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Eve of destruction? Eine Mutmaßung

Befürworter wie Kritiker der aktuellen Corona-Maßnahmen sind sich in einem wesentlichen Punkt einig. Sie alle neigen zu der Annahme, dass diejenigen, die uns durch diese nicht enden wollende Krise steuern, eine klar definierte Agenda verfolgen, dass sie – ungeachtet aller Turbulenzen und „Debakel“ ihres Krisenmanagements – das Heft des Handelns in der Hand halten, dass sie wissen, was sie wollen und was sie tun. Tatsächlich? Spricht nicht, ganz im Gegenteil, vieles dafür, dass die Corona-Politik längst aus dem Lot und außer Kontrolle geraten ist? Dass der „Krieg gegen das Virus“ nur Leid und Zerstörung und viele Verlierer hinterlässt? Dass also – bewusst oder unbewusst – gewaltige Destruktivkräfte entfesselt wurden, die inzwischen ein Eigenleben führen?

ULRICH TEUSCH, 3. April 2021, 15 Kommentare

Hinweis: Dieser Beitrag ist auch als Podcast verfügbar.

Man kann grob drei Haltungen zur Coronakrise unterscheiden:

Position 1: Die Pandemie ist überaus gefährlich. Die Gegenmaßnahmen sind weitreichend, angemessen und verhältnismäßig. Die politisch und administrativ Handelnden werden von ehrenwerten Motiven geleitet. Sie sind Gute – und sie tun Gutes. Man kann zwar nicht übersehen, dass die Abwehrmaßnahmen gewisse Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringen. Doch diese sind leider unvermeidbar und daher in Kauf zu nehmen.

Position 2: Die Pandemie ist real, wenn auch nicht derart gefährlich wie staatlicherseits behauptet. Die Gegenmaßnahmen laufen seit längerem aus dem Ruder. Sie sind oft unnütz, zum Teil schädlich, alles in allem unverhältnismäßig. Die Politik ist weithin beratungsresistent und streitet ihre Fehlleistungen und Versäumnisse ab. Sie hat sich in eine Sackgasse manövriert, aus der sie ohne Gesichtsverlust nicht mehr herauskommt. Darum hält sie stur Kurs – ein trotziges Weiter so.

Position 3: Die Pandemie ist zwar real, aber nicht das eigentliche Problem. Sie dient vielmehr als Vehikel, wird von interessierten Kreisen instrumentalisiert, um ganz andere Ziele zu verfolgen. Denen, die da unter falscher Flagge segeln, geht es nicht primär um das Virus und unser aller Gesundheit, sondern um den Abbau von Rechtsstaat und Demokratie zugunsten einer ausgefeilten Überwachungs- und Kontrollstruktur. Wichtigster Programmpunkt ist die Zurückdrängung des (National-) Staats. Man will die ganze Welt regieren – auch ohne Weltregierung – und nennt das „Global Governance“. Der Kapitalismus, so der Lockruf, soll anders und besser werden, nämlich grüner, sozialer, gesünder. Doch bevor man Neues schaffen kann, muss alles Hinderliche aus dem Weg geräumt werden. Das probate Mittel zur Erreichung dieser Ziele und zugleich der Zweck des Ganzen ist ein technokratischer Autoritarismus. Doch das sagt niemand so deutlich.

Alle drei Szenarien unterstellen mehr oder weniger explizit, dass diejenigen, die da handeln – ob so oder so oder anders – Herren der jeweiligen Lage sind, alles im Griff und unter Kontrolle haben. Gesetzt den Fall, dem wäre so: Warum erweisen sich die angeblich so souveränen Akteure dann immer wieder als unfähig und überfordert, warum richten sie allerhand Chaos und Kontraproduktives an, warum verlangen sie den Menschen Opfer ab, die alles in den Schatten stellen, was durch das Virus an Leid verursacht wird? Und warum bezeichnen sie die durch ihre Maßnahmen verursachten weitreichenden Zerstörungen mit einem zynischen Euphemismus als „Kollateralschäden“?

Ins offen Zerstörerische abgeglitten

Walter van Rossum spricht im Zusammenhang mit der Coronakrise von einer „Zerrüttungsstrategie“, die „nicht dem Schutz, sondern der Vernichtung von Millionen Existenzen“ diene.

„Warum quält man die Menschen weltweit mit einer offensichtlich nutzlosen, aber extrem kostspieligen Strategie? Wie kann es sein, dass kulturell, politisch und ökonomisch völlig unterschiedliche Staaten und Kulturen seit einem Jahr ihre Gesellschaften ökonomisch, psychisch und teilweise auch physisch systematisch ruinieren auf der Grundlage eines ziemlich unglaubwürdigen Gerüchts?“

Ganz ähnliche Vermutungen und Diagnosen finden sich auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Dort illustriert Dirk Maxeiner die Misere am Beispiel der deutschen Kanzlerin. Deren Politik sei „längst ins offen Zerstörerische abgeglitten“. Nicht erst in der Coronakrise, auch schon früher (etwa beim Atomausstieg oder in der Flüchtlingskrise) habe sie „scheinbare oder tatsächliche Ausnahmezustände (genutzt), um im Endeffekt Verheerungen und Zerstörungen zu hinterlassen“. Die Führungskräfte ihres Systems gebärdeten sich mittlerweile – so Maxeiner wörtlich – wie eine bekiffte, tollwütige Soldateska. Es sehe aus, als wolle „die Abrissbirne aus der Uckermark (…) nur noch Staub hinterlassen“.

Gerade in jüngster Zeit konnte man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass die Politik dieser Kanzlerin immer deutlicher narzisstische Züge annimmt: Sie fällt ihrer Partei und deren Ministerpräsidenten in den Rücken, schert sich weder groß um die Verfassung noch um die Frage, wie es nach ihrem in Aussicht genommenen Abtritt in Deutschland weitergehen könnte. Merkel steht im Zentrum einer desolaten Politik. Manche Beobachter sprechen von organisierter Verantwortungslosigkeit.

„Die deutsche Republik ist im freien Fall. Ihre Institutionen funktionieren nicht mehr. Der Bundestag ist ein Gremium von Abnickern und zu einer Spielwiese für kleine Geschäftemacher geworden. Die deutsche Regierungsgewalt zerfällt. Statt mutiger Regierungsentscheidungen herrscht föderale Anarchie.“

So Markus Kerber – und er fürchtet, dass „nur der Abgrund dieser Horde von Partei-Politikern Einhalt zu gebieten vermag“.

Zusammengefasst: Wir sind mit einer Politik konfrontiert, deren Protagonisten ohn‘ Unterlass versichern, stets nur das Beste zu wollen, nur zu schützen und zu retten. Doch wie immer man ihre (und damit unsere) vorläufige Bilanz dreht und wendet – sie ist desaströs. Blickt man auf Deutschland oder über Deutschland hinaus, fallen zahllose Schneisen der Verwüstung ins Auge. Die ökonomischen, politischen, rechtlichen, physischen, psychischen, medizinischen Verheerungen der Corona-Politik sind nicht mehr zu leugnen.

Besonders gebeutelt werden einzelne vulnerable Gruppen, allen voran Kinder und Jugendliche, und zwar weltweit – wobei es in vielen armen Regionen für sie buchstäblich um Leben und Tod geht. Sodann und beschämenderweise wird die Krise auf den schmerzenden Rücken der Alten und Pflegebedürftigen (teils in Heimen lebend, teils allein und einsam in ihren Privatwohnungen) ausgetragen; man hat sie nicht ausreichend gegen das Virus geschützt und setzt sie obendrein mit schockierender Eiseskälte den inhumanen Anti-Corona-Maßnahmen aus.

Destruktion um ihrer selbst willen?

In ihrem verbissenen Kampf gegen ein Virus, „das nicht locker lässt“ (Merkel) – wobei nicht ganz klar ist, ob wir uns in der „dritten Welle“ oder bereits in einer „im Grunde genommen neuen Pandemie“ (wieder Merkel) befinden – geht die Politik bislang ungekannte Risiken ein. Sie agiert ohne Rücksicht auf Verluste. Die Lebensleistungen von Millionen Menschen scheinen ihr nichts zu gelten. Sie setzt so viel aufs Spiel, dass ein immer größerer Teil der Bevölkerung die laufenden Ereignisse und stagnierenden Entwicklungen mit ungläubigem Staunen, purer Fassungslosigkeit oder schierer Verzweiflung verfolgt. In Leserforen der Medien (auch denen des Mainstreams) stößt man immer öfter auf eine Wahrnehmung, die da lautet: Offenkundig sind Kräfte am Werk, die an einem großen Zerstörungs- und Vernichtungsprojekt arbeiten. Man glaubt, eine Lust am Untergang zu erkennen, ein „Nach uns die Sintflut“.

Nur: Welches Interesse könnten Politiker daran haben, sich bei ihren Bevölkerungen nicht mit Erfolgs-, sondern mit Schadensbilanzen um die Wiederwahl zu bewerben? Wer kommt auf die wahnwitzige Idee, einen Ausnahmezustand in Permanenz zu etablieren, also den temporären Notstand in einen Normalzustand zu überführen? Salopp gefragt: Warum tun die das? Warum handeln diese Leute wie sie handeln?

Hat der Dauer-Lockdown seine Gründe möglicherweise gar nicht – wie Peter Nowak vermutet – in wissenschaftlichen Erkenntnissen oder wie auch immer gearteten Interessen der Entscheider und ihrer Einflüsterer? Wurzelt er vielleicht und vielmehr im „tiefe(n) Pessimismus einer Weltgesellschaft, die sich eher das Ende der Menschheit als das Ende des Kapitalismus vorstellen kann“?

Könnte es sein, dass es sich bei dem nie gesehenen Schauspiel, das großen Teilen der Welt gerade geboten wird, um eine Destruktion um ihrer selbst willen handelt? Dass Kräfte wirken, die einfach nur auf Zerstörung und Verwüstung aus sind? Die auf die eigenen Bevölkerungen losgehen und diese in Geiselhaft nehmen? Werden wir etwa von Menschen regiert, die weder gut noch schlecht sind, sondern krank? Ist das vorstellbar? Ist das möglich?

Zum Beispiel Hitler

Betrachten wir einen Extremfall in Sachen Zerstörungswut! Gegen Ende seines Hauptwerks Anatomie der menschlichen Destruktivität stellt der Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm (1900-1980) die Frage, „ob Hitler tatsächlich den Krieg gewinnen wollte oder ob er unbewußt und trotz all seiner scheinbaren Anstrengungen zu siegen auf die Katastrophe zusteuerte“.

Das scheint angesichts der enormen Kriegsanstrengungen Hitler-Deutschlands eine absurde, beinahe ungehörige Frage. Doch Fromms Akzent liegt auf dem Wort „unbewusst“. Adolf Hitler, so seine These, war von Hass geleitet, von einem intensiven, ihn absorbierenden Zerstörungsdrang besessen. War ein Mensch dieses Zuschnitts überhaupt in der Lage, etwas Konstruktives zu leisten? Konnte er die Aufbauarbeit, die ein Sieg im Zweiten Weltkrieg mit sich gebracht hätte, überhaupt wollen? Oder stand sein Wesen, sein Unbewusstes dem (und ihm) im Weg?

„Hitler war ein Spieler; er hat mit dem Leben aller Deutschen ebenso wie mit seinem eigenen Leben gespielt. Als das Spiel aus war und er verloren hatte, hatte er nicht allzu viel Grund, es zu bedauern. Er hatte gehabt, was er sich immer gewünscht hatte: Macht und die Befriedigung seines Hasses und seines Zerstörungsdranges. Seine Niederlage konnte ihm diese Befriedigung nicht nehmen. Der Megalomane und Zerstörer hatte in Wirklichkeit nicht verloren. Verloren hatten nur die Millionen von Menschen – Deutsche, Angehörige anderer Nationen und die rassischen Minderheiten –, für die der Tod auf dem Schlachtfeld noch die mildeste Form des Leidens gewesen war. Da Hitler mit niemand das geringste Mitgefühl hatte, verursachte ihm dieses Leiden weder Schmerz noch Gewissensbisse.“

Und heute? Oberflächlich und mit einer gewissen Naivität betrachtet, könnte man annehmen, angesichts von Corona, Klimawandel und Great Reset erlebten wir zurzeit das genaue Gegenteil des Hitlerschen Vernichtungswerks, nämlich eine geradezu altruistische, globale Rettungsaktion. Doch das ist nur die glatte, blendende Oberfläche. Schürft man etwas tiefer, sieht man auch hier gewaltige Destruktivkräfte am Werk – vermutlich unbewusst wirkende Kräfte. Und es beschleicht einen der Verdacht, dass uns – oder besser: den Regierenden – etwas entgleitet, dass etwas in großem Stil außer Kontrolle gerät und zu Ende geht.

Welt in Auflösung

Entsprechend ist die Stimmung. Immer öfter kann man lesen oder hören, wir befänden uns in einem Zeitalter der Dekadenz, in einer absterbenden Welt. Die Neue Zürcher Zeitung, nicht unbedingt anfällig für apokalyptische Töne, sinnierte kürzlich über Weltuntergangsszenarien und erläuterte in diesem Zusammenhang wenig geläufige Termini wie „Omnizid“ (also die Selbstauslöschung der Menschheit), das existenzielle Risiko (im Englischen „x-risk“) oder die „doomer lit“ (so nennt man das zugehörige literarische beziehungsweise philosophische Genre).

Was lange Zeit stabil und unangreifbar war, scheint in Auflösung begriffen, nicht nur in Deutschland, sondern in weiten Teilen der Welt, insbesondere der westlich orientierten. Die USA etwa gelten inzwischen als tief gespaltenes Land. Einzelne Auguren sprechen ganz offen von der Gefahr eines Bürgerkriegs oder zumindest bürgerkriegsähnlicher Zustände. Und auch viele derjenigen, die in ihrem Urteil zurückhaltender sind, sehen den sozialen Zusammenhalt bedroht, fürchten um Rechtsstaat und Demokratie.

Zudem gerät das Land im globalen Maßstab immer mehr ins Hintertreffen und reagiert auf diesen Machtverlust geradezu erratisch – und wiederum (selbst-) zerstörerisch. Die globalen Gegenspieler China und Russland scheinen sich mittlerweile damit abgefunden zu haben, dass auf die bewährten Wege der diplomatischen Verständigung und Zusammenarbeit mit dem Westen kein Verlass mehr ist, dass die jahrzehntelang leidlich intakte „regelbasierte Ordnung“ von den USA und einigen ihrer Verbündeten mutwillig ruiniert wird. Und während all dies geschieht, rast – wie Matthew Ehret es ausdrückt – die Hindenburg des westlichen Finanzsystems ihrem flammenden Ende entgegen…

In diesen großen Krisen- und Zerstörungskontext gehören auch und nicht zuletzt die erbitterten und immer breiteren Raum einnehmenden Kontroversen über die Exzesse der „Wokeness“, der Cancel Culture, der politischen und sonstigen Korrektheit, die um sich greifenden Zensurpraktiken, das strenge Pochen auf politische Hygienevorschriften, die Diffamierung von Skeptikern und Zweiflern als „Leugner“ et cetera. Viele Beobachter fühlen sich angesichts dieses „Tugendterrors“ (Hermann Lübbe) an berühmt-berüchtigte historische Vorläufer erinnert, deren Anmaßungen und Zumutungen ebenfalls das soziale Zusammenleben zur Qual hatten werden lassen und Boten eines bevorstehenden Zusammenbruchs waren: etwa an den russischen Nihilismus oder den antizaristischen Terrorismus des 19. Jahrhunderts. Und an die großen literarischen Auseinandersetzungen mit derlei Strömungen und Geisteshaltungen, wie sie vor allen anderen Dostojewski in seinen „Dämonen“ geführt hat – mit Gültigkeit weit über Russland hinaus.

Ein großer Plan?

Ich will keineswegs bestreiten, sondern ausdrücklich konzedieren, dass es sehr wahrscheinlich starke Kräfte gibt, die an den eben skizzierten Polarisierungen ein Interesse haben, die sie befördern, sie intensivieren, die auch die aktuelle Coronakrise instrumentalisieren, also die durch sie geschaffene günstige Konstellation nutzen, um Pläne zu verwirklichen, die schon länger in der Schublade liegen. In diesem Sinne argumentiert beispielsweise Jens Wernicke, und er steht mit seiner Einschätzung nicht allein.

„Es darf inzwischen als gesichert angesehen werden, dass der ganze ‚Corona-Wahnsinn‘ nur als Cover für den globalen Umbau von Staaten und Gesellschaften dient, an dessen Ende sich die Mehrheit der Weltbevölkerung auf Dauer entrechtet und in einer neuen Art von Leibeigenschaft wiederfinden soll.“

Ähnlich sieht es Walter van Rossum:

„Ich gehe davon aus (…), dass eisige Technokraten seit Jahrzehnten an einem globalen Reset arbeiten, gewissermaßen an einer notwendigen Reparatur der von den Exzessen des Neoliberalismus verwüsteten Welt. Dazu gehört auch die Exekutivmacht einer Global Governance. Die kann nicht durch einen Putsch erworben werden, sondern nur durch kontrollierte Zerrüttung der bestehenden Weltgesellschaft, die am Ende des Prozesses sich denen ergibt, die ein Ende der Auflösung versprechen. Die Pandemie bietet die Benutzeroberfläche für diese kontrollierte Zerrüttung. So, und in meinen Augen nur so, lässt sich erklären, warum die so uneffektive wie zerstörerische Lockdownpolitik sich weltweit durchgesetzt hat beziehungsweise weltweit durchgesetzt wurde.“

Wer, wie die beiden zitierten Autoren, auf solche global ausgreifenden Pläne und Initiativen der Reichen und Mächtigen verweist, wird von herrschaftsnahen Medien merkwürdigerweise und reflexartig als Verschwörungstheoretiker abgekanzelt. Das ist insofern verwunderlich, als die Protagonisten der in Rede stehenden Weltveränderungspläne ja keineswegs im Geheimen agieren. Im Gegenteil, die führenden Akteure des Great Reset machen keinen Hehl aus ihren Absichten. Sie tragen fast alles auf offenem Markte aus. Sie betreiben gleichsam eine „offene Verschwörung“ (um einen Buchtitel von H.G. Wells aus dem Jahr 1928 aufzugreifen), was wiederum darauf hindeutet, dass sie sich ihrer Sache (immer noch) recht sicher sind und sich unangreifbar fühlen.

Wer die maßgeblichen Kräfte namhaft machen will, wer nach Hintermännern und Drahtziehern fahndet, der wird also mit ziemlicher Sicherheit fündig werden: Individuen, Gruppen, Organisationen, denen die Zerstörung möglicherweise zupasskommt, die sich aktiv an ihr beteiligen und sie vorantreiben. Und doch bleibt eine Unsicherheit: Treiben sie die Entwicklung bewusst voran? Oder sind sie selbst Getriebene, Krisengeschüttelte, Angstbesetzte? Verfügen diejenigen, die es sich im System komfortabel eingerichtet haben, tatsächlich über die Macht, die Fäden zu ziehen, also das System als solches zu steuern?

Und auch die Frage, die Erich Fromm mit Blick auf Hitler aufgeworfen hatte, taucht in diesem Zusammenhang wieder auf: Kann es sein, dass die Protagonisten des Great Reset und ähnlich weitreichender Projekte sich zwar Großes auf ihre Fahnen geschrieben haben, dass sie aber unterschwellig, unbewusst destruktive Energien ausleben und gar nicht (mehr) imstande sind, etwas nachhaltig Konstruktives zu leisten?

Simone Weil und das Phänomen der Macht

Die französische Philosophin Simone Weil (1909-1943) hat in immer neuen Anläufen und immer neuen, einprägsamen Formulierungen darauf beharrt, dass der Macht (sei sie politisch, ökonomisch, technisch) etwas Schicksalhaftes eigne, das auf den Befehlenden ebenso unerbittlich laste wie auf den Gehorchenden. So steht es vielfach in ihrer 1934 entstandenen Schrift Über die Ursachen von Freiheit und gesellschaftlicher Unterdrückung – ein erhellender Text von brennender Aktualität.

Da heißt es: Auch die Mächtigen sind Gefangene der Macht, wenn auch auf andere Weise als die Ohnmächtigen. Das Streben nach Macht und der Wettlauf um die Macht – beide für Weil historische Konstanten – unterjochen alle Beteiligten. Die menschliche Geschichte ist eine „Geschichte der Knechtung“; sie degradiert die Menschen zu bloßen Spielbällen der von ihnen selbst produzierten Herrschaft. Die lebendige Menschheit verkümmert zum Gegenstand lebloser Dinge. Es entstehen demütigende Abhängigkeiten, und die Schwachen wie die Mächtigen werden „von den blinden Erfordernissen des kollektiven Lebens versklavt“. Auf beiden Seiten wird „das Herz und der Geist beeinträchtigt“.

Teilt man diese Perspektive, dann erscheint eine Analyse, die sich auf die Absichten und Aktivitäten mächtiger Gruppen und Individuen kapriziert, notwendig defizitär. Macht sei „soziologisch amorph“, also instabil und kaum fassbar, hatte Max Weber gesagt. So argumentiert auch Simone Weil – und sieht sich einer Welt gegenüber, die der irrigen Auffassung anhängt, man könne Macht eindeutig verorten oder begrenzen. Was sie 1934 notierte, könnte auch heute aufgeschrieben worden sein:

„… jeder glaubt, dass die Macht auf geheimnisvolle Weise in einem jener Kreise liegt, die ihm verschlossen sind, weil kaum jemand begreift, dass sie nirgendwo liegt, so dass das vorherrschende Gefühl überall jene abgründige Angst ist, die durch den Verlust des Bezugs zur Realität entsteht. Jedes soziale Milieu stellt sich von außen als Gegenstand eines Albtraums dar. In den Kreisen, die mit der Arbeiterbewegung verbunden sind, gehen mythische Schreckgespenster namens Finanzkapital, Industrie, Börse oder Banken um, die Bürger träumen von anderen Gespenstern, die sie Aufwiegler, Agitatoren oder Demagogen nennen, die Politiker sehen in den Kapitalisten übernatürliche Wesen, die als einzige den Schlüssel zur Lösung haben, und umgekehrt; jedes Volk sieht im anderen ein kollektives Schreckgespenst, beseelt von teuflischer Niedertracht. In einer solchen Situation kann jeder Hohlkopf für einen König gehalten werden und allein durch diesen Glauben auch dafür herhalten; das gilt nicht nur für die Menschen, auch für die herrschenden Kreise.“

Das repressive System und sein Todeskeim

Simone Weil sieht das Leben und die historische Entwicklung als einen immerwährenden Kampf um Macht. Doch zum Wesen der Macht gehört es, dass sie niemals endgültig zu besitzen ist. Sie ist stets instabil. Ihre Instrumente – „Waffen, Gold, Maschinen, magische oder technische Mysterien“ – sind ihr äußerlich. Andere können dieser Instrumente habhaft werden und den Spieß umdrehen. So muss die Macht immer neu verteidigt, gefestigt, ausgeweitet werden, um weiterhin Bestand haben zu können.

Und verteidigt werden muss sie an zwei Fronten: zum einen gegen die Rivalen, die ihrerseits nach Macht streben, zum anderen gegen die Unterdrückten, die sich der Macht nicht länger unterwerfen wollen. Beide Kämpfe sind unauflöslich miteinander verquickt, der eine wird ständig durch den anderen entfacht.

„Sie [die Macht, U.T.] kann (…) nicht haltmachen, der Stachel der Rivalität zwingt sie dazu, weiter und immer weiter zu gehen, die Grenzen zu überschreiten, in denen sie sich wirksam ausüben lässt. Sie erweitert sich über das hinaus, was sie kontrollieren kann, sie herrscht über das hinaus, was sie durchsetzen kann, sie verausgabt sich über das hinaus, was sie aufbieten kann. Das ist der innere Widerspruch, den jedes repressive System wie einen Todeskeim in sich trägt; er entsteht durch den Gegensatz zwischen der notwendigen Begrenztheit der materiellen Machtgrundlagen und der notwendigen Grenzenlosigkeit des Wettlaufs um die Macht als einem Verhältnis zwischen Menschen.“

Was zunächst (und oft lange Zeit) erfolgreich verläuft, also zur kontinuierlichen Machtsteigerung führt, schlägt ab einem bestimmten Punkt um, wird immer kostspieliger und am Ende kontraproduktiv. Das Unmaß der Mächtigen wird bestraft, obwohl doch auch sie, die Mächtigen, nur Getriebene sind.

Ein System, ganz auf Zerstörung angelegt

Im Zuge des historischen Prozesses kann der Kampf um die Macht seinen Charakter völlig verändern. Ging es zum Beispiel für den ökonomisch Ehrgeizigen noch im 19. Jahrhundert vorrangig darum, ein Geschäft florieren zu lassen, dessen Eigentümer er war, so bestand das Ziel im 20. Jahrhundert darin, einen möglichst großen Bereich wirtschaftlicher Aktivität unter seine Kontrolle zu bringen. Nunmehr war der Kampf um die wirtschaftliche Macht weniger vom Aufbau als von der Eroberung geprägt. Und da Eroberung stets zerstört, ist, so Simone Weil, auch das kapitalistische System ganz auf Zerstörung ausgerichtet. Die Mittel des ökonomischen Kampfs tendieren allesamt dazu, die Grundlagen des Wirtschaftslebens nicht auszuweiten, sondern auszuhöhlen. „Es scheint, als sei der ökonomische Kampf von einer Konkurrenz zu einer Art Krieg geworden.“

Krieg ist das Stichwort. Schon vor nunmehr fast hundert Jahren beobachtete Weil zwei weitere Tendenzen, die sich seither – ungeachtet temporärer Abschwächungen – verfestigt haben und uns heute wieder in besonderer Weise beschäftigen: Zum einen rückt der Staat zunehmend ins Zentrum des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens (übernimmt also eine staatskapitalistische Funktion), zum anderen wird das Ökonomische immer mehr dem Militärischen untergeordnet. Da der Staat die stärksten Zwangsmittel bei sich konzentriert, wird er durch sein eigenes Gewicht nach und nach zum zentralen Faktor beim Erobern und Zerstören. Und hinter dem diffusen Wirtschaftskrieg tritt der wirkliche Krieg in Erscheinung.

„… da der Krieg die eigentliche Form des Machtkampfs ist, wenn die Konkurrenten Staaten sind, hat jeder Fortschritt in der Kontrolle des Staates über die Wirtschaft eine noch stärkere Ausrichtung der Industrie auf die Kriegsvorbereitung zur Folge, während umgekehrt die ständig wachsenden Erfordernisse der Kriegsvorbereitung das gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben jedes einzelnen Landes von Tag zu Tag stärker der Macht der Zentralgewalt unterwerfen.“

Das liest sich fast wie eine Beschreibung der aktuellen Verhältnisse in den USA. Und Weils Analyse ist damals wie gegenwärtig beunruhigend, denn die Folge dieser Entwicklung besteht darin, „dass die heutige Menschheit fast allenthalben zu einer totalitären Gesellschaftsorganisation tendiert“. Wobei freilich für die totalitären Systeme das Gleiche wie für alle anderen gilt: sie sind instabil, zerstörerisch, selbstzerstörerisch. Wenn Chaos und Zerrüttung eine bestimmte Grenze überschreiten, wenn nichts mehr funktioniert, droht der zivilisatorische Kollaps.

Repression, Ohnmacht, Angst

In einer auf den ersten Blick unscheinbaren, aber äußerst durchdachten und fruchtbaren Definition charakterisiert Weil die „am wenigsten schlechte Gesellschaft“ als diejenige

„in der der gemeine Mann am häufigsten beim Handeln nachdenken muss, die größten Möglichkeiten hat, das kollektive Leben als Ganzes zu kontrollieren, und die größte Unabhängigkeit besitzt.“

Nimmt man diese Definition als Maßstab, dann sticht der Gegensatz zur Realität des Jahres 1934 ins Auge – und erst recht der schroffe Kontrast zur Realität des Jahres 2021. Denn:

„Nie war der einzelne so vollständig einer blinden Kollektivität ausgeliefert, und nie sind die Menschen weniger dazu imstande gewesen, nicht nur ihr Handeln ihrem Denken zu unterwerfen, sondern überhaupt zu denken. Die Begriffe von Unterdrückern und Unterdrückten, der Klassenbegriff, all das verliert nahezu jede Bedeutung, so sehr ist die Ohnmacht und Angst aller Menschen angesichts der sozialen Maschinerie deutlich geworden, die zu einer Maschinerie der Zerstörung der Seelen und Köpfe geworden ist (…). Die Ursache dieses qualvollen Zustands liegt auf der Hand. Wir leben in einer Welt, in der nichts menschlichem Maß entspricht. Es besteht ein ungeheures Missverhältnis zwischen dem menschlichen Körper, dem menschlichen Geist und den Dingen, die gegenwärtig das menschliche Leben ausmachen; alles ist aus dem Gleichgewicht.“

Oder anders: Zweck und Mittel haben sich verkehrt. Und diese Verkehrung, so Weil, ist „das Gesetz jeder repressiven Gesellschaft“, „dieser fundamentale Wahn erklärt alles, was es in der Geschichte an blutigem Irrsinn gab.“

Während Marx noch überzeugt war, das repressive System werde seine eigenen Totengräber hervorbringen, konnte Simone Weil an eine solch wundersame Wendung nicht glauben. In einem System der Knechtung, sagte sie, könnten sich keine freien Menschen herausbilden, im Gegenteil.

„Die Wahrheit ist, dass die Knechtschaft (…) den Menschen so weit erniedrigt, bis er sie liebt, dass die Freiheit nur denen kostbar ist, die sie wirklich besitzen, und dass ein ganz und gar unmenschliches System wie das unsere nicht etwa Menschen hervorbringt, die eine menschliche Gesellschaft aufbauen können, sondern alle, die ihm unterworfen sind, Unterdrückte wie Unterdrücker, nach seinem Bild formt.“

Mit Gasmasken, Luftschutzkellern oder Alarmsirenen könne man elende Herden verängstigter Wesen züchten, aber keine Bürger, schreibt Weil. Auf heute bezogen, müsste man formulieren: Mit obligatorischem Mund-Nasen-Schutz, Abstandsregeln, Ausgangssperren, Kontaktverboten, Bußgeldkatalogen, Psychoterror, Existenzvernichtung, einem „Test-Regime“ und faktischem Impfzwang – mit alledem kann man elende Herden verängstigter Wesen züchten, aber keine Bürger.

Ich bin im Zweifel, ob es sich bei der gegenwärtig zu beobachtenden Destruktivität bereits um eine voll ausgebildete „Nekrophilie“ handelt (in der Definition Erich Fromms), also um „die Leidenschaft, das, was lebendig ist, in etwas Unlebendiges umzuwandeln; zu zerstören, um der Zerstörung willen, (…) lebendige Zusammenhänge zu zerstückeln“. Sicher bin ich mir allerdings, dass wir uns im Laufe der Coronakrise der gegenteiligen, positiven Lebenseinstellung, die Fromm „Biophilie“ nennt, sichtlich entfremdet haben.

„Die Biophilie ist die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen; sie ist der Wunsch, das Wachstum zu fördern, ob es sich nun um einen Menschen, eine Pflanze, eine Idee oder eine soziale Gruppe handelt. Der biophile Mensch baut lieber etwas Neues auf, als daß er das Alte bewahrt. Er will mehr sein, statt mehr zu haben. Er besitzt die Fähigkeit, sich zu wundern, und er erlebt lieber etwas Neues, als daß er das Alte bestätigt findet. Das Abenteuer zu leben ist ihm lieber als Sicherheit. Er hat mehr das Ganze im Auge als nur die Teile, mehr Strukturen als Summierungen. Er möchte formen und durch Liebe, Vernunft und Beispiel seinen Einfluß geltend machen – nicht durch Gewalt und dadurch, daß er die Dinge auseinanderreißt, nicht dadurch, daß er auf bürokratische Weise die Menschen behandelt, als ob es sich um tote Gegenstände handelte. Da er Freude am Leben und allen seinen Manifestationen hat, ist er kein leidenschaftlicher Konsument von frisch verpackten ‚Sensationen‘.“

Von dieser konstruktiven Haltung beziehungsweise Lebenseinstellung haben sich viele Menschen weit, sehr weit entfernt. Und es sieht so aus, als würden die Abstände täglich größer.

Diskussion

15 Kommentare
ANDREAS ADLER, 3. April 2021, 15:45 UHR

Sehr schöner Artikel wieder von Herrn Teusch, spirituell und psychologisch unter den weitblickendsten neben dem für KenFM schreibenden Rüdiger Lenz. Gleichwohl übt sich Herr Teusch so lustvoll wie unangebracht in vornehmem Pessimismus: am Ende wird es nämlich nicht auf das Heer der Mitläufer und schon gar nicht auf das eine Prozent der zerstörerischen Mächte ankommen, sondern vielmehr auf das eine Prozent der "biophilen" Lebensbejahenden ganz im Sinne des Erich Fromm-Zitates.
MfG & ein frohes Osterfest

JAMES BARRANTE, 3. April 2021, 17:30 UHR

Hier musste ich eine kurze Pause einlegen:

warum verlangen sie den Menschen Opfer ab, die alles in den
Schatten stellen, was durch das Virus an Leid verursacht wird?

Es gibt Mitbürger (m/w/d), die sehen das ganz und gar nicht so. Für jene sind die "Opfer", noch nicht groß genug, also die Maßnahmen noch nicht weitreichend und durchgreifend genug. Das wäre in obiger Liste Position Numero 0. Oder im gezeichneten Hitlerbild: Nicht nur Mitläufer, sondern die strammsten aller denkbaren Ideologen, die aus der ersten und zweiten Reihe, geprägt von hypothetischem Wunschdenken bar jeglicher Evidenz (und durch die offenen republikanischen US-Bundesstaaten sowie Weißrussland, Russland und Schweden inzwischen widerlegt): Hätten wir einen richtigen Lockdown, wären wir schon viel weiter.

In diesem Sinne: Frohe Ostern!

GERHARD ALFRED, 3. April 2021, 18:25 UHR

Bemerkenswert und gelungener Beitrag, die Corona-Politik im Kontext der deutschen Geschichte und im Zusammenhang mit den sozialpsychologischen Gedanken von Erich Fromm zu bringen. Der gesamte Beitrag schärft den Blick auf das aktuelle Geschehen, bringt den nötigen Kontrast in die komplexen Handlungsstränge.

Der Einbezug und Blick auf Adolf Hitler ist quasi zwingend vor dem Hintergrund deutscher Verführbarkeit und Geschichte. Kunstmaler Hitler bildete sich ein, durch seine Erfahrung als simpler Weltkriegs-I-Meldegänger das Zeug zum Reichskanzler und genialen Feldherren zu haben. Die Deutschen glaubten es und bezahlten ihre "Leichtgläubigkeit" bitterst, die Opferzahlen waren gewaltig.

Menschen gaben immer wieder vor, die Antworten auf komplexeste Herausforderungen zu wissen, doch am Ende endete alles im Chaos und Verderben. Ich glaube auch nicht an die vielen, angeblichen positiven Corona-Nebeneffekte, wie eine gerechtere Welt, alles Lüge, die Ungerechtigkeit wird nur "besser" verteilt!

MICHAEL SAILER, 3. April 2021, 20:40 UHR

Vielen Dank für den brillanten Gedankengang. Ich vermute immer mehr, daß das, was wir seit längerer Zeit erleben, die "Wehen" des Übergangs von der menschlichen Gesellschaft zum Ameisenhaufen sind.

FRANK BERNERS, 4. April 2021, 10:35 UHR

Was genau verstehen Sie unter den Aspekten der Organisation "Ameisenhaufen", Herr Sailer? Bzw. in Abgrenzung zu einer "menschlichen Gesellschaft"?

DIRK, 4. April 2021, 19:20 UHR

Vielen Dank an Ulrich Teusch für diesen fantastischen Artikel.

@Frank Berners: Artikel 1 Grundgesetz lautet aus gutem Grund:
„(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Nur dies schützt jeden einzelnen. Stünde dort, dass der Schutz des Kollektivs (= Ameisenhaufen) das Ziel staatlichen Handelns wäre (auf diesem Weg sind wir leider, wie Michael Sailer zurecht bemerkt), dann wäre jeder einzelne vogelfrei. Die Regierenden könnten mit beliebiger Begründung zum Schutz des Kollektivs mit jedem Menschen machen, was immer sie wollen, z.B. maskieren, in Genversuche zwingen oder demnächst in Quarantänelager sperren oder gleich erschießen.

SEBASTIAN BÜRGER, 5. April 2021, 18:35 UHR

Und die Wahrheit?
Vielen Dank, Herr Teusch, für diesen Beitrag. Ich kann nun etwas loswerden, was ich schon seit einem Jahr mit mir herumtrage. In vielen Stunden und schlaflosen Nächten habe ich mich gefragt, wie es zu dieser Situation kommen konnte. Eine Situation – das ist das absurde daran –, die viele Bürger auch noch für normal und angemessen halten.
Ich will nicht allzu viel dazu kommentieren, aber drei Grundprobleme möchte ich in den Vordergrund stellen.

  1. Der Umgang mit der Wahrheit, der Objektivität
    Es war in Deutschland (nicht erst seit Corona) leider nicht wichtig, bei der Wahrheit zu bleiben. Ohne die geringsten Bedenken sind das RKI und die Bundesregierung davon abgewichen und haben ihre Version der Situation dargestellt – und Angst gestreut. Die Leitmedien haben nicht korrigiert, der weit überwiegende Teil der Bürger hat die Geschichte 1:1 geglaubt. Es ist für mich erstaunlich, dass die Mehrheit nicht erkennt, dass Halbwahrheiten an Halbwahrheiten gereiht wurden, bis ein völlig schiefes Bild von der Sachlage entstanden ist. Wahrscheinlich liegt das daran, dass man unseren Größen in den Medien und der Politik (setzen Sie bitte Namen ein) einfach alles glaubt. Das Bemühen, so nahe wie möglich an die Objektivität zu kommen, war und ist nicht vorhanden. Meinungen und Schlagzeilen dominieren.

  2. Umgang mit der Kritik
    Die Angststrategie hat gewirkt. Damit das Konzept aufging, durfte man keinen Raum für Kritik lassen. Daher die Begriffe wie Corona-Leugner, die Unverantwortlichen usw. Da die Mainstream-Medien – warum auch immer – als Korrektiv ausgefallen sind, Demonstrationen verpönt/verboten wurden und durch die Kontaktbeschränkungen die Gegner der Vorgehensweise sich nicht versammeln und absprechen konnten, hatte die Regierung mit dem RKI freie Fahrt. Nach und nach tauchten auch – wie bei jeder Diktatur – die Soldaten und Helfershelfer auf, die gnadenlos jeden klein machten, der sich gegen den Strom stellen wollte. Die investigativen Medien sind nicht bekannt genug und waren (sind) sich auch nicht einig, konnten bisher keine schlagkräftige Gegenbewegung formen. Trotz aller lobenswerten Bemühungen. Es ist halt schwierig, derzeit.

  3. Die Bearbeitung der Krise
    Für mich war bald klar, dass durch die Virusproblematik eine besondere Herausforderung auf Regierung und Bevölkerung zukam und zu bewältigen war. Dies wurde aber auch wegen der Angst-Strategie nahezu komplett falsch angepackt. Das wurde zunächst aber nicht bemerkt, denn das Volk „spurte“ ja. Fehlender Professionalismus und ein ziemliches Maß an Arroganz bei den verantwortlichen Politikern führten zu einem unsagbar schlechten Management der Krise. Es rächt sich zudem, dass durch die unzureichende Objektivität und das Ausschalten fast jeder Kritik (auch konstruktiver Art) sowie Ablehnung von externen Hilfen immer häufiger falsche bzw. unzureichende Maßnahmen getroffen wurden. Eine Projektorganisation (wie bei der Industrie üblich) wäre geboten gewesen; stattdessen versuchte man es mit den üblichen Ressourcen, hier und da ein wenig verstärkt (z.B. durch die Bundeswehr). Die paar kontroversen Diskussionen in den vielen Talkshows kratzten bestenfalls an der Oberfläche; Kosmetik. Von den Parteien im Parlament versuchten nur die AfD (ausgerechnet…) und ein wenig die FDP erfolglos an dem eingeschlagenen Weg etwas zu ändern. Da sich inzwischen die Fehler immer mehr häuften, immer mehr Menschen an den Kollateralschäden zu leiden hatten, wurde der zunehmende Unmut unüberhörbar; er ließ sich nicht mehr komplett unter den Teppich kehren. Die Flucht in die Impfung ist auch keine Erfolgsgeschichte und sorgte für weiteren Ärger. Dann noch die Verluste der CDU bei den beiden Landtagswahlen, die sinkenden Umfragewerte der CDU und die fehlende Perspektive führten zur wachsenden Unzufriedenheit. Aber es bleibt wohl nur: „Augen zu und durch“.

Niederschmetternd ist für mich die unzureichende Bereitschaft und Fähigkeit, die Grundprobleme zu erkennen. Was lernen wir daraus? Wieder nichts? Wenn wir keine Lehren daraus ziehen oder wieder die falschen, dann darf sich die jüngere Generation nicht wundern, wenn die Wohlstandsjahre bald vorbei sind. Ich (Ü70) muss mich dann eben für den Rest meines Lebens mit dieser Situation arrangieren, auch wenn es mir noch so schwer fällt.

JULIA WEISS, 7. April 2021, 09:25 UHR

Ein sehr anregender Artikel! Ich weiß nur nicht so recht, warum man einen „unbewussten Destruktionstrieb“ bemühen muss, um zu erklären, was uns gerade widerfährt.

Ganz allgemein gesprochen ist der Kapitalismus doch seit jeher produktiv und destruktiv zugleich – letzteres zum einen durch seine Krisen und Kriege, zum anderen durch seine Rücksichtslosigkeit gegenüber „den Springquellen allen Reichtums“, um es mit Marx zu sagen, der Erde und dem Arbeiter.

Auf die Gegenwart bezogen: Der scheinbare Widerspruch zwischen wohlmeinender PR-Fassade und sichtbarer Zerstörung ist doch leicht aufzulösen: Was für das Wohl der superreichen Klasse konstruktiv ist, kann für den Rest der Welt furchtbar destruktiv sein. Wieso sollten Menschen, die ihr Leben damit verbracht haben, mit allen Mitteln wie Billiglöhnen, Bekämpfung von Gewerkschaften und Steuerhinterziehung persönliches Vermögen anzuhäufen, etwas „nachhaltig Konstruktives“ auch nur anstreben, es sei denn, für sich selber? Dafür spricht doch nichts.

Das Programm des Great Reset trägt die Zerstörung ja bereits im Namen. Es bedeutet: Jetzt machen wir erst mal Tabula Rasa, dann bauen wir auf, was wir für richtig halten – sprich: Wir retten unsere Klasse, unseren Technologiewahn und unsere Profite. Als sehr zeitsparend erweist sich, dass man Zerstörungs- und Wiederaufbauphase auch „teleskopieren“ kann: Während der Klein- und Mittelstand per Lockdown zur Hölle fährt, während die Armut überall auf der Welt erschreckende neue Ausmaße annimmt und die Menschen krank werden vor lauter Social Distancing, schießen die IT-Vermögen der Superreichen in die Höhe – alles immer noch nach den Spielregeln des „Akkumuliere, akkumuliere!“ Steht irgendwo geschrieben, dass man dabei nicht über Leichen gehen, den Leuten nicht den Verstand wegängstigen und wegimpfen soll?

Ich kann mir sogar vorstellen, dass die Davos-Milliardäre sich tatsächlich zu Rettern der Welt berufen fühlen. Je höher die Gipfel des Reichtums und der Macht, von denen man herabblickt, desto mehr erscheint einem die Menschheit vermutlich wie ein Ameisenhaufen und der Planet wie der eigene Spielball. Wenn es nötig erscheint, sagen wir: einen guten Teil des Ameisenhaufens und seiner Bewohner für den höheren Zweck zu zerstören – warum nicht?

Für Hannah Arendt ist das wichtigste Merkmal totalitären Denkens die Vorstellung „alles ist möglich“, die Idee, „daß alles Gegebene nur ein zeitweiliges Hindernis ist, das durch überlegene Organisation überkommen werden kann“, auch die menschliche Natur. Es ist, als hätte sie die erklärten Transhumanisten aus Davos bzw. dem Silicon Valley bereits gekannt.

Alles in allem: Das „Große“, das vermeintlich Konstruktive und das Zerstörerische gehen im totalitären Denken von Anfang an Hand in Hand, sie sind kein Widerspruch, sie sind eins.

GERHARD ALFRED, 7. April 2021, 17:25 UHR

Danke, liebe Julia Weiss, für die gut strukturierten Gedanken und den sehr erhellenden Blickwinkel auf das Geschehen!

CHRISTOPH KLEIN, 7. April 2021, 19:00 UHR

Frau Weiss' Darlegung kann ich besser folgen als Überlegungen über die Spielernatur Hitlers und anderer Machthaber. An solchen Überlegungen ist wahrscheinlich einiges wichtig und muss berücksichtigt werden, aber die Macht des Kapitals ist überpersönlich und nicht von der wie immer komplizierten und manchmal sogar bedauernswerten Psyche Einzelner abhängig.

Hinter Hitler standen außer den meisten Großkonzernen Deutschlands auch Politiker bspw. der USA und Großbritanniens, alle vereinte das Interesse an der Niederschlagung der Arbeiterbewegung in „ihren“ Ländern und auch am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, die damals für den Kapitalismus eine echte Bedrohung war. Was ist rationaler und unpsychologischer als diese Erklärung des historischen Verfalls unseres Landes an den Faschismus?

Die Ängste, die psychischen Probleme aller möglicher Beteiligter, von oben bis unten, waren real und hätten vielleicht von der Gegenwehr besser verstanden werden sollen. Aber die psychischen, die unbewussten, auch die fundamental destruktiven Antriebe konnten sich erst auswirken und austoben aufgrund einer bestimmten historischen, einer Klassen-Situation.

Ich vermute manchmal durchaus ernsthaft, dass manche oder die meisten unserer in der Coronapolitik führenden Politiker, Medienleute und "Experten" psychisch ziemlich "kaputt" oder so ähnlich seien. Der Great Reset ist über dieses Personal erhaben. Er wird vielleicht eine Zeitlang Erfolge verzeichnen – was ich nicht hoffe, aber auch nicht ausschließe –, und dann wird er durch die internationalen Widersprüche, die kapitalistischen Rivalitäten und auch durch wachsende Bewusstheit bei vielen Menschen scheitern. Wir wissen nicht, welche Gesellschaftsformationen bei diesem Scheitern entstehen, es können auch bessere sein.

RG, 8. April 2021, 14:50 UHR

Danke für den Artikel. Ich lese ihn als Gedicht, als Poem.
Man höre dazu Barry McGuire, 1965, Eve Of Destruction, https://youtu.be/qfZVu0alU0I

– die Überschriften des Artikels:
Eve of destruction? Eine Mutmaßung
Ins offen Zerstörerische abgeglitten
Destruktion um ihrer selbst willen?
Zum Beispiel Hitler
Welt in Auflösung
Ein großer Plan?
Simone Weil und das Phänomen der Macht
Das repressive System und sein Todeskeim
Ein System, ganz auf Zerstörung angelegt
Repression, Ohnmacht, Angst

– der Refrain des Protestsongs:
...und Du glaubst es immer noch nicht, dass die Welt am Vorabend ihrer Zerstörung steht?
Ja genau, wer, wann und warum glaubt das nicht?

BERNHARD MÜNSTERMANN, 8. April 2021, 16:25 UHR

Vietnamkrieg und Eve Of Destruction ist eine Erinnerung, die mir auch aufkam. Womöglich auch Herrn Teusch. Eine andere ist Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte: Nachts schlafen die Ratten doch… Mit Empathie erzählt über die Trümmerlandschaft der Nachkriegszeit, in der eine solche Lüge als ethisch geboten dargestellt wird. Während nun in Hannover an der Leine die Viren nachts schlafen und das nächtliche Ausgehverbot deshalb vom OVG Niedersachsen als unverhältnismäßig beurteilt wurde, gilt in der Hansestadt an Alster und Elbmündung die nächtliche Ausgangssperre weiter, weil hier das Virus nach Urteil des Verwaltungsgerichts HH offenbar nachts nicht schläft. Und die Kinder müssen ubiquitär Masken tragen und sich testen lassen.

Gleichwohl will ich nicht den Untergang des Abendlandes wieder an die Wand malen sondern dazwischengrätschen, wo immer sich ein Ansatzpunkt findet. Und ich sehe stärker den Aspekt, dass es auch nüchternes Kalkül der Profiteure dieser geplanten monströsen Destruktion gibt. Christoph Klein kommt in seinem Kommentar oben auch darauf zu sprechen. Das gilt auch für den deutschen Faschismus, der vor Eintritt der USA in den Krieg auch stille Förderer im In- und Ausland hatte. Es zu sehr an der Person des Parvenü und Weltkriegsgefreiten aus Braunau festzumachen, war das Narrativ der 1950er Jahre, um den Scheinwerfer nicht auf die politischen Hintergründe vor WK2 zu setzen und die vielen willigen Helfer, die Mitläufer zu entlasten. Im Coronaausschuss Sitzung 44 äußerte Vera Sharav (sie war als Kleinkind Überlebende der Lager), dass den Bürgern Deutschlands und Israels deshalb eine besondere Aufgabe zuwachse, weil sie sich aus ihrer jeweilig ganz unterschiedlichen Perspektive beide näher mit dem Thema Wissenschaft und Medizin im Kontext des Totalitären auseinandersetzen mussten und auch jetzt sollen.

AYU, 9. April 2021, 01:25 UHR

Zitat Bernhard Münstermann: "Und ich sehe stärker den Aspekt, dass es auch nüchternes Kalkül der Profiteure dieser geplanten monströsen Destruktion gibt."

Diese Einschätzung möchte ich ganz ähnlich bekunden, sehe aber genauso gewisse "Unzulänglichkeiten im Konzept" der aktuellen Vorgänge. Im Artikel wird auf diese unbestimmte, unkontrollierbare, ja, immanente Komponente in Machtstrukturen generell eingegangen: der Weg des schier gewissenlosen Strebens nach absolutem Über-Allem-Stehen/Über-Alles-Verfügen (mglw. ist dieser innere Drang/Hang eine Störung der Psyche) mag einem Plan folgen, ist in sich jedoch chaotisch/impulsiv und bedarf unerlässlich einer konstanten Kombination aus Überwachen & Eingreifen zur Aufrechterhaltung dieser (alternativlosen, da Verdammung?) Zielstellung. Und da, wie vor allem die Physikerin A. Merkel es wieder einmal besser wissen sollte, jedes noch so geringe Eingreifen in Bestehendes bereits eine Veränderung jenes Zustandes bedeutet, den es erstmal zu erschließen und zu erfassen gilt, damit man überhaupt irgendwo anfangen kann, sich auszudenken, wohin es gehen soll und wie das ggf. erreichbar ist, könnte es durchaus schlüssig sein, darauf zu schließen, dass sich in der Größenordnung dieser Krise unter den aktuell gegebenen Machtstrukturen=Herrschaftsbefugnissen, welche untereinander keineswegs alle einig und friedfertig sind, nicht alles so abspielt, wie das gedacht, gehofft, gewollt oder sonstwie vermutet oder vielleicht sogar einst mal vereinbart und eingeübt wurde. Und das global!

Eine schwache Vermutung meinerseits beinhaltet, dass man sich im Kreise der Machtausführenden entweder zu Beginn oder innerhalb des letzten Jahres untereinander mit der vordergründigen Vorbereitung und Vernetzung pro Handlungsfähigkeit in einer Pandemie ausgetrickst hat und nun alte (NATO) aber auch neue Kollektive je für sich "kämpfen", um als Gewinner bei diesem losgetretenen offenen Krieg der Stärksten übrig zu bleiben – oder sich eben dessen Seite am Ende anzuschließen oder zu ergeben. Hier wäre der Blick auf die (militärische, aber auch ökonomisch-finanzielle) Konstitution der Akteure um 2019 'rum zu richten.

Die Dynamik und Sprengkraft einer solchen /außer Kontrolle zu geraten drohenden/ Situation dürfte enorm sein; daher die apokalyptische Szenarienmalerei mancher beobachtenden Zeitgeister; Beobachtungen, welche es allerdings wohl auch die letzten zweitauend Jahre Menschheitsirrsinn immer wieder gegeben hat. Relevant für etwaige aktiv wirkende Protagonisten, ob im Hintergrund oder in den Talkshows, ist demnach die Rettung ihrer selbst und ihresgleichen, nur mittlerweile eben auf dem größtmöglichen Level überhaupt: die Welt ist nicht genug – und die Lebensaufgabe so mancher Milliardäre scheint beinahe exakt das zu verkörpern: unersättliches Streben nach Allmachtsformen, wobei der Rest des Lebens untergeordnet ist und mitunter weichen kann, oder gar muss. So einige dürften da auch mitlaufen oder 'drinhängen – im Kern bleibt es dabei: es müssen gerade viele goldene oder silberne "Ärsche" vor Verrußung gerettet werden. Und da der Reichtum stets zunimmt, wird die Vehemenz der Verteidigung dem folgen. Was wir momentan erleben, könnte ein Resultat dessen sein. Eine klare politische Botschaft (im Kapitalismus) wäre etwa: Die Einführung einer Lohnmindestgrenze wird da entbehrlich, wo es eine Maximallohngrenze gibt.

Es ist ja zudem nicht so, dass allen Individuen auf diesem Planeten diese beispiellose, globale gesellschaftliche Ausnahmesituation und die mit ihr einhergehenden Regeln für den Umgang der Menschen unter- sowie auch miteinander und was nicht noch alles... die sind ja nicht für jeden überraschend und unvorbereitet einfach so "gekommen". Es gab viele Mahnungen, Beobachtungen, Expertisen, schon Jahrzehnte vor "Corona" konnte man sich ein recht gutes Bild von einer möglichen Zukunft für den Menschen und die ihm beistehende Natur machen, die wohl eintritt, wenn man an den Grundsätzen der Wertschöpfung und Verteilung nichts ändert. Ein gesunder, friedlicher und kompletter Geist ist immun gegen derlei Gebaren und kann nachvollziehen, dass man nichts nehmen kann, ohne dass einem gegeben wird. Ein "Getriebener" wird ein "macht euch die Welt untertan" denn als Freibrief auslegen, sich alles zu gönnen, was man selbst will.

Sollte es einen Masterplan geben, wäre herauszufinden, welche Protagonisten hier wie beteiligt seien, dann erklärt sich vieles, was jetzt unbegreiflich scheint, schon durch diese Erkenntnis/Gewissheit.

Dem hervorragenden Artikel mit überfälligem Thema von Herrn Teusch zustimmend möchte ich also beitragen, dass es bei aller Undurchschaubarkeit und gleichzeitiger totaler Durchdringung aus meiner Sicht durchaus ebenso starke Anzeichen in den Handlungen der Prediger einer "Neuen Normalität" gibt, die die Deutung zulassen, es wird hier – vor allem von der Politik und den Medien als Schnittstelle zum "Rest des Lebens" – in sehr großem Umfang ad hoc gehandelt. Das zwar keineswegs so erfolgreich, wie sie es gerne hätten, aber doch erfolgreicher, als es selbst kritische Stimmen je für möglich gehalten hatten.

JAMES BARRANTE, 11. April 2021, 10:35 UHR

Halb Off-Topic: Dass das PDF mit dem neuen Weimar-Urteil die Runde macht, ist mitten in der Nacht auch im Newsroom von T-Online gelandet. Google bringt als erstes Suchergebnis für das Aktenzeichen eine entsprechende Meldung. Der Artikel mit Zeitstempel "03:03 Uhr" glänzt nicht mit nüchternen Fakten, sondern trieft vor Desinformation und Ad-hominem-Spitzen gegen Gutachter und Gericht. Man lässt per eingebettetem Tweet die Echtheit anzweifeln, um gleich danach durch Zitat eines thüringischen MdL alle Zweifel auszuräumen. Statt auf das PDF zu verlinken, um den Lesern eine eigene Meinungsbildung zu ermöglichen, wird es konspirativ ausgeblendet ("das t-online.de vorliegt"). Ein Musterbeispiel ideologischen "Journalismus" im besten Deutschland aller Zeiten, in der tödlichsten Pandemie ever.

DIETMAR FREUND, 12. April 2021, 00:05 UHR

Vielen Dank für diesen Beitrag von Herrn Teusch!

„Zweck und Mittel haben sich verkehrt“ Und diese Verkehrung, so Simone Weil, ist „das Gesetz jeder repressiven Gesellschaft“, „dieser fundamentale Wahn erklärt alles, was es in der Geschichte an blutigem Irrsinn gab.“

Nach diesem Zitat von Simone Weil wären Zweck und Mittel in der menschlichen Geschichte schon immer auf den Kopf gestellt.

Der „fundamentale Wahn“ scheint mir leider als ein sehr zutreffender Befund. Dieser scheint mir schon lange vor 2020 mit der oxymoronartigen Wendung des „ganz normalen Wahnsinns“ treffend bezeichnet werden zu können. Der Beitrag veranlasst mich, dazu eine überschlägige Zusammenfassung von diversen Autoren anzuführen. Beginnen möchte ich bei dem auch im Beitrag angeführten Erich Fromm, bei dem dies zumindest sinngemäß zu finden ist.
Etwa in "Die Kunst des Liebens" formuliert er u.a.:
„Wenn unsere gesamte gesellschaftliche und Wirtschaftliche Organisation darauf basiert, dass jeder den eigenen Vorteil sucht, wenn sie von dem lediglich durch den Grundsatz der Fairness gemilderten Prinzip des Egoismus beherrscht wird, wie kann man dann im Rahmen unserer bestehenden Gesellschaftsordnung leben und wirken und gleichzeitig Liebe üben? Bedeutet denn letzteres nicht, dass man alle weltlichen Interessen aufgeben und in völliger Armut leben sollte? Christliche Mönche und Menschen wie Leo Tolstoi, Albert Schweitzer und Simone Weil haben diese Frage gestellt, und auf radikale Weise beantwortet. Es gibt andere, die die Meinung teilen, dass Liebe und normales weltliches Leben in unserer Gesellschaft miteinander unvereinbar sind. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass, wer heute von der Liebe rede, sich nur am allgemeinen Schwindel beteilige; sie behaupten, nur ein Märtyrer oder ein Verrückter könne in der heutigen Welt lieben, und deshalb seien alle Diskussionen über die Liebe nichts als gutgemeinte Predigt.“ …..

Und weiter:
„Ich bin der Überzeugung, dass die absolute Unvereinbarkeit von Liebe und "normalem" Leben nur in einem abstrakten Sinn richtig ist. Unvereinbar miteinander sind das der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zugrunde liegende Prinzip und das Prinzip der Liebe. …….. Selbst wenn man erkannt hat, dass das Prinzip des Kapitalismus mit dem Prinzip der Liebe an sich unvereinbar ist, muss man doch einräumen, dass der "Kapitalismus" selbst eine komplexe, sich ständig verändernde Struktur hat, in der immer noch recht viel Nicht-Konformität und persönlicher Spielraum möglich sind. ….

Damit möchte ich allerdings nicht den Eindruck erwecken, als ob wir damit rechnen könnten, dass unser gegenwärtiges Gesellschaftssystem in alle Ewigkeit fortdauern wird und dass wir gleichzeitig auf die Verwirklichung des Ideals der Nächstenliebe hoffen können. Menschen, die unter unserem gegenwärtigen System zur Liebe fähig sind, bilden zwangsweise die Ausnahme. Liebe ist zwangsweise eine Randerscheinung in der heutigen westlichen Gesellschaft, und das nicht so sehr, weil viele Tätigkeiten eine liebevolle Einstellung ausschließen, sondern weil in unserer hauptsächlich auf Produktion eingestellten, nach Gebrauchsgütern gierenden Gesellschaft nur der Nonkonformist sich erfolgreich gegen diesen Geist zur Wehr setzen kann. Wem also die Liebe als einzige vernünftige Lösung des Problems der menschlichen Existenz am Herzen liegt, der muss zu dem Schluss kommen, dass in unserer Gesellschaftsstruktur wichtige und radikale Veränderungen vorgenommen werden müssen, wenn die Liebe zu einem gesellschaftlichen Phänomen werden und nicht eine höchst individuelle Randerscheinung bleiben soll. In welcher Richtung derartige Veränderungen vorgenommen werden könnten, kann hier nur angedeutet werden.“

Sowie:

“Wie es der Gesellschaft möglich ist, bestimmte Grundbedürfnisse des Menschen zu fördern oder zu unterdrücken, so können auch psychische Defekte durch die Kultur hervorgebracht werden. Da nun die Mehrheit der Mitglieder einer Gesellschaft an gewissen Defekten leidet, werden diese als Normalität wahrgenommen, und der Einzelne setzt sie sich sogar zum Ziel, um einem Außenseitertum aus dem Weg zu gehen: „Was [dem Einzelnen] an innerem Reichtum und an echtem Glücksgefühl verlorengegangen sein mag, wird durch die Sicherheit kompensiert, die das Gefühl gibt, zur übrigen Menschheit zu passen – so wie er sie kennt.“
(aus: Erich Fromm: Die Kunst des Liebens. (dtv) 25101, S. 103ff)

In einem Interview äußerte Fromm 1977 u.a.:

„Die Normalen sind die Kränkesten und die Kranken die Gesündesten. […] Wie glücklich der, der einen Schmerz hat, wenn ihm etwas fehlt. Wir wissen ja, wenn der Mensch keinen Schmerz empfinden würde, wäre er in einer sehr gefährlichen Lage. Aber sehr viele Menschen, also die „Normalen“, sind so angepasst, die haben so Alles, was Ihr eigen ist, verlassen. Die sind so entfremdet, so Instrumente, so roboterhaft geworden, dass sie gar keinen Konflikt mehr empfinden. Das heiß, ihr wirkliches Gefühl, Liebe oder Hass, ist schon so verdrängt, so verkümmert, dass sie das Bild einer chronischen, leichten Schizophrenie bilden.“
(Erich Fromm 1977 http://www.youtube.com/watch?v=Dt09hfllNc8 2 Min.)

Das erinnert mich an den Titel eines 2009 veröffentlichten Buches des Psychiaters Manfred Lütz: "Irre! – Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde".

Wilhelm Reich äußerte in 30er Jahren: „…jede Gesellschaft produziert in der Mehrzahl ihrer Mitglieder die Art von psychischen Störungen, die sie zu ihrem Erhalt braucht (zitiert in https://www.actvism.org/politics/rainer-mausfeld-loesungen-grundeinkommen/)

Arno Gruen meinte wohl dasselbe — und kritisierte in dem 1987 veröffentlichten Werk "Der Wahnsinn der Normalität" (Realismus als Krankheit) den „Wahnsinn der Normalität“:

„Die Wurzeln der Destruktivität (…) (des Menschen liegen), (…) viel öfter, als es uns klar ist, hinter vermeintlicher Menschenfreundlichkeit oder ordnungsstiftender Vernunft (…) (verborgen). Arno Gruen (…) schafft die überzeugende Beweislage, dass (überall) dort, wo Innenwelt und Außenwelt keine Einheit bilden, verantwortungsvolles Handeln und echte Menschlichkeit ausbleiben.“

https://www.antipsychiatrieverlag.de/versand/titel/gruen_wahn.htm
Gruen fragt nach den Einflüssen, die im Sinne seines Autonomieverständnisses zu Isolation, Selbstentfremdung und einer zerstörerischen Geisteshaltung führen, die gleichzeitig als sogenannte „Normalität“ gehandelt wird. Er sieht seine Analyse als Teil der philosophischen Debatte über die menschliche Destruktivität. (https://de.wikipedia.org/wiki/Arno_Gruen#cite_note-10)

Der Kampf um die Demokratie ist 2002 veröffentlicht worden. Gruen begann mit dem Schreiben dieses Buchs im Mai 2001. In diese Zeit fielen die Terroranschläge am 11.09.2001. Dieses Ereignis beeinflusste den Inhalt. Gruen beschäftigt sich mit den Ursachen der menschlichen Destruktivität und ihren mannigfaltigen Ausprägungen.

Bei Nietzsche ist zu lesen: "Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Seltenes - aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel." - Aph. 156

Gilles Deleuze und Felix Guattari sind offenbar der Ansicht, die Axiomatik des Geldes bzw. der reinen Quantifizierung erzeuge eine ungeheure „schizophrene Ladung“, die Ausbreitung eines hegemonial werdenden Spaltungsirreseins. (Vgl. Friedrich Voßkühler in einem Interview bei Rubikon am 12.02.2020 https://www.rubikon.news/artikel/die-herrschaft-der-maschinen)

Voßkühler wendet dort allerdings Folgendes dagegen ein:

"Ich kritisiere, dass sie die Marx‘sche „Kritik der politischen Ökonomie“ psychologisch unterlaufen und im Grunde die Möglichkeit einer von der Hegemonie des Kapitals befreienden politischen Praxis negieren. Sie sind Protagonisten des nach 1968 nahezu üblich gewordenen Kotaus vor der Macht des Kapitals, Protagonisten der Kapitulation der Intellektuellen auf breiter Linie. In ihnen — und beileibe nicht nur ihnen! — kommt genau das zum Ausdruck, was sie als Befreiung des „Unbewussten“ interpretieren: das durch das Kapital aus strategischen Gründen geförderte gesellschaftliche Spaltungsirresein."

Sowohl beim Psychoanalytiker Felix Guattari und dem Philosophen Gilles Deleuze als auch bei dem Medienphilosoph und Kommunikationswissenschaftler Vilém Flusser sei dies nichts als Ausweichmanöver, mit denen sich bestimmte Intellektuelle den Problemen des Kapitalismus und ihrer Bewältigung mit — „ich möchte es provokativ sagen — geradezu grandioser Geste zu entziehen versuchen."

"Wenn Digitalisierung und Kapitalismus in dem Bestreben vereinigt sind, die Menschen zu entgegenständlichen und zu entwirklichen, sie also so weit als möglich von der Wirklichkeit loszubringen und sie im Sinne des Kapitals als „automatisches Subjekt“ beherrschbar zu machen, dann werden die Menschen von sich und der Welt, in der sie leben, abgespalten."
Schließlich ebenfalls im „Rubikon" habe ich dazu in einen Beitrag von einem jungen Autor namens Jan Schulz-Weiling vom 27.11.2019 gelesen (https://www.rubikon.news/artikel/die-demokratie-krise):

Stattdessen wird "unsere Welt" von Geistesgestörten gelenkt. Denn Psychopathie bezeichne eine schwere Persönlichkeitsstörung, die bei den Betroffenen mit dem weitgehenden völligen Fehlen von Empathie, sozialer Verantwortung und Gewissen einhergehe. Psychopathen seien auf den ersten Blick mitunter charmant, sie verstünden es, oberflächliche Beziehungen herzustellen. Dabei könnten sie sehr manipulativ sein, um ihre Ziele zu erreichen!

Gegen Ende seines Beitrags zitiert Weiling schließlich einen von mir ebenfalls sehr prägnant empfundenen Satz von Jean Jaurés, 1859 bis 1914: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen“.
und
An den Schaltknüppeln unserer Lok sitzt ein Haufen Psychopathen und hält auf einen Abgrund zu.

Um allerdings diese Anmerkungen nicht allzu defätistisch abzuschließen, hier zunächst noch ein weitere Formulierung nach Erich Fromm:

Erkenntnis von "Wahrheit" ist nicht in erster Linie eine Sache der Intelligenz, sondern des Charakters. Dabei ist das Wichtigste, den Mut zu haben, nein zu sagen und den Befehlen der Machthaber und der öffentlichen Meinung den Gehorsam zu verweigern; nicht länger zu schlafen, sondern menschlich zu werden; aufzuwachen und das Gefühl der Hilf- und Sinnlosigkeit zu verlieren.

Schließlich noch zwei Formulierungen nach Rainer Mausfeld und Václav Havel, die vor kurzem auch bei Ihnen zu lesen war:

Unsere vordringliche Aufgabe ist es, Einsichten in die strukturellen und institutionellen Bedingungen und Ursachen einer zerstörerischen und inhumanen Wirtschafts- und Gesellschaftsform zu gewinnen. (nach Rainer Mausfeld)

"Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“

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