Juristen kritisieren politische Einflussnahme

Staatsanwaltschaften unterliegen Weisungen der Justizminister / Reformen trotz UN-Kritik noch nicht umgesetzt

29. Februar 2024
Berlin.
(multipolar)

Juristen haben die massive Beeinflussung der deutschen Justiz durch Politiker und hohe Beamte kritisiert. „Eine politische Einflussnahme findet bereits statt“, erklärte die Anwältin und Lehrbeauftragte der Hochschule Mainz, Jessica Hamed, in einem Essay für das Magazin „Cicero“. (22. Februar) Hohe Richterstellen würden „politisch besetzt“. Justizminister können den ihnen unterstellten Staatsanwaltschaften direkte Weisungen erteilen. Dadurch werde das Vertrauen der Bürger in die Justiz „erheblich beeinträchtigt“, warnte Hamed.

Die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers hatte Anfang Januar 2024 bereits die Abschaffung des Weisungsrechts der Justizminister gefordert. Dies würde eine „Entpolitisierung der Strafverfolgungsbehörden“ darstellen und Ansehen sowie Glaubwürdigkeit der Staatsanwaltschaften erhöhen, sagte sie der Deutschen Presseagentur. Justizminister würden zwar oft erklären, das Weisungsrecht nicht auszuüben. Dies sei jedoch nicht glaubhaft, sagte Koppers. „Denn dann könnten sie es auch abschaffen.“ Die gleiche Forderung hatte kurz zuvor schon der Deutsche Richterbund erhoben. Das Weisungsrecht erschüttere „das Vertrauen in eine objektive Strafverfolgung“, so die Richter.

Justizminister von Bund und Ländern sowie hohe Beamte dürfen Staatsanwaltschaften laut den Paragrafen 146 und 147 Gerichtsverfassungsgesetz Weisungen erteilen – eine Befugnis die noch auf die Kaiserzeit zurückgeht. Derartige Einmischungen habe Jessica Hamed in einem ihrer Strafverfahren mit Corona-Bezug selbst erlebt, erklärte sie im Cicero-Beitrag. Zwar könnten Staatsanwälte rechtswidrige Weisungen ihrer Vorgesetzten beanstanden. Doch damit mache man sich unbeliebt. „Wer Karriere machen will, schwimmt dem Strom nicht entgegen“, erläuterte die Rechtsanwältin.

Auch hochrangige Richterposten würden in Deutschland nach politischen Kriterien besetzt, kritisierte Hamed. Die Mainzer Hochschuldozentin führte die Ernennung des SPD-Politikers Lars Brocker zum Präsidenten des rheinland-pfälzischen Oberverwaltungsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs als Beispiel an. Zudem entstünden oder wirkten in der Richterausbildung, ebenso wie beim Status des „Proberichters“ und bei der Abordnung von Richter an Ministerien immer wieder politische Abhängigkeitsverhältnisse. Ab einer bestimmten Besoldungsgruppe gehe „fast nichts mehr ohne parteipolitische Hintergrundmusik“, zitiert sie den ehemaligen Vorsitzenden des Bundesgerichtshofs Thomas Fischer.

Bestimmte Maßnahmen „im Rahmen der allgemeinen Dienstaufsicht“ erweckten ebenfalls den Eindruck, „politisch motiviert zu sein“, schreibt Hamed. Als Beispiel nennt sie die mit Cum-Ex-Ermittlungen betraute Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. In deren Fall habe der nordrhein-westfälische Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) im Herbst 2023 versucht, ihre Abteilung personell zu halbieren und ein weiteres Team mit den Untersuchungen zu betrauen. Weiter führt Hamed die Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range im Jahr 2015 an. Nachdem dieser öffentlich Einflussnahme auf seine Ermittlungen beanstandet hatte, erwirkte Justizminister Heiko Maas (SPD) Ranges Entlassung.

Der UN-Menschenrechtsausschuss kritisierte 2021, dass „die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft von der Exekutive“ in Deutschland weder „gesetzlich noch in der Praxis gewährleistet ist“. 2019 entschied der Europäische Gerichtshof, dass deutsche Staatsanwaltschaften aus diesem Grund keinen europäischen Haftbefehl ausstellen dürfen. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ist vereinbart, das Weisungsrecht „entsprechend den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs“ anzupassen. Auf Nachfrage von Multipolar teilt eine Sprecherin des Justizministeriums mit, die Prüfungen „zum weiteren Vorgehen in dieser Sache“ dauerten „noch an“.


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