Reutlingen, 12. Februar 2022 | Bild: picture alliance/dpa | Christoph Schmidt

Corona-Proteste: Aktueller Lagebericht (7)

Mehr als 270.000 Menschen demonstrierten am Montag gegen die Impfpflicht und die Corona-Politik der Regierung. Die offiziellen Zahlen der Polizei sind im Vergleich zur Vorwoche leicht rückläufig (Ausnahme Bayern). Der Streit um die Legitimität von Demonstrationsverboten geht derweil weiter. Die entsprechende Passage des Grundgesetzes, die Verbote ermöglicht, ist übernommen von einer über 100 Jahre alten Formulierung der Reichsverfassung der Weimarer Republik. Ist sie noch zeitgemäß?

PAUL SOLDAN, 16. Februar 2022, 3 Kommentare, PDF

Die Montagsdemonstrationen vom 14. Februar

Erneut haben am Montag Hunderttausende gegen die Corona-Politik demonstriert. Laut offiziellen Angaben kam es zu den größten Protesten in Bautzen (3.600 Teilnehmer), Nürnberg (3.400) – telefonische Auskunft des Polizeipräsidiums Mittelfranken –, Gera (3.000), Kempten (2.500), Chemnitz (2.400), Halle und Wittenberg (jeweils 1.900), Landshut (1.800), Pforzheim (1.600), Saalfeld und Altenburg (jeweils 1.500), Lübeck und Freiberg (jeweils 1.400), Schwerin, Görlitz und Bayreuth (jeweils 1.200), Magdeburg und Meiningen (jeweils 1.100) sowie in Gotha, Paderborn, Neubrandenburg und Münster (jeweils 1.000).

Auch in Köln gehen die Menschen jeden Montag auf die Straße. Offizielle Berichte darüber ließen sich bislang jedoch selten finden. In einem Telefonat mit dem Polizeipräsidium Köln erhielt Multipolar die Auskunft, dass offiziell keine Zählungen und Schätzungen über die Teilnehmerzahlen seitens der Polizei durchgeführt würden. Dies würde dem Veranstalter obliegen. Angemeldet waren für diesen Montag 1.500 Personen, so ein Sprecher der Kölner Polizei. Ein Videomitschnitt gibt einen Eindruck über die Dimension.

Köln, 14. Februar 2022 | Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt

Multipolar hat die offiziellen Gesamtzahlen der Bundesländer erneut bei den Innenministerien und Polizeidirektionen der Länder abgefragt, soweit diese nicht schon in der Presse veröffentlicht wurden. Die Gegendemonstrationen sind in den meisten Bundesländern (dort, wo ihre Zahl durch die Polizei separat ausgewiesen wird) bereits herausgerechnet. Demzufolge demonstrierten am Montag in:

  • Bayern (51.000 bei 135 Demos)
  • Sachsen (48.000 bei 169 Demos)
  • Baden-Württemberg (45.000 bei 297 Demos)
  • Nordrhein-Westfalen (23.300 bei 158 Demos)
  • Thüringen (23.000 bei 85 Demos)
  • Brandenburg (15.300 bei 76 Demos)
  • Sachsen-Anhalt (13.300 bei 48 Demos)
  • Hessen (12.200 bei 138 Demos)
  • Niedersachsen (11.000 bei 154 Demos)
  • Mecklenburg-Vorpommern (8.700 bei 37 Demos)
  • Schleswig-Holstein (7.700 bei 84 Demos)
  • Rheinland-Pfalz (5.800 bei 81 Demos)
  • Berlin (4.000 bei 45 Demos)
  • Saarland (800 bei 10 Demos)
  • Hamburg (500 bei 8 Demos)
  • Bremen (400 bei 2 Demos)

(Anmerkung 17.2.: Die Zahlen für Nordrhein-Westfalen und Hessen wurden nachträglich eingefügt, nachdem sie anderswo in der Presse veröffentlicht waren. Die Behörden beider Länder hatten Multipolar auch auf mehrfache Nachfrage die Zahlen nicht mitgeteilt. Die Gesamtzahlen wurden entsprechend angepasst.)

Damit nahmen am 14. Februar bundesweit etwa 270.000 Menschen an 1.527 Demonstrationen teil. Die amtlichen Teilnehmerzahlen sind damit im Vergleich zur Vorwoche um 7 Prozent zurückgegangen. Einen Zuwachs gab es allerdings in Bayern.

Große Medien reden die Proteste weiterhin klein

Dass Woche für Woche Hunderttausende montags demonstrieren, ist vielen Medien nicht zu entnehmen. So heißt es in einem Bericht des RND, am Montag seien „erneut mehrere Tausend Menschen“ auf die Straße gegangen – und nicht etwa zutreffender „mehrere Hunderttausend“. Eine solche Formulierung wird fast überall vermieden. Auf Länderebene fällt diese beschwichtigende Berichterstattung ebenfalls auf. Zu Sachsen heißt es in der Süddeutschen: „In Sachsen haben am Montag erneut Tausende Menschen gegen die Corona-Maßnahmen protestiert“, und über Brandenburg liest man in der Zeit: „Hunderte Menschen sind am Montag wieder landesweit in Brandenburg auf die Straße gegangen“. Mit einer Gesamtzahl von 48.000 Teilnehmern wäre zu Sachsen die Angabe „Zehntausende Menschen“ deutlich treffender, genauso wie „Tausende Menschen“ in Bezug auf Brandenburg.

Das Protestgeschehen vom 8. bis 13. Februar

Zu den größten Protest in der vergangenen Woche kam es laut offiziellen Angaben in Reutlingen (Samstag / 7.500 Teilnehmer) (Video), Düsseldorf (Samstag / 7.000) (Video), Saarbrücken (Sonntag, 5.800), Augsburg (Samstag / 4.300) (Video), Frankfurt am Main (Samstag / 3.600) (Video), Freiburg (Samstag / 3.300) (Video), Berlin (Samstag / 3.000), Regensburg (Samstag / 2.500), Nördlingen (Sonntag / 2.000) sowie Ingolstadt (Sonntag / 1.600).

Düsseldorf, 12. Februar 2022 | Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt

Die Angaben zu den Teilnehmerzahlen sind erneut teilweise strittig. Für Frankfurt schätzte der Journalist Norbert Häring, der persönlich vor Ort war, die Zahl auf mehr als 10.000 Personen, ebenso wie die Initiative „Protest Hessen“, wie Multipolar auf Nachfrage erfuhr.

In Ulm sind am Freitag mutmaßlich mehrere Tausend Menschen durch die Innenstadt gezogen. Eine Angabe über die Teilmnehmerzahl ist dem Polizeibericht nicht zu entnehmen. Auf Nachfrage heißt es dazu vom Polizeipräsidium Ulm, dass es seine „Richtigkeit“ habe, dass „in unseren Presseberichten keine Teilnehmerzahl bei Versammlungen“ genannt werde. „Deshalb kann ich Ihnen auch für die angefragte Versammlung keine Zahl nennen“, so die Antwort. Seit dem 24. Januar gilt in der Ulmer Innenstadt – montags von 17:45 Uhr bis 20:00 Uhr und freitags von 18:00 Uhr bis 21:00 Uhr – per Allgemeinverfügung bis zum 28. Februar eine Maskenpflicht. Da laut Polizeibericht die Versammlung nicht angemeldet worden war sowie mehrere Dutzend Teilnehmer der verfügten Maskenpflicht nicht nachgekommen seien, drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob hier die Teilnehmerzahl gezielt zurückgehalten wird, um das Protestgeschehen kleiner wirken zu lassen. Ein Videomitschnitt gibt einen Eindruck über die Dimension.

Bürgerdialoge – viele Städte sehen weiterhin keinen Bedarf

Kamenz

In der sächsischen Kleinstadt Kamenz (Landkreis Bautzen) hatte der parteilose Oberbürgermeister Roland Dantz am 31. Januar vor dem Rathaus zu den Demonstranten gesprochen und für die Herstellung eines breiten Dialogs geworben sowie die nahende einrichtungsbezogene Impfpflicht kritisiert. (Video). Er erklärte:

„Ich stelle mir, wie viele andere auch, die Frage, wie wir zusammenkommen, wie wir ins Gespräch kommen zu den Dingen, die uns bewegen. Da ist etwas aufgebrochen in den letzten Wochen, in den letzten Tagen besonders, dass sich viele die Frage stellen, was passiert, wenn eben eine einrichtungsbezogene oder eine allgemeine Impfpflicht zur Anwendung kommt. [...] Natürlich müssen Landräte, Bürgermeister und andere Verantwortungsträger Gesetze umsetzen. Wenn aber deutlich wird, und da habe ich persönlich keinen Zweifel an der Haltung von Landrat Harig, dass man versucht, eine sogenannte Einzelfallbetrachtung zu machen, dann stellt sich eben die Frage, was von dem eigentlichen Ziel des Gesetzes vom 10.12. übrig bleibt. Dann wird ja dieses Ziel, eine einrichtungsbezogene Impfpflicht umzusetzen, nicht erreicht. Deswegen ist da klar meine Meinung: Es ist die Aufgabe des Deutschen Bundestages, zu überlegen, dass man diese spezielle Impfpflicht faktisch aussetzt und letztendlich sich den Raum damit auch schafft, miteinander ins Gespräch zu kommen. [...]

Ich hatte die Gelegenheit, am vergangenen Samstag mit 20 Demonstranten ins Gespräch zu kommen. Und diese knapp 3 Stunden waren glaube ich für alle, für mich der 21. dabei, wichtig. Dazu brauchen wir aber Räume, wo wir uns treffen können, neben den Marktplätzen, um auch mit denen ins Gespräch zu kommen, die möglicherweise anders denken als Sie. Da sehe ich auch meine Aufgabe als Oberbürgermeister dieser Stadt. Und es geht natürlich um die Frage eines selbstbestimmten Lebens. Es geht um die Frage, selbst zu entscheiden, ob man sich impfen lässt oder nicht. Es geht um viele Fragen – um Kinder, um Eltern –, es geht um uns. [...]

Ich wünsche uns, dass wir in der Hinsicht diese Treffen in der nächsten Zeit herbeiführen und das führt eben nicht dazu, dass Sie Ihre Haltung aufgeben, sondern das führt dazu, dass man fest auftritt. Dazu gehört eben auch, dass Schluss damit gemacht wird, dass man jene wie Sie, die sich montags hier versammeln, diffarmiert, mit Nazis gleichsetzt und vom Grunde her diskriminiert! [...] Ich bin Ihnen sehr dankbar, wie friedlich und letztendlich wie Sie in dieser Form für Ihre Ziele einstehen und welches Signal Sie auch im Sinne eines anständigen Protestes nach außen senden. Das muss eine Demokratie aushalten und das hält sie auch aus! [...] Von daher wünsche ich Ihnen das Beste und für die kommende Zeit vor allem die Bereitschaft, ein Stück weit weiter zu machen. Die Dinge erledigen sich nicht von allein!“

So ein Auszug aus der Rede von Oberbürgermeister Roland Dantz. Die Nachfrage, wann und in welcher konkreten Form die angesprochenen Bürgerdialoge stattfinden werden, blieb bislang von der Stadt Kamenz unbeantwortet.

Rendsburg

In der westlich von Kiel gelegenen Stadt Rendsburg ist es am 14. Februar zu einem Gespräch zwischen Teilnehmern der Montagsproteste, dem Landrat Dr. Rolf-Oliver Schwemer und Professor Dr. Stephan Ott, Leiter des Kreisgesundheitsamtes Rendsburg-Eckernförde, gekommen. Die beiden Kreistagsmitglieder waren der Einladung der Demo-Organisatoren gefolgt und hatten sich kurz vor Beginn der Kreistagssitzung ihren Fragen gestellt. Multipolar hat dazu bei Landrat Schwemer nachgefragt und um eine Stellungnahme gebeten, wie er dieses Gespräch beurteile und ob in Zukunft weitere geplant seien. Von der Pressestelle hieß es dazu lediglich, es sei „immer hilfreich, Gespräche miteinander zu führen“. Man stehe „in einem regelmäßigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern“.

Gotha

Aus Gotha heißt es auf Nachfrage, dass Oberbürgermeister Knut Kreuch (SPD) seit seinem Amtsantritt 2006 einen „breiten Bürgerdialog in Bürgerversammlungen, Bürgersprechstunden und detaillierten Anwohnerversammlungen“ pflege. Die Stadt Gotha lege zwar keine Corona-Maßnahmen fest, dafür sei das Landratsamt Gotha zuständig, dennoch habe es „im Rahmen der erlaubten Kontaktmöglichkeiten“ stets einen Dialog mit den Bürgern gegeben, der bis heute fortwährt. „Selbst wenn die Sitzungen des Stadtrates schon mehrfach als Videokonferenzen durchgeführt werden mussten, so ist eine umfängliche Berichterstattung über die Pandemie-bedingte Situation in unserer Stadt selbstverständlich.“ Demnach stehe die Einwohnerfragestunde in jeder Sitzung auf der Tagesordnung. Zahlreiche Gothaer Bürger würden diese persönlichen Bürgersprechstunden des OB nutzen, „gerade auch in der Zeit der Pandemie, in denen ich mit ihnen über ihre Ängste und Sorgen spreche“, so Kreuch. „Gemeinsam mit dem Gewerbeverein der Stadt stimmt die Stadtverwaltung in enger Zusammenarbeit Maßnahmen zur Wiederbelebung des öffentlichen Lebens in der Stadt ab, die mit den jeweiligen Öffnungsschritten kurzfristig umgesetzt werden.“

Bautzen

Aus Bautzen heißt es, dass die Nachfrage derzeit nicht beantwortet werden könne, „da wir zum einen krankheitsbedingt priorisieren müssen und andererseits aktuell mit dem Thema intensiv beschäftigt sind“, so ein Sprecher.

Regensburg

Die Stadt Regensburg teilte mit, dass es derzeit nicht geplant sei, Bürgerdialoge durchzuführen. „Unterschiedliche Meinungen zu den Corona-Maßnahmen und staatlichem Handeln müssen wir aushalten: Friedlicher Protest ist legitim. Die Corona-Maßnahmen-Gegner müssen sich jedoch klar abgrenzen von rechtsextremen Gedankengut“, so eine Sprecherin. Aktuell würden sowohl die angemeldeten als auch die nicht angemeldeten Demonstrationen geordnet ablaufen. Von einer Spaltung der städtischen Gesellschaft könne nicht gesprochen werden.

Lippstadt

Aus dem westfälischen Lippstadt heißt es, dass einem Bürgerdialog grundsätzlich keine Hürden im Weg stehen würden, es aktuell jedoch keine Planungen für einen Runden Tisch gäbe. Die Stadtverwaltung und der Bürgermeister stünden aber „über verschiedene Kanäle mit den Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt“. „Auch wenn die anhaltende Pandemiesituation für die Bürgerinnen und Bürger in Lippstadt belastend ist, bestehen keine gravierenden Spannungen in der Stadtgesellschaft. Letztendlich beteiligt sich an den Corona-Demonstrationen auch nur eine Minderheit der Lippstädterinnen und Lippstädter“, so eine Sprecherin.

Schwerin

Auf telefonische Nachfrage teilte eine Sprecherin der Stadt Schwerin mit, dass ein Bürgerdialog zum Thema Corona, auch aufgrund der aktuell hohen Inzidenzen, nicht geplant sei.

Politiker positionieren sich gegen die Demonstrationen – Wo bleibt das Neutralitätsgebot?

Der Oberbürgermeister der Stadt Naumburg (Sachsen-Anhalt), Armin Müller (CDU), hatte Ende Januar von den Initiatoren der dortigen Montagsdemonstrationen die Einladung erhalten, an der Kundgebung am 29. Januar teilzunehmen – Multipolar berichtete.

Diese Einladung lehnte er jedoch ab. In einem Schreiben an eine Mitinitiatorin begründete er seine Entscheidung darin, dass er „selbstverständlich als Privatperson“ seine „persönliche Meinung“ zu den Demonstrationen und deren Inhalten vertrete, „welche an diesem Punkt jedoch unbeachtet bleiben“ müsse, so Müller. „Als Oberbürgermeister der Stadt Naumburg (Saale) bin ich allerdings dazu angehalten, das in der Demokratie unseres Grundgesetzes verankerte Neutralitätsgebot zu wahren, da die politische Willensbildung kein Vorrecht in Verbindung mit diesem Amt ist, sondern dem Volk vorbehalten ist. Somit steht es mir nicht zu, mich in meiner Funktion als Oberbürgermeister weder auf die Seite der Befürworter, noch auf die Seite der Kritiker der Corona-Maßnahmen zu stellen. Meine Pflicht ist es, nach bestem Wissen und Gewissen, die Interessen aller Naumburgerinnen und Naumburger zu vertreten“, so Müller in dem Ablehnungsschreiben.

In der Kleinstadt Brackenheim (im Norden Baden-Württembergs), in der bis vor Kurzem regelmäßig rund 2.000 Teilnehmer demonstrierten, haben Ende Januar der parteilose Bürgermeister Thomas Csaszar sowie die Gemeinderatsfraktionen FWB, CDU, Liste 21, SPD und Grüne mit einer Plakataktion Stellung zu den coronakritischen Montagsdemonstrationen der Stadt bezogen. Die Botschaften auf den Bannern, die an zentralen Stellen in der Stadt angebracht wurden, lauten: „Pandemie bekämpfen ...ist kein Spaziergang“, „Mitmenschen schützen ...ist kein Spaziergang“, „Solidarität leben ...ist kein Spaziergang“ und „Pflegekräfte entlasten ...ist kein Spaziergang“. „Wir wollen mit diesen Bannern den zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt eine Stimme verleihen, die seit langer Zeit ihren solidarischen Beitrag dazu leisten, die Pandemie zu bekämpfen“, so Csaszar in einer Erklärung der Stadt. Zudem seien sich die „Mitglieder des Hauptorgans der Stadt“ sicher, dass „der Großteil der Menschen in Brackenheim nicht die Meinungen der Versammlungsteilnehmer“ teile. Daher betonten die Fraktionsvorsitzenden: „Deshalb war es für uns an der Zeit, dies zum Ausdruck zu bringen und unseren Standpunkt zu äußern“.

 „Unser Grundgesetz gibt jedem das Recht, sich zu versammeln und seine Meinung zu äußern, deshalb akzeptiert unser Gemeinwesen im Sinne unserer Grundrechte auch öffentliche Versammlungen in bestimmten Grenzen, zumal die Versammlungen bisher gewaltfrei sind“, so Csaszar weiter. „Wir wollen nicht pauschal die Teilnehmer der Versammlung verurteilen und sind davon überzeugt, dass die Vielzahl grundsätzlich friedlich ihre Meinung kundtun will.“ Jedoch seien bisher weder „konstruktive Lösungsvorschläge“ noch eine „klare Abgrenzung von Diffamierungen, teilweise Beleidigungen und Verschwörungsmythen durch die Verantwortlichen“ bei der Stadtverwaltung angekommen, so die Pressemitteilung. Weiter heißt es, dass die Stadt mit dem Slogan „...ist kein Spaziergang“ als zentrale Botschaft vermitteln möchte, „dass nach bald zwei Jahren Pandemie viele Menschen zermürbt und erschöpft sind, es aber niemanden weiter bringe, wissenschaftliche Fakten zu ignorieren, egoistisch zu agieren oder die Gefährlichkeit des Virus zu leugnen. Gemeinsinn ist vielmehr der Schlüssel dazu, die Corona-Pandemie so gut wie möglich zu überwinden“.

Dass die Stadtverwaltung mit dieser Positionierung gegen die Teilnehmer der Montagsdemonstrationen das von Armin Müller geäußerte Neutralitätsgebot noch gewahrt hat, erscheint hier abwegig. Multipolar hat in diesem Zusammenhang beim Brackenheimer OB nachgefragt, bislang ohne Rückmeldung.

In Augsburg ist während einer Stadtratssitzung Ende Januar die Idee vorgebracht worden, die Beleuchtung des Rathauses während der Corona-Demonstrationen auszuschalten, um damit stummen Protest gegen die „Verharmlosung der Pandemie“ zu äußern, so ein Bericht der Augsburger Allgemeinen vom 1. Februar. Zudem würden die Demonstranten das beleuchtete Rathaus häufig als Kulisse für Fotos und Videos für Beiträge in den sozialen Netzwerken nutzen, wodurch man ihnen diese Bühne nehmen könne, heißt es weiter.

Zur Umsetzung dieser Idee sei es bislang jedoch aus rechtlichen Gründen nicht gekommen. Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) hatte den Stadträten in einem Schreiben mitgeteilt, dass sie als Privatperson eine solche Aktion, die auch technisch möglich wäre, befürworten würde. Jedoch seien ihr aus rechtlicher Sicht die Hände gebunden, so Weber. Dabei beruft sich die Stadt auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017. Der damalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) hatte dazu aufgerufen, an Gebäuden das Licht auszuschalten und an einer Gegendemonstration teilzunehmen, als ein Aufzug der Pegida-Bewegung durch die Stadt ziehen sollte. Ebenso wurden alle städtischen Gebäude verdunkelt. Laut jenem Urteil hatte Geisel damit jedoch „die Grenzen der Äußerungsbefugnis, sich in sachlicher und rationaler Weise mit den Geschehnissen in der Stadt Düsseldorf auseinanderzusetzen, überschritten“ und damit rechtswidrig gehandelt.

Multipolar hat dazu ebenso bei Oberbürgermeisterin Weber nachgefragt, ob sie mit ihrer persönlichen Positionierung für die vorgeschlagene Aktion und damit gegen die Demonstrationsteilnehmer ihr Neutralitätsgebot nicht bereits verletzt habe. Auch hier erfolgte darauf bislang keine Rückmeldung.

Weiteres Gerichtsurteil zu Demonstrationsverboten

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat am 11. Februar entschieden, dass nicht angemeldete Demonstrationen von der Polizei doch präventiv verboten werden können, und hat damit eine Entscheidung des Cottbuser Verwaltungsgerichts aufgehoben.

Dieses hatte am 4. Februar in einem Eilverfahren geurteilt, dass ein 14-tägiges präventives Verbot für unangemeldete Versammlungen, welches von der Versammlungsbehörde des Landes Brandenburg angeordnet worden war, rechtswidrig sei. Dieses Verbot hatte besonders auf die Demonstrationen in Cottbus abgezielt. Die Polizei habe jedoch nicht ausreichend begründet, dass von den unangemeldeten Demos eine besonders schwerwiegende Infektionsgefahr oder Gefahren der öffentlichen Sicherheit ausgingen. Der Verweis auf pauschale Verstöße sei nicht ausreichend gewesen, so das Gericht.

Nach Einschätzung des OVG habe die Polizei ihre Annahme, dass es bei künftigen unangemeldeten Demonstrationen zu massiven Verstößen gegen die Vorgaben der Eindämmungsverordnung komme, hinreichend begründet. Angesichts der hohen Infektionsgefahr sei ein präventives Verbot von nicht angemeldeten Versammlungen mit der im Grundgesetz verbrieften Versammlungsfreiheit vereinbar, so die Richter.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) begrüßte das Urteil des Oberverwaltungsgerichts. So sagte er dem rbb, dass jene Entscheidung die Rechtsauffassung der Landesregierung bestätige. Er betonte, dass sich das Verbot nur gegen Versammlungen richten würde, die unangemeldet seien. „Diejenigen, die an Demonstrationen teilnehmen, müssen sich auch an Regeln halten." Zum einen müssen Versammlungen angemeldet werden und zum anderen müssten sich die Teilnehmer bis auf Weiteres an die Maskenpflicht halten, so Stübgen. Er habe Verständnis dafür, dass viele Menschen von der Pandemie genug hätten. "Wenn aber jemand seinen Frust an Polizistinnen und Polizisten auslässt und dabei sogar gewalttätig wird, dann ist Schluss mit Verständnis. Dann folgen klare Konsequenzen des Rechtsstaats", so der Brandenburger Innenminister.

Multipolar hat dazu beim Brandenburger Innenministerium nachgefragt, wie die Demo-Teilnehmer, in dieser Situation zum einen richtig und legal handeln können, wenn die Regeln, an welche diese sich auf Demonstrationen zu halten hätten, mit zu den Gründen zählen, weswegen sie demonstrieren und zum anderen gleichzeitig ihre Würde bewahren können. Eine weitere Frage an Stübgen lautete, inwiefern dieser die Gefahr sieht, dass mit diesem Urteil ein Präzedenzfall zur Verhinderung von Regierungskritik geschaffen werde, da die Menschen nicht von der Pandemie genug hätten, wie er erklärte, sondern viel eher von den politischen Maßnahmen dazu. Bislang erfolgte darauf keine Rückmeldung.

Ist Artikel 8 Absatz 2 des Grundgesetzes zur Versammlungsfreiheit noch zeitgemäß?

Im Zusammenhang mit den verordneten Versammlungsverboten stellt sich die Frage, ob es legitim ist, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit derart einzuschränken. Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes lautet:

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“

Nach Absatz 2 des Artikels kann die Versammlungsfreiheit jedoch eingeschränkt werden:

„Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“

Hier stellt sich die Frage, ob die staatlichen Einschränkungsmöglichkeiten nicht zu weit greifen, wenn mit diesen das genaue Gegenteil des eigentlichen Artikels bewirkt werden kann. Tatsächlich reicht die Formulierung des Artikel 8 bis zur Reichsverfassung der Weimarer Republik zurück. In der Fassung vom 11. August 1919 heißt es dort in Artikel 123:

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.“

Demnach ist die Formulierung sowie die Idee, Versammlungen unter freiem Himmel gegebenenfalls verbieten zu können, mehr als 100 Jahre alt. Es wäre diskussionswürdig, ob hier nicht eine zeitgemäße Anpassung nötig ist.

Über den Autor: Paul Soldan, Jahrgang 1988, war nach seiner Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen bis zum Jahr 2017 für verschiedene Finanzdienstleistungsunternehmen in Hamburg tätig. Von 2018 bis 2021 arbeitete er am Volkstheater Rostock, unter anderem als Regieassistent. Seit Anfang 2022 schreibt er regelmäßig für Multipolar über das Demonstrationsgeschehen in Deutschland.

M. KRAHE, 16. Februar 2022, 19:25 UHR

Nicht nur Politiker und Amtsträger positionieren sich offen gegen die Corona-Proteste, sondern auch Teile der Presse. So hat die Frankfurter Rundschau, die sich bereits in den letzten Wochen mit einseitigen und diffamierenden Berichten hervorgetan hat, nun eine Petition mit dem Titel "Solidarität und Zusammenhalt in der Coronakrise - klare Kante gegen Rechts" lanciert, in der sie die Demonstranten ohne jede Grundlage bezichtigt, mit "Rechtsextreme*n" gemeinsame Sache zu machen. (Ihrerseits scheint sie allerdings kein Problem damit zu haben, dass die linksextremistische VVN-BdA zu den Mit-Unterzeichnern gehört).

siehe auch: https://norberthaering.de/news/frankfurt-bleibt-stabil/

PS: Die Teilnehmerzahl der Frankfurter Samstags-Demos schätze ich anhand verschiedener Video-Mitschnitte auf 4.000 bis 5.000.

AYU, 16. Februar 2022, 20:35 UHR

Zitat aus dem Artikel:

"Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) begrüßte das Urteil des Oberverwaltungsgerichts. So sagte er dem rbb, dass jene Entscheidung die Rechtsauffassung der Landesregierung bestätige. Er betonte, dass sich das Verbot nur gegen Versammlungen richten würde, die unangemeldet seien. „Diejenigen, die an Demonstrationen teilnehmen, müssen sich auch an Regeln halten."

Nachvollziehbar, aber dennoch absolut unverständlich, sich damit rauszureden, da es hierbei auch um dezidierte und übergeordnete Abwehrrechte jedes Bürgers gegen unberechtigte Eingriffe in deren Leben durch den Staat geht. Diese Grundrechte sind genau deswegen und dafür da, zu verhindern, dass von den Beweiserbringern eben nicht einfach nur eine starke Vermutung oder Befürchtung mit ungefähren, schwer nachzuvollziehenden Angaben ausreicht, sondern es muss (bestenfalls) für jeden Einzelfall ein konkreter Nachweis einer genau definierten Gefahr samt Auswirkung und mehrerer gegenübergestellter Abhilfemöglichkeiten i.d.F. medizinisch aufgestellt und schließlich rechtstaatlich erbracht werden.

Oder wie gefiele es dem Innenminister, wenn Gerichte mit seit zwei Jahren auffälliger Bürgernähe auf Befürchtungs-Klagen von Bürgern Urteile fällten, in welchen einschlägig festgestellt würde, dass es "bis auf Weiteres" allen Bediensteten des Staatswesens untersagt wird, ihrem Recht auf Amtsausübung nachzugehen, solange es nachweislich und wiederholt welche gibt, die gegen das letztes Jahr mehrfach von einer nicht-legitimen, nicht-öffentlichen Bürger-Konferrenz verschärfte Korruptionsgesetz verstoßen? Man kann sich ja auch politisch beitragen, ohne ins Rathaus gehen zu müssen? Die Leute würden fortan entgegenen, man könne sich doch einfach glaubhaft vom Finanzextremismus distanzieren, das wäre solidarisch und man möchte mit diesen klaren Regeln ein Signal setzen und schließlich (mit den Worten des Bürgermeisters Thomas Csaszar) "mit diesen Bannern den zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt eine Stimme verleihen, die seit langer Zeit ihren solidarischen Beitrag dazu leisten, die... [Armut] ...zu bekämpfen". Oder wie?

Zitat aus dem Artikel:

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.“

Demnach ist die Formulierung sowie die Idee, Versammlungen unter freiem Himmel gegebenenfalls verbieten zu können, mehr als 100 Jahre alt. Es wäre diskussionswürdig, ob hier nicht eine zeitgemäße Anpassung nötig ist."

Auch hier halte ich das persönlich erstmal für legitim und "OK", dass man juristisch Ausnahmen für die Geltung von i.d.F. Grundrechten grundsätzlich zulässt. Die Gesetzesformulierung von 1919 ist da doch vergleichsweise erfreulich eindeutig und reduziert abzielend auf ebensolche besonderen Umstände. Das war und ist ja offenbar seit jeher auch der Fall, auch mit dem Grundgesetz in der Fassung von 2019 ist das möglich.

Wie oben nochmal deutlich gemacht, kommt es aber sehr wohl auf die besonderen Umstände an, die gegeben und beschrieben sein müssen, um ein Grundrecht einzuschränken oder auszusetzen, erst recht präventiv! Abgesehen davon, dass eine ordentliche Abwägung m.A.n. bislang nicht stattgefunden haben kann, sehe ich hier die große Gefahr, dass nach und nach ein vorhandener Auslegungsraum des Gesetzgebers in Rechtssachen von Gerichten nicht mehr auf der freiheitlich-demokratischen Waage gewogen werden, sondern aus Gründen klar in Richtungen driftet, die Urteile erzeugt, welche in der Alltagswirkung faktisch einem Nichtvorhandensein einzelner Grundrechte entspricht. Das sollte so nicht möglich sein, und da kann und sollte gerne angesetzt werden!

SONJA PASCH, 18. Februar 2022, 23:45 UHR

Danke an Paul Soldan und an Multipolar, dass die beeindruckende friedliche Bürger-Protestbewegung, die überall in der Republik wächst und gedeiht, hier diejenige journalistische Würdigung erfährt, die diesem historischen Ereignis zukommt!

Seit vielen Wochen kommt es in Frankfurt am Main regelmäßig samstags zu großen Umzügen von mittlerweile über 10.000 Personen, so die im Text zitierte übereinstimmende Schätzung von Norbert Häring und „Protest Hessen“. Auch an fast allen anderen Wochentagen finden kleinere Demonstrationen statt. Am 10.02. wurde gegen die Bürgerproteste in der Frankfurter Rundschau eine „Frankfurter Erklärung Solidarität und Zusammenhalt“ veröffentlicht, unterzeichnet von zahlreichen Amts- und anderen Funktionsträgern der Stadt, darunter Oberbürgermeister und Bürgermeisterin:

https://www.fr.de/frankfurt/frankfurter-erklaerung-solidaritaet-und-zusammenhalt-91341181.html

Auch dieser Text strotzt vor den sattsam bekannten, faktenfrei gestreuten Verleumdungsbegriffen, die die ebenso couragierten wie friedlichen Bürgerproteste für Grundgesetz und freien Impfentscheid massiv diffamieren – ein beklemmendes Dokument. Auch hier dürfte das Neutralitätsgebot eklatant verletzt worden sein.

Das in Paul Soldans Text verlinkte Frankfurter Video liefert einen Eindruck von den Massen friedlicher Bürger/innen aus der Mitte der Gesellschaft mit urdemokratischen Forderungen – auf die die Volksvertreter keine bessere Antwort haben als falsche Verdächtigungen. Zur angemessenen Einordnung solcher Verdächtigungen möchte ich noch diesen scharfsinnigen satirischen Erlebnisbericht von einer Montagsdemo aus einer nicht näher genannten Stadt empfehlen:

https://www.achgut.com/artikel/mit_rechts_marschiert_man_besser._nicht

Kommentieren

Zum Kommentieren bitte anmelden.