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Ewiges Gift

Die moderne Zivilisation hat eine enorme Menge an Waren hervorgebracht. Mit der Industrie wächst auch die Menge an Abfällen und Abwässern. Unzählige Chemikalien sind in die Umwelt gelangt, manche davon so stabil, dass sie auf natürlichem Weg nicht abgebaut werden. Diese „ewigen Chemikalien“ stellen eine Gefahr für die Gesundheit dar, die jeden betrifft.

FELIX FEISTEL, 20. März 2023, 3 Kommentare, PDF

Die chemische Industrie hat Auswirkungen in allen Bereichen des modernen Lebens. Seit ihrer Entstehung ist sie überaus produktiv. Medizin, Farben und Lösungsmittel, Düngemittel, Pestizide, aber auch Kampfstoffe hat sie im Laufe der letzten Jahrhunderte hervorgebracht. Etwa 350.000 verschiedene zugelassene Chemikalien gibt es derzeit. Seit dem Jahr 1950 hat sich die Anzahl verfünfzigfacht, bis 2050 wird sie sich schätzungsweise noch einmal verdreifachen.

All diese Stoffe bilden die Grundlage der modernen Zivilisation. Sie kommen in der Nahrungsmittelproduktion zum Einsatz, finden sich in Kosmetik, in der Medizin, in Haushaltsgeräten, Baustoffen und Elektronik. Aus kaum einem Bereich der Gesellschaft sind sie heutzutage mehr wegzudenken. Viele gelangen aus der Produktion oder dem Verbrauch über das Abwasser und die Flüsse in die Umwelt, werden auf Feldern ausgetragen oder in Form von Abfällen entsorgt. Damit ist die Chemieindustrie ein zentraler, aber oft verkannter Teil des globalen Umweltwandels.

Nicht alle diese Stoffe stellen ein Problem dar. Einige sind harmlos und verflüchtigen sich schnell. Andere sind langlebig und zerfallen im Laufe von Monaten oder Jahren, darunter auch giftige Stoffe wie das DDT, das in den 50er und 60er Jahren noch als Pestizid eingesetzt wurde, und das wohl am ehesten Bekanntheit durch den Öko-Bestseller „Der stumme Frühling“ der Biologin Rachel Carson erlangte. Diese Stoffe finden unter Umständen über das Wasser oder die Nahrung ihren Weg zurück zum Menschen. Deren Belastung mit Chemikalien ist laut Umweltbundesamt in der Europäischen Union teilweise bedenklich hoch. Bei einer Untersuchung von Kindern im Rahmen der europäischen Human-Biomonitoring-Initiative (HBM4EU) Anfang 2022 wurden in allen Proben Weichmacher nachgewiesen. Auch Mischungen aus verschiedenen Industriechemikalien fanden sich in den Blutproben wieder.

Und dann gibt es Stoffe, die auch „ewige Chemikalien“ genannt werden. Sie sind äußerst stabil, zersetzen sich nicht durch natürliche Bedingungen wie den Abbau auf organischem Wege oder die Einstrahlung von Sonnenlicht und sind damit extrem langlebig. Einige von ihnen bauen sich auf natürlichem Wege überhaupt nicht ab. Eine dieser Stoffklassen sind die per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen, kurz PFAS. Sie gehören zu den persistentesten Chemikalien, die wir heute kennen und wurden ebenfalls im Blut der Kinder in teilweise bedenklichen Konzentrationen von 0,4 bis 2,4 Mikrogramm pro Liter Blutplasma gefunden. Das ist jedoch kein rein europäisches Problem. Schon US-amerikanische Daten aus den Jahren 2003 und 2004 belegen, dass die Stoffe in beinahe jedem Amerikaner nachweisbar sind, auch in Muttermilch wurden sie nachgewiesen.

Sie sind überall

Diese Stoffe, von denen über 9.000 Einzelsubstanzen bekannt sind, kommen seit mehr als 70 Jahren an verschiedenen Stellen der Industrie zum Einsatz. Sie werden gebraucht, um Produkte feuerfest, wasserabweisend, fettabweisend oder gleitfähig zu machen. So finden sie unter anderem Verwendung in Teflonpfannen, Skiern, Löschschaum und Schmiermitteln. Sie kommen zudem beim Fracking zum Einsatz, und finden sich in den dabei entstehenden Abwässern und Abfällen, die oftmals unsachgemäß entsorgt werden. Auch in den lange Zeit allgegenwärtigen Masken sind sie zu finden, ebenso wie in Tampons der Beschichtung von Fast-food- oder Tierfutter-Verpackungen oder Kosmetik. Sogar in Produkten die für Babys bestimmt sind, wie Krippen, Textilwaren und Spielzeuge, wurden sie ebenso gefunden, wie in Schuluniformen. Selbst, wenn Produkte als „grün“ oder „ökologisch“ gekennzeichnet sind, bietet das keine Sicherheit.

Sehen kann man die Stoffe nicht, schmecken auch nicht. Sie finden sich mittlerweile fast überall in der Natur. Freigesetzt werden sie sowohl bei der Produktion, als auch der späteren Entsorgung. Eine im Jahr 2022 im Fachmagazin „Environmental Science and Technology“ publizierte Studie, die von Wissenschaftlern aus Stockholm und der ETH Zürich über 11 Jahre hinweg durchgeführt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass sogar in abgelegenen Regionen wie der Antarktis oder dem tibetanischen Hochland Rückstände der Stoffe im Regenwasser gefunden wurden. Die Schlussfolgerung: Die Stoffe sind in den hydrologischen Kreislauf gelangt und verbreiten sich über Flüsse, Meere und den Regen in alle Regionen der Welt. Bisher ging man davon aus, dass die Stoffe über die Flüsse in die Meere gelangen, wo sie sich dann verdünnen. Dass sie ins Regenwasser gelangen, war daher überraschend. Verschwinden werden sie daraus in absehbarer Zeit nicht, da die Stoffe sehr beständig sind. Stattdessen reichern sie sich immer weiter an. Die Autoren der Studie haben sich dabei lediglich auf 4 der über 9.000 Stoffe aus der Gruppe der PFAS konzentriert, da ihr Nachweis sehr aufwändig ist.

Schon jetzt sind in vielen Ländern die Richtwerte für Regenwasser überschritten. In den USA zum Beispiel liegen diese, je nach Stoff, bei 4 bis 20 Pikogramm (Billionstel eines Gramms) pro Liter für den lebenslangen Konsum von Trinkwasser. Dies sei der Wert, bei dem das Risiko für den lebenslangen Konsum des Wassers, Krankheiten wie Krebs zu bekommen, sehr gering sei. Dieser Wert ist erst 2022 festgelegt worden, nachdem er zuvor bei 70 Nanogramm pro Liter lag. Dieser Grenzwert wird aber sogar in weit abgelegenen Regionen wie dem Tibetischen Hochland mit einem Wert von 55 Pikogramm überschritten. In der Nähe von Produktionsstätten von PFAS, in Städten, aber auch in ländlichen Gebieten industrieller Länder liegt er noch deutlich höher. In einer weitreichenden Untersuchung US-amerikanischer Gewässer wurden Konzentrationen gefunden, welche die von Wissenschaftlern für unbedenklich erklärten Werte um das tausend- bis hunderttausendfache überschritten.

In Europa sind die amtlichen Richtwerte oft höher, als in den USA. So gilt in den Niederlanden ein Wert von 0,65 Nanogramm pro Liter. Doch im Grund- und Regenwasser werden oft Konzentrationen nachgewiesen, die selbst diesen Wert überschreiten. Im Boden werden im Median je nach Land zwischen 0,12 und 0,47 Mikrogramm pro Kilogramm nachgewiesen. Dabei erreicht die Konzentration selbst in schwedischen Wäldern noch einen Wert von 0,38 bis 0,39 Mikrogramm, und damit ein Vielfaches der Grenzwerte, unter deren Schwelle die US-amerikanische EPA keine gesundheitlichen Bedenken sieht.

Auch in Deutschland kommt es zu schweren Belastungen von Böden und des Trinkwassers, sodass es in Einzelfällen in manchen Gemeinden zumindest vorübergehend überhaupt nicht mehr trinkbar ist. Es ist zwar möglich, Trinkwasser im gewissen Maße zu filtern, doch wie effektiv das in der Praxis ist, kann nur schwer ermittelt werden.

Hierzulande hat das Umweltbundesamt Richtwerte herausgegeben, bei deren „Überschreitung eine als relevant anzusehende gesundheitliche Beeinträchtigung möglich ist“ , die sogenannten HBM-II-Werte. Diese liegen in Deutschland für Frauen im gebärfähigen Alter je nach Stoff bei 5 bis 10 Nanogramm pro Liter Blutplasma, für die übrige Bevölkerung bei 10 bis 20 Nanogramm. Richtwerte für Nahrung oder Trinkwasser berücksichtigen jedoch in der Regel nur die Einzelbelastung, also die Belastung eines Produktes mit dem Stoff. In der Realität kommen jedoch verschiedene, belastete Produkte wie Trinkwasser und verschiedene Nahrungs- und Haushaltsmittel zusammen, sodass die Exposition schnell den Wert der Einzelbelastung überschreitet. Das ist der sogenannte Cocktaileffekt. So sind die in dem Blut der Kinder gefundenen Werte weit jenseits der als unbedenklich geltenden Grenzen. Gesetzlich vorgeschriebene Grenzwerte gibt es in der EU bislang nicht.

Eine in der Zeitschrift „Environmental Science & Technology Letters“ veröffentlichte Studie fand an mehr als 50.000 Standorten in den USA eine besorgniserregende Belastung mit PFAS. Dabei betonen die Autoren noch, dass sie sich auf unvollständige Daten stützen müssen, also viele Messergebnisse fehlen. In Deutschland gelten als Hotspots vor allem solche Orte, an denen Löschschaum zum Einsatz kommt. Dazu zählen Flugplätze – etwa in Düsseldorf – und Übungsplätze für den Umgang mit Löschschaum. Auch illegal entsorgte Abfälle aus der Papierindustrie in Raststatt und im Hochsauerlandkreis, sowie Orte, an denen Großbrände gelöscht wurden, weisen eine erhöhte Belastung auf. Hinzu kommen Produktionsstandorte in Mittelbaden und dem Landkreis Altötting.

Gesundheitsgefahr

Da die Stoffe sich nicht auf natürlichem Wege zersetzen, reichern sie sich im Wasser, dem Boden, Pflanzen und Tieren an. Einem Bericht des skandinavischen überstaatlichen Nordischen Ministerrates zufolge werden sie für Jahrhunderte in der Umwelt verbleiben. Über die Nahrungsmittel und Produkte gelangen sie auch in den Menschen. So wurden sie sowohl in tierischen, als auch in pflanzlichen Nahrungsmitteln nachgewiesen. Aus der Nahrung werden die Stoffe im Magen-Darm-Trakt beinahe vollständig resorbiert und gelangen auf diese Weise ins Blut, über das sie sich hauptsächlich in den inneren Organen wie Nieren, Leber und Lunge verteilen.

Hier wirken sie als endokrine Disruptoren, was bedeutet, dass sie den Hormonhaushalt stören und dadurch Veränderungen im Körper, in den Organen bis hin zum Gehirn bewirken, was zum Tod führen kann. PFAS werden mit Leber- und Nierenschäden bis hin zu Krebs in Verbindung gebracht, ebenso wie mit Übergewicht. Auch auf die Fortpflanzungsorgane wirken sie sich negativ aus. Sie verzögern die Entwicklung von Kindern, spielen eine Rolle bei Asthma und beeinflussen das Immunsystem. Verstoffwechselt werden PFAS im menschlichen Körper kaum. Bei einigen der Einzelstoffe ist ein Abbau zu Perfluoralkylsäuren (PFAA) möglich, die eine „Endstufe“ im Abbau darstellen. Der Körper scheidet insbesondere die langkettigen PFAS nur sehr langsam aus, sodass sie im Organismus eine Halbwertszeit von mehreren Jahren haben.

Zusätzlich zu der Nahrung finden sie sich auch in der Luft und im Hausstaub, sowie in verschiedenen Produkten wie Verpackungsmaterial für Nahrung einschließlich Pizzakartons, und Teflonpfannen wieder, sodass auch hier die Gefahr einer Aufnahme durch Beschädigungen der Beschichtung besteht, auch wenn die Industrie versichert, dass ein solches Herauslösen der Stoffe nicht stattfindet. Die Exposition beginnt dabei schon sehr früh. Denn PFAS sind plazentagängig und finden sich auch in der Muttermilch, selbst bei den eher abgelegen lebenden Inuit in Grönland. Menschen in Industrieländern sind in der Regel mehreren Varianten dieser Stoffe gleichzeitig ausgesetzt. Bei US-Amerikanern gehen die Arten von PFAS, die sich in ihren Körpern wiederfinden in die Tausende.

Die Gefährlichkeit der Stoffe gelangte erstmals in den frühen 2000ern an die Öffentlichkeit. Zu verdanken ist das dem US-amerikanische Anwalt Robert Bilott. Im Jahr 1999 erhielt er einen Anruf aus Parkersburg, West Virginia. Am anderen Ende der Leitung war der Viehbauer Wilbur Tennant. Dieser erklärte, ihm sterbe reihenweise das Vieh weg. Als sich Billot der Sache annahm wurde er schnell mit Bildmaterial von verendetem Vieh und Wild mit Schaum vor dem Mund und aus der Nase laufendem Blut, missgestalteten Hufen, toten Kälbern und abnormal verfärbten Eingeweiden konfrontiert. Nach einer längeren, juristischen Auseinandersetzung wurde klar: Ursache war der Dry Run Creek, ein kleiner Bach, der über das Farmgelände verläuft. Dieser floss auch durch ein von dem Chemiekonzern DuPont gekauftes, und als Mülldeponie benutztes Stück Land. Hier wurde unter anderem Perfluoroctansäure (PFOA), ein Stoff aus der Klasse der PFAS, gefunden, der von DuPont hergestellt wurde und unter Anderem in Teflonpfannen zum Einsatz kommt. Erfunden im Jahr 1947 von 3M und dann verkauft an DuPont war beiden Konzernen schnell klar, dass es sich um einen giftigen Stoff handelt. 3M gab DuPont daher auch den Hinweis, dass der Stoff als Sondermüll speziell entsorgt werden muss. Dennoch leitete der Konzern hunderttausende Liter in den Ohio River und deponierte 7.100 Kilogramm giftige Schlämme in Deponien, von denen aus es direkt ins Grundwasser gelangen konnte, das 100.000 Menschen mit Trinkwasser versorgte.

Vertuschung

Robert Bilott machte den Fall öffentlich und wandte sich an alle staatlichen Behörden. Daraufhin kam ein sehr langsamer Prozess in Gang, der schließlich eine Regulierung der Stoffe mit sich brachte. DuPont konnte so lange ungehindert giftige Stoffe entsorgen, weil die US-amerikanische Umweltbehörde EPA nur Stoffe reguliert, bei denen es Hinweise auf eine Gefährlichkeit gibt. Bis heute sind von 60.000 synthetischen Chemikalien, die industrielle Verwendung finden, nur 5 reguliert. Was die PFAS angeht, so führt die EPA für die allermeisten der Verbindungen kein adäquates Monitoring durch. Sie überwacht die Stoffe, ihre Verbreitung und ihre gesundheitlichen Auswirkungen nicht, weshalb in der Behörde auch kein Anlass zur Regulierung gesehen wird.

Dabei wissen die Hersteller 3M und DuPont schon seit Jahrzehnten von den mit den PFAS einhergehenden Gesundheitsgefahren. Im Jahr 1950 haben interne Studien der Firmen ergeben, dass sich die Verbindungen im Blut anreichern. Doch erst 1998 hat 3M die US-amerikanische Umweltschutzbehörde darüber informiert. Dabei ist den Herstellern schon seit spätestens 1961 bekannt, dass die Stoffe giftig sind und schwerwiegende Organveränderungen verursachen. 1973 wurden dann Leberschäden als Folge von Kontakt mit PFAS festgestellt. 3M hat schließlich 1978 resümiert, dass PFAS als giftig eingestuft werden sollten, blieb aber weiterhin untätig.

Seit den 1980er Jahren wurde zudem bei den neugeborenen Kindern von Fabrikmitarbeiterinnen, die in den Herstellungsprozess von PFAS eingebunden waren, Gesichtsmissbildungen festgestellt. Daraufhin wurden die Mitarbeiterinnen von der Herstellung abgezogen, ohne, dass der Vorgang nach außen hin bekannt gemacht worden ist. In den 1990er Jahren wurden unerwartet viele Fälle verschiedener Krebsarten unter den Mitarbeitern in den Fabriken gefunden. Doch all das führte nicht dazu, dass die Unternehmen Maßnahmen ergriffen oder gar die Behörden informierten.

Jahrelang verheimlichten die Hersteller DuPont und Raikin zudem die Gefahr von in Lebensmittelverpackungen enthaltenen PFAS. So findet der Stoff 6:2 FTOH, der zur Klasse der PFAS gehört, beispielsweise Anwendung in Pizzakartons, beschichteten Kartonverpackungen oder Takeaway-Boxen. Die Studien, welche die Giftigkeit dieser Stoffe belegen, wurden von den Herstellern schon bei der Zulassung des Stoffes zurückgehalten.

Auch Regierungen verschiedener Staaten wissen schon seit den frühen 2000ern von der Gefahr durch PFAS, dennoch ergreifen viele keine Maßnahmen, sie zu regulieren. Ein Grund könnte sein, dass die US-Navy seit 1966 mit den Herstellern zusammenarbeitet, und PFAS für Löschschaum einsetzt, der im Militär Verwendung findet. Auch von diesem Löschschaum ist seit 1970 bekannt, dass er Fische tötet.

Zudem hat das US-Militär in Afghanistan und im Irak durch die Verbrennung von Müll erhebliche Mengen von giftigen Chemikalien, darunter PFAS freigesetzt, und das, obwohl diese sogenannten „Burn Pits“ schon seit Jahren verboten sind. Tausende Soldaten wurden daraufhin krank. Spätfolgen sind oft Krebs, Atemwegserkrankungen oder Organschäden. Das Amt für Veteranenangelegenheiten hat mit dem von ihm selbst finanzierten Studien dazu beigetragen, möglichst wenige dieser Spätfolgen anzuerkennen. Die Müllgruben bleiben zudem auch nach Abzug der US-Truppen als Giftgruben in den Ländern zurück. Weiterhin sind bis zu 600.000 US-amerikanische Soldaten auf Militärbasen durch das Trinkwasser PFAS ausgesetzt.

Generell ist das Militär, neben der Industrie, einer der hauptsächlichen Emittenten von PFAS, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Hier ist an vielen Bundeswehrstandorten PFAS nachweisbar. Hauptsächliche Quelle sind die Löschschäume, die auf den Stützpunkten zur Anwendung kommen.

Ersatz ist selten besser

Der Stoff Perfluoroctansäure (PFOA) wurde schließlich im Jahr 2019, 20 Jahre nachdem Robert Bilott den Fall übernommen hat, in das Stockholmer Übereinkommen aufgenommen, welches Verbote und Regulierungen bestimmter Chemikalien auf internationaler Ebene regelt. Hier finden sich auch Chemikalien wie das besagte DDT. Um der Regulierung zu entgehen, weichen Hersteller jedoch oft auf neue Verbindungen aus der Klasse der PFAS aus. So wurde die Perfluoroctansäure beispielsweise durch einen Stoff namens GenX ersetzt. Doch durch eigene Studien fand der Hersteller Chemours heraus, dass es leber- und nierenschädigend ist sowie das Immunsystem und die Entwicklung stört und auch Tumore in Leber und Bauchspeicheldrüse hervorruft. GenX ist der Markenname des Herstellers von Ammonium-2,3,3,3-tetrafluor-2-(heptafluorpropoxy)propanoat. Bekannt ist es auch als C3-Dimersäure oder FRD-902. GenX-Chemikalien sind in vielen Produkten enthalten, zum Beispiel in Verpackungen, Farben, Beschichtungen, Spezialtextilien und Feuerlöschschäumen.

In den USA wurde GenX im Umkreis der Produktionsstandorte im Trinkwasser nachgewiesen, ebenso wie in Anwohnern der Umgebung der Fabriken. Gerade im Umkreis dieser Anlagen sind die Belastungen am größten. Das macht die Gesundheitsgefahr auch zu einer Frage von Armut und Wohlstand. Denn besonders benachteiligte Menschen leben im Umfeld industrieller Anlagen, und sind damit den Emissionen besonders ausgesetzt. Auch die Mitarbeiter der Fabriken erleiden extreme Belastungen, und das nicht nur in Drittweltländern oder den USA. Auch in Deutschland, wo es einige Standorte gab und gibt, leiden die Arbeiter an Folgeerkrankungen.

Von der EU ist GenX als „besonders besorgniserregend“ eingestuft worden, eine Entscheidung, die selbst nach einer Klage des Herstellers vom Europäischen Gerichtshof bestätigt wurde. Das deutsche Helmholtzzentrum spricht bei den Ersatzstoffen immer wieder von „bedauerlichen Ersatzstoffen“, da diese meist neuartig und damit unbekannt sind und damit nicht reguliert, aber selten weniger giftig als ihre Vorgängerstoffe. Jedoch muss die von den Stoffen ausgehende Gefahr erst nachgewiesen werden, bevor sie reguliert werden können. Dass dies bis zu mehrere Jahrzehnte dauern kann, hat der Fall von Robert Billot gezeigt.

Regulierungen und Verbote

Die EU hat im Januar 2022 einige Stoffe der PFAS-Gruppe stärker beschränkt. So sind ab 2023 auch die Herstellung, die Verwendung und das Inverkehrbringen von perfluorierten Carbonsäuren mit 9-14 Kohlenstoffatomen (C9-C14-PFCA) in der EU unter der sogenannten REACH-Verordnung beschränkt. Auch ihre Vorläuferverbindungen und Salze werden stärker reglementiert. REACH steht für Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe und leitet sich vom englischen Titel der europäischen Chemikalienverordnung ab: „Regulation concerning the Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“.

In den USA gehen einige Bundesstaaten noch einen Schritt weiter. Mehrere von ihnen, darunter New York und Kalifornien, haben 18 der Herstellerunternehmen wie DuPont, 3M oder Chemours verklagt. Kalifornien machte dabei geltend, dass die Konzerne jahrzehntelang von der Gefährlichkeit der Chemikalien wussten, jedoch nichts dagegen unternommen haben. Nun sollen die Unternehmen die Kosten für die Beseitigung übernehmen. Die Klage der Staaten gesellt sich zu einer Serie von mehr als 2000 Klagen von Wasserversorgern, Feuerwehren und anderen Organisationen. Allein die in Rede stehende Schadenersatzsumme des Staates Kalifornien beläuft sich auf mehrere hundert Millionen Dollar. Damit könnte es einer der teuersten Klageserien in der Geschichte der USA werden. Schon zuvor hatte der Staat Kalifornien die Anwendung der Stoffe in Produkten für Kinder und Babys verboten. Der Konzern 3M hat zudem angekündigt, die Produktion des Stoffes bis zum Jahr 2025 einzustellen.

Bezeichnend ist, dass es trotz aller erwiesenen Risiken nirgendwo echte Grenzwerte für Trinkwasser oder Lebensmittel gibt. Bei den Angaben der US-amerikanischen EPA oder den Behörden europäischer Länder handelt es sich lediglich um Richtwerte, bei denen davon ausgegangen wird, dass kein relevantes Gesundheitsrisiko besteht, wenn diese nicht überschritten werden, was allerdings an vielen Orten, auch abgelegenen Regionen geschieht.

Daher haben sich im November 2022 116 Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern, allesamt Experten in Bezug auf PFAS, zusammengetan und einen offenen Brief an Bruce Gordon, den Leiter des Bereichs Wasser, Hygiene und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anlässlich der geplanten Richtlinien für Trinkwasser formuliert, welche im Dezember 2022 verabschiedet wurde. Darin beklagen sie, dass die WHO 20 Jahre der Forschung zum Thema PFAS ignoriert und die in dem Entwurf festgelegten Richtwerte und Maßnahmen nicht genügen, um die Gesundheit der Menschen sicherzustellen. Daher fordern sie unter anderem strengere Grenzwerte und eine Festlegung von wirkungsvollen Aufbereitungsmöglichkeiten. Für einige der Verbindungen der PFAS-Gruppe gibt es jedoch überhaupt keinen sicheren Grenzwert. Sie sind in jeder Konzentration giftig.

Zudem wird bei Grenzwerten in der Regel Bezug auf einzelne Quellen und Stoffe genommen. Der Mensch in der modernen Industriegesellschaft ist jedoch stets einer ganzen Reihe von Chemikalien ausgesetzt, die im Zusammenwirken viel schädlicher sind, als einzelne alleine. So können sie sich teilweise im Körper zu neuen Verbindungen zusammensetzen, die vollkommen unbekannt sind. Dieser Prozess ist nicht steuer- oder regulierbar, und ergibt sich aus der Vielzahl der Umweltgifte, die auf den Menschen einwirken. Eine Beschränkung einzelner Industriezweige oder einzelner Stoffe macht in der Summe keinen großen Unterschied. Die einzige Regulierung, welche die vielfältigen Gefahren bannen könnte, wäre daher ein vollständiges Verbot der Herstellung und Verwendung dieser Stoffe.

Umweltorganisationen wie ChemTrust, eine Nichtregierungsorganisation, die auch in Hamburg einen Sitz hat, fordern dieses vollständige Verbot, zumindest von PFAS. Dagegen wehrt sich die Industrie mit dem Argument, dass, wenn man diese Stoffe verbieten würde, die ganze Wirtschaft stillstünde. Mark Rossi, geschäftsführender Direktor von der gemeinnützigen Organisation Clean Production Action, das sich für eine nachhaltigere Chemieindustrie einsetzt und Lösungen für umweltfreundliche Chemie erarbeitet, sagt jedoch es sei möglich, PFAS komplett zu verbannen. Es gebe nicht fluorierte Alternativen, für die allerdings Innovationen notwendig seien.

Auch wird daran geforscht, diese ewigen Chemikalien zu zerstören. Das ist neueren Erkenntnissen zufolge mit geeigneten Lösungsmitteln möglich. Binnen 24 Stunden konnten so in Versuchen 78 bis 100 Prozent der PFAS unschädlich gemacht werden. Dieses Verfahren ist relativ einfach, im Vergleich zu der gängigen Methode, PFAS bei hoher Temperatur – das deutsche Umweltbundesamt empfiehlt Temperaturen von 1.300 Grad Celsius – zu verbrennen. Dabei muss zudem darauf geachtet werden, dass die Stoffe nicht mit der Abluft freigesetzt werden. Die neu entdeckte Methode arbeitet dagegen mit vergleichsweise niedrigen Temperaturen von maximal 100 Grad Celsius. Wie das Verfahren jedoch praktisch eingesetzt werden kann um Grund- und Regenwasser, Böden und Pflanzen von PFAS zu befreien, ist noch nicht absehbar. Der US-amerikanische Bundesstaat Minnesota experimentiert mit neuartigen Technologien, welche die Giftstoffe aus dem Grundwasser entfernen sollen.

Das deutsche Bundesumweltministerium gibt zudem an, dass die Belastung der Deutschen mit PFAS seit Jahren abnimmt. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts war sie demnach am höchsten, wohingegen nun nur 30 Prozent des damaligen Wertes gemessen werden. Trotzdem bestehe weiterer Handlungsbedarf. Die Menschen selber haben jedoch wenig Einfluss auf ihre Exposition, da sich der Stoff in Nahrung und Wasser gleichermaßen findet. Eine geringfügige Verringerung der Belastung kann eventuell durch die Vermeidung von Fastfood und deren Verpackungen erreicht werden. Doch selbst der Umstieg auf Biolebensmittel hat keinerlei Einfluss, da sich die Stoffe im Boden, der Luft und dem Wasser befinden. Eigenen Angaben zufolge prüft das Umweltbundesamt zudem in Zusammenarbeit mit Behörden Schwedens, Norwegens und den Niederlanden schon länger ein umfassendes Verbot der Stoffe auf Ebene der EU. Nun soll dieses Verbot offenbar tatsächlich umgesetzt werden.

Grund für das eher zögerliche Vorgehen von Regierungen gegen PFAS ist wohl eine Mischung aus Unwissen aufgrund der langen Vertuschung der Konzerne, der Verwendung der Stoffe zu militärischen Zwecken, sowie ein intensives Lobbying der Herstellerfirmen. So spricht sich die „Federation of European manufacturers of Cookware and cutlery“, der europäische Kochgeschirrverband FEC, gegen ein Verbot von PFAS aus, das auch bei der Teflonpfanne zum Einsatz kommt. Diese Haltung vertritt der Verband auch in der Europäischen Kommission und anderen nationalen Parlamenten und Kommissionen. Dabei zieht die Lobbyorganisation eigene Gutachten heran, die sich beinahe ausschließlich auf Quellen der Hersteller beziehen und wissenschaftliche Studien in ihr Gegenteil verkehren.

Im Lobbyregister des deutschen Bundestages findet sich der Hersteller 3M, der im Jahr 2021 bis zu 130.000 Euro für Interessenvertretung ausgegeben hat und in 42 Lobbyorganisationen vertreten ist. Auch DuPont lässt sich dort finden, das im selben Jahr bis zu 80.000 Euro für Interessenvertretung ausgegeben hat und in 12 Lobbyorganisationen vertreten wird. Du Pont und 3M sind ebenso wie Chemours, das GenX herstellt, im europäischen Lobbyregister registriert, jedoch ohne Nennung der Ausgaben. Auf beiden Ebenen, national sowie transnational, setzen sich die PFAS-Hersteller massiv gegen ein Verbot ein.

Allerdings sind selbst große Investoren mittlerweile davon überzeugt, dass PFAS mehr Schaden als Nutzen anrichten – wobei sich der Nutzen auf monetäre Werte bezieht. Mittlerweile fordern 47 Asset Manager darunter Axa, Aviva und Credit Suisse Asset Management, die Hersteller dazu auf, sich von PFAS zu verabschieden, anderenfalls drohen sie mit Divestment. Die Begründung: Man fürchtet großen Klagewellen, die natürlich die Profitabilität der Unternehmen reduzieren.

Forscher des Stockholm Resilence Center (SRC) sehen derweil die Grenze für künstliche Stoffe in der Umwelt bereits als überschritten an, sodass die Erde auf lange Sicht unbewohnbar werden könne. PFAS sind nur eine der Stoffgruppen, die dazu beitragen.

Über den Autor: Felix Feistel, Jahrgang 1992, studierte Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Völkerrecht. Seit 2017 arbeitet er als freier Journalist, unter anderem für den Rubikon.

AYU, 22. März 2023, 00:35 UHR

Danke für die reichhaltige Abhandlung! Auch wenn das in seinem Faktum fast erschlägt, sind es statt Kohlenstoffdioxid wohl viel eher diese Formen der Umweltbeeinflussung, die „wir“ mit größtmöglicher Dringlichkeit drastisch reduzieren sollten ... scheint sich noch nicht zu rechnen. Man erinnert sich zudem:

„Die Messstationen der CTBTO zielen nicht auf einen möglichst schnellen Nachweis von Radioaktivität ab, sondern sind darauf ausgelegt, kleinste Spuren von künstlicher Radioaktivität nachweisen zu können. […] Knapp drei Wochen nach dem Reaktorunfall vom 12. März 2011 wurde an allen auf der Nordhalbkugel der Erde gelegenen Messstationen Radioaktivität aus Fukushima nachgewiesen. Auf der Südhalbkugel wurde in diesem Zeitraum keine künstliche Radioaktivität aus Fukushima gemessen.“

https://www.bfs.de/DE/themen/ion/notfallschutz/notfall/fukushima/spurenanalyse-welt.html

Derartige Verbindungen wie die vorgestellten PFAS trotz technischer Nützlichkeit gar nicht erst herzustellen, wäre ein zentraler Punkt. Allerdings: Die geforderten Innovationen für die breite Anwendung auch kosten-adäquater Alternativen gab es unlängst und offenbaren sich doch just im Tarngewand einer klimaschützenden Aufrüstung, gemacht für den bewussten Modernmensch: also Projektile, die zu 100% „fair“ in Lieferkette und „verträglich“ in Belastung auf Organismen getestet worden sind, die Panzer und Kampfjets laufen alle mit Superzündies des amerikanischen Ökoherstellers „DocBrown“ oder so ähnlich.

Dass UMGANG und ENTSORGUNG aber die Stellen sind, die das Problem erst komplett machen, selbst wenn man morgen nichts mehr davon herstellen würde, soll dabei bloß nicht zu laut oder zu oft thematisiert werden, schon gar nicht als gut möglich eine der großen wesentlichen Herausforderungen in naher Zukunft! Was sich bezahlt macht und was nicht wird wieder, anhand der umweltlichen Auswirkungen der heftigen Sprengungen am Boden der Ostsee in einem mit Militäraltlasten verseuchten Gebiet, beobachtbar: Gab es auch nur eine einzige Talkshow dazu?

„Die meisten der bisher bekannten Unfälle mit Kampfstoffen wurden durch Zäh-Lost rund um das Versenkungsgebiet östlich der dänischen Ostseeinsel Bornholm verursacht, wobei Klumpen von Zäh-Lost in Fischernetze gerieten.“

https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/meere/nutzung-belastungen/munition-im-meer

Ups!

Die Altlasten am Meeresboden, insbesondere an den Küsten, sind behördlicherseits durchaus bekannt in Art und Herkunft und eingeschätzt in der möglichen Gefahr. Arte brachte einst einen guten Bericht dazu, da ging es (meiner Erinnerung nach) zuvorderst um das Öl, welches in rostenden Behältern oder Schiffen weltweit versenkt liegt und in Menge und Zustand „eine tickende Zeitbombe“ darstellt. Die Schweden, oder Norweger hatten sich da als vorbildlich im Auffinden und Bergen dieser Substanzen vor der eigenen Küste hervorgetan. Leider habe ich den Titel der Doku nicht vermerkt und finde diese nach mehrfacher Suche nicht mehr bei arte, darum bleibt nur ein Bildschirmfoto daraus, spricht ohnehin für sich:

https://abload.de/img/wwwreck-kopie1aids.png

AYU, 31. Juli 2023, 23:25 UHR

Zur Zeit wieder verfügbar:

Vergessene Wracks Schwarze Tränen der Meere
53 Min., vom 27/07/2023 bis 25/10/2023

Vor den Küsten der Welt liegen tickende Zeitbomben, von denen die Öffentlichkeit bisher kaum etwas ahnt: 6.300 Wracks, gesunken im Zweiten Weltkrieg, verrosten seit mehr als 70 Jahren im Meer. Forscher schätzen die in ihnen verbliebene Menge Öl auf bis zu 15 Millionen Tonnen. Was tun, um eine Ölpest zu verhindern?

https://www.arte.tv/de/videos/047526-000-A/vergessene-wracks/

STEFAN KRÖGER, 17. Oktober 2023, 23:00 UHR

Ich danke Ihnen für diesen Artikel und auch die Artikel auf anderen Plattformen. Leider wird das Vorsorgeprinzip, welches angeblich Leitlinie der EU-Umweltpolitik ist, ständig verletzt. Wir sind einer Vielzahl von einzelnen Giften und unberechenbaren Stoffgemischen ausgesetzt, die auch zukünftige Generationen von Menschen, aber auch anderem Leben auf der Erde noch beschäftigen werden. Banales Beispiel (von unendlich vielen): Dämmstoffe am Bau, was geschieht mit ihnen beim Abriss? Ich schätze aber auch Ihre Objektivität bei Artikeln zu internationalen Krisenherden. Vielen Dank

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