Ulla Klötzer | Bild: Jana Kerac

„In Finnland herrscht Amnesie“

Die finnische Friedensaktivistin Ulla Klötzer über den NATO-Beitritt Finnlands, den Krieg in der Ukraine, die Rolle der Medien und die aktuelle Forderung der finnischen Regierung, keine Visa mehr für russische Touristen auszustellen. Klötzer spricht von einem „kollektiven Zusammenbruch der geistigen Gesundheit“ in ihrer Heimat und erklärt: „Unser Ziel ist es, eine Kultur des Friedens aufzubauen.“

JANA KERAC, 16. August 2022, 5 Kommentare, PDF

Multipolar: Es gibt unterschiedliche Interpretationen dazu, was Russland wirklich vorhat. Im Juli eröffnete Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ihre Rede beim Hamburg-Vigoni Forum mit den Worten, Russlands Krieg gegen die Ukraine solle „eine Nation vernichten“. Was halten Sie von dieser Aussage?

Klötzer: Annalena Baerbock gehört zu jenen Grünen, die längst alle ihre Ideale und Versprechen aufgegeben haben, um an die Macht zu kommen. Das gilt auch für die finnischen Grünen. Ich bin den Grünen einst beigetreten, weil mir die Themen „Frieden“, „Atomkraft“ und „EU-Kritik“ wichtig waren – das ist inzwischen alles weg. Anfang der 1990er Jahre war ich sogar Vizevorsitzende der Grünen unter dem Vorsitz von Pekka Haavisto, der seit 2019 Außenminister in Finnland ist. Als ich ihn dieses Jahr im April traf, wurde mir klar, dass er eine NATO-Mitgliedschaft vorantreibt. Im Nachgang habe ich ihm per Mail mitgeteilt, dass ich die zehn Jahre, die ich bei den Grünen verbracht habe, zutiefst bereue und mich heute dafür schäme.

Multipolar: Sie sind offenbar auch nicht einverstanden mit der „grünen“ Interpretation des Kriegs in der Ukraine. Wie sehen Sie diesen Konflikt denn?

Klötzer: Dieser Krieg ist der wahnsinnige und satanische Plan der USA, die mit Hilfe der NATO versuchen, ihre seit Jahren aufgebaute, umfassende „full spectrum dominance“ auszubauen. Russland muss diesem Plan zufolge in die Knie gezwungen werden. Zuerst kam die Erweiterung der NATO von zwölf Gründungsmitgliedern 1949 auf heute 30 Mitglieder. Und zwar trotz prominenter westlicher Versprechungen nach dem Fall der Berliner Mauer, dass die NATO keinen Zoll nach Osten gehen würde. Ein weiteres, sehr wichtiges Puzzleteil war der Putsch auf dem Maidan in der Ukraine 2014, der von den USA mit Hilfe der NATO inszeniert wurde. Der Ukraine-Krieg jetzt dient dazu, weitere Puzzleteile zu ergänzen. Durch den Krieg wurden die NATO-Anträge Schwedens und Finnlands initiiert. Und Finnland kauft amerikanische F-35-Kampfflugzeuge.

Multipolar: Warum, denken Sie, hat Russland den Krieg begonnen?

Klötzer: Russland verteidigt die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine. Es gibt Hinweise darauf, dass die ukrainische Regierung diese Rechte seit 2014 missachtet. Russland hätte übrigens sehr wahrscheinlich mit viel Blutvergießen in Kiew einmarschieren können, hat es aber nicht getan. Zumindest noch nicht. Das kann man aber durchaus provozieren, wenn der Westen nicht zur Vernunft kommt.

Multipolar: Sie verwenden in Ihren Reden und Wortbeiträgen häufig den Ausdruck „satanischer Plan“. Was meinen Sie damit genau?

Klötzer: Satanisch ist der Plan hinter dem Krieg für mich deshalb, weil die Vereinbarungen von Minsk wegen der westlichen Länder nicht verwirklicht wurden. Der Kompromissvorschlag des französischen Präsidenten Macron wurde von den NATO-Staaten abgelehnt, die Zusagen der italienischen Regierung vom April, bei der Lösung des Konflikts behilflich zu sein, lösten sich ebenfalls in Luft auf. Auch die Situationsanalyse des Papstes wird nicht ernst genommen. Jamie Shea, ein hochrangiger NATO-Beamter von 1980 bis 2018, jetzt aktive graue Eminenz, ermutigte im März 2022 unter der Überschrift „Entwicklung der Strategie zur Abschreckung Russlands und zur Schwächung Putins“ die USA und die NATO dazu, Abkommen mit Russland zu brechen. Das betrifft etwa die Zusage an Moskau von 1997, keine nennenswerten Kampftruppen oder Atomwaffen zu stationieren oder militärische Infrastruktur auf dem Territorium seiner neuen Mitgliedsstaaten in Osteuropa aufzubauen. Übrigens: Von den USA aus gesehen liegt Finnland in Osteuropa.

Multipolar: Sie sehen also keine ernsthaften Versuche der USA, den Konflikt durch eine Einigung zu beenden?

Klötzer: Im Mai stellte die New York Times genau diese Frage, nämlich, ob die Vereinigten Staaten überhaupt versuchen würden, den Konflikt durch eine Einigung zu beenden, die eine souveräne Ukraine und irgendeine Form von amerikanisch-russischen Beziehungen ermöglichen würde. Oder sei es der Hauptzweck der Vereinigten Staaten, Russland dauerhaft zu schwächen? Anstatt eine Einigung herbeizuführen, wird die NATO nun global. Sie verstärkt die Beziehungen zu ihren asiatisch-pazifischen Partnern Australien, Japan, der Republik Korea und Neuseeland. Nun ist China als Feind an der Reihe. In den neuen Papieren vom NATO-Gipfel im Juni in Madrid wird China als wachsende Bedrohung erwähnt.

Multipolar: Sie waren ja Ende Juni in Madrid, um zu demonstrieren. Welche Bedeutung hatte der Gipfel nach Ihrer Ansicht?

Klötzer: Führende Politiker aus Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland nahmen am Madrider Gipfel teil. Das Paket beinhaltet unter anderem die AUKUS-Allianz zwischen den Vereinigten Staaten, Australien, dem Vereinigten Königreich und die versprochene militärische Unterstützung der Vereinigten Staaten für Taiwan. Die NATO hat auch Lateinamerika im Visier und hat eine Zusammenarbeit mit Kolumbien aufgenommen. In Afrika wird die US AFRICOM ein Büro aufbauen. Die NATO bildet Streitkräfte in Marokko aus und versorgt sie mit Waffen. Und nicht zu vergessen: In den östlichen Grenzgebieten der NATO werden die Streitkräfte mit hoher Einsatzbereitschaft von 40.000 auf über 300.000 Soldaten ausgeweitet.

Multipolar: Wie beurteilen Sie die Berichterstattung der finnischen Medien über den Ukraine-Krieg?

Klötzer: Die Berichterstattung über den Krieg ist auch bei uns in Finnland keine echte Berichterstattung. Die Presseberichte wiederholen nur, was die Regierungen den Mainstream-Medien vorgeben, was sie berichten sollen. Ich lese oder höre kaum mehr Mainstream-Medien. Gelegentlich werden Leserbriefe von mir im Hufvudstadsbladet veröffentlicht. Das ist die auflagenstärkste schwedischsprachige Tageszeitung Finnlands. Manchmal erscheint auch ein Leserbrief von mir im Kaleva, das ist eine finnische Zeitung, die in Oulu erscheint. Die Zeitungen schmücken sich damit, dass sie solche kritischen Ansichten zulassen. Die Redaktion von Hufvudstadsbladet hat allerdings offen angekündigt, dass sie die NATO-Mitgliedschaft unterstützt. Deshalb haben wir von den „Women for Peace“ begonnen, regelmäßig Links, die andere Ansichten vertreten, an Chefredakteure und anderen wichtige Journalisten sowie an Minister und Abgeordnete zu verschicken.

Multipolar: Könnten Sie ein Beispiel nennen?

Klötzer: Im März zum Beispiel erschien unter der Überschrift „Finnlands NATO-Verrücktheit“ eine Kolumne von Graham Wood in der Helsinki Times. Das ist die erste englischsprachige Online-Tageszeitung in Finnland. Graham Wood ist seit über dreißig Jahren Dozent an der Universität Helsinki. Er promovierte an der dortigen Fakultät für Sozialwissenschaften, wo er Konflikte und kollektive Gewalt erforscht. Er ist außerdem Fellow der Higher Education Academy im Vereinigten Königreich. In seiner Kolumne drückt er genau das aus, was ich fühle.

Multipolar: Was schreibt Graham Wood denn?

Klötzer: Er beginnt damit, dass er in den letzten 30 Jahren die Entwicklung Finnlands zu einem Land mit beispiellosem Wohlstand und Frieden miterlebt hat. Dabei erwähnt er, dass Finnland an der Spitze vieler globaler Rankings stand. Zum Beispiel im Bereich Bildung. Oder auch in Bezug auf das Gefühl, glücklich zu sein. Finnland erhielt ja viermal in Folge den Titel „Glücklichstes Land der Welt“. Laut Graham Wood herrscht jedoch inzwischen in Finnland diesbezüglich eine Amnesie. Die Menschen vergessen nach seinen Beobachtungen alles Erreichte und sie ignorieren die Gründe für die sogenannte finnische Erfolgsgeschichte. Graham Wood sieht, wie er das nennt, einen kollektiven Zusammenbruch der geistigen Gesundheit.

Multipolar: Was genau meint er damit?

Klötzer: Die Menschen in Finnland, schreibt er, scheinen vergessen zu habe, dass sich Finnland seit 1944, nachdem es sich aus dem Bündnis mit Nazideutschland gelöst hat und ein Waffenstillstand zwischen den Finnen und den Sowjets beschlossen worden war, sehr gut mit dem östlichen Nachbarn umgegangen ist. Und das, obwohl Stalin, Chruschtschow und Kossygin nach seinen Analysen einst eine viel größere Bedrohung dargestellt haben als jene, die man nun Putin zuschreibt.

Multipolar: Welche Haltung nimmt Graham Wood zur NATO-Mitgliedschaft ein?

Klötzer: Graham Wood warnt, dass sich die Finnen täuschen werden, wenn sie glauben, dass britische und amerikanische Soldaten kämen, um Finnlands Grenzen zu schützen. Der NATO beizutreten, bedeutet für ihn mit Blick auf Russland, den Weg der Konfrontation zu gehen.

Multipolar: Immerhin kann Graham Wood diese seine Ansicht in einem englischsprachigen Online-Magazin in Finnland veröffentlichen. Wäre dies denn in anderen finnisch- oder englischsprachigen Medien ebenfalls möglich?

Klötzer: Hier verweise ich auf eine Kolumne, die Anfang Mai in der Helsinki Times erschien. Graham Wood setzte sich darin mit den öffentlich-rechtlichen Medien in Finnland auseinander. Er verweist darauf, dass sie den gesetzlichen Auftrag haben, eine Vielfalt von Meinungen widerzuspiegeln und eine Informationsplattform bereitzustellen, die keine politische Agenda widerspiegelt. Nach seiner Wahrnehmung ist dies zum Beispiel bei der englischsprachigen Yle-Plattform nicht der Fall.

Multipolar: Yle ist der finnische öffentlich-rechtliche Rundfunk. Wie wird hier über den NATO-Beitritt berichtet?

Klötzer: Graham Wood hat analysiert, dass die Berichte der englischsprachigen Yle-Plattform seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine bis Ende April zu 60 Prozent eine pro-Nato- oder pro-militärische Ausrichtung hatten. Höchstens sieben Prozent der Berichte könnten als Anti-Nato- oder antimilitaristisch ausgelegt werden. Graham Wood bezieht sich konkret auf drei Artikel von Ende April über die kritischen Ansichten von Erkki Tuomioja, Anna Kontula und Hassan Kaafi Halane. Kurz zur Erkärung, wer diese drei Personen sind: Erkki Tuomioja ist Politikwissenschaftler und gehört der sozialdemokratischen Partei an. Er war von 2011 bis 2015 Außenminister von Finnland. Tuomioja wirft den Medien vor, sie seien in „Kriegspsychose“. Anna Kontula ist von der linken Gewerkschaft und spricht sich gegen eine NATO-Mitgliedschaft aus. Hassan Kaafi Halane ist ein in Finnland lebender Somalier, der Ende April Gäste einlud, mit ihm über die NATO-Mitgliedschaft Finnlands zu diskutieren. Werden solche Anti-Nato-Perspektiven präsentiert, so das Ergebnis von Woods Analysen, wird oft Kritik an der betreffenden Person geübt. So hieß es zum Beispiel, dass die Opposition der somalischen Community in Finnland gegen den NATO-Beitritt unter anderem damit erklärt werden könne, dass diese Community angeblich einem hohen Maß an Verschwörungstheorien ausgesetzt ist. Solche negativen Konnotationen konnte Wood in den Pro-NATO-Artikeln nicht nachweisen.

Multipolar: Es scheint so zu sein, als bedienten die finnischen Medien mit ihren Pro-NATO-Artikeln die Bedürfnisse einer Mehrheit von Finnen, die sich ja für den NATO-Beitritt ausgesprochen haben.

Klötzer: Nun, das mit den Umfrageergebnissen ist so eine Sache. Graham Wood zeigt auf, dass zum Beispiel Yle über Umfragen berichtet, die von Yle selbst gesponstert wurden. Angeblich zeigen die Umfragen eine Unterstützung der Bevölkerung für die NATO-Mitgliedschaft. Wood hegt allerdings Zweifel an der Objektivität der Umfragen und an der Berichterstattung. Er weist zudem darauf hin, dass Yle selbst berichtet hat, dass einer ihrer Journalisten hinter jener Bürgerinitiative im Parlament steht, die eine NATO-Mitgliedschaft fordert.

Multipolar: Welchen Einfluss haben denn die finnischen Medien? Ist man geneigt, dem zu glauben, was man in den Medien liest, hört und sieht? Oder sind die Finnen eher skeptisch?

Klötzer: An der Universität Helsinki gab es 2019 und 2020 ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Emotionen auf dem Spiel: Autorität der Medien und Vertrauen des Publikums“). Die Untersuchungen zeigten, dass die finnischen Medien einen recht großen Einfluss auf politische Entscheidungen und Meinungen hatten. Laut der University of Oxford und dem Reuters Institute vertrauen die Finnen den Medien mehr als jede andere Nation.

Multipolar: Lassen Sie uns noch über ein anderes Thema sprechen: Die Energiekrise. Wie denken Sie hierüber?

Klötzer: Die durch die Sanktionen verursachten Energiekrisen zeigen deutlich, dass Westeuropa sich selbst ins eigene Knie schießt. Die Preise verdreifachen sich, Rentner werden ihre Häuser nicht mehr heizen können, Unternehmen geraten in Schwierigkeiten. Lord Ismay, der erste Generalsekretär der NATO, sagte ja einst: „Der Zweck der NATO ist es, die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten“. Die Energiekrise wird vor allem die deutsche Industrie treffen, also sieht man, dass die NATO die Deutschen tatsächlich unten hält. Im Übrigen werden nicht nur die Energiepreise steigen – sondern alle Preise. Dies könnte zu Problemen für die Regierungen führen: Der European Council on Foreign Relations, eine europaweite Denkfabrik mit Sitz in Berlin, führte Mitte Juni eine Meinungsumfrage in zehn Ländern durch. Der Think-Tank warnte daraufhin vor einer lang anhaltenden Polarisierung in der EU durch den Ukraine-Krieg.

Multipolar: In Opposition zu den westlichen Industriestaaten entstehen derzeit in Eurasien, Afrika und in Teilen Südamerikas neue Machtkonstellationen. Man gewinnt den Eindruck, dass ein großer Teil der deutschen Bevölkerung dies nicht weiß und vielmehr denkt, Russland wäre wirtschaftlich und politisch weitgehend isoliert. Weiß die finnische Bevölkerung zum Beispiel von der Gründung von BRICS+?

Klötzer: Die finnische Bevölkerung hat keine Ahnung! Sie ist in den Händen der Mainstream-Medien, die Russland, China und den Rest der Welt außerhalb der NATO und den USA nach US-Wünschen malen.

Multipolar: Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf ihre Teilnahme am Protest in Madrid zurückkommen. Schildern Sie doch bitte ein paar Ihrer Eindrücke von der Protestbewegung.

Klötzer: In Madrid beim NATO-Friedensgipfel und der Anti-NATO-Demonstration waren Menschen aus der ganzen Welt. Die Diskussionen über Alternativen habe ich als sehr vielfältig erlebt. Immer wieder wurde geäußert, dass es wichtig sei, Konzepte für eine „Gemeinsame Sicherheit“ zu unterstützen. Bei der gut besuchten Veranstaltung zu diesem Thema wurde der neue, im April veröffentlichte Olof Palme-Bericht begrüßt. Der wurde vom International Peace Bureau, dem Weltgewerkschaftsbund und dem Olof Palme International Center erstellt und enthält Forderungen nach einer Reduktion der Atomwaffen, einer Reduktion der Gelder fürs Militär sowie nach mehr Mitteln für eine nachhaltige Entwicklung in der Welt. Nach meiner Ansicht bietet der Bericht eine hervorragende Grundlage für die Entwicklung einer neuen Sicherheitsarchitektur.

Multipolar: Sie waren mit der Organisation „Women for Peace“ vor Ort. Stellen Sie diesen Zusammenschluss doch bitte kurz vor.

Klötzer: Unser Ziel ist es, eine Kultur des Friedens, der globalen Gerechtigkeit und der nachhaltigen Entwicklung aufzubauen. Wir haben uns der Friedenserziehung verschrieben und kämpfen für eine Welt, die frei ist von physischer und struktureller Gewalt, sowie frei von Atomwaffen und Atomkraft - die siamesische Zwillinge sind. Wir setzen uns ein für Frieden zwischen den Völkern und mit der Natur.

Multipolar: Wie verwirklichen Sie diese Ziele derzeit, abgesehen von Ihrer Teilnahme an den Protesten in Madrid, konkret?

Klötzer: Unsere Organisation schrieb zum Beispiel im Februar verschiedene Redakteure finnischer Tageszeitungen an. Wir schrieben, dass „Women for Peace“ Russlands Angriff auf die Ukraine verurteilt und die Kriegshandlungen sofort eingestellt werden müssen. Moskau müsse das Recht der Ukraine auf Unabhängigkeit als souveräner Staat bedingungslos anerkennen. Wir wiesen darauf hin, dass das Minsker Abkommen nach wie vor entscheidend für die Lösung des Konflikts ist, weil es einfach keine militärische Lösung geben wird.

Multipolar: Werden Sie wegen solcher Haltungen in Finnland angefeindet?

Klötzer: Natürlich! Mitte Juli zum Beispiel veröffentlichte das Hufvudstadsbladet die Antworten dreier Männer auf meinen letzten Leserbrief. Alle drei attackierten mich wegen meiner Aussagen zur NATO-Mitgliedschaft.

Multipolar: Was stand denn in dem Leserbrief?

Klötzer: Ich habe geschrieben, dass ich Russlands Krieg nicht verteidige, aber eine gründliche Ursachenanalyse fordere. Ich selbst verfolge die russischen Medien nicht, habe aber viele gute Freunde in Russland und auch in den USA, die gegen den Krieg sind und zum Dialog aufrufen. Ich ging darauf ein, das Russland zwar mit Atomwaffen droht, dass aber die Vereinigten Staaten das einzige Land der Welt sind, das bisher Atomwaffen tatsächlich eingesetzt hat. Seit 1950 drohten die USA außerdem viermal damit, dies erneut zu tun. Im Konzept der NATO sind Atomwaffen unerlässlich.

Multipolar: Neben der Ursachenforschung in Bezug auf den Ukraine-Krieg scheint Ihnen ein grundsätzliche Analyse dessen, was seit der Jahrtausendwende passiert ist, wichtig zu sein.

Klötzer: Ja, das stimmt. Ich betone, wie gesagt, immer wieder: Russlands Gräueltaten sind inakzeptabel. Aber allein seit 2001 haben die USA und ihre Verbündeten 337.000 Bomben und Raketen, das sind 46 pro Tag, in neun Länder eingesetzt. Bei der von den USA geführten Kampagne gegen den IS im Irak und in Syrien wurden 120.000 Bomben und Raketen eingesetzt. Im irakischen Mosul wurden 138.000 Häuser zerstört und 40.000 Zivilisten getötet. Unter anderem hat das Internationale Rote Kreuz systematischen Missbrauch und Folter im Irak und in Afghanistan dokumentiert. Seit 2011 haben US-geführte Kriege 37 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Acht der gewalttätigsten „Anti-Terror“-Kriege in Afghanistan, Irak, Libyen, Pakistan, den Philippinen, Somalia, Syrien und Jemen führten zu 29 Millionen Flüchtlingen innerhalb dieser Länder.

Multipolar: Wir hatten ja vorhin über die finnischen Medien gesprochen. Wie ist es denn um die Medienfreiheit in Russland und den USA bestellt? Sie sagten ja, Sie haben Kontakte in beide Länder.

Klötzer: Auch Russland bestraft Menschen, die die Wahrheit sagen. Aber im Westen sind Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden, die die Kriegsverbrechen der US-Allianz in Afghanistan und im Irak aufgedeckt haben, erschreckende Beispiele dafür, wie wenig man dem westlichen Justizsystem mit Blick auf die Medienfreiheit vertrauen kann. Russland behandelt Journalisten schlecht. Aber das tut auch das NATO-Land Türkei, das über die Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens entscheidet. 95 Prozent der Medien werden dort von der Regierung kontrolliert. Als Reaktion auf die türkischen Forderungen unsere NATO-Mitgliedschaft betreffend wurde im Mai in Schweden ein Aufruf veröffentlicht, der unter anderem von der schwedischen Journalistenvereinigung, von „Reporter ohne Grenzen“, dem schwedischen PEN, dem Publizisten-Club und Kulturredakteuren von vier Tageszeitungen unterzeichnet wurde. Er verlangt, dass Schweden der Forderung nicht nachkommen soll, eine Reihe schwedischer Journalisten, Schriftsteller und Verleger mit türkischen Wurzeln auszuweisen.

Multipolar: Was halten Sie von der finnischen Forderung, keine Visa mehr für russische Touristen auszustellen?

Klötzer: Das ist absolut unverzeihlich! In Finnland leben mindestens 80.000 russische Muttersprachler. Manche sind hier geboren, manche leben schon lange hier und manche sind gerade erst hierher gezogen. Eine Freundin von mir, eine talentierte Pianistin, erzählte mir im Frühjahr, dass ein Konzert, das sie und eine japanische Opernsängerin fast ein Jahr lang geprobt hatten, abgesagt wurde, weil sie Russin war. Sie erzählte auch, dass einige ihrer in Finnland lebenden Freunde Angst hätten, öffentlich Russisch zu sprechen. Ich schäme mich zutiefst, dass dies in meiner Heimat mit einer „Frauenregierung“ aus Sozialdemokraten, Linken und Grünen passiert, vor allem mit einer sozialdemokratischen Ministerpräsidentin und einem grünen Außenminister, der immer betont hat, dass er viele Freunde in Russland hat und offen für NGO-Kooperationen ist. Die Grenze sollte nicht für normale Bürger geschlossen werden. Es trägt nur zur weiteren Stärkung des Eisernen Vorhangs und zur Isolierung des russischen Volkes bei, dabei wollen sicherlich auch hier die meisten ein Ende des Krieges. Die Schließung der Grenzen schafft falsche Feindbilder und Hass.

Über die Interviewpartnerin: Ulla Klötzer, Jahrgang 1948, ist Waldorflehrerin im Ruhestand. Sie ist seit 45 Jahren mit einem Deutschen verheiratet. Ihr Engagement für Frieden und Umwelt führte sie zu vielen Konferenzen und Demonstrationen weltweit.

Über die Interviewerin: Jana Kerac ist ein Pseudonym. Die Autorin ist seit 30 Jahren publizistisch tätig. Sie lebt und arbeitet zum Teil in Deutschland und zum Teil in Finnland.

RALLE, 16. August 2022, 16:30 UHR

Sie hat Recht. Schweden und Finnland sind über 70 Jahre sehr gut ohne NATO ausgekommen. Bis 1989 war die NATO der Garant für Frieden und Freiheit in Westeuropa. Das hat sich seitdem grundlegend geändert. Heute versucht die NATO ein Garant für die US-Hegemoniebestrebungen zu sein. Die einzelnen NATO-Staaten (ganz besonders Deutschland) opfern ihre ureigensten Interessen und die Zukunft vieler Bürger, um den USA zu dienen. Die USA zündeln in Europa und untergraben die friedliche Zusammenarbeit mit allen Mitteln. Das fing mit der Osterweiterung an und ist bei der Ukraine angelangt (aber noch nicht beendet, da ja auch eine Erweiterung Richtung Australien geplant ist).

Wir sind gerade im Ukrainekonflikt schon mehrfach dicht am 3. Weltkrieg vorbeigeschrammt. Unseren Politdarstellern fehlt offensichtlich das Hintergrundwissen dazu. Die können sich wohl nicht vorstellen, was ein Krieg hier für uns bedeutet. Man vernimmt nur großkotzige Kraftmeierei ohne Sachverstand. Es bleibt zu hoffen, dass das ukrainische Volk aufsteht, Selensky aus dem Amt und die USA aus dem Land jagt. Passiert das nicht, kann ein möglichst schneller russischer Sieg die USA ausbremsen. Je schneller dieser Sieg erreicht ist, desto weniger Porzellan können Baerbock und Co zerschlagen und desto weniger Soldaten (ukrainische und russische) müssen sterben.

SIGRID PETERSEN, 25. August 2022, 19:40 UHR

„Die finnische Bevölkerung hat keine Ahnung! Sie ist in den Händen der Mainstream-Medien, die Russland, China und den Rest der Welt außerhalb der NATO und den USA nach US-Wünschen malen.“ Zu diesem Teil der finnischen Bevölkerung zählt Frau Klötzer sich wohl nicht. Sollte sie aber m.M.n. Denn mit Aussagen wie:

„… , dass Russland zwar mit Atomwaffen droht, …“ Wo und wann?
„..: Russlands Gräueltaten sind inakzeptabel.“ Woher stammt die Information über „Russlands Gräueltaten?
„Auch Russland bestraft Menschen, die die Wahrheit sagen.“ Woher diese
Information?

So viele Behauptungen, die definitiv erst einmal ein Propagandaprodukt der westlichen MSM sind. Ich wäre mit solchen Aussagen einmal ganz vorsichtig. Ich kann ihr empfehlen, sich einmal mit der journalistischen Tätigkeit z.B. von Thomas Röper (Anti-Spiegel) zu befassen. Und hier insbesondere das gestern auf Deutsch veröffentlichte Interview mit der pro-westlichen (russischen) Aktivistin Maria. Hier kommt man u.a. aus dem Staunen über pro-westliche Medien in Russland nicht raus oder man muss sich doch wundern, dass diese Frau so lange auf freiem Fuß war.

Mir scheint es so, dass Frau Klötzer sich des Widerspruchs in ihren Aussagen nicht bewusst ist. Einerseits am Beginn des Interviews exakt zu benennen, dass die Presseberichte wiedergegebene Sprechblasen sind, den „satanischen Plan“ erkannt zu haben, Lord Ismay zu zitieren und dann selbst mit den Narrativen der MSM zu "argumentieren".

Dass Frau Klötzer sich so enttäuscht von der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin zeigt!? Weiß sie nicht, dass Sanna Marin dem erlesenen Club der Young Global Leader angehört?

Dass Atomwaffen und Atomkraft siamesische Zwillinge seien … , ich weiß, es geht für Grüne und Ex-Grüne nicht, aber es ist schon sinnvoll, sich einmal Gedanken darüber zu machen, ob nicht genau das der Weg (gewesen) wäre, Frieden, globale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung auch für die armen Länder dieser Welt zu erreichen. Denn günstige und verlässliche Energie ist der Grundbaustein jedes Wohlstandes. (Gab auch mal sowas wie die Idee: Frieden durch Entwicklung und damit war diese
Technologie gemeint. Ist ja dann auch gut verhindert worden. Warum wohl? In wessen Interesse wohl?)

RALF ARNOLD, 11. September 2022, 06:50 UHR

Sehr interessantes Interview! Auch wenn Sigrid Petersen mit ihren Einwürfen Recht hat: Frau Klötzer hat auch einige MS-Narrative übernommen. Davon abgesehen kann man nur Respekt vor ihrem mutigen Engagement haben. Mich würde nur interessieren, ob sie tatsächlich "satanisch" gesagt hat. Vermutlich wurde das Interview in Englisch geführt. Hat sie "satanic" oder "evil" gesagt, also "satanisch" oder "teuflisch". Leider ist der Begriff "satanisch" komplett verrufen und sorgt für sofortige Ablehnung. Ob das Frau Klötzer bewusst ist?

JANA KERAC, 13. September 2022, 15:35 UHR

Das Interview mit Ulla Klötzer wurde tatsächlich auf Englisch geführt, wobei Frau Klötzer meine Übersetzung ins Deutsche zum Autorisieren erhielt. Frau Klötzer versteht Deutsch, außerdem ist ihr Mann ein gebürtiger Deutscher. Weil ich selbst den Begriff „satanisch“ im ersten Moment irritierend fand, hakte ich im weiteren Verlauf ausdrücklich mit dieser Frage nach: „Sie verwenden in Ihren Reden und Wortbeiträgen häufig den Ausdruck 'satanischer Plan'. Was meinen Sie damit genau?“

RALF ARNOLD, 14. September 2022, 07:05 UHR

Stimmt, Sie fragten danach. Aber die Antwort klang so, als würde sie das meinen, was wir teuflisch, also "evil" nennen. Ich hätte es jedoch ebenso übersetzt, wie Sie es getan haben, weil es nun mal so gesagt wurde. Höchstens hätte man Frau Klötzer nachher darauf aufmerksam machen können, dass der Begriff "satanic" äußerst heikel ist.

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