Per Behördenkontrolle zur „Medienfreiheit“
HELGE BUTTKEREIT, 23. April 2024, 5 Kommentare, PDFSchon wieder ein Mediengesetz der EU: Mitte März hat das Europäische Parlament dem „Medienfreiheitsgesetz“ (Media Freedom Act) zugestimmt. Nach dem Gesetz für digitale Dienste (Digital Service Act, DSA) und dem für digitale Märkte (Digital Market Act, DMA) wird es nun künftig ein Gesetz für alle Medien geben, die Presse eingeschlossen. Es war von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits 2021 angekündigt und ab 2022 auf den verschiedenen Ebenen diskutiert worden.
Von der Leyen führte die Ermordung einzelner Journalisten an. Der Schutz von Journalisten solle verbessert und gleichzeitig die Freiheit der Medien verteidigt werden. Nach der Einigung zwischen Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten und Parlament im Dezember vergangenen Jahres liegt nun das Gesetz vor, das dies leisten soll. Kritiker zweifeln daran und fürchten stattdessen um die Pressefreiheit. Bereits nach Vorstellung des ersten Entwurfs 2022 schrieb der Journalist und Europaexperte Eric Bonse:
„Besonders perfide ist, wie die EU vorgeht. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen illegale Inhalte, Hassrede und Desinformation soll die EU-Kommission direkten Zugriff auf Inhalte im Internet bekommen. Indirekt kann sie damit auch Online-Dienste von Zeitungen zensieren.“
Die Verlegerverbände kritisieren deshalb die Gesetzgebung. Nach der Einigung im Dezember hieß es vonseiten des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) sowie des Medienverbands der Freien Presse (MVFP), dass eine behördliche Aufsicht über die Presse etabliert werde, bei der auch noch die EU-Kommission mitreden will. Zudem sollten Verlage nicht mehr über redaktionelle Inhalte entscheiden dürfen, aber weiter für alle Inhalte voll verantwortlich sein. Und für das Plattforminternet werde die Zensur legaler Presseveröffentlichungen durch die digitalen Torwächter gesetzlich gebilligt und festgeschrieben.
Trotz einiger Änderungen, insbesondere was die Hoheit der Verleger über redaktionelle Inhalte angeht, bleiben die Verleger auch nach der Abstimmung im Europaparlament kritisch: „Während die Presse mit wirtschaftlichen, regulativen und wettbewerblichen Herausforderungen zu kämpfen hat, schnürt die EU ein Korsett, das keines der Probleme angeht und stattdessen die Pressefreiheit gefährdet.“
Dabei steht infrage, ob die EU überhaupt zuständig ist. Medienpolitik ist Sache der Mitgliedsstaaten. Im Gesetz wird die Zuständigkeit über die Regelung des Binnenmarktes hergeleitet – gleich im ersten Satz der Begründung heißt es beispielsweise, dass „unabhängige Mediendienste ... eine einzigartige Rolle im Binnenmarkt [spielen]“. Laut Eric Bonse ist das ein fadenscheiniges Argument. Das Gesetz bedeute einen „erheblichen Machtzuwachs“ für Brüssel. „Bei ihrem Start hatte die von-der-Leyen-Behörde keine nennenswerten Kompetenzen in der Medienpolitik.“
Nun kommt zum DSA und DMA auch das Medienfreiheitsgesetz. Und als Zensurbehörde war die EU, in diesem Fall allerdings der Europäische Rat, zuvor schon tätig. Er verbot nach dem Februar 2022 und dem Einmarsch Russlands in die Ukraine die beiden staatlichen russischen Kanäle RT und Sputnik. Die Rechtsgrundlage war damals nicht vorhanden, der Hamburger Medienrechtler Wolfgang Schulz konstatierte: „Die europäischen Werte zu opfern, um sie zu schützen, ist selten eine gute Idee. Die Krise kann aber Anstoß für eine Sachdebatte über die Zukunft der europäischen Medienordnung sein.“
Neues Gremium als Aufsichtsbehörde
Die Union selbst preist auf einer Informationsseite zur Medienfreiheit in der Union das Gesetz. Es bedeute einen „weiteren Schritt zum Schutz der Medienfreiheit“. Es solle unabhängige öffentlich-rechtliche Medien mit stabiler Finanzierungsquelle sichern, dazu die Transparenz der Eigentumsverhältnisse, den Schutz der redaktionellen Unabhängigkeit und des Medienpluralismus. Zentral ist das neue „Europäische Gremium für Mediendienste“ (in den Dokumenten als „Gremium“ abgekürzt), das als „neuer Wächter für Medienfreiheit“ gepriesen wird.
Die zuständige Vizepräsidentin der EU, Věra Jourová, sagte bei der Vorstellung 2022 zur Zielrichtung des Gesetzes: „Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie auf unterschiedliche Weise Druck auf die Medien ausgeübt wird. Es ist höchste Zeit zu handeln. Wir müssen klare Grundsätze festlegen: Journalisten dürfen nicht wegen ihres Berufs ausspioniert werden. Öffentlich-rechtliche Medien dürfen nicht zu Sprachrohren der Propaganda gemacht werden.“ Das Gesetz zielt mehr oder weniger offensichtlich auf die Einflussnahme der Regierungen in Polen und Ungarn auf die dortigen Medien. Dabei teilten Pressevertreter in Mitgliedstaaten mit „wenig pressefreiheitsfreundlichen Regierungen“ die Kritik, schreibt der Geschäftsführer Europa- und Medienpolitik des MVFP Christoph Fiedler in einem Beitrag für die Zeitschrift „Die Krähe“. (1) Der Jurist verweist unter anderem auf den Chefredakteur der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita, der der EU-Kommission 2022 erklärte, man brauche politische Unterstützung, aber keine gesetzlichen Beschränkungen.
Das Gesetz aber kommt. Es baue „auf der überarbeiteten Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste auf und erweitert ihren Anwendungsbereich auf Radio und Presse“, so die EU. Das neue Gremium für Mediendienste ersetzt die europäischen Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste (ERGA), dem als deutsches Mitglied Thomas Schmid angehört. Er ist Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, die bislang für den privaten Rundfunk sowie seit 2020 auch für Online-Medien zuständig sind. Letztgenanntes hatte für einige Medien bereits Konsequenzen und wird von Juristen als verfassungswidrig bewertet. Über den Umweg Brüssel erweitern die deutschen Landesmedienanstalten mit dem Medienfreiheitsgesetz und dem Gremium nun quasi ihre Zuständigkeit auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und eben die Presse.
Christoph Fiedler vom MVFP stellt die behördliche Aufsicht über die Presse durch das neue Gremium in einen größeren Rahmen. Die Pressefreiheit sei, so Fiedler gegenüber Multipolar, „als Freiheit periodischer gedruckter Presse von polizeilicher und ordnungsbehördlicher Aufsicht mit dem Reichspressegesetz 1874 schon im Kaiserreich eingeführt, in der Weimarer Republik beibehalten, im Dritten Reich mit einer Vereinnahmung aller Redakteure und Verleger auf die Seite des totalen Staats beseitigt, von den Alliierten nur in Westdeutschland wieder eingeführt und durch das Grundgesetz bestätigt worden“. Mit der Wiedervereinigung erstrecke sie sich wieder auf ganz Deutschland. Nun werde sie im Sinne der Freiheit von behördlicher Aufsicht „im Zuge der Digitalisierung für die elektronische Presse allmählich geschwächt und beseitigt“.
Die EU-Kommission schreibt auf ihrer Infoseite zum Thema, dass das Gremium vollkommen unabhängig arbeiten werde – gleichwohl stellt die Kommission selbst das Sekretariat und hat weitere Zugriffsmöglichkeiten. Bezogen auf die erweiterte Zuständigkeit wird versichert:
„Wenn sich das Gremium mit Angelegenheiten befasst, die über den audiovisuellen Mediensektor hinausgehen, wird es sich mit Vertretern der betreffenden Mediensektoren beraten, die auf einzelstaatlicher oder Unionsebene tätig sind. Das gilt insbesondere für Fragen im Zusammenhang mit Presseveröffentlichungen und dem Hörfunk und kann beispielsweise Journalistenverbände und Medien- oder Presseräte betreffen.“
„Digitaler Freiheitskämpfer“ stimmt zu
Aber nicht nur die neue Regulierungsbehörde steht in der Kritik. Auch der Quellenschutz und der Schutz der Journalisten vor Überwachungssoftware sei unzureichend, sagte beispielsweise der deutsche Europaabgeordnete der Piratenpartei, Patrick Breyer, im Februar dieses Jahres in einem Interview:
„Der Einsatz von Spyware gegen Journalisten wird ja durch das Vorhaben offiziell reguliert und damit zugelassen, und ich finde es skandalös, dass hier kein Verbot erfolgt ist. Mitgliedstaaten können zum Schutz der nationalen Sicherheit ohne Einschränkungen und unbemerkt Handys von Journalisten hacken. Fairerweise muss man sagen, dass das auch das EU-Medienfreiheitsgesetz nicht ändern kann, weil die EU im Bereich der nationalen Sicherheit nicht eingreifen darf.“
Breyer kritisiert zudem, dass mit dem Medienfreiheitsgesetz legale Medieninhalte nicht vor der Zensur durch die großen Internetplattformen geschützt sind. „Big-Tech-Konzerne können dann tatsächlich aufgrund eigener, selbst festgelegter Regeln Inhalte der freien Presse entfernen oder behindern.“ Medienanbieter können sich laut Artikel 18 des Gesetzes zwar bei den Plattformen als solche registrieren. Dafür müssen sie aber bestimmte Voraussetzen wie beispielsweise die Unterwerfung unter eine Regulierungs- oder Selbstregulierungsstelle erfüllen. Dafür schlägt das Medienfreiheitsgesetz die „Journalism Trust Initiative“ der Reporter ohne Grenzen vor. Finanziert wird die Initiative von der Europäischen Kommission, dem Internetunternehmer Craig Newmark und bezeichnenderweise dem National Endowment for Democracy (NED), einer vom US-Kongress gegründeten, weltweit tätigen Stiftung zur „Förderung der Demokratie“. Wer als „Mediendienstleister“ registriert ist, der wird dann vom Plattformbetreiber über eine mögliche „Beschränkung der Sichtbarkeit“ informiert und kann Stellung nehmen. Gelöscht werden darf dennoch; Grundlage bleiben die Geschäftsbedingungen der Konzerne.
Patrick Breyer hat übrigens dem Gesetz zugestimmt. Dabei kritisiert er als dritten Punkt, dass die EU Desinformation im Internet zensieren will. Er, der selbst ernannte digitale Freiheitskämpfer, will aber kein „staatliches Wahrheitsministerium“ – zum Thema Desinformation gleich mehr. Zunächst zu Breyers Begründung für seine Zustimmung. Er sagte, dass Journalisten in Ländern wie Ungarn auf das Gesetz angewiesen seien. Bei aller Kritik bedeutet „dieses Medienfreiheitsgesetz einen zwar unzureichenden, aber doch deutlich stärkeren Schutz der freien Medien als tragende Säule unserer Demokratie“.
Dem dürften die deutschen Verleger widersprechen. Konkret findet Christoph Fiedler für den MVFP gegenüber Multipolar deutliche Worte beim Thema Plattformkontrolle:
„Unverändert verfehlt bleibt auch die europapolitische Ermächtigung der Torwächterplattformen zur Sperrung rechtmäßiger Artikel, die der Digital Services Act eingeführt hat und der Media Freedom Act bestätigt. Sie mag gut gemeint sein und hat bislang womöglich nur wenige sichtbare Folgen. Rechtlich läuft sie aber darauf hinaus, dass die Pressefreiheit, die alle gesetzmäßigen Inhalte schützt, im Plattforminternet bewusst negiert und den Digitalmonopolen ausgehändigt wird. Woher wissen die Unterstützer dieser amputierten Pressefreiheit so genau, dass sich diese Zensur nicht gegen sie selbst richten wird? Dass alle Monopole praktisch jedem Regime bei seiner jeweiligen Interpretation von Desinformation und Hassrede zur Hand gehen, ist kein Geheimnis. Die EU sollte ihren Irrtum schleunigst korrigieren und Torwächterplattformen Eingriffe gegenüber legalen Publikationen aus inhaltlichen Gründen untersagen.“
Bleibt im Umkehrschluss nur noch die Frage, was illegale Publikationen sind und wer dies bestimmt.
Kampf gegen Desinformation der EU
Nach Aussage des Weltwirtschaftsforums von Anfang dieses Jahres sind „Des- und Falschinformation“ derzeit das größte weltweite Risiko. Bei ihrer diesjährigen Rede in Davos hat Ursula von der Leyen dies aufgegriffen. Die EU kümmere sich genau darum, die EU habe schließlich jüngst den Digital Services Act verabschiedet. Und auch im Medienfreiheitsgesetz kommt Desinformation vor, besonders in der vorangestellten Begründung für das Gesetz.
Dort heißt es, dass das „Funktionieren des Binnenmarktes für Mediendienste durch Anbieter herausgefordert [wird], die systematisch Desinformation oder Informationsmanipulation und Einmischung im Informationsraum betreiben und die Freiheiten des Binnenmarkts für missbräuchliche Zwecke nutzen und so dem reibungslosen Funktionieren der Marktdynamik entgegenwirken, einschließlich denjenigen, die von bestimmten Drittländern kontrolliert werden.“ Neben der Desinformation kommt der Binnenmarkt zum Tragen – die EU muss sich eben darauf berufen, sonst wäre sie nicht zuständig – und die Einmischung von außen. Gemeint ist dabei vor allem Russland. US-amerikanische Anbieter dürfen selbstverständlich weiter ungehindert senden.
Im Medienfreiheitsgesetz wird Desinformation nicht selbst definiert, sondern nur mittelbar. Um die Definition zu finden, muss man über den „EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation“ aus dem Jahr 2018 (der 2022 noch einmal „verstärkt“ wurde) zu einer Mitteilung der Kommission an das EU-Parlament aus dem gleichen Jahr vordringen. Dort steht:
„,Desinformation‘ sind nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die mit dem Ziel des wirtschaftlichen Gewinns oder der vorsätzlichen Täuschung der Öffentlichkeit konzipiert, vorgelegt und verbreitet werden und öffentlichen Schaden anrichten können. Unter ,öffentlichem Schaden‘ sind Bedrohungen für die demokratischen politischen Prozesse und die politische Entscheidungsfindung sowie für öffentliche Güter wie den Schutz der Gesundheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger, der Umwelt und der Sicherheit zu verstehen. Irrtümer bei der Berichterstattung, Satire und Parodien oder eindeutig gekennzeichnete parteiliche Nachrichten oder Kommentare sind keine Desinformation.“
Wer feststellt, was „nachweislich falsch oder irreführend“ ist, was „öffentlichen Schaden“ anrichtet, wer also als Wahrheitsministerium fungiert, wird dort nicht weiter ausgeführt. Darauf, dass diese Definition mindestens fragwürdig ist (und die vorgeschobene Grundannahme, das Publikum falle fortwährend auf Fake News herein, falsch ist), hat erst kürzlich wieder der Kommunikationswissenschaftler Sebastian Köhler hingewiesen. Und wie schwammig der Begriff aus juristischer Sicht ist, das hat Anfang des Jahres der ehemalige Richter Manfred Kölsch in einem umfangreichen Artikel zum Digital Services Act beschrieben und dabei auch klar gemacht, „dass falsche und irreführende Informationen nicht einen Gesetzesverstoß beinhalten müssen“.
Zur Antwort auf die Frage, welche Inhalte die EU konkret mit Desinformation meint und wie sie damit umzugehen gedenkt, lohnt noch ein Blick in die Praxis – zum Beispiel auf das „Strategische Kommunikationsteam Ost“ („East StratCom Task Force“) der EU, das laut Hannes Hofbauer 2015 „erster Vorläufer einer De-facto-Zensurbehörde zur Durchsetzung des eigenen Narrativs“ war. (2) Es nimmt laut Berichten, aus denen Hofbauer zitiert, „anhaltende und ausgeprägte Desinformationsaktivität aus russischen Quellen“ wahr. Themenkreise sind dabei die „Infragestellung der demokratischen Legitimität der Union sowie Debatten über Migration und Souveränität“, was – jetzt folgt die Meinung von Hannes Hofbauer selbst – „die großen Brüsseler Schwachstellen“ seien. (3)
Die Datenbank der Task Force zu den Desinformationsfällen enthält mittlerweile knapp 16.800 Fälle, wobei es vor allem darum geht, „russische Narrative“ zu entkräften. Schaut man sich die knapp zweihundert Artikel auf Deutsch an, deren „Desinformation“ entkräftet werden soll, so sind diese in den vergangenen Wochen und Monaten fast ausschließlich bei RT DE erschienen. Beispielsweise ein Text vom 12. März, in dem Gert Ewen Ungar einen Gastbeitrag von Anton Hofreiter und Norbert Röttgen in der FAZ seziert. Vor allem geht es um Ungars Satz: „Es handelt sich um einen Stellvertreterkrieg und der Westen ist dabei, ihn zu verlieren.“ Die East StratCom Task Force hält dagegen, dies sei ein typisch russisches Narrativ. „Russland ist das einzige Land, das verantwortlich für den Konflikt in der Ukraine ist.“ Sehr viel inhaltsreicher wird es dann nicht und dass selbst der NATO-Generalsekretär seit einiger Zeit die Gründe für den Krieg differenzierter beschreibt, scheint die Kämpfer gegen die Desinformation nicht zu interessieren. Auch die weiteren Einträge heben dieses Niveau kaum.
Behördliche Aufsicht?
Wie nun wird die Kommission, wie das laut Gesetz unabhängige Gremium auf Presse und andere Medien wirken? Zunächst einmal indirekt durch die pure Existenz. Ansonsten sind unter anderem ein strukturierter Dialog geplant, den das Gremium mit Plattformbetreibern, Medien und Zivilgesellschaft jährlich veranstalten soll. Dabei soll es insbesondere auch um „die Einhaltung von Selbstregulierungsinitiativen zum Schutz der Nutzer vor schädlichen Inhalten, einschließlich Desinformation sowie der ausländischen Informationsmanipulation und Einmischung im Informationsraum“ gehen. Gemeinsam bestimmen also Medien, Plattformbetreiber und eine nicht näher definierte Zivilgesellschaft, was Desinformation ist? Oder klären sie nur ab, wie diese vorab von der EU, von Faktencheckern oder wem auch immer festgestellte Desinformation möglichst unterdrückt werden kann?
Das Gremium soll zudem koordinieren. Unter anderem „Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verbreitung von oder dem Zugang zu Inhalten von Mediendiensten von außerhalb der Union, die auf Zielgruppen in der Union ausgerichtet sind oder diese erreichen, wenn diese Mediendienste die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen oder die ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer solchen Beeinträchtigung darstellen“. Dem Journalisten Heiko Weckbrodt kommt das bekannt vor:
„All diese Formulierungen erinnern sehr an die allgemeinen Auffangtatbestände, mit der die SED seinerzeit – obwohl die DDR-Verfassung Artikel 27 auch die Meinungs- und Pressefreiheit pro forma verankerte – doch unter Verweis auf ,Ordnung‘, ,Sicherheit‘, ausländische Agententätigkeit et cetera dieselbe Presse- und Meinungsfreiheit in der Praxis aushöhlte.“
Neben der „Freiheit, Journalisten auszuhorchen“ – so der Titel eines Artikels der ZEIT über das Gesetz aus dem vergangenen Dezember – gestehen die neuen Kompetenzen Brüssel ganz grundsätzlich die Freiheit zu, Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen und Internet zu regulieren. Was an Pressefreiheit übrig bleibt, das existiert dann nur noch von Brüssels Gnaden.
Über den Autor: Helge Buttkereit, Jahrgang 1976, hat sein Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Journalistik mit einer Arbeit zu „Zensur und Öffentlichkeit in Leipzig 1806-1813“ abgeschlossen. Nach journalistischen Tätigkeiten bei verschiedenen Medien und Buchveröffentlichungen über die Neue Linke in Lateinamerika arbeitet er aktuell in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Anmerkungen
(1) Christoph Fiedler, Brüssel auf Abwegen, in: Die Krähe, Ausgabe 6, Januar 2024, S. 7
(2) Hannes Hofbauer, Zensur, 2022, S. 129
(3) Ebenda, S. 131
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