ehemaliger US-Korrespondent machte steile Karriere. Steffen Seibert drehtürte vom ZDF zum Presseprecher Merkels.

Hach, was eine wundervolle, selbstverstärkende Feedback-Schleife! An ihrem Höhepunkt kann sogar der Chefposten über die selbst mitgebaute, bipolare Sympathie- und Verachtungsblase stehen — mit all ihren abhängig beschäftigten Linientreuen, die so gerne nachplappern, was sie gerne hätten, statt zu schreiben, was ist. Nie war der deutsche Journalismus so korrupt.

Zum Glück gibt's multipolar! Und Ulrich Heyden, dessen Artikel ich bei TP immer sehr geschätzt habe.

RALLE, 11. April 2024, 12:40 UHR

Leider macht sich dieser Russenhass auch bei Ostdeutschen und in Teilen der "freien Presse" breit. So soll der eigentlich geachtete ostdeutsche CDU-Politiker Arnold Vaatz bei Tichys Einblick diesen (beschämenden) Artikel als Gastbeitrag veröffentlicht haben (falls er es wirklich war) (https://www.tichyseinblick.de/gastbeitrag/dresdner-friedenspreis-nawalny-kretschmer/)

TE ist bekanntlich transatlantisch, genau wie Reitschuster, der für seine Russenhetze sogar bezahlt wird (https://www.nachdenkseiten.de/?p=48281) [Anmerkung der Redaktion: Dass Reitschuster für seine Veröffentlichungen zu Russland verdeckt bezahlt wurde, ist lediglich eine Vermutung und geht aus der angegebenen Quelle nicht hervor.]

Seit 3 Jahren sendet der ÖRR ausschließlich Beiträge aus ukrainischer Sicht mit ukrainischen Gästen. Der russische Botschafter, ein russisches Regierungsmitglied etc. kommen nicht zu Wort. Im Gegenteil, es werden Falschmeldungen zur besten Sendezeit über angebliche russische Kriegsverbrechen gebracht, die Richtigstellung (wenn überhaupt) findet man irgendwo im Internetauftritt dieses Regierungsmediums. Ich musste schon in die Schweiz fahren, um mal die andere Seite zu hören: https://voicefromrussia.ch/sergei-garmonin-russischer-botschafter-spricht-beim-inputevent-vom-22-marz-2024/

Dieses Gerede über die "territoriale Integrität Ukraine" ist nicht zum aushalten. Diese territoriale Integrität hat die Ukraine selber und nachhaltig zerstört, als sie ab 2014 auf die eigenen Leute im Donbas geschossen hat. In was für einer verlogenen Gesellschaft leben wir? 700 „Wissenschaftler“ fordern mehr Waffen für die Ukraine, weil "Russland nicht gewinnen darf". Diese Menschen lassen sich vom ÖRR, der immer noch die Lügen von Correctiv hinsichtlich der Wannsee 2.0 Konferenz verbreitet, veräppeln und nehmen an Protestaufmärschen gegen Rechts teil. Auf der anderen Seite unterstützen sie ukrainische Bandera-Nazis.

DIETER R., 11. April 2024, 13:05 UHR

Dieser Artikel beschreibt sehr schön, wie langfristig man schon eine negative Rußlandsicht in den deutschen Medien zelebrierte und wie über die Jahre systematisch Schlüsselpostionen dieser Medien mit den "richtigen Leuten" besetzt wurden. Wie sagte Daniele Ganser in einem seiner Vorträge bezüglich Macht sinngemäß so schön:

"Zunächst ist die Machtfrage an sich entscheidend, es ist aber für den Machterhalt ebenso entscheidend, wer die öffentliche Meinung kontrolliert."

Letzteres haben unsere Eliten wirklich sauber durchgezogen, mit der Folge, das es wirkliche Meinungsfreiheit bei uns nicht gibt. Das sieht man beim Thema Rußland überaus deutlich, wenn man sich seinen gesunden Menschenverstand bewahrt hat.

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