Generalbundesanwalt beantragt Aufhebung des Urteils gegen Weimarer Familienrichter

Prozessbeobachter: Corona-Aufarbeitung kommt beim BGH an / Richter Christian Dettmar hatte 2021 Maskenpflicht an Schulen untersagt / Kritische Richter und Staatsanwälte befürchten zeitliche Aufschiebung

3. September 2024
Karlsruhe / Weimar.
(multipolar)

In der mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren zum Urteil des Erfurter Landgerichts gegen den Weimarer Familienrichter Christian Dettmar hat der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft (GBA), Dr. Tobias Handschell, vor dem 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) die Aufhebung des Urteils sowie ein neues Hauptverfahren beantragt. Wie das Onlinemagazin „Legal Tribune Online“ berichtet (28. August), sei der objektive Tatbestand aus Sicht Handschells zwar klar erfüllt. Es fehlten in der Urteilsbegründung jedoch Ausführungen, welche den Vorsatz der Tat begründen.

Der während der Verhandlung als Prozessbeobachter anwesende Rechtsanwalt Michael R. Moser wies in einem Interview mit dem Radiosender „Kontrafunk“ (29. August) darauf hin, dass im Urteil des Landgerichts Erfurt ein „derber Fehler“ passiert sein muss, wenn die GBA eine Aufhebung und eine neue Verhandlung beantragt. Moser sagte zudem, dass mit dem Revisionsverfahren „ein Teil der noch nicht stattfindenden, aber sehr notwendigen Aufarbeitung von Corona“ beim BGH „angekommen“ sei.

Des Weiteren hofft Moser, dass der Gerichtshof Dettmar freispricht und damit die „Widersprüchlichkeit der bisherigen BGH-Rechtsprechung zum Thema Rechtsbeugung“ korrigiert. Falls dies nicht geschehe, werde es eine komplett neue Hauptverhandlung geben, die auch mit einem „komplett anderen Ergebnis enden“ könne. Gegen deren Ergebnis dürfe dann wieder Revision eingelegt werden, so dass es „noch eine ganze Zeit lang“ dauern könnte, bis es in diesem Fall „Rechtsklarheit“ gebe.

Das „Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte“ (KRiStA), bei dem Dettmar Mitglied ist, hat sich in drei ausführlichen Beiträgen mit dem Verfahren gegen den Weimarer Amtsrichter beschäftigt. Dem Netzwerk zufolge gründet die Urteilsbegründung des Landgerichts Erfurt allein auf dem Vorwurf, Dettmar habe den Fall, in dem es um die Maskenpflicht an den Weimarer Schulen ging, vorsätzlich nicht abgelehnt, obwohl er befangen war. Das bloße Fehlen der Selbstablehnung könne jedoch „niemals einen Straftatbestand erfüllen“.

Das Netzwerk KriStA erklärte auf Multipolar-Nachfrage man sei von der Beantragung der Urteilsaufhebung „rechtlich gesehen“ nicht überrascht. Mit einer möglichen Neuverhandlung des Falles inklusive Beweisaufnahme vor einer anderen Strafkammer des Erfurter Landgerichts würde die Klärung jedoch auf die „lange Bank“ geschoben. „Bei der weiter gegebenen Stimmung unter auch vielen Richtern“ sei zu befürchten, „dass wiederum eine Verurteilungsneigung bestehen wird“. Dabei käme allerdings niemand auf die Idee, „diese Kollegen seien befangen“ oder würden deswegen eine „Rechtsbeugung“ begehen, wie dies Dettmar vorgeworfen wird.

Dettmar hatte im April 2021 in seiner Funktion als Familienrichter per Beschluss die Maskenpflicht an zwei Weimarer Schulen zum Wohle der Kinder untersagt. Nach einer Beschwerde des Thüringer Bildungsministeriums hob das Oberlandesgericht Thüringen den Beschluss kurz darauf wieder auf. Zeitgleich leitete die Staatsanwaltschaft Erfurt Ermittlungen gegen Dettmar wegen des Verdachts der Rechtsbeugung ein, durchsuchte sein Büro, seine Wohnung und sein Auto und beschlagnahmte sein Mobiltelefon. Auch bei den Gutachtern, die Dettmar bei der Begründung seines Beschlusses zur Rate gezogen hatte, erfolgten Hausdurchsuchungen.

Im August 2023 wurde Dettmar vor dem Erfurter Landgericht wegen Rechtsbeugung zu zwei Jahren Freiheitsentzug auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre ohne Bewährung gefordert. Sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft hatten daraufhin Revision beim BGH beantragt – die Verteidigung, weil sie einen Freispruch erwirken wollte, die Staatsanwaltschaft, weil sie das von ihr geforderte Strafmaß durchsetzen wollte. In seinem Schlusswort vor dem BGH betonte Dettmar, der seit 1996 Richter ist, dass ihm besonders Kinder am Herzen liegen. Laut Prozessbeobachter Moser erklärte Dettmar zudem, dass er den Fall aufmerksam geführt, mit Kollegen besprochen und seine Zuständigkeit abgewogen hatte. Er habe niemandem einen unrechtmäßigen Vor- oder Nachteil verschafft und den Sachverhalt möglichst genau aufgeklärt.

Mehrere Juristen hatten in den vergangenen Monaten kritisiert, dass die meisten deutschen Richter – im Gegensatz zu Dettmar – Sachverhalte im Zusammenhang mit Corona-Maßnahmen nicht selbstständig aufgeklärt, sondern sich auf Äußerungen von Regierungsbehörden verlassen hatten. Es habe in der Corona-Krise kaum gerichtliche Anhörungen von Sachverständigen oder Prüfungen der Verhältnismäßigkeit gegeben, rügte der Direktor des Fuldaer Sozialgerichts Carsten Schütz. Der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler sagte, deutsche Gerichte hätten sich mit den Argumenten der Maßnahmenkritiker auseinandersetzen müssen, stattdessen hätten sie diese „ignoriert“ und sich die oft politisch vorgegebenen Behauptungen des Robert Koch-Instituts unkritisch zu eigen gemacht. Die Anwältin und Lehrbeauftragte der Hochschule Mainz, Jessica Hamed, hatte die Einmischung von Justizministern und hohen Beamten in die Arbeit von Staatsanwaltschaften unter anderem bei Corona-Verfahren kritisiert.


Hinweis zum Urheberrecht: Multipolar-Meldungen können frei von anderen Portalen übernommen werden. Bedingung einer Übernahme ist die Nennung der Quelle und die Einbettung des Originallinks. Textliche Ergänzungen oder andere inhaltliche Veränderungen der Originalmeldung müssen durch einen separaten Hinweis an die Leserschaft kenntlich gemacht werden.