Weltanschauung statt Journalismus
MARCUS KLÖCKNER, 31. August 2020, 6 KommentareErkenntnisinteresse – das ist es, was Journalisten antreiben sollte. Wer sagt was und warum? Was sind die Motive? Was sind die Antriebe, die dazu führen, dass sich Bürger zu einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen versammeln? Welche gesellschaftlichen Bedingungen flankieren die aktuelle Bewegung?
Wenn Journalisten diese Fragen mit echten Erkenntnisinteresse stellen würden, könnten sie Erhellendes ans Licht bringen. Doch machen wir uns nichts vor: Seit langem ist zu beobachten, dass gerade führende Medienvertreter „Journalismus“ als Vehikel zur Durchsetzung ihrer Weltanschauung benutzen. Bei Lichte betrachtet gehören so manche Alphajournalisten nicht in die Medien, sondern in die Politik. Was sich in den vergangenen Jahren (z.B. Russland-, Syrienberichterstattung) verschärft hat, kann aktuell anhand der Medienbeiträge zum Corona-Virus nochmal deutlicher beobachtet werden: Journalistische Distanz, Objektivität, die Bereitschaft, unvoreingenommen ein Thema zu betrachten, ist in weiten Teilen der Medien faktisch nicht mehr vorhanden – das gilt zumindest, je politischer ein Thema ist.
Gewiss: Wenn Spiegel-Autoren unter der Überschrift „Die Lage am Morgen“ die Leserschaft des Magazins auf den (Nachrichten-) Tag einstimmen, geht es oft subjektiv zu. Ein Autor, mit Foto und Namen angeführt, verweist aus seiner Perspektive auf Ereignisse, die er für zentral hält. So weit, so gut. Aber: Beim Spiegel handelt es sich – zumindest, wenn man die Selbstbeschreibung des Magazins ernst nimmt – um ein Nachrichtenmagazin. Wenn ein Redakteur des Spiegel-Hauptstadtbüros den Nachrichtentag anleuchtet, darf man als Leser auch bei einem subjektiven Einschlag erwarten, dass die Ausführungen sich an der Realität orientieren. Es sei denn, unter der „Lage am Morgen“ veröffentlicht das Hamburger Nachrichtenmagazin neuerdings Fantasiegeschichten.
„In Berlin“, so schreibt Feldenkirchen, „wollen heute tausende Menschen …“ – Moment: „tausende Menschen“? Der Veranstalter hat 22.000 Teilnehmer für die Demonstration angemeldet. Die Berliner Polizei hat mittlerweile die Teilnehmerzahl der letzten Demonstration von 17.000 auf 30.000 nach oben korrigiert. Wäre es aus journalistischer Sicht bei dieser Sachlage nicht angemessen, von „Zehntausenden“ zu sprechen? Bereits im ersten Satz dieses „Lage-am-Morgen-Beitrags“ ist eine Verzerrung der Realität festzustellen. Nachrichtenjournalismus als Kreativprodukt? Der Einstieg des Artikel hat noch mehr zu bieten: „… gegen irgendwas mit Corona demonstrieren“. Und weiter: „So genau weiß man das nicht.“
So sieht es aus, wenn Journalisten nicht verstehen wollen. Zwar darf man davon ausgehen, dass Feldenkirchen als Autor im Spiegel-Hauptstadtstudio sehr wohl „weiß“, worum es den Demonstrierenden geht. Natürlich bedient sich der Spiegel-Journalist hier der Ironie, um, was auch im weiteren Textverlauf deutlich wird, zum Ausdruck zu bringen, dass er die Ansichten der Demonstranten nicht ansatzweise nachvollziehen kann. Doch gerade auch dadurch kommt zum Vorschein, wie sehr die persönliche Einstellung mit der journalistischen „Ansprache“, die doch eigentlich prägend für den Newsletter des Spiegels sein sollte, auf eine Weise vermischt wird, dass von Journalismus kaum noch etwas übrig bleibt.
Von der Spiegel-Redaktion heißt es, der „Politik-Newsletter“ informiere über die „wichtigsten Nachrichten“ und ordne ihre Bedeutung ein. Informieren? Das klingt sachlich. Einordnen auch. Doch was Feldenkrichen abliefert, ist weder im journalistischen, also weitestgehend objektiven Sinne, wirklich „informativ“ noch journalistisch sauber „eingeordnet“. Der „Informationsgehalt“ genauso wie die „Einordnung“ sind in ihrem Gesamtzusammenhang als weltanschaulich basiert und motiviert zu betrachten. Die „journalistische“ „Information“ und „Einordnung“ stammt aus der Sinnprovinz eines Autoren, der kein Wort über das ausgefeilte Hygienekonzept der Demo-Veranstalter verliert (siehe hierzu den Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts), der sich aber selbst in einem anderen Beitrag als „Corona-Spießer“ outet und seinen Lesern mitteilt, bei seinem Weg auf dem Bürgersteig gehe er in „Schlangenlinien“, weil seine Mitbürger die Masken nicht korrekt tragen. Kein Wort auch zu den „Backpfeifen“, die das Berliner Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Absage der Demonstration verteilt hat. Politischer Journalismus? Um Himmelswillen, wenn es darauf ankommt, dann bitte nicht zu sehr gegen die Politik.
Würde es sich bei diesen Einlassungen um Ausnahmen handeln, könnte man darüber schmunzeln und dem Spiegel-Autor raten, sich zu entspannen, durchzuatmen und zu begreifen, dass das Leben grundsätzlich gefährlich ist und mit oder ohne Angst immer tödlich enden wird. Doch wer die Berichterstattung zu den Corona-Maßnahmen verfolgt, muss feststellen, dass innerhalb der großen Medien sehr viele Journalisten – wer hätte es gedacht – sehr ähnlich ticken, eine sozialstrukturell ausgeformte Zensur entstanden ist. Wieder einmal besteht weitestgehende Einigkeit darin, dass man getrost über die nun bereits seit Monaten andauernden Grundrechtseingriffe hinwegsehen darf und man doch bitte seine Maske auch „korrekt“ tragen möge.
Es ist, und das ist die bittere Ironie, gerade diese Uniformität in den Medien, was die Corona-Berichterstattung angeht, die auch dazu führt, dass ein Teil der Bürger auf die Straßen geht. Wenn die Presse es nicht schafft, innerhalb der großen Diskursplätze Meinungspluralismus mit der gebotenen Sorgfalt abzubilden, dann trägt sie selbst zu einer fragmentierten Öffentlichkeit bei. Bei Lichte betrachtet sind all die alternativen Medien genauso wie die „Corona-Demonstrationen“ auch das Produkt jener Medienvertreter, die so sehr gegen alles wettern, was den eigenen Wirklichkeitsüberzeugungen entgegensteht.
Um zu sehen, wie sehr weltanschaulich motiviert Journalismus ist, muss man sich nur vor Augen führen, wie Medien etwa mit den Autoren des Buches „Corona Fehlalarm?“, das seit 10 Wochen auf Platz eins der Spiegelbeststellerliste steht, oder mit dem Veranstalter der „Corona-Demo“, Michael Ballweg, umgehen. Man redet – von Ausnahmen abgesehen – nicht mit Ihnen, sondern allenfalls über sie. Warum saßen beispielsweise Sucharit Bhakdi und Ballweg nicht in den großen Polit-Talkshows? Die Antwort ist zwar denkbar einfach, aber sie ist für Medien, die gerne die Fahne der Demokratie in Sonntagsreden beschwören, ein Armutszeugnis. Bhakdi und Ballweg saßen noch nicht bei Illner und Co, weil damit die Grenzen des öffentlich Sagbaren überschritten würden. Alle Ansichten, die außerhalb des engen Meinungskorridors der Mainstream-Medien liegen, sind unerwünscht.
Auch wenn es selbstverständlich Aufgabe der Presse ist, Sinn und Unsinn voneinander zu trennen, kann und darf sie nicht beanspruchen, sich in die Position des obersten Bestimmers der legitimen Wirklichkeit zu erheben. Aufgabe einer funktionierenden Presse ist es, auch diametral gegenüberstehende Ansichten in einem ausgewogenen Verhältnis Raum zu verschaffen. Was Sinn und was Unsinn ist, was Wahrheit und was falsch ist, was gar eine Lüge ist, das darf, kann, soll und muss die Presse ansprechen. Aber, wenn Journalisten dabei einen Glaubwürdigkeitsanspruch erheben, dürfen sie journalistische Standards nicht dem persönlichen Weltbild unterordnen – doch genau das passiert immer und immer wieder.
Feldenkirchen war es auch, der bereits im Mai, als die Corona-Kritiker sich weiter formierten, zu einem abscheulichen Mittel gegriffen hat: der öffentlichen Psychiatrisierung von Demonstranten. „Leider haben“, so der Spiegel-Autor, „viele, die auf den Straßen und im Netz gerade die große Verschwörung beschwören, chronisch einen an der Waffel. Für manche Demonstranten hält die Psychiatrie effektivere Hilfen bereit als die Politik.“
Dass die Verantwortlichen beim Spiegel so etwas durchgehen lassen, spricht Bände. Ja, um die Presse ist es noch schlechter bestellt als gedacht.
Über den Autor: Marcus Klöckner, studierte Soziologie, Medienwissenschaften und Amerikanistik. Er ist Journalist und Autor. Zuletzt erschien sein Buch: „Sabotierte Wirklichkeit – Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird“. Als Mitherausgeber initiierte er 2019 eine Neuausgabe des Klassikers der herrschaftskritischen Soziologie „Die Machtelite“ von C. Wright Mills.
Weitere Artikel zum Thema:
- Wo ist die Debatte? Wer baut noch Brücken? Ein offener Brief an die Leitmedien (Paul Schreyer, 26.8.)
- Das Ende der Glaubwürdigkeit – Systemmedien sind nicht reformierbar (Ulrich Teusch, 5.8.)
- Corona-Demos: Ein Blick auf die mentale Verfasstheit der Medien (Marcus Klöckner, 18.5.)
Diskussion
6 Kommentare