Darstellung von Jesus Christus bei der Bergpredigt (Straßburger Münster) | Foto: picture alliance / Godong / Pascal Deloche

Entfeindung statt Spaltung

Viele reden von der Spaltung. Aber wie lässt sie sich überwinden? Der Theologe und Journalist Stefan Seidel greift auf die Bergpredigt von Jesus Christus zurück. Sie enthält für ihn den Kern einer eigentlichen Zeitenwende. Der Philosoph Michael Andrick ist der Meinung, dass sich die Gesellschaft in ein Moralgefängnis begeben hat, das zur Spaltung führt.

HELGE BUTTKEREIT, 1. Juli 2024, 14 Kommentare, PDF

Wer über die aktuelle gesellschaftliche Situation spricht, der kommt am Wort „Spaltung“ nicht vorbei. Ob es um die Maßnahmen gegen Corona geht oder die Kriege in der Ukraine und Palästina. Es werden Lager ausgemacht, die sich vermeintlich unversöhnlich gegenüber stehen. Die Welt ist in schwarz und weiß aufgeteilt, Grautöne sind Mangelware. Die sogenannten sozialen Medien sorgen dafür, dass sich zum einen die einfachen Aussagen, die klaren Worte, die konfrontativen Meinungen, eben das Schwarz und Weiß gegenüber stehen. Diese Polarisierungen werden dann noch durch die Algorithmen der Netzwerke verstärkt. Es entstehen Echokammern, in denen jeder nur oder zumindest vornehmlich das hört, was seiner Meinung entspricht.

Gerade im Bezug auf die Kriege zwischen Russland und der Ukraine sowie im Nahen Osten militarisiert sich die öffentliche Diskussion so sehr, wie es vor wenigen Jahren noch undenkbar schien. Die militärische Logik ist in Schwarz-Weiß-Mustern verfangen, sie denkt in Freund und Feind. Dazwischen ist nichts, geopolitisch mittlerweile kaum einmal mehr die neutrale Schweiz. In Deutschland ist das militärische Denken spätestens mit der im Februar 2022 vom Bundeskanzler ausgerufenen „Zeitenwende“ salonfähig geworden, der Verteidigungsminister will das Land nun auch noch kriegsfähig machen, bis 2029 soll Deutschland reif sein für einen Krieg mit Russland.

Die Front gegen den erneuten Feind im Osten und alle vermeintlichen (und wirklichen) Freunde Putins im In- und Ausland wird mit massiver Propaganda aufgebaut. Wer ausschert, bekommt es mit der geballten Meinungsmacht derer zu tun, die auf der Seite der Regierung, der öffentlich akzeptierten Haltung stehen. Wer Verständnis für die Kritik Russlands an der Osterweiterung der NATO, an dem Wunsch nach Sicherheit äußert, der wird in Talkshows oder auf Social Media fertig gemacht – zumindest von den Vertretern des Mainstreams.

Im öffentlichen Diskurs herrscht eine feindliche Stimmung gegenüber denjenigen, die für Frieden und Verhandlungen einstehen. Sie schließt nahtlos an die Verfemung der Kritiker an den Corona-Maßnahmen an. Wer die Gesellschaft befrieden, in friedlicher Umgebung gemeinsam mit seinen Mitmenschen leben will, der muss sich dieser Spaltung stellen und an einer „Entfeindung“ arbeiten. Er muss verstehen, woher diese gesellschaftlichen Prozesse kommen, wer Interesse daran haben könnte, dass die Kriegslogik Teil des allgemeinen Bewusstseins wird.

Stefan Seidel und Michael Andrick haben in ihren Büchern auf je eigene Weise versucht, sich der Spaltung und ihrer Überwindung zu nähern. Der Theologe und Journalist Stefan Seidel zeichnet dabei Wege der „Entfeindung“ auf, gibt Beispiele von Menschen und Organisationen, die Brücken zwischen vermeintlich unversöhnlichen Fronten gebaut haben und dies auch heute noch tun. Dabei beruft er sich vor allem auf den Urheber der – in seinen Augen – eigentlichen Zeitenwende in der Geschichte der Menschheit: auf Jesus Christus und insbesondere dessen Bergpredigt. Der andere Autor, Michael Andrick, ist Philosoph und hat sich spätestens in der Zeit der Corona-Krise deutlich gegen die Einschränkung des Meinungskorridors und der weiteren Grundrechte positioniert. In seinen Augen befinden sich die Menschen hierzulande als Gefangene in einem „Moralgefängnis“. Dieses werde von der Angst aufrecht erhalten, ausgestoßen zu werden.

Die gesellschaftliche Spaltung hat viele Ebenen, und sie hat viele Mitwirkende. Die Ansätze von Andrick und Seidel zur Überwndung sind unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen, dass sie aber vor allem den einzelnen Menschen und seine Möglichkeiten betrachten, der Spaltung, der Verfeindung der Gesellschaft entgegen zu treten. Bei beiden Autoren kommen diejenigen recht kurz, die von der Spaltung profitieren. Denn es sind die Herrschenden, die von ihrem eigenen Versagen ablenken und die Bürger gegeneinander ausspielen.

In der massiven gesellschaftlichen und ökonomischen Krise, in der sich Deutschland und der Westen insgesamt befinden, ist das Erzeugen von Angst und Hass dabei ein wirksames Instrument der Kontrolle der öffentlichen Meinung, stellt Rainer Mausfeld in seinem Bestseller „Warum schweigen die Lämmer?“ fest: „Durch die Erzeugung von Hass lässt sich Ängsten ein geeignetes Zielobjekt geben, auf das sich Affekte des Volkes richten können. Dadurch ist sichergestellt, dass sich Empörungsenergie und Veränderungsbedürfnisse nicht gegen die Zentren der Macht richten.“ (1)

Der italienische Philosoph Fabio Vighi fasst den „Überbau“ des „Meta-Notstands-Szenario“, der Basis für die gesellschaftlichen Verwerfungen ist, wie folgt zusammen:

„Erstens lenkt die serienmäßige Erzeugung globaler Notlagen und Ausnahmezustände die Massen von der laufenden sozioökonomischen Implosion ab und schafft gleichzeitig falsche binäre Konflikte (divide et impera). Zweitens wird die Zufuhr von inflationärer Liquidität legitimiert und das Krisenmanagement auf das autoritäre Endspiel hin ausgerichtet. Drittens geben globale Notlagen dem senilen Kapitalismus die Möglichkeit, eine Art moralische Regeneration vorzutäuschen, indem er ethische Defizite produziert und dann darauf reagiert. Aus all diesen miteinander verwobenen Gründen muss jede Form des Widerstands, die ihren Namen verdient, das Bemühen beinhalten, die systemischen Ursachen der Krise zu benennen.“ (2)

Die Frage, wie es dazu kommt, wie die feindliche (Seidel) oder moralindurchseuchte (Andrick) Stimmung in der Gesellschaft Platz greifen konnte, wird in beiden Büchern nur am Rande behandelt, die systemischen Ursachen also kaum beachtet ohne deren Überwindung die Entfeindung nur partiell sein wird. Das ist ohne Zweifel ein Manko, aber die Lektüre beider Bücher lohnt sich gleichwohl, zumal beispielsweise das eben genannte Buch von Mausfeld eine gute Ergänzung sein kann.

Friedliches Miteinander einüben

Seidel und Andrick setzen auf einer Ebene an, die gerade bei politischen Büchern zu selten in den Fokus gerät: dem Miteinander in der Gesellschaft. Und selbst wenn man einschränken muss, dass es eben Nutznießer der Kriegsrhetorik gibt, die die Stimmung immer wieder befeuern werden (und müssen), so schadet es keinesfalls, sich mit deren Überwindung „von unten“ zu befassen. Schließlich braucht eine bessere Gesellschaft ein friedliches Miteinander, das nicht einfach so entsteht, wenn die äußeren Bedingungen überwunden werden, sondern das wiederum eingeübt werden muss. Zudem stellt sich immer auch die Frage, wie denn und vor allem von wem diese äußeren Bedingungen überwunden werden können. Es braucht also beide Seiten.

Was sagt Michael Andricks These vom Moralgefängnis? Sein Ausgangspunkt in eigenen Worten: „Geistige Offenheit und Toleranz kommen unserer Gesellschaft zunehmend abhanden. Die Diskussionskultur ist vergiftet, moralische Verurteilungen treten an die Stelle der Verständigung über das Gemeinwohl.“ Für Andrick ist die Spaltung „ein Gemeinschaftsprodukt vieler Menschen, die bestimmte Umgangsformen pflegen“. Spaltung lebe vom Mitmachen, davon, das Andersdenkende abgekanzelt werden und mit verleumderischen Begriffen („Corona-Verharmloser“, „Lumpenpazifist“) belegt werden. Der Austausch über unterschiedliche Ansichten wird fast unmöglich, es dominiert eine Atmosphäre von Angst und Misstrauen, die Andrick das „Moralgefängnis“ nennt.

„Eine moralindurchseuchte Gesellschaft lebt in ihrem eigenen kulturellen Gefängnis, in dem ein Regime des Moralismus durch Angstschwängerung des sozialen Lebens ,reguliert‘, was noch wie ausgedrückt werden kann und was ganz verschwiegen werden muss, will man keinen Ärger der einen oder anderen Art bekommen.“

Wer eine andere Meinung vertritt, als die Mehrheit der Gesellschaft und vor allem der Mainstream der Medien, der hat das vermutlich bereits erlebt.

„Wer das feststehende Gute nicht zumindest anspricht und seine Finger an den Hut legt, um zu zeigen, dass er es kennt, der ist schon nicht mehr Teil der offiziellen, regierungsamtlichen Glaubensgemeinschaft, die sich fälschlich ,Gesellschaft‘ nennt, da ihr immer nur die offiziellen Kreise notgedrungen und nur manche, die Karrieristen etwa, noch freiwillig angehören.“

Andrick nennt die Mechanismen des „Diktats des Guten Menschen“, die ganz praktisch in Formen der Zensur oder auch der vermeintlichen Demokratieförderung bestehen, wobei die andere, die abweichende Meinung verfemt und ausgeschlossen wird. Vom Einzelnen aus betrachtet sieht das dann wie folgt aus:

„Im Regime des Moralismus versagen wir einander den Respekt – die gegenseitige Berücksichtigung, die Rücksicht. Wir sprechen durch Moralisierung und Demagogie dem Andersmeinenden das Daseinsrecht im öffentlichen Raum ab, in dem wir uns zurechtlegen, warum wir ‚mit solchen Leute, die sowas sagen und tun‘, nichts zu tun haben.“

Auf Andricks Lösungsvorschläge wird am Ende dieses Textes zurückzukommen sein. Denn spätestens an dieser Stelle setzt Stefan Seidels Konzept der „Entfeindung“ an. Während Andrick sich vor allem von den Erfahrungen der Corona-Zeit lenken lässt und die Notwendigkeit des Ausbruchs aus dem „Moralgefängnis“ vornehmlich mit Beispielen aus dieser Zeit begründet, nimmt Seidel sich die Kriegsrhetorik vor, die immer stärker um sich greift und die die Menschen „in den einen oder anderen Pol der Konfrontation hineinzwingt“. Seidel will Freund-Feind-Unterscheidung überwinden und hebt das „geteilte gleiche Menschsein, die geteilte gleiche Verletzlichkeit und das Bewusstsein wechselseitigen aufeinander Angewiesenseins“ hervor.

Als Theologe ist seine Basis Jesus Christus als Begründer der „eigentlichen Zeitenwende“. Seidel erinnert daran, dass dieser als „König der Juden“ nicht etwa das Reich Davids wieder groß machte, sondern er kam auf einem Esel geritten nach Jerusalem. „Die christliche Lektion heißt: Frieden kommt nicht durch Macht, Könige und Soldaten sondern durch Herrschafts- und Gewaltverzicht. Frieden kommt durch Entfeindung.“ Für Seidel ist die Bergpredigt von Jesus aus dem Matthäusevangelium das Programm aktiver Gewaltlosigkeit („Selig sind die Friedfertigen…“). Diese Lehre eröffnet den Raum für Vergebung, ohne die Kriege und Konflikte nicht überwunden werden können. Jesus begegnet der Gewalt gewaltfrei und vergibt vorauslaufend und maßlos. Er verweigert die Feindschaft. Mit anderen Worten geht es darum,

„dem Bösen nicht auf seinem eigenen Boden und mit seinen eigenen Mitteln und Logiken entgegenzutreten und sich auf diese Weise mit seiner Logik zu infizieren. Vielmehr gilt es, den Boden des Bösen nicht zu betreten, dem Bösen gegenüber abstinent zu bleiben, sich zu „desidentifizieren“, sich nicht seine Logik aufzwingen zu lassen oder seine Mittel zu übernehmen.“

Seidel bietet einige Beispiele, zitiert Wolfgang Borcherts berühmten Text „Da gibt es nur eins: Sag NEIN!“ und kommt immer wieder darauf zurück, dass Krieg keinen Frieden schaffe, seine Logik dem Frieden fundamental entgegen stehe. „Es ist die Botschaft fast jeder Kriegsgeneration und die der Bergpredigt zumal, dass der Krieg an sich, der Krieg als Option prinzipiell ausgeschlossen und mit einem absoluten Bann belegt werden muss.“ Ein aktuelles Beispiel ist dabei in seinen Augen ermutigend. Das Beispiel „Parents Circle – Trauernde Israelis und Palästinenser für Versöhnung“. Eltern, die ein Kind im Konflikt verloren haben arbeiten an der Entfeindung und träumen vom dauerhaften Frieden. Seidel schreibt:

„Sie tragen in ihre von der Feindschaftslogik beherrschten Kollektive die Botschaft, dass der Preis dieses Konflikts viel zu hoch ist und dass es auf beiden Seiten Menschen sind, die in ihrer Verletzlichkeit und Sehnsucht nach einem Leben in Frieden und Sicherheit gleich sind.“

Liebe oder Respekt

Heute brauche es eine wirkliche Wendung der Zeit, in der innerlich wie äußerlich die Friedenslogik gelebt wird. Es gilt, so schreibt Seidel, sich den Feindbildern zu verweigern und die umfassende Empathie zu erhalten, an unteilbaren Menschenrechten festzuhalten und an die „verwandelbare Kraft der Gewaltlosigkeit und Liebe“ zu glauben. Der Philosoph Andrick argumentiert mit rationalen Begriffen, die „Liebe“ des Theologen ist bei ihm der „Respekt“ als Gegengift gegen die Moralisierung. Es geht ihm um Respekt für den Mitbürger auf Basis der Staatsordnung. Er sieht sie als moralische Aufgabe und als Sache der demokratischen Grundüberzeugung, die von der Gleichheit der Bürger ausgeht. Und er geht noch weiter:

„Gleichen Respekt zu gewähren, ist die moralische Pflicht eines jeden, der mit dem Grundgesetz an die gleiche Würde aller Menschen glaubt und danach handeln will. Diese Pflicht ist unabhängig davon, ob in der Gesellschaft insgesamt Gerechtigkeit herrscht. Deshalb sollten wir die unparteiische Aufarbeitung der extremen Politik der letzten Jahre und etwaiger Korruption politischer Institutionen durch Wirtschaftsakteure zwar einfordern und auf sie hinarbeiten – wir wollten aber nicht auf sie warten, als könnten wir vor ihrem Eintreffen nichts tun, oder gar ihr Ausbleiben als Entschuldigung unserer Untätigkeit gebrauchen.“

Michael Andrick möchte, dass dem Regime des Moralismus die Gefolgsleute abhanden kommen, dass sozialzerstörerische Moralisierung nicht mehr geduldet wird. Hier setzt er bei jedem Einzelnen an, der auch beispielhaft für andere sein könne. Seidel eröffnet ähnliche Perspektiven wenn er schreibt:

„Es wird deutlich: Um die im Feld der Gewalt herrschenden Zerstörungskräfte zu bannen und Perspektiven ihrer Überschreitung zu eröffnen, bedarf es einer ‚Gegen-Realität‘, die ins Spiel gebracht und persönlich gelebt wird.“

Die persönliche Ebene hat einen großen Vorteil: Hier kann jeder Einzelne tätig werden. Während die große Politik von unten oftmals unveränderlich erscheint, kann jeder versuchen, die Logik der Spaltung im eigenen Umfeld zu durchbrechen. Das ersetzt nicht die mit Vighis Zitat oben angedeutete Analyse der gesellschaftlichen Umstände und den (organisierten) Versuch ihrer Veränderung. Für beides braucht es aber Menschen, die aus Liebe zu den anderen Menschen das Leben für möglichst viele verbessern wollen – weder der Krieg noch das Moralgefängnis machen irgend etwas besser. Die Bücher von Michael Andrick und Stefan Seidel bieten jedes für sich und auch gemeinsam eine Basis, über diese Verhaltensänderung nachzudenken und Wege der Entfeindung zu beschreiten. Wer den anderen nicht hassen kann, wer die Menschen als aufeinander angewiesen erkennt, der wird friedensfähig. Und genau das braucht die Gesellschaft heute.

Stefan Seidel, Entfeindet Euch. Auswege aus Spaltung und Gewalt, Claudius Verlag, 125 Seiten, 20 Euro

Michael Andrick, Im Moralgefängnis. Spaltung verstehen und überwinden, Westend Verlag, 173 Seiten, 18 Euro

Über den Autor: Helge Buttkereit, Jahrgang 1976, hat sein Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Journalistik mit einer Arbeit zu „Zensur und Öffentlichkeit in Leipzig 1806-1813“ abgeschlossen. Nach journalistischen Tätigkeiten bei verschiedenen Medien und Buchveröffentlichungen über die Neue Linke in Lateinamerika arbeitet er aktuell in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Anmerkungen

(1) Rainer Mausfeld, Warum schweigen die Lämmer? Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören, Frankfurt am Main, Westend Verlag 2018, S. 72

(2) Fabio Vighi, Die Untergangsschleife: COVID-19 und das Zeitalter der kapitalistischen Dauerkrise, in: Andreas Urban (Hrsg.), Schwerer Verlauf. Corona als Krisensymptom, Wien 2023, S. 21-46, hier: S. 33

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Diskussion

14 Kommentare
ALEXANDER FEIN, 1. Juli 2024, 15:40 UHR

Der Artikel bietet mir nur wenig Erhellendes. Die Frage nach dem "Warum" für einen freiwilligen Weg in das Moralgefängnis oder den Krieg scheint mir dann doch zu wichtig, als dass ich jetzt mit jedem Andersdenkenden diskutieren kann, ohne zu wissen, wie eine Basis für ein herrschaftsfreies Gespräch aussehen kann. Offenbar wirken innere Konflikte und äußere Abhängigkeiten gleichsinnig in Richtung Zerstörung. Wie geht man beispielsweise mit Moralgefängnissen in Gerichtssälen um, also einer sehr tiefgehenden und grundsätzlichen Befangenheit handelnder Personen? Soll ich da als Vorverurteilter auch mit "Empathie", also einer Ethik des Mitgefühls drangehen? An diesen hohen Maßstäben werde ich scheitern, praktikable Lösungsvorschläge würden hingegen helfen.

SE, 2. Juli 2024, 12:00 UHR

Also in meiner Analyse der Menschheit ist ganz klar die Ignoranz die Ursache für Spaltung; Ignoranz zusammen mit der Weigerung zu Neugier und Lernen. Alle drei: Ignoranz, Neugier und Lernfähigkeit, sind uns angeboren. Aber jene, die "spalten", nutzen ihre Ignoranz, um ihre Neugier zu unterdrücken und ihre Lernfähigkeit nicht praktizieren zu müssen. Denn Lernen ist anstrengend und erfordert ausserdem, Denkgebäude einzureissen, sobald sich im Prozess andeutet, dass sie falsch sein könnten.

Gerade bei letzterem fallen mir Christen besonders negativ auf, denn überall, wo sie auftauchen - in Raum wie Zeit -, haben sie ihre Militärs und damit auch Krieg im Gepäck. Ich denke, das kommt von deren religiös antrainierter Einseitigkeit, der letztlich faschistischen Idee von einem einzigen Gott. Das ist pure Ignoranz gegenüber ALLEN anderen Möglichkeiten, einhergehend mitsamt der Verweigerung aus dem Konstrukt herauszudenken. Damit wurde enorm viel Vielfalt vernichtet seit der Antike: Literatur, Architektur, Wissen, Erkenntnis - das ist nicht in Worte fassbar.

... die Bergpredigt ist also ganz klar wenig geeignet, das Ausmass der geistigen Zerstörung zu beschreiben oder zu erkennen, DENN Spaltung passiert hauptsächlich innerhalb der christlichen Monotonie, da sie von ihr hervorgerufen wird, denn alles, was anders ist, ist automatisch nicht "mono".

Die Christen selbst sind eine Abspaltung der Juden und die eine Abspaltung der ägyptisch-griechischen Vielgötterwelt. Die Muslime sind eine Abspaltung der Juden/Christen. Die Juden selbst sind gespalten durch die Zionisten. Die Christen selbst in sog. Protestanten und Orthodoxe und ich-weis-nicht-in-wieviele Splittergruppen, von denen jede für sich behauptet, die Bibel besser als die anderen zu verstehen... überall, wo ein Mono-Gott ist, folgen Spaltung und Krieg und werden besonders schlimm und enden nie, immer wieder. Die einzige Vielfalt, die Monotheisten zulassen ist die der Worte der Verklärung.

... und Nein, solange Menschen irgendeinen dieser Geisteszustände ergreifen - sich praktisch extern darüber identifizieren, etwa mit "ich bin ein Christ/Moslem/Jude/Handwerker/Akademiker/Angestellter/Fan/..." -, wird die Menschheit nicht aus dem Krieg herauskommen.

STRESSTEST, 4. Juli 2024, 00:05 UHR

"... und Nein, solange Menschen irgendeinen dieser Geisteszustände ergreifen - sich praktisch extern darüber identifizieren, etwa mit "ich bin ein Christ/Moslem/Jude/Handwerker/Akademiker/Angestellter/Fan/..." -, wird die Menschheit nicht aus dem Krieg herauskommen."

@SE, zu Ihrer Aufzählung würde ich noch: Wähler/Anhänger politischer Parteien hinzufügen. Aber Sie haben es verstanden und in wenigen Sätzen sehr gut ausformuliert.

Es bleibt noch die Frage, was passiert, wenn die Gesellschaft sich "entfeindet", alle sich liebhaben und respektieren? Wird sich dann auch das Handeln der Herrschenden ändern, wenn sie durch gezielte Spaltung "von ihrem eigenen Versagen ablenken" und davon noch profitieren?

SE, 4. Juli 2024, 11:10 UHR

@STRESSTEST: ja, in meine "..." kann praktisch jede externe Identitätsbekenntnis eingesetzt werden. Alles, was macht, dass "Ich != Ich" wird, bewirkt jenen Geisteszustand, den ich unter dem Begriff "extern geleiteter Charakter" kennengelernt habe (in "The lonely crowd" von Riesmann, Glazer, Demney wenn ich recht erinnere). Näherungsweise alles Gesellschaftliche ist mittlerweile ausgerichtet, diesen Geisteszustand zu produzieren.

Was die Herrschenden bei Entfeindung betrifft: denke, das muss gar nicht ausdiskutiert oder vorhergesehen werden, denn es ist völlig egal; deren Methodik funktioniert dann nicht mehr. Massenpsychologie als Waffe gegen alle wäre entschärft und sie würden eine Mini-Minderheit bleiben, die in nichts ausser Versagen feststeckt, allenfalls Gelächter auslöst hin und wieder. Aber das ist viel härter umzusetzen als zu schreiben: es erfordert von > 7 Milliarden Leuten endlich mal die historischen Ideologien und Desinformationen als solche zu erkennen, um nicht mehr darauf hereinzufallen; angefangen mit den wirklich festsitzenden Sachen wie der Jesus-Behauptung ... mich würde freuen, wenn christliche Kirchen zu Mahnmalen werden. Wette aber dagegen, das zu erleben.

HELENE BELLIS, 4. Juli 2024, 14:05 UHR

@SE

»solange Menschen […] sich praktisch extern darüber identifizieren, etwa mit "ich bin ein Christ/Moslem/Jude/Handwerker/Akademiker/Angestellter/Fan/..." -, wird die Menschheit nicht aus dem Krieg herauskommen.«

Wenn Sie die Güte hätten, das näher zu erläutern? Die Gefahr liegt doch nicht darin, sich als etwas Bestimmtes zu identifizieren, sondern eher dort, wo diese Unterschiede zu (unüberwindlichen) Gräben gemacht werden. Man ist doch der, der man ist, eben weil man zu gewissen »Gruppen« gehört. Handwerker beispielsweise – die ja auch gut und gerne gleichzeitig Akademiker sein können – erklären doch niemandem den Krieg, wenn sie zu ihrer Ausbildung und ihrem Beruf stehen?! Was sollen die denn sonst von sich sagen?

Und auch wenn ich der Meinung bin, daß man seine Religionszugehörigkeit nicht unbedingt an die große Glocke hängen muß, gestehe ich immer noch jedem meiner Mitmenschen zu, sich als beispielsweise Katholik zu identifizieren und dies auch – in Maßen – kundzutun. Den Krieg zwischen den unterschiedlichen Lebensweisen initiieren meines Erachtens andere. Die das wahrscheinlich auch tun würden, wenn man sich, ja was eigentlich: als Nichts definiert? Schönen Dank auch.

STRESSTEST, 4. Juli 2024, 15:15 UHR

"Was die Herrschenden bei Entfeindung betrifft: denke, das muss gar nicht ausdiskutiert oder vorhergesehen werden, denn es ist völlig egal; deren Methodik funktioniert dann nicht mehr. Massenpsychologie als Waffe gegen alle wäre entschärft und sie würden eine Mini-Minderheit bleiben, die in nichts ausser Versagen feststeckt, allenfalls Gelächter auslöst hin und wieder."

@SE, so optimistisch bin ich diesbezüglich nicht. Die "Herrschenden" waren, sind und bleiben (?) quantitativ eine "Mini-Minderheit". Qualitativ - hinsichtlich der Macht - beherrschen sie den Rest in Friedens-, Kriegs- sowie anderen Krisenzeiten, profitieren finanziell davon und vergrößern ihren Machteinfluss. Die letzten Beispiele hierfür: gezielt herbeigeführte Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg.

Was die "Massenpsychologie als Waffe" anbetrifft, die angestrebte Friedlichkeit & Harmonie in den unteren Bevölkerungsschichten kann auch eine Waffe sein. Es gibt Methoden, Nutztiere zu beruhigen, bevor sie zur Schlachtbank geführt werden. Ich sehe auch kein "Versagen" bei den "Herrschenden". Es läuft alles nach Plan. In naher Zukunft werden 80-90 % der Weltbevölkerung nutzlos und überflüssig sein (KI, Robotik, Rohstoffknappheit). Bis es so weit ist, müssen sie noch enteignet (digitales Zentralbankgeld) und als Biomasse gewinnbringend verwertet werden. Deswegen sagte auch der Busenfreund von von der Leyen & Pfizer-CEO, Albert Bourla, dass Covid nur eine Probe war und die besten Jahre von Pfizer noch vor uns liegen:

https://x.com/drsimonegold/status/1803148489053950386

HELENE BELLIS, 4. Juli 2024, 17:40 UHR

@STRESSTEST

»Qualitativ - hinsichtlich der Macht - beherrschen [die "Herrschenden"] den Rest in Friedens-, Kriegs- sowie anderen Krisenzeiten, profitieren finanziell davon und vergrößern ihren Machteinfluss. Die letzten Beispiele hierfür: gezielt herbeigeführte Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg.«

Bezüglich des Ukraine-Krieges haben die Herrschenden wohl tatsächlich eine Macht, der man so schnell und einfach nicht viel entgegensetzen kann. Was jedoch die angebliche Corona-Pandemie angeht, hatten sie zahlreiche Unterstützung durch Gerichte, Ärzte, Lehrerschaft, Ladeninhaber, Medien und so manchen Möchtegernblockwart. Ohne diese wäre die ganze Unterdrückung nicht möglich gewesen. Ich verweise gerne auf Étienne de la Boéties »Abhandlung über die freiwillige Knechtschaft«, die überaus eindrucksvoll belegt, daß man sich von diesen Wenigen nur dann beherrschen lassen kann, wenn man sich dem widerstandslos ergibt.

Noch sind wir der Souverän, und wenn wir alle zusammen wirklich wollten, dann müßten wir so etwas nicht erleiden.

STRESSTEST, 4. Juli 2024, 22:10 UHR

"Alles, was macht, dass "Ich != Ich" wird, bewirkt jenen Geisteszustand, den ich unter dem Begriff "extern geleiteter Charakter" kennengelernt habe (in "The lonely crowd" von Riesmann, Glazer, Demney wenn ich recht erinnere). Näherungsweise alles Gesellschaftliche ist mittlerweile ausgerichtet, diesen Geisteszustand zu produzieren."

@SE, damit haben Sie wohl das Wichtigste angesprochen. Was ist nötig, um einen Menschen zum rationalen, autonomen, bewussten und von negativen Einflüssen freien Subjekten zu machen bzw. zu erziehen? Der von Ihnen erwähnte "extern geleitete Charakter" wird von Riesman - im Gegensatz zu den zwei anderen Kulturtypen - als flexibel eingestuft (musste ich bei Wikipedia nachschauen - kannte ich nicht). Das macht ihn zwar einerseits leicht beeinflussbar, aber andererseits empfänglich auch für positive Impulse.

Als ich Mitte 20 war (also vor ungefähr 40 Jahren), habe ich mich ein wenig mit der Praxeologie (als Sozialtheorie) beschäftigt, aber eindeutige Antworten oder Rezepte darin auch nicht gefunden. Übrigens an dieser Materie, oder genauer gesagt: an der Ignoranz dieser Problematik, ist auch das "sozialistische Experiment" gescheitert. Nicht der Mensch muss sich an das System zwangsweise anpassen, sondern das System muss so konzipiert sein, dass alle Charaktere, Mentalitäten (grob verkürzt) berücksichtigt werden und das Potenzial, etwas zu leisten, sich frei entfalten kann. Als Jugendlicher habe ich aus Verzweiflung versucht zu berechnen, wie stark die totalitäre Macht der Kirche unsere zivilisatorische Entwicklung gebremst hat - um 100 oder mehr Jahre?

Die Marke von 1 Mrd. hat die menschliche Population Anfang des 19. Jahrhunderts erreicht. Mit der heutigen technologischen Entwicklung ins 20. Jahrhundert zu starten, hätte uns viele Probleme erspart - theoretisch zumindest. Mit 6-7 musste ich jeden Sonntag in die Kirche. Zum Glück hatte ich 4 Kirchen zur Wahl gehabt. Daraus ist in mir echte Liebe zur Architektur und zum Handwerk entstanden. Nichts mehr hat mich in der Kirche so interessiert und angezogen, als das Gebäude selbst und das meisterliche Handwerk in der dazugehörigen Ausstattung. Atheist bin ich trotzdem geworden - mit ... 13.

SE, 4. Juli 2024, 23:25 UHR

@HELENE BELLIS

(ich versuche es mal)

Der sog. extern geleitete Charakter hat sich nie ein richtiges geistiges Fundament aus Erkenntnis selbsttätig erarbeitet. Ein Fundament für das eigene Denken, welches seine Weltkenntnis in der Wirklichkeit dieses Universums (Natur, Physik) verankert und ihn die Lage versetzt, ebenso selbsttätig oben von unten zu unterscheiden (als Beispiel). Also von sich heraus zu wissen, wo die Grenze des eigenen Wissens ist. Zusammen mit der selbst antrainierten Fähigkeit dieses Wissen selbstbestimmt zu erweitern oder zu verändern, inkl. komplett einreissen und nochmal aufbauen, wenn nötig. Nur damit entsteht die wahre Mündigkeit, die vollständige Kontrolle über den eigenen Verstand mitsamt der Erfahrung ihn zu nutzen.

Wer zu externen Identifikationen greift, kann das nie erreichen. Er wählt stehts eine vermeintliche Abkürzung und verbleibt damit in einem Zustand, wo er letztlich nie wirklich belastbar selbst wissen kann, was er weiß. Er kann nicht einmal sicher wissen, was er nicht weiß!

Das hat zwei Konsequenzen: 1) ist er manipulierbar, sogar ohne es selbst zu bemerken und 2) stürzt seine Weltkenntnis sehr schnell zusammen, sobald etwas an seinen Identifikationen rüttelt.

Der extern geleitete Charakter lebt und wandelt also stets auf geistig wackeligen Füßen, ahnt das irgendwo, und das macht ihm Angst! Für ihn unlösbare Angst! Er verfügt ja nicht über die Erfahrung - und die mit ihr kommende Sicherheit! - die eigene Weltkenntnis vollständig selbst aufgebaut zu haben.

Wenn also eine oder mehrere seiner Identifikationen zusammenbrechen, trifft das nicht nur seine Weltkenntnis hart, sondern führt schnell zu einem geistigen Tod. Um den abzuwenden, hat der extern geleitete Charakter allerdings Methoden entwickelt. (Wer will schon gern geistig sterben?) Methode #1 ist der Griff zu einer rettenden Identifikation. Das Problem damit: es macht wahnsinnig! Schwächt die Psyche weiter, statt jemals wirklich echte Stabilität zu bringen. So verbringen typische extern Geleitete ihr Leben damit, sich von einer Identifikation zur nächsten zu hangeln oder die gewählten Identifikationen auf Teufel komm raus zu verteidigen, um den Einsturz zu vermeiden. Das ist Methode #2.

Beide Methoden können Sie jeden Tag beobachten. Methode #1 sorgt für Vergessen des Geschehenen, inkl. der eigenen Fehler. Methode #2 sorgt für stures "weiter falsch Handeln", also das Fortbestehen bekannter Fehler. Kurz: Ignoranz. Beides läuft unweigerlich auf Krieg heraus.

Jeder, der Erinnerung einfordert oder eine neue Denkweise vorschlägt, rüttelt letztlich an den Identifikationen und riskiert damit den geistigen Tod für die extern geleiteten Charaktere, denn für die ist es ein Kampf um Leben und Tod - sie müssen geistig sterben um aus der externen Leitung ihres Lebens herauszukommen. So irre das klingt: physischer Krieg - inkl. dabei zu real zu sterben - ist für Leute in diesem Geisteszustand weniger bedrohlich, denn sie können damit umgehen!

Die Propagandisten - ob von Kirche oder Staat - bieten tonnenweise Identifikationen an, um psychologisch bequem echten Krieg zu begehen. Als Verteidiger, als Unterstützer der Verteidiger, als moralisch Überlegener, als Reingerittener, als Unwissender, als Helfer für Opfer, als Opfer ... Einfach was nettes rausgreifen. Keines tut im eigenen Kopf so weh wie der geistige Tod, der komplette Zusammenbruch der eigenen Weltkenntnis. Ein extern Geleiteter ist nicht, was er ist, er ist, was die Identifikationen ihm bieten. Ohne die ist er nichts.

(Hoffe das ist klar genug geworden.)

SE, 4. Juli 2024, 23:45 UHR

@STRESSTEST

Die "Mini-Minderheit" der Herrschenden bezieht ihre Macht nicht aus dem Nehmen selbiger, sondern weil so viele Menschen ihre Macht abgeben, freiwillig. Das geht gar nicht von den Herrschenden aus (viele sind zu dumm, das zu begreifen - weshalb sie selber hierarchisch organisiert sind, via Davos etwa). Es geht von den Vielen aus, die den Weg zu echter Mündigkeit niemals beschreiten. Im Kommentar an HELENE BELLIS versuche ich mich an einer Antwort.

HELENE BELLIS, 5. Juli 2024, 10:00 UHR

@SE (Ihr Kommentar vom 4. Juli 2024, 23:25 Uhr)

Das ist eine sehr interessante Erläuterung, die ich hier erstmal nicht anzweifeln möchte. Nichtsdestoweniger weiß ich nicht, warum dies dazu führen sollte, daß jemand, der sich mit »Ich bin Handwerker« vorstellt oder für sich selbst so definiert, deswegen geistig schwach und quasi auf dem Weg in den Krieg sein soll. Bloß weil ich mich als etwas bezeichne, definiere bzw. mich mit einem bestimmten Status identifiziere, bin ich doch nicht per se ein »extern geleiteter Charakter«.

Ich versuche mal, eine Analogie zu finden: aus dem feministischen Diskurs ist bekannt, daß es Frauen gibt, die sich über Männer definieren. Das bedeutet, daß eine männliche Meinung für diese Frauen immer über den weiblichen Meinungen inklusive ihrer eigenen (!) steht; insbesondere gilt dies für das eigene Selbstverständnis. So wie ich Ihre Ausführungen verstehe, müßte demnach bereits jede Frau, die sagt, daß sie Männer liebt, als eine sich über Männer definierende Frau bezeichnet werden. Und dem möchte ich ausdrücklich widersprechen.

SE, 5. Juli 2024, 12:35 UHR

@HELENE BELLIS

bzgl. dem Kommentar vom 5. Juli 2024, 10:00 Uhr: WARUM soll oder muss der Mensch sein Weltdenken und -handeln dem Zwang von Definition unterziehen?

Ich persönlich kann programmieren und ich kann mit Holz und Metall und Stein und Erde und Pflanzen arbeiten oder eben die Menschheit analysieren. Ich werde mich allerdings nie als Programmierer oder Handwerker oder Botaniker oder Psychoanalytiker bezeichnen. Wozu sollte ich das tun? Was bringt mir das und welche Risiken kommen dabei mit?

(zu Geschlecht brauche ich gar nichts erst meinen, denn was Chromosomen sind und machen ist klar - kann ich genauso wenig ändern wie meine Schuhgrösse oder mein Alter oder das es Chemie gibt)

SE, 5. Juli 2024, 15:45 UHR

@STRESSTEST, zum Kommentar vom 4. Juli 2024, 22:10 Uhr

Auch ja. Kirchen fand ich als Kind mal beeindruckend, rückblickend wegen der Grösse, Alter/Geschichte und der Architektur, die all das zusammenbringt. Die Worte der evangelischen Priester - andere konnte ich nicht hören - habe ich schon damals nicht verstanden. Zu diffus alles. Ich hörte die Sätze, aber nicht WAS sie mir sagen wollen. Meine eigentliche "Taufe" mit Realität kam, als ich mal fragte "Was ist ein Kreuz?". Als Antwort kamen ganz viele Sätze mit Leidensweg und Busse und Sünde für alle - viel zu kompliziert für ein Kind! Etwas später hielt ich eines dieser Was ist Was Bücher in den Händen, über die Römer. Darin stand: "Das Kreuz ist ein Folterinstrument." Punkt. Frage beantwortet. Seither ist mir klar, was bei den Christen falsch ist.

Später las ich Ayn Rands Fountainhead und kann seither auch die Kirchenarchitektur nicht mehr ersehen. Es ist eine Zerstörung dessen, was Architektur in der Antike mal war. Was Architektur heute sein könnte, wissen wir gar nicht!

Auf die Frage: "wie stark die totalitäre Macht der Kirche unsere zivilisatorische Entwicklung gebremst hat" antworte ich ganz ohne Rechenversuch: Zweitausend Jahre reichen nicht!

(ich las mal ein Gedankenexperiment, wo sich einer fragte, warum zum Geier die Cäsaren keine Luftwaffe hatten?! Die hatten bereits alle Materialien und auch Fertigungstechniken, die der Lilienthal für seinen Segelflieger brauchte - hätten die bauen können, rein praktisch! Haben sie aber nicht, weil das Römerimperium auf geistigen Vorfahren von Bürokraten bestand: religiös, denk- und beobachtungsunfähig, faschistisch stur in der Befolgung von Regeln und militarisiert ... in dem Zustand ist eine Idee wie Segelflug unmöglich ...)

ALEXANDER FEIN, 5. Juli 2024, 14:05 UHR

Liebe Community,

ich gehe in letzter Zeit dazu über, das in unserer Gesellschaft zu beobachtende Kultverhalten als Sucht eigener Art zu betrachten. Als ursprünglichen Affekt sehe ich Scham, die sich beispielsweise in der Kulthandlung "Maske" direkt entlädt und damit den intrapsychischen Konflikt entlastet. Ich erinnere daran, dass Kinder sich die Hand vor das Gesicht halten, wenn sie sich schämen. Wir würden im Fall der Maske vielleicht von Atavismus sprechen oder in psychosomatischen Zusammenhängen "primären Krankheitsgewinn" anführen. Ich sehe diese Maskennummer mittlerweile auch getrennt vom übrigen Coronismus.

Wenn wir das alles jetzt als Sucht sui generis sehen mit ihren krankhaften Beziehungsmustern, dann wird vieles erklärbar. Das "Moralgefängnis" wäre eine (pathologische) Beziehungsstruktur, in der ein Gesprächspartner versucht, dem Abhängigen zu erklären, dass er sein Verhalten ändern soll. Und wie diese Gespräche üblicherweise ausgehen, wissen wir alle. Blöd nur, dass der Abhängige jetzt auch noch Schutzbefohlene in Geiselhaft hält wie eine alkoholkranke Mutter ihr achtjähriges Kind.

Hat jemand wissenschaftliche Literatur über Kultverhalten und Sucht? Bei Gunnar Kaiser bin ich in "Der Kult" nicht richtig fündig geworden bisher. Wer eine Stelle im Buch weis, möge sie mir bitte nennen.

Wenn es gelingt zu erkennen und zu erhärten, dass Kulte Suchtverhalten sind, hätte man Hinweise für die Gesprächsführung. Wäre für Tipps hier in den Kommentaren ausgesprochen dankbar, auch von Profis auf dem Gebiet. Es wäre wichtig für mehrere Gerichtsverfahren.

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