Joachim Steinhöfel | Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt

Polemischer Kämpfer gegen Bevormundung durch Digitalkonzerne

Der Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel zieht für seine Mandanten gegen Meta, Google und Co. vor Gericht und will die Meinungsfreiheit stärken. Seine Beispiele zeigen: Die Privatisierung der Zensur ist weit vorangeschritten. Einige Fälle erscheinen dabei geradezu absurd.

HELGE BUTTKEREIT, 1. August 2024, 0 Kommentare

In der Geschichte der Zensur in Deutschland spielt Heinrich Heine (1797-1856) eine wichtige Rolle. Bekannt ist sein satirisches Gedicht aus dem Jahr 1827, in dem er die Zustände nach den Karlsbader Beschlüssen, der Restauration in Deutschland nach der Französischen Revolution verspottete. Der Text erweckt den Eindruck, als hätte der Zensor fast alles gestrichen. Lesbar sind lediglich die Worte „Die deutschen Censoren“ und sechs Zeilen und viele Striche später noch „Dummköpfe“. Aus Kostengründen – der Buchsatz per Hand war teuer – waren zu dieser Zeit solche Zensurstriche bei echten Eingriffen des Zensors üblich, wenige Jahre später wurden sie dann verboten. Heine nutzte sie an dieser Stelle als satirische Überspitzung, hatte er doch selbst viel Erfahrung mit der Zensur gesammelt. (1)

Heinrich Heine wanderte 1831 nach Frankreich aus. Von dort aus kommentierte er die Verhältnisse in Frankreich aber auch in Deutschland. Dort erhielt Heine 1835 ein Publikationsverbot. Der Bundestag des Deutschen Bundes erließ ein „Verbot der Schriften des Jungen Deutschlands“, das Heines Namen an erster Stelle nannte. Von Heine stammt ein Zitat, das es mehr als 150 Jahre nach seinem Tod wieder mit der spezifischen Zensur der heutigen Zeit zu tun bekam.

„Der Deutsche gleicht dem Sklaven, der seinem Herrn gehorcht, ohne Fessel, ohne Peitsche, durch das bloße Wort, ja durch einen Blick.Die Knechtschaft ist in ihm selbst, in seiner Seele; schlimmer als die materielle Sklaverei ist die spiritualisierte. Man muß die Deutschen von innen befreien, von außen hilft nichts.“

Facebook missfällt diese Darstellung des deutschen Untertanengeists, den Heine an vielen Stellen in seinem Werk mit scharfzüngig kritisierte. Auf der Plattform wurde das Zitat nicht nur einmal, sondern tausendfach gelöscht, schreibt Joachim Steinhöfel in seinem Buch „Die digitale Bevormundung“. Heines Fall, der heute der Fall derer ist, die Heines nachgelassenen Aphorismus zitieren, gehört zu den insgesamt 25 ausgewählten Fallstudien, die Steinhöfel aus der eigenen beruflichen Praxis vorstellt. Auf einige andere wird noch zurückzukommen sein, aber dieser Fall hat es aus mehreren Gründen in sich.

Abgesehen von der historischen Ironie, dass der Konzern Meta heute quasi die Fortführung des Zensurdekrets des Deutschen Bundes betreibt, ist es die Kaltschnäuzigkeit, mit der der Konzern trotz Gerichtsurteilen das Zitat immer wieder gelöscht hat. Es verstoße „gegen unsere Gemeinschaftsstandards zu Hassrede und Herabwürdigung“, so hieß es auf der Plattform. Ein Nutzer legte dagegen Widerspruch ein und brachte den Fall vor das Amtsgericht Stralsund, womit laut Steinhöfel, eine „Serie von Prozessen wegen immer desselben Zitats [begann], die aufgrund der Löschungen bis heute anhält. Serien von rechtskräftigen Verurteilungen und mehrfach verhängte fünfstellige Ordnungsgelder wegen Verstößen gegen gerichtliche Verbote änderten daran nichts.“ (S. 68)

Steinhöfel beschreibt ausführlich den Weg des Zitats durch die deutsche Gerichtsbarkeit. Deutlich wird dabei, dass es den Nutzern, die es verwendeten, oft um die Kritik an den deutschen Corona-Maßnahmen ging. Interessant ist die Erklärung der Anwälte von Facebook, warum die Löschung als notwendig erachtet wurde. Steinhöfel zitiert:

„Der Kläger schien Deutsche allein aufgrund ihrer nationalen Herkunft anzugreifen und als minderwertig zu bezeichnen. Er schien ihnen zu unterstellen, sie seien von Natur aus Sklaven und damit minderwertige Personen, die nicht in der Lage seien, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Aus der Sicht eines objektiven, unvoreingenommenen Lesers konnten die streitgegenständlichen Posts daher jedenfalls zunächst vertretbar als Angriff auf eine Gruppe von Menschen gedeutet werden.“

Wenn Löschalgorithmen den tiefgründigen Gehalt der Literatur nicht erkennen, sollten sie vielleicht nicht erst auf sie losgelassen werden. Schließlich geht es bei der Facebook-Löscherei des Heine-Zitats und bei der Löschpraxis generell um die Meinungsfreiheit, die das Grundgesetz in Artikel 5 garantiert. Sie hat auch ein Konzern aus den USA mit rechtlichen Standort in Irland einzuhalten.

Hausrecht oder Grundrechte?

Aber gilt an dieser Stelle nicht das Hausrecht? Hat Facebook nicht die Befugnis darüber zu entscheiden, was auf seiner Plattform geschieht? Diese Meinung habe lange vorgeherrscht, schreibt Steinhöfel. Er selbst sei als erster dagegen gerichtlich vorgegangen. Im Jahr 2018 erwirkte er eine vielbeachtete einstweilige Verfügung gegen Facebook (S. 16). Somit ist das „Hausrecht“ von Facebook eingeschränkt, was auch durch eine ebenfalls viel zitierte Entscheidung zu einer Löschung auf YouTube bestätigt wird. Der Videoplattform, wie Facebook/Meta ein Monopolist, wurde untersagt, ein Video zu löschen, denn, so das Kammergericht Berlin (AZ 10 W 172/18):

„Eine Internetvideoplattform, die Nutzern auf der Grundlage eines Vertragsverhältnisses die Möglichkeit bietet, eigene Videoinhalte zum Abruf für Dritte einzustellen, hat bei der Anwendung ihrer Richtlinien in jedem Fall die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere das Grundrecht der Nutzer auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), zu berücksichtigen.“ (S. 41)

Mit einfachen Worten: YouTube darf nicht einfach Inhalte zensieren und damit löschen. Das besagte Video in diesem Fall stammt von Henryk M. Broder. Mehrere Fälle in dem Buch beziehen sich auf Broder und seine Kollegen von der „Achse des Guten“, und deren Ansichten sind oft auch die Steinhöfels. Allerdings gilt das, was Steinhöfel über Broders oftmals umstrittene und polemisch vorgetragene Meinung schreibt, generell: „Es geht in einem Buch, das sich mit der Meinungsfreiheit befasst, nicht um die Frage, ob Sie Broders Meinung zustimmen oder ablehnen. Das ist vielmehr vollkommen egal.“ (S. 41) So egal, wie die Meinung Steinhöfels bei der Bewertung seiner Arbeit gegen die „digitale Bevormundung“.

Durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und nun den Digital Services Act (DSA) hat der Staat die Zensur ausgelagert. Nun bestimmen die Digitalplattformen, was ungehindert verbreitet werden kann und was angeblich gegen die „Gemeinschaftsstandards“ verstößt. Für den Staat ist es praktisch, „wenn er eine Zensur missliebiger Meinungen einfach outsourcen kann“, schreibt Steinhöfel (S. 205). Michael Meyen spricht in diesem Kontext vom „Digitalkonzernstaat“:

„Wie jede Regierung möchte auch die deutsche lenken und kontrollieren, was öffentlich über sie und über die Wirklichkeit im Land gesagt wird. Das funktioniert im Internetzeitalter nur, wenn man mit den Digitalkonzernen kooperiert. Diese Ehe wurzelt in dem Wissen, dass der Handlungsspielraum jeder Regierung von öffentlicher Zustimmung und öffentlicher Legitimation abhängt. ,Herrschaftsverhältnisse‘ sind heute mehr denn je .Definitionsverhältnisse‘. Macht hat der, dem es gelingt, seine Interpretation der Wirklichkeit in der Öffentlichkeit zu platzieren.“ (2)

Neben der Kodifizierung von Gesetzen wie dem NetzDG oder dem DSA, funktioniert die Zusammenarbeit mit den Konzernen über den regelmäßigen Austausch. Steinhöfel nennt ein konkretes Beispiel:

„Am 2. Juni 2020 bestellten das Bundesinnenministerium (BMI) und das Bundespresseamt die Top-Lobbyisten von Google und Facebook zum vertraulichen Gespräch. Thema des Gipfels: ,Die Corona-Pandemie und die in diesem Kontext zu beobachtende Verbreitung von Fehl-, Falsch- und Desinformationen‘. Das Ziel der Unterredung war den geleakten Unterlagen zufolge zu klären, ,wie der damit verbundenen Herausforderung grundsätzlich begegnet werden kann‘.“ (S. 210)

Die Konzerne versuchten in der Coronazeit massiv, die Position des Staates vor Kritik abzuschirmen. Ein Beispiel waren die Videos der Kampagne „#allesdichtmachen“ auf YouTube, die zeitweise aus den Suchergebnissen entfernt wurden, bis Steinhöfel sie auf Bitte von und Mandatierung durch die Initiatoren über eine Abmahnung wieder herstellte (S. 106). Wie in diesem Fall berichtet der Anwalt im Buch fast durchgehend von seinen eigenen Anstrengungen vor Gericht. Die ist möglich, weil er bereits viele Verfahren geführt und die meisten davon gegen die Zensur der Konzerne gewonnen hat.

Exkurs in die Zensurgeschichte

Warum ist das Vorgehen von Facebook, Google und Co. eigentlich Zensur? Diese wird oft nur eingeschränkt verstanden als Vorzensur eines staatlichen Zensors, vielleicht ergänzt durch eine Nachzensur ebenfalls durch Behörden. Allerdings hat die Zensur, verstanden als Regulierung und Unterdrückung der veröffentlichten Meinung, in der Geschichte stets neue Erscheinungsformen angenommen. Hannes Hofbauer schreibt in seinem Buch zur Zensur, dass Regierungen aber auch Medienhäuser auf den Verlust einer gewohnten Diskurshegemonie mit Publikationsverboten reagieren: „Betroffen sind Positionen, die das herrschende Narrativ in Frage stellen und gleichzeitig das Potenzial einer weiten Verbreitung besitzen.“ (3)

Die Geschichte der Zensur, die mehr ist als ein administrativer Akt, kurz skizziert werden, insbesondere im Hinblick auf Deutschland. War Zensur zur Zeit der handschriftlichen Weitergabe von Informationen im Mittelalter noch kaum nötig, da sowohl die Zahl der Schriften als auch der Lesefähigen gering war, sah sich die Obrigkeit mit dem Aufkommen gedruckter Schriften genötigt, diese stärker zu kontrollieren. Um 1500 herum, kurz nach der Erfindung des Drucks mit bewegten Lettern durch Gutenberg, entstanden erste Formen von Zensur damit auch die ersten Vorschriften. Grundtenor: Texte mussten vor dem Druck geprüft werden. Während der Zeit der Reformation, die auch über Flugschriften ausgetragen wurde, entstanden weitere Zensurvorschriften in den Territorialstaaten des Alten Reiches.

In der Frühen Neuzeit (ca. 1500 bis 1800) intensivierte sich der Handel über die Grenzen hinweg. Durch die Entdeckungen und den darauffolgenden Import von Rohstoffen und Produkten aus allen Teilen der Welt entstand ein Weltmarkt, der ein wachsendes Bedürfnis nach Nachrichten hervorrief. So entwickelten sich Anfang des 17. Jahrhunderts erste Zeitungen. Die absolutistischen Herrscher dieser Zeit sahen sich gezwungen, eine verstärkte Kontrolle auszuüben, wobei zumindest die eigenen Staatsgeschäfte nicht diskutiert werden durften. Zensur war dabei zu dieser Zeit eine staatliche Vor- und Nachzensur. Da für die Vorzensur die einzelnen Territorialstaaten zuständig waren, konnten an einem Ort im Reich Schriften gedruckt werden, die anderorts von den zuständigen Stellen konfisziert wurden. Parallel zur staatlichen Zensur entwickelte sich auch die Selbstzensur der Schriftsteller und der Verleger, teils aus Gründen des Selbstschutzes teils aus ökonomischer Notwendigkeit. Infolge der Französischen Revolution nahmen dann einerseits die kritischen Publikationen zu und andererseits verstärkte sich das staatliche Vorgehen in vielen Ländern.

Im Vormärz also der Zeit Heinrich Heines erlebte die „bürokratische Zensur“, wie sie Jérôme Seeburger in einer interessanten Studie zur „Unfreiheit der Presse“ bezeichnet hat, ihren letzten Höhepunkt. Bei immer mehr Publikationen für immer mehr lesefähige Menschen stieß sie praktisch an ihre Grenzen. Sie war aus mehreren Gründen nicht mehr durch- und umsetzbar und wandelte sich im 19. Jahrhundert in eine „administrativ-materielle Zensur“, womit der Staat dem aufstrebenden Bürgertum entgegenkam. Verleger mussten, um die Konzession zur Herausgabe von Zeitungen zu bekommen, hohe Kautionen hinterlegen. Folglich konnte nur wer Geld hatte publizieren und stand gleichzeitig immer in der Gefahr, die hinterlegte Summe zu verlieren.

Was zunächst administrativ gesteuert wurde, wandelte sich mit dem Ende des Konzessionswesens gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Jahrtausendwende (mit einigen Ausnahmen insbesondere in der NS-Zeit und der DDR) in eine fast ausschließlich materielle Zensur. Zwar durfte nun jeder publizieren – die Arbeiterpresse war Ende des 19. Jahrhunderts teilweise durch die Sozialistengesetze davon ausgenommen –, erforderte es erhebliche finanzielle Mittel, um genügend Journalisten, den Druck und den Vertrieb für Zeitungen und Zeitschriften bezahlen zu können. Außerdem steuerte das Kapital durch das Anzeigengeschäft, welche Publikationen erschwinglich und in großer Auflage gedruckt werden konnten, welche breit vermarktet und welche kaum wahrgenommen wurden. Innerhalb der Medienhäuser blieb die Freiheit der einzelnen Journalisten beschränkt, von innerer Pressefreiheit konnte weder in den Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen noch in den Rundfunkanstalten die Rede sein.

Als Radio und Fernsehen entstanden, behielt sich zum einen der Staat die Vergabe von Sendelizenzen vor oder betrieb diese mittelbar selbst als öffentlich-rechtliche Anstalten. Auch der Rundfunk erforderte einen hohen Kapitaleinsatz, was beim Aufkommen des Privatfunks wiederum die Möglichkeiten für unabhängige Produzenten stark einschränkte. Er wird bis heute von den Konzernen dominiert.

Die Voraussetzungen änderten sich mit dem Internet. Sowohl Produktion und Vertrieb von Texten und Bildern als auch, mit einiger Verzögerung, die von Ton und bewegten Bildern wurde im Verlauf der ersten beiden Jahrzehnte des neuen Jahrtausends für die Allgemeinheit viel einfacher möglich als in früheren Zeiten. Das Internet schien zunächst eine freie Kommunikation möglich zu machen. Jedoch übernahmen infolge des "Netzwerkeffekts" (und des neoliberalen Kapitalismus) die großen Technologiekonzerne die Kontrolle im Netz, da Nutzer davon profitieren, Produkte – in diesem Fall Internetdienste – zu nutzen, die von vielen genutzt werden. Die Attraktivität steigt, je mehr Nutzer ein Angebot nutzen, während die Kosten für den Anbieter kaum steigen. So entwickeln sich Monopole. (4) Heutzutage bestimmen Google, Facebook, Apple, Microsoft und nur wenige andere mehr, wo es langgeht. Hier setzt nun die „koordinierte Zensur von Regierungen und Social Media“ im Digitalkonzernstaat an, die Thema von Steinhöfels Buch ist.

Facebooks Handlanger

Wer wie der Hamburger Anwalt gegen die Zensur der Netzwerke kämpft, der bekommt es früher oder später auch mit deren Helfern zu tun. Genauer gesagt mit den Faktencheckern, die auf Facebook und Co. im Sinne der Auftraggeber und meist letztlich der Regierungen bewerten, was nicht den Fakten entspricht bzw. eher entsprechen soll. Ausführlich schildert Steinhöfel einen Fall, in dem er gegen Correctiv für Tichys Einblickv vorgegangen ist. Denn hier – wie in zahlreichen anderen Fällen auch – ging es gar nicht um Fakten sondern um Meinungen, wie Steinhöfel schreibt:

„Der vermeintliche Faktencheck von Correctiv betraf eine Meinungsäußerung in Gestalt einer kritischen Stellungnahme zu Klimawandelthesen und zur wissenschaftlichen Reputation ihrer Verfasser bzw. Unterstützer. Der Beitrag wurde markiert und heruntergestuft, weil Correctiv eine andere Berichterstattung für richtig hielt. Wenn der betreffende Inhalt aber im Übrigen mit den allgemeinen Gesetzen in Einklang steht, so ist das nichts anderes als die Regulierung einer Meinung, die Correctiv nicht gefiel.“ (S. 176)

In der ersten Instanz gewann Correctiv, in der zweiten korrigierte das Oberlandesgericht die Entscheidung.

Es stellte fest, dass der Faktencheck eine in der Abwägung der beteiligten Interessen nicht mehr hinzunehmende Herabsetzung der journalistischen Leistung der Klägerin darstelle. Dabei würden die Äußerungen von Correctiv als Prüferin und die Einträge einfacher Nutzer – wie der Klägerin – in ein Hierarchieverhältnis gestellt, das der besonderen Rechtfertigung bedarf, wenn es sich um Meinungen handelt. (S. 176)

Neben dem Rechtsstreit gegen Correctiv beleuchtet Steinhöfel in seinem Buch auch die Hintergründe der verschiedenen Gesellschaften des Unternehmens. Dazu wirft er die Frage auf, ob alles korrekt abläuft, wenn die gemeinnützige GmbH Correctiv ihrer nicht-gemeinnützigen Tochtergesellschaft Darlehen gewährt. An diese fließen zudem die Gelder aus den Facebook-Faktenchecks. Steinhöfel sieht „Satzungs- und Rechtsverstöße en masse“ und schreibt, dass Correctiv „eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit drohen könnte“. Nach seiner Darstellung liegen die Gründe in den Gewinnrücklagen der gGmbH sowie in Verstößen gegen die gesetzlichen Publizitätspflichten.

Interessant sind zudem die Hintergründe der Bewertungsorganisation Newsguard, die vorgibt, die Vertrauenswürdigkeit von Internetseiten zu überprüfen. Sie war auch bei Multipolar bereits Thema. Newsguard ist eine US-Firma, deren größter Anteilseigener in den USA der Marketing-Konzern Publicis Group ist. Dieser wiederum wird beschuldigt, mit einem Schmerzmittel Hunderttausende Menschen in die Drogenabhängigkeit getrieben zu haben. Vor diesem Hintergrund sei es äußerst fragwürdig, dass Newsguard die Zuverlässigkeit von Gesundheitsinformationen prüft, so Steinhöfel. Er nannte Newsguard auf der Achse des Guten einen „Handlanger von Big Pharma“, was dem Unternehmen nicht gefiel. Es mahnte die Redaktion ab, es folgten aber keine rechtlichen Schritte.

Gleichwohl stand und steht Steinhöfel mehrfach gegen das Unternehmen vor Gericht und kann so im Buch auch einige der Hintergründe von Newsguard ausleuchten. Dabei bleibt er bei der Tatsache stehen, dass Newsguard in Deutschland faktisch nicht existiert, seine Mitarbeiterin mit dem klingenden Titel „Managing Editor & Vice President Partnerships, Deutschland & Österreich“ in Irland angestellt ist. Mindestens ebenso interessant wäre gewesen darauf hinzuweisen, dass diese an journalistischer Erfahrung kaum mehr als ein paar Praktika vorzuweisen hat. Es ist schon erstaunlich, wer sich anmaßt, über Fakten (und oft eben auch über Meinungen) ein Urteil zu sprechen, das weitreichende Folgen für die Reichweite von Medien haben kann.

Steinhöfels Verdienste und Auslassungen

Der erfahrene Anwalt Steinhöfel kann viele Beispiele der Zensur durch die Konzerne aufzählen. So wurde 2018 eine Petition an den Bundestag als Hassrede entfernt, das Gleiche geschah mit einem Ausschnitt aus der ARD-Serie „Entweder Broder – Die Deutschland-Safari“, die angeblich den Holocaust verharmloste. YouTube löschte ein Video von Broder und Twitter ging auch in Deutschland gegen Berichte vor, die kurz vor der US-Präsidentschaftswahl 2020 Beweise für Hunter Bidens Drogenkonsum, Besuche bei Prostituierten und illegale Geschäfte präsentierten. In diesen Fällen unterlagen am Ende die Konzerne. Im Buch werden insgesamt 25 Fälle vorgestellt, mehr sind auf der Website von Steinhöfel nachzulesen.

Deutsche Gerichte haben immer wieder bestätigt, dass Facebook, Twitter und Co. die Meinungsfreiheit eingeschränkt haben. Die Konzerne sitzen gleichwohl am längeren Hebel, geht doch nur ein Bruchteil derer gegen die Verstöße gegen die Meinungsfreiheit vor und selbst wenn diese dann vor Gericht festgestellt werden, ist oft viel Zeit vergangen und der konkrete Beitrag auf dem Netzwerk, der wiederhergestellt wurde, hat keine Relevanz mehr. Außerdem haben die Konzerne viel mehr Geld und Ressourcen, um ihre Position vor den verschiedenen Instanzen zu vertreten. Dafür aber kann Joachim Steinhöfel nicht. Sein Verdienst liegt zweifellos darin, einen Weg gefunden zu haben, wie gegen die Machenschaften der Konzerne vorgegangen werden kann. Ob dies nachhaltig die Meinungsfreiheit befördert, ist angesichts der verschiedenen Versuche der EU, diese weiter einzuschränken, allerdings fraglich.

Steinhöfel selbst steht der Achse des Guten und damit dem liberal-konservativen politischen Spektrum nahe. Er selbst stellt klar, wie oben zitiert, dass die politische Meinung bei der Frage der Meinungsfreiheit keine Rolle spielen soll. Dass sie immer mitschwingt, davon zeugt auch sein Buch. Die Beispiele stammen zumeist aus dem politischen Spektrum, dem er auch selbst angehört, oder aus der Corona-Maßnahmenkritik. Das ist logisch und es dürfte davon auszugehen sein, dass eher linke Journalisten, Medien oder Nutzer der Netzwerke nicht gerade ihn beauftragen würden.

Schon deshalb kann er kaum aus eigener Anschauung und Praxis vor Gericht von Einschränkungen der Meinungsfreiheit aus diesem anderen politischen Spektrum berichten. Klar ist: Wer den Klang von israelischem Artilleriefeuer in Richtung Gaza „liebt“, wie Steinhöfel vergangenen Herbst auf X/Twitter schrieb, der schreckt Aktivisten ab, deren pro-palästinensische Beiträge gelöscht werden. Dass Meta seine Löschpraxis auf die Interessen der israelischen Regierung ausrichtet, konnte dabei Ende 2023 nachgewiesen werden. Dass linke Medien wie die junge Welt von Facebook zensiert wurden oder die Reichweite der Nachdenkseiten eingeschränkt wurde soll hier beispielhaft erwähnt werden, es findet im Buch nicht statt.

Es soll schließlich keineswegs bestritten werden, dass Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken weit verbreitet sind. Aber Hass und Hetze sind schwammige Floskeln. Es müsse dem Bürger klar sein, was verboten ist, schreibt Steinhöfel und verweist auf die einschlägige Strafbarkeit von Beleidigung, Verleumdung oder übler Nachrede. Maßnahmen, die angeblich der Eindämmung der Verrohung im zwischenmenschlichen Umgang dienen sollen, schlagen derweil in Zensur um. Steinhöfels Buch zeigt davon einen Ausschnitt. Es ist gut lesbar – trotz einiger Versäumnisse des Lektorats, das unnötige Wiederholungen ebenso durchgehen ließ wie unterschiedliche Zitierweisen. Dass Steinhöfel zuweilen zur Polemik neigt und von sich selbst überzeugt ist, ist sein Markenzeichen. Wenn man das hinnimmt oder einfach ignoriert, bietet das Buch einigen Erkenntnisgewinn und beleuchtet auf populäre Weise einen Bereich der zeitgenössischen Zensur, der große Ausmaße angenommen hat. Der Anwalt Steinhöfel hat bewiesen: Gegen die Konzerne und ihre internationalen Großkanzleien können Verfahren gewonnen werden. Immer wieder.

Joachim Steinhöfel, Die digitale Bevormundung. Wie Facebook, X (Twitter) und Google uns vorschreiben wollen, was wir denken, schreiben und sagen dürfen, Finanzbuch Verlag, 224 Seiten, 18 Euro

Über den Autor: Helge Buttkereit, Jahrgang 1976, hat sein Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Journalistik mit einer Arbeit zu „Zensur und Öffentlichkeit in Leipzig 1806-1813“ abgeschlossen. Nach journalistischen Tätigkeiten bei verschiedenen Medien und Buchveröffentlichungen über die Neue Linke in Lateinamerika arbeitet er aktuell in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

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Anmerkungen

(1) Vgl. Reiner Marx: Heinrich Heine und die Zensur, in: Gabriele B. Clemens (Hrgs.): Zensur im Vormärz, Ostfildern 2013, S. 249-258, hier: S. 256

(2) Michael Meyen: Cancel Culture. Wie Propaganda und Zensur Demokratie und Gesellschaft zerstören, Berlin 2024, S. 8f.

(3) Hannes Hofbauer: Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung, Wien 2022, S. 7

(4) Vgl. Thomas Wagner, Das Netz in unsere Hand! Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie, Köln 2017, S. 49ff.

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