Aufklärung oder Autorität?
GÜNTER KAMPF, 24. März 2021, 1 KommentarIm Juli 2020 machte der Präsident des RKI mit einer interessanten Aussage auf sich aufmerksam:
„Die Abstands- und Hygieneregeln müssen noch monatelang bleiben. Diese dürfen nie infrage gestellt werden.“
In dieser Aussage zeigt sich ein ungewöhnliches Selbstverständnis. Wenn man fest davon überzeugt ist, dass die Abstands- und Hygieneregeln die Ausbreitung von SARS-CoV-2 tatsächlich verhindern können, ist es mehr als legitim, alles für ihre Umsetzung und Einhaltung zu tun. Denn mit guter Aufklärung kann man sicher viele Menschen davon überzeugen, diese Regeln einzuhalten. Dazu müssten die Menschen jedoch verstehen, was die Maßnahmen tatsächlich bringen und wie gut der wissenschaftliche Beleg für den Nutzen ist. Wenn jedoch einzelne Maßnahmen in der Fachwelt hinsichtlich ihres Nutzens umstritten sind, wird es schwer werden, gute Überzeugungsarbeit zu leisten, da es einige gute Argumente geben wird, die den angeblichen Nutzen berechtigterweise in Frage stellen. Und damit kommen wir zu einem heiklen Teil der oben zitierten Aussage, der mich sprachlos macht: „Diese dürfen nie infrage gestellt werden“.
Immanuel Kant (1784): „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“
Am 19. November 2020 schreiben Prof. Dr. Carl Heneghan und Dr. Tom Jefferson, beide vom Zentrum für Evidenzbasierte Medizin an der Universität Oxford in England, einen Artikel in der Zeitschrift Spectator und berichten über die Ergebnisse der „dänischen Masken-Studie“, die in den Annals of Internal Medicine veröffentlicht wurde. Das Ergebnis dieser Studie war, dass es keine signifikante Reduktion von COVID-19-Fällen gab, wenn die Menschen OP-Masken im öffentlichen Raum trugen. In ihrem Beitrag für den Spectator beschreiben die britischen Wissenschaftler die dänischen Ergebnisse und setzen diese in Bezug zu anderen Studien, die mit weniger robusten Methoden generiert wurden. Der Titel ihres Beitrags lautete: „Landmark Danish study shows face masks have no significant effect“ (deutsch: Meilenstein-Studie aus Dänemark zeigt, dass Gesichtsmasken keinen signifikanten Effekt haben).
Kurze Zeit später wiesen sie auf Facebook auf ihren Artikel im Spectator hin. Am 20. November 2020 wurde dieser Beitrag von Facebook mit einem Warnhinweis versehen: „False information. Checked by independent fact checkers“ (deutsch: Falschinformation. Von unabhängigen Faktenprüfern geprüft). Als Begründung wurde von Facebook angegeben:
„Die dänische Studie ergab nicht, dass Masken die Ausbreitung von COVID-19 nicht wirksam reduzieren konnten. Die Studie hatte eine unzureichende Probandenzahl und die Ergebnisse waren nicht schlüssig.“
Jetzt wird es endgültig Haarspalterei, denn wenn es keinen signifikanten Nutzen gab (weniger COVID-19-Fälle), ist nach meinem Verständnis sehr wohl belegt, dass Masken die Ausbreitung von COVID-19 nicht wirksam reduzieren konnten, selbst wenn es rückblickend zu wenig Probanden waren. Dazu muss man jedoch anmerken, dass die Autoren der dänischen Studie eine nachvollziehbare Begründung für die Anzahl der Probanden geliefert haben. Sie nahmen eine Reduktion der COVID-19-Fälle um 50 Prozent an, die sich jedoch bei Betrachtung der Ergebnisse als zu optimistisch erwies.
Es ist schon erstaunlich, wie die sogenannten Faktenprüfer eines Konzerns eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 38 Prozent zugunsten der Maskengruppe interpretieren, obwohl diese in der medizinischen Forschung üblicherweise mit maximal 5 Prozent angesetzt wird. Die wütende Reaktion von Prof. Dr. Carl Heneghan folgte prompt:
„Mir ist bewusst, dass dies anderen passiert – was ist mit der akademischen Freiheit und der Meinungsfreiheit passiert? In diesem Artikel ist nichts falsch.“
Dr. Kamran Abbasi, Herausgeber des British Medical Journal, schrieb dazu:
„Eine Meinungsverschiedenheit unter Experten, insbesondere über die Interpretation einer Studie, ist ein häufiges Ereignis. Es ist das übliche Geschäft der Wissenschaft. Nur Facebook hat das nicht so gesehen.“
Eine offene Gesellschaft lebt vom in Frage stellen, die Wissenschaft lebt vom in Frage stellen. Und somit leben auch empfohlene Maßnahmen von der ihnen zugrunde liegenden wissenschaftlichen Basis. Bei der Flut an Erkenntnissen zur Übertragung von SARS-CoV-2 im Laufe des Jahres 2020 kann man den Wissensstand und damit die empfohlenen Maßnahmen nicht einfach einfrieren. Was wäre denn, wenn in einer ausgezeichneten Studie herauskäme, dass ein Mindestabstand von einem Meter ausreicht, um Übertragungen zu verhindern. Dürfte der Bürger dann die vom RKI empfohlenen 1,5 Meter nicht in Frage stellen? Was wäre andererseits, wenn das Ergebnis einer sehr guten Studie wäre, dass es mindestens drei Meter erforderlich sind, um eine Übertragung zu vermeiden? Dürfte man dann die 1,5 Meter ebenfalls nicht in Frage stellen? Ähnliche Konstellationen sind für das Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung denkbar.
Das „in Frage stellen“ zu untersagen, ist ein gefährlicher Weg und widerspricht in jeder Form den Grundprinzipien der Wissenschaft und einer aufgeklärten Gesellschaft. In autoritär geführten Ländern hätte ich diese Art der Kommunikation an die Bürger für möglich gehalten, eine derartige Aussage in Deutschland hat mich sehr überrascht. Vielleicht ist es jedoch Ausdruck der fehlenden wissenschaftlichen Klarheit zum Nutzen einzelner Maßnahmen, so dass in der Folge nur die autoritäre Version bleibt, um eine möglichst gute Umsetzung seitens der Bürger zu erzielen.
Ärzte und Wissenschaft
Von der Ärztekammer Hamburg, vertreten durch den Präsidenten Dr. Pedram Emami sowie der Vizepräsidentin PD Dr. Birgit Wulff, wurde ebenfalls eine denkwürdige Presseinformation vor einer geplanten Demonstration in Hamburg veröffentlicht:
„Besonders unverständlich sei, dass sich auch ärztliche Kolleginnen und Kollegen an den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen beteiligten und dabei die dem ärztlichen Berufsstand zugeschriebene Kompetenz und Glaubwürdigkeit zur Verbreitung ihrer Privatmeinung nutzten, die nicht dem aktuellen medizinischen Wissensstand entspricht.“
In dieser Presseinformation findet sich die gleiche Begründung für eine kritische, fast abwertende Haltung gegenüber andersdenkenden Ärzten: es sei eine Privatmeinung, die nicht dem aktuellen medizinischen Wissensstand entspricht. Hier machen es sich die Vertreter der Ärztekammer Hamburg viel zu einfach. Insbesondere der Nutzen einer einfachen Alltagsmaske im öffentlichen Raum wird in der Fachwelt unverändert kontrovers diskutiert und von einzelnen Kollegen sehr deutlich in Frage gestellt. So wurde in der Fachzeitschrift Krankenhaushygiene up2date von Frau Prof. Dr. Ines Kappstein ein Fortbildungsbeitrag für Ärzte veröffentlicht, unter anderem mit folgenden Kernaussagen:
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Die meisten Kontakte im öffentlichen Raum sind zum einen keine Face-to-Face-Kontakte. Zum anderen dauern sie, selbst wenn sie dennoch stattfinden, meist kürzer als 15 Minuten, sodass eine effektive Übertragung infektiöser Tröpfchen in diesen Situationen sehr unwahrscheinlich erscheint.
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Abstand halten bei Gesprächen schützt vor direkten Erregerkontakten und macht das Tragen von Masken überflüssig.
Nach Ansicht der höchsten Vertreter der Ärztekammer Hamburg muss es sich dabei um eine „gefährliche Desinformation“ handeln, auch wenn diese von einer anerkannten Vertreterin des Fachgebietes Hygiene und Umweltmedizin veröffentlicht wurde, der Beitrag ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat (also von zwei Gutachtern auf sachliche Richtigkeit geprüft wurde), der ärztlichen Fortbildung diente und die Aussagen mit insgesamt 30 Quellen für jeden Leser nachvollziehbar belegt wurden. Wenn die Inhalte und Bewertungen in diesem Fortbildungsbeitrag den aktuellen Wissensstand angemessen wiedergeben, verlieren dann nicht der RKI-Präsident („Maßnahmen nie in Frage stellen“) und der Präsident der Ärztekammer Hamburg („gefährliche Desinformation“) ihre Kompetenz und Glaubwürdigkeit, in dem sie ihre Privatmeinung verbreiten, die nicht dem aktuellen medizinischen Wissensstand entspricht?
An dieser Stelle möchte ich bewusst nicht bewerten, welcher der jeweiligen Standpunkte das Gesamtbild der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den einzelnen Maßnahmen am besten beschreibt. Es erschreckt mich jedoch sehr, Aussagen dieser Art zu lesen beziehungsweise zu hören, da ich sie im Hinblick auf die jeweiligen öffentlichen Ämter der Kollegen für unwürdig erachte. Es erschreckt mich auch zu erfahren, dass die Autorin des Artikels offenbar wegen ihres ärztlichen Fortbildungsbeitrags für eine ihrer Kliniken, in der sie beratend tätig war, nicht weiter tätig sein durfte. Und mich erschreckt, dass der Verlag rückwirkend aus diesem Fortbildungsbeitrag einen Übersichtsbeitrag gemacht hat, ohne das öffentlich und in der Argumentation nachvollziehbar zu begründen.
Ich hätte mir sehr gewünscht und habe es auch angeregt, dass beispielsweise die Ärztekammer Hamburg Kollegen mit ganz unterschiedlichen Ansichten zu einer bestimmten Maßnahme zu einem fachlichen Dialog an einen runden Tisch einlädt und versucht, unabhängig von den jeweiligen persönlichen Standpunkten der Teilnehmer ergebnisoffen auf Basis der Literaturerkenntnisse zu einem wissenschaftlich fundierten Gesamtbild zu kommen, das von allen getragen werden kann. Das hätte ein Weg sein können, um sich zuzuhören, Argumente aus Studien kontrovers abzuwägen und zu diskutieren, anstatt sich öffentlich fehlender Glaubwürdigkeit zu bezichtigen.
Wenn das Gesamtergebnis im Einklang mit der aktuellen Bewertung des RKI stehen würde, hätte man auf diesem Weg die Chance, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse die Kritiker vom Nutzen einer Maßnahme zu überzeugen. Wenn das Gesamtbild jedoch der aktuellen Bewertung des RKI widerspricht, kann man eventuell die Befürworter einer Maßnahme von ihrem fehlenden Nutzen überzeugen. Erst dann kann ohne politischen Einfluss wirklich gesagt werden, was eine Desinformation ist.
Prof. Dr. Carl Heneghan vom Zentrum für Evidenzbasierte Medizin der Universität Oxford, England, meint:
„Die Regierungen produzieren eine Reihe widersprüchlicher und verwirrender Verordnungen, die bei Auftreten der nächsten Krise nur eine kurze Haltbarkeit haben. Es wird immer klarer, dass die Beweise oft ignoriert werden. Auf dem Laufenden zu bleiben ist eine Vollzeitbeschäftigung, und die Fortschritte der letzten 30 Jahre wurden bestenfalls auf Eis gelegt.“
Je unglaubwürdiger die wissenschaftliche Grundlage für öffentliche Empfehlungen oder Anordnungen sind und je weniger der Eindruck des permanenten kritischen Hinterfragens der Ausgewogenheit und Begründung von Maßnahmen bei den Verantwortlichen entsteht, desto eher kann das Grundvertrauen der Menschen in die Wissenschaft und die zuständigen staatlichen Stellen gefährdet werden. Wenn in der Folge sogar der Leiter eines Gesundheitsamts in Bayern versetzt wird, was vermutlich mit seinen kritischen öffentlichen Äußerungen zu Massentests und Alltagsmasken zu tun hat, ist das eine ausgesprochen bedenkliche Situation im Hinblick auf Aufklärung und Meinungsfreiheit. Er erkannte einen Fehler im System und sah sich deshalb zur Kritik verpflichtet. Diese Kritik war ganz offensichtlich unerwünscht.
Was sollen die Menschen denken, wenn ihnen über Monate auf allen offiziellen Kanälen gesagt wurde, dass Alltagsmasken wirken und Infektionen verhindern, und Anfang 2021 auf einmal nur noch OP-Masken oder sogar FFP2-Masken in den gleichen öffentlichen Bereichen zu tragen sind? In diesem Moment wird doch unverhohlen zugegeben, dass die sogenannte Schutzwirkung der Alltagsmasken doch nicht ausreichend ist. Diese war fester Bestandteil der sogenannten AHA-Regeln, für deren Einhaltung überall geworben wurde. Das sind Momente, in denen viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren gehen kann.
Doch um zur Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu kommen, muss man die Grundlagen der empfohlenen Maßnahmen hinterfragen. Die Pressemitteilung der Ärztekammer Hamburg brachte in dieser Hinsicht leider keinen Mehrwert in die Debatte, sondern führte nur zu den wahrscheinlich gewünschten Schlagzeilen in verschiedenen Medien und vertiefte die Kluft zwischen den Vertretern unterschiedlicher Standpunkte. In Zeiten zugespitzter Diskussionen ist jedoch ein offener und respektvoller Dialog das Gebot der Stunde.
Prof. Dr. Martin Kulldorff von der Harvard Universität, USA, erklärt:
„Was mir Sorgen macht, ist, dass das Vertrauen in die Wissenschaft und die Wissenschaftler, das bereits angeschlagen ist, noch niedriger wird. Das ist besorgniserregend, wenn man an zukünftige Gesundheitskrisen denkt. Zum Beispiel wollen einige Leute in den Vereinigten Staaten nicht mit dem Gesundheitsministerium über die Ermittlung von Kontaktpersonen sprechen. Sie wollen keine persönlichen Informationen preisgeben, weil zwischen den Gesundheitsbehörden und der Öffentlichkeit ein großer Mangel an Vertrauen besteht. Das ist eine sehr schlechte Sache, denn die Ermittlung von Kontaktpersonen ist für die Bekämpfung einiger Krankheiten von entscheidender Bedeutung. Nehmen wir an, dass wir in zwei Jahren einen weiteren Erreger haben, für den wir die Ermittlung von Kontaktpersonen benötigen. Und nehmen wir an, die Menschen wollen nicht mit den Gesundheitsbehörden zusammenarbeiten – das könnte sehr nachteilige Auswirkungen haben.“
Ärzte und Gleichschritt
Der Präsident der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt äußerte am 21. Oktober 2020 in einer Talkshow Zweifel an der Wirksamkeit von Alltagsmasken (Ergänzung des Autors: beispielsweise Stoffmasken, Tücher oder Schals). Er sei von den Alltagsmasken nicht überzeugt, „weil es auch keine tatsächliche wissenschaftliche Evidenz darüber gibt, dass die tatsächlich hilfreich sind“. Aus seiner Sicht könne man den Mund-Nasen-Schutz tragen, wo man den Abstand nicht wahren könne, etwa im öffentlichen Nahverkehr oder in Räumlichkeiten, wo man notwendigerweise eng beieinander sei. Zum Tragen an der frischen Luft sagte er: „Ich glaube, dass das wenig bringen wird.“ Man müsse aber in der Gesellschaft darüber nachdenken können, „ob die Vermummung zum Standard werden muss“.
Die Zweifel an der Wirksamkeit von haushaltsüblichen Alltagsmasken sind berechtigt (siehe Kapitel 14.7.), insbesondere in Situationen des Alltags, in denen sich Menschen in der Regel höchstens nur einen kurzen Moment mit einem Abstand von weniger als 1,5 Metern begegnen, meist nur normal atmen (so dass praktisch keine Tröpfchen ausgestoßen werden) und sich an der frischen Luft aufhalten, wo sich durch leichte Luftbewegungen die wenigen Tröpfchen schnell verteilen.
Ich teile deshalb die Einschätzung des Kollegen Reinhardt, dass in diesen Situationen kaum ein Nutzen zu erwarten ist. Mit seiner zweiten Aussage regt er aus meiner Sicht zum Nachdenken an und wünscht sich zur Maske, die in immer mehr Bereichen des öffentlichen Lebens zu finden ist, eine gesellschaftliche Debatte. Seine Äußerungen lösten teilweise heftige Reaktionen aus, bis hin zu Rücktrittsforderungen vom gesundheitspolitischen Sprecher der SPD Prof. Dr. Karl Lauterbach, falls er seine Aussagen nicht zurücknehmen sollte. Bereits am 23. Oktober 2020 wurde folgende Pressemitteilung der Bundesärztekammer veröffentlicht:
Dr. Klaus Reinhardt: „In der Sendung ‚Markus Lanz‘ hatte ich den wissenschaftlichen Evidenznachweis der Schutzwirkung von Mund-Nasen-Masken in Zweifel gezogen. Dies hat zu erheblichen Irritationen geführt, die ich sehr bedauere. Die aktuelle Evidenz aus vielfältigen Studien spricht für einen Nutzen des Mund-Nasen-Schutzes. Die Studien weisen darauf hin, dass sowohl die Übertragung auf andere als auch die Selbstansteckung durch Alltagsmasken reduziert wird. Aus diesen Daten resultiert die klare Empfehlung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes.“
Bei mir bleibt der Eindruck, dass das öffentliche in Frage stellen von fraglich wirksamen Maßnahmen, die für die Bevölkerung größtenteils bußgeldbewehrt angeordnet werden, von politischer Seite aus sehr unerwünscht ist. In der Folge sollen Personen, die es wagen, bestimmte Fragen oder Zweifel öffentlich zu äußern, dafür sanktioniert werden. Das passt weder zum Grundgedanken der Aufklärung noch zum Recht auf freie Meinungsäußerung.
Verrohung der Sprache
Leider beobachte ich in den letzten Monaten eine zunehmende Verrohung der Sprache, sowohl in den Medien als auch seitens einiger Vertreter des öffentlichen Lebens. Da werden Andersdenkende pauschal als „Covidioten“, Wissenschaftler als „Wirrologen“ und Kritiker einzelner Maßnahmen als „Corona-Leugner“ bezeichnet. Einzelne Sichtweisen werden als Heilslehren, Lügen oder Verschwörungstheorien gebrandmarkt.
Diese überzogene Verrohung der Sprache mag manchen Personen des öffentlichen Lebens eine Schlagzeile in der Presse oder im Fernsehen garantieren und somit aus ihrer Sicht einen Nutzen haben. Doch Begriffe wie Covidioten beziehungsweise Wirrologen sind eine Beleidigung. Der Begriff Corona-Leugner kann sogar in vielen Fällen als Verleumdung betrachtet werden, weil hier jemand eine unwahre Tatsache behauptet (das Leugnen von Corona), die geeignet ist, diesen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen persönliches Ansehen zu gefährden.
Vielleicht ist es für manche schwer zu verstehen, doch das Zweifeln am Nutzen einzelner Maßnahmen ist nicht gleichzusetzen mit dem Leugnen der Existenz eines Virus! Diese genannten Begriffe haben eine diffamierende Eigenschaft gegenüber Personen oder Personengruppen. Natürlich kann ich an dieser Stelle nicht nachvollziehen, welche konkreten Aussagen bestimmter Kollegen oder Personen von Ärztekammerpräsidenten oder Politikern als Heilslehren, Lügen oder Verschwörungstheorien bezeichnet werden. Die pauschale Abwertung ist jedoch aus meiner Sicht kontraproduktiv und sehr schädlich für eine offene Debatte. Durch diese verbale Aufrüstung wird es noch schwerer, in einen Dialog zwischen Andersdenkenden einzutreten. Hier haben einige hochrangige Vertreter der Ärztekammern leider eine unrühmliche Rolle eingenommen.
Es ist höchste Zeit, das Verleumden und Beleidigen andersdenkender Kollegen zu beenden und strittige Fragen im Sinne der Aufklärung in einem ergebnisoffenen und respektvollen Dialog zu klären.
Günter Kampf: Corona-Maßnahmen – Nutzen, Risiken und Folgen, Tredition 2021, 340 Seiten, 18 Euro
Über den Autor: Günter Kampf ist selbstständiger Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin in Hamburg sowie seit 2009 außerplanmäßiger Professor für Hygiene und Umweltmedizin an der Universität Greifswald. Er hat mehr als 210 wissenschaftliche Veröffentlichungen in meist internationalen Fachzeitschriften, 44 Buchkapitel sowie fünf Fachbücher veröffentlicht. Die bisherigen wissenschaftlichen Themenschwerpunkte sind verschiedene Aspekte der Händehygiene, Flächendesinfektion sowie die Resistenzbildung gegenüber Wirkstoffen in Desinfektionsmitteln.
Leseempfehlung dazu:
- Interview mit Günter Kampf (Bastian Barucker, 11.3.2021)
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