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Ein Verstoß gegen journalistische Prinzipien: Wie die NZZ über Daniele Ganser schreibt

Nur anonyme Quellen, das Auslassen wichtiger Informationen, fehlende Objektivität: Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hat ihren Lesern einiges zugemutet. Unter dem Titel „Gansers Jünger“ setzt sich das ehrwürdige Schweizer Blatt mit dem Historiker Daniele Ganser und seinem Publikum auseinander. Reichlich Raunen und viele Vorwürfe, dafür umso weniger Substanz – so lässt sich der Artikel zusammenfassen. Das von Ruth Fulterer verfasste Stück will eine „Reise durch das Universum“ der Ganser-„Fans“ sein. Es zeigt sich: Die Reise wurde zwar angetreten, intellektuell durchdrungen und vollendet wurde sie nicht. Eine Analyse.

MARCUS KLÖCKNER, 11. Februar 2021, 5 Kommentare

Vorbemerkung I

Dieser Beitrag ist sehr umfangreich. Wir halten eine breitgefasste Analyse des Artikels „Gansers Jünger“ für angebracht, da erst bei der genauen Auseinandersetzung zum Vorschein kommt, wie journalistisch fragwürdig die NZZ vorgegangen ist. Vor allem aber auch, weil die Vorgehensweise als exemplarisch verstanden werden kann für den Umgang großer Medien mit unbequemen Personen, die sie als (politisch-weltanschauliche) Gegner ausgemacht haben. Die NZZ platzierte den langen Beitrag zudem sehr prominent über mehrere Zeitungsseiten. Der Artikel erschien am 30. Januar 2021.

Vorbemerkung II

Daniele Ganser polarisiert – das ist kein Geheimnis. Der Schweizer Historiker und Friedensforscher ist seit seiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den NATO-Geheimarmeen, die unter den Begriffen „Stay behind“ und „Gladio“ bekannt wurden, für viele das Musterbeispiel eines kritischen Wissenschaftlers. Für Andere ist er hingegen „unerträglich“. Während weite Teile der Qualitätsmedien beim Thema „Gladio“ und „Stay behind“ noch mit den Schultern zuckten, hat Ganser als junger Forscher eine Doktorarbeit verfasst, die es im wahrsten Sinne des Wortes „in sich“ hatte.

Vielleicht sollte man es nochmal deutlich sagen: Die NATO hat jahrzehntelang über Geheimarmeen verfügt. Man kann es sich förmlich denken, wie das Blut der Mitglieder jenes Milieus, die das „Geheime“, in unserer Gesellschaft am liebsten dauerhaft negieren, alleine bereits bei dem Begriff „Geheimarmeen“ in Wallung gerät.

„Geheimarmeen“ – und dann auch noch unterhalten von der NATO? Das klingt nach der ganz großen Verschwörung und nach Verschwörungstheorie. Damit wollen jene Zeitgenossen, die sich oft in großer Zahl in den Redaktionen großer Medien finden, beim besten Willen nichts zu tun haben. Schließlich: Ihnen geht es um die Erfassung der „Realität“. Mit Hirngespinsten, so der Tenor, die es irgendwie, irgendwo im Geheimen geben soll, will man sich nicht auseinandersetzen.

Nun, Daniele Ganser hat sich mit diesen „Hirngespinsten“ auseinandergesetzt. Er hat es gewagt, den Blick hin zum mehr oder weniger „Geheimen“ zu wenden und jene Dunkelstellen auszuleuchten, über die weite Teile des Journalismus gern hinwegleuchten. Erkenntnisgewinn: Ja, die Geheimarmeen der NATO waren Realität. Und: Vieles deutet daraufhin, dass Teile der Geheimarmeen in einem komplexen politischen Geschehen tiefenstaatlich genutzt wurden, um Terroranschläge gegen die eigene Bevölkerung auszuführen. So hat das die BBC in einer beeindruckenden Doku-Reihe bereits in den 1990er Jahren beschrieben, so hat es Ganser in seiner Doktorarbeit nahegelegt. Fundiert. Mit zahlreichen Quellen. Und in der Konsequenz auch mit Schlüssen, die zumindest nachvollziehbar sind.

Nur um auch das nochmal langsam und deutlich zu sagen: Beim Komplex „Stay behind“ steht ein im Grunde genommen unfassbarer Skandal im Raum. Es geht hierbei um die begründete Vermutung, dass Terroranschläge im Rahmen der so genannten „Strategie der Spannung“ von tiefenstaatlichen Elementen westlicher Demokratien ausgeführt wurden. Das ist, gewiss, starker Tobak. Aber: Die Faktenlage fordert geradezu, nicht wegzuschauen, sondern hin zu schauen, wie es etwa der mittlerweile verstorbene SPD-Abgeordnete Herrmann Scheer getan hat.

Bis heute, das gilt für Deutschland, die Schweiz, aber auch für die meisten anderen europäischen Länder, hat es keine parlamentarische Untersuchung der Stay-behind-Aktivitäten gegeben. Das heißt: Das Thema Geheimarmeen der NATO, ja die Rekrutierung von Rechtsradikalen und deren Ausstattung mit Kriegswaffen, um sie gegebenenfalls gegen den kommunistischen „Feind“ losschlagen zu lassen, ist längst nicht sauber aufgearbeitet. Ab und an finden sich auch in den Öffentlich-Rechtlichen Beiträge zu Gladio, doch Journalisten tun sich nach wie vor schwer mit dem Thema. Forscher wie Ganser, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, sind zudem dünn gesät, die ernsthafte politische Aufarbeitung ist nicht existent.

Kurzum: Wer sich aufmacht, Ganser zu verstehen, das heißt, wer nachvollziehen will, warum dieser Historiker einen anderen Blick auf Terroranschläge veranschlagt als viele Vertreter großer Medien, kommt nicht drum herum, sich mit dem Fundament von Gansers historischer Forschung auseinanderzusetzen. Die NZZ hat dies in dem Artikel nicht getan. Die Autorin hat es geschafft, in einem über 20.000 Zeichen, oder etwa zehn Word-Seiten umfassenden Artikel kein einziges Mal die Begriffe „Gladio“ oder „Stay behind“ zu erwähnen. Aus journalistischer Sicht ist das kaum zu rechtfertigen. Doch es kommt noch schlimmer. Womit wir bei der Analyse wären.

Die Analyse:

„Gansers Jünger“ lautet der Titel, den die NZZ gewählt hat. Damit ist der Aufschlag gemacht. Die Bürger, die die Bücher des Friedensforschers lesen und seine Vorträge besuchen, werden als „Jünger“, das heißt als „Anhänger“ einer Glaubensgemeinschaft dargestellt. Die Konnotationen liegen frei: Ähnlich den Mitgliedern einer Sekte, die einer scheinbar abstrusen Glaubensvorstellung folgen, folgen „Gansers Jünger“ ihrem, um im Kontext zu bleiben: Guru.

In dem Begriff „Jünger“ schwingt zugleich der Missionierungsgedanke mit. Missionieren? Auch das ist ein Begriff, der heutzutage mit einem eher negativen Einschlag versehen ist. Jemand will, möglicherweise oft gegen jede Vernunft, sein Gegenüber von seinen eigenen Glaubensvorstellungen überzeugen, eben „missionieren“ (ob bei dem NZZ-Artikel auch ein „Missionierungsgedanke“ eine Rolle spielt?).

Anders gesagt: In einer Überschrift, die gerade einmal aus zwei Wörtern besteht, gelingt es der NZZ, sowohl Ganser als auch seine Leser in einem abwertenden Kontext zu verorten. Ganser erscheint als jemand, der wie ein Guru seine Jünger für eigene Interessen benutzt, manipuliert. Seine Leser, sein Publikum, erscheinen als willenlose Subjekte, die sich dem Großmeister unterwerfen ohne die verbreitete Glaubenslehre zu hinterfragen.

Das ist hart. Hart vor allem auch deshalb, weil jeder, der sich unvoreingenommen aufmacht, um mit Gansers Lesepublikum zu sprechen, feststellen kann, dass es sich mitnichten um denkfaule Jünger handelt, sondern um Bürger, die kritisch politische Sachverhalte hinterfragen, selbst recherchieren, erstaunlich gut informiert sind, allerdings einen Fehler haben: Sie vertreten eine nicht opportune Sicht.

Darf denn ein seriöses Medium eine derartige Überschrift gebrauchen? Sicher. Aber: Dann sollte man besser unter der Überschrift in dem Artikel fundierte Gründe anführen, die solch eine pauschalisierende Überschrift rechtfertigen. Liefert die NZZ solche Gründe? Nein. Der Reihe nach.

„Lange bevor Corona-Leugner durch die Strassen zogen, säte Daniele Ganser Zweifel an den «Mainstream-Medien» und fand damit nicht nur unter klassischen Verschwörungstheoretikern Anklang. Eine Reise durch das Universum seiner Fans im Jahr der Pandemie.“

Das ist der Vorspann des Artikels. So sieht es aus, wenn Komplexität ideologisch reduziert wird. Gesellschaftlich hochkomplexe Phänomene wie der Protest gegen die Corona-Maßnahmen, Kritik an den großen Medien, die Existenz von Verschwörungstheorien und schließlich auch noch die Pandemie werden in wenigen Zeilen miteinander vermengt. Schon jetzt lässt sich erahnen, dass hier eine Autorin am Werk ist, die weder Verständnis für die Corona-Proteste hat, noch die Kritik an den „Mainstream-Medien“, nachvollziehen will beziehungsweise teilt – ein Ausdruck, von dem sie sich offensichtlich durch die Anführungszeichen distanziert, während sie zugleich den Kampfbegriff „Verschwörungstheoretiker“ ohne entsprechende „Distanzzeichen“ verwendet.

Abwertende sprachliche Bilder

Dass die Autorin die Begegnung mit Menschen, die Gansers Vorträge besuchen, als Reise durch ein „Universum“ bezeichnet, knüpft bildhaft an die Überschrift an. Die Gläubigen, so die implizite Botschaft, leben eben in einer eigenen Welt, einem eigenen Universum.

Überschrift und Lead, zusammen mit dem entsprechenden Bild, auf das hier nicht weiter eingegangen werden soll, bilden eine Einheit. Jedes Teilelement für sich, aber insbesondere dann auch in ihrem Zusammenwirken, werten Ganser und sein Publikum ab. Die Abwertung geht soweit, dass ihnen der Realitätssinn abgesprochen wird.

„Im vergangenen Frühling waren sie plötzlich überall, füllten Plätze und Strassen, sprachen von Bevormundung, Lügen und unterdrückten Bürgerrechten: die «Zweifler», die ihre eigenen Erklärungen für die Pandemie finden und sich auf alternativen Kanälen informieren. Es erstaunte, wie zahlreich sie waren. Wie unterschiedlich. Und wie schlagkräftig. Zeitweise kaperten sie den öffentlichen Diskurs.“

In diesem ersten Abschnitt des Artikels geht es erstmal nicht um Ganser, sondern um die Pandemie und die Reaktion eines Teils der Bürger auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. „Plötzlich“, so meint die Autorin, füllten sich überall Plätze. „Es erstaunte“, findet die Autorin, wie viele Menschen auf die Straßen zum Protestieren kamen.

Eigenanspruch: Die NZZ weiß, „was ist“

Führen wir uns kurz vor Augen: Der Artikel beansprucht für sich, dass seine Verfasserin in der Lage ist, von einer überlegenen Beobachtungsposition die Realität auflösungsstark wahrzunehmen. Sie, aber auch die NZZ, wissen, „was ist“. Ganser und seine „Jünger“, so der Subtext, „wissen nicht“. Das ist ein ziemlich großer Anspruch. Nur: Wer diesen Anspruch hat, sollte ihm auch gerecht werden.

Die Autorin spricht also von „plötzlich“ und von einem „Erstaunen“. Wer die Anfänge der Corona-Proteste mitverfolgt hat, weiß: „Plötzlich“ waren die Protestierenden nur für diejenigen auf der Straße, die offensichtlich die Realität entgegen den eigenen Ansprüchen doch nicht ganz genau erkennen. „Erstaunt“, waren allenfalls die, die möglicherweise in einer eigenen Filterblase leben und so manche Realität gar nicht sehen wollen.

Die kritischen Stimmen gegen die Maßnahmen waren nämlich schon früh, sehr früh zu vernehmen. Einerseits in einer Reihe von unabhängigen Medien, in den entsprechenden Foren, in den sozialen Medien, aber, andererseits durchaus auch draußen, in „real live“. Ob Taxifahrer oder Verkäuferin: Stimmen, die aus der gesellschaftlichen „Mitte“ mit großer Sorge auf die Maßnahmen geblickt haben, gab es. Man sollte sie als Journalist nur wahrnehmen.

Das Problem ist nicht neu: In unseren Medien gibt es eine Ignoranz gegenüber Stimmen, die sich scheinbar am Rande artikulieren, aber schon seit langem aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Nur: Diese Stimmen vertreten eine Sicht, die vielen Vertretern großer Medien nicht schmeckt. Erinnert sei nur an den Brexit oder die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten.

Und erinnert sei an die geschockten Gesichter dazu in Redaktionen Land auf Land ab. So sieht es aus, wenn diejenigen, die glauben, soziale und politische Realität zu erfassen, über ihre eigene Berichterstattung stolpern. Es kann nicht sein, was nicht sein darf (auf den Spiegel und seine „großartig“ weltanschaulich geprägten Reportagen des Top-Reporters Relotius muss man an dieser Stelle nicht näher eingehen).

In der Welt des NZZ-Artikels ist es offensichtlich nicht so, dass sich die Corona-Proteste schon länger angekündigt haben.

Kein Protest findet „plötzlich“ statt

Stellen wir eine Ketzerfrage: Könnte es vielleicht sein, dass die Proteste erst durch eine Berichterstattung entstanden sind, die in der schwersten Krise unserer Zeit partout keine kritischen Stimmen zu Wort kommen lassen wollten? Selbst wer auch nur ein kleinwenig Ahnung von sozialen Bedingungen hat, die das Formieren von Bürgerprotesten begünstigen, dürfte wissen: Wenn Medien Ansichten unterdrücken, die es verdienten gehört zu werden, ist es alles andere als ungewöhnlich, dass über kurz oder lang Bürger auf die Straße gehen.

Kein Protest findet „plötzlich“ statt. Scheinbar „plötzlich“ auftretender Protest, hat Ursachen, die weitergehen als eine spontane Empfindung, die bei irgendjemandem durch die Großhirnrinde zuckt. Unterschwellig wird hier den NZZ-Lesern ein weiteres bitterböses Bild vermittelt. Die Demonstrierenden, die angeblich „plötzlich“ auf Plätze und Straßen zogen, erscheinen wie Menschen, die affektgetrieben sind. Das Bild vom Pöbel, der, ohne lange zu fackeln, zu den Mistgabeln greift, entsteht vor dem inneren Auge.

So in Szene gesetzt, ist klar, dass das Anliegen dieser Bürger, nämlich, wie Fulterer schreibt, sich gegen „Bevormundung, Lügen und unterdrückte Bürgerrechte“ einzusetzen, abzutun ist. Ja, die NZZ geht sogar so weit, dass sie den Bürgern nicht einmal ihren „Zweifel“ zugesteht. Die Distanz- oder Ironiezeichen, die die Bezeichnung flankieren, lassen sich zumindest so deuten. Ganz ähnlich wie den Querdenkern in vielen Medien abgesprochen wird, „quer“ zu denken, so lässt man offensichtlich hier noch nicht mal den Protestierenden ihren Anspruch zu, „Zweifler“ zu sein.

„Die Anti-Corona-Bewegung konnte so schnell so laut werden, weil sie im Kern nicht neu ist. Sie wuchs nur lange Zeit im Stillen, genährt von eigenen Experten, die ihr Publikum gegen den «Mainstream» einschworen. Einer der bekanntesten unter ihnen ist Daniele Ganser, Schweizer Historiker, bekannt auch in Deutschland und Österreich. Sein Buch «Imperium USA» war nach der Veröffentlichung im April des vergangenen Jahres wochenlang das meistverkaufte Sachbuch im deutschsprachigen Raum.“

Konzentrieren wir uns auf dies folgende Aussage:

„Die Anti-Corona-Bewegung konnte so schnell so laut werden, weil sie im Kern nicht neu ist“, meint Fulterer.

Es sei dahingestellt, ob die „Anti-Corona-Bewegung“ angeblich so „schnell“ und so „laut“ wurde, weil ihr „Kern“ nicht neu ist. Möglich ist auch, dass nicht wenige Bürger schlicht ob der ergriffenen Maßnahmen – wir reden hier von geradezu brachialen Grundrechtseinschränkungen – sich politisiert haben. Allerdings hat die Autorin insofern recht, dass es seit langem Bürger gibt, die „gegen den Mainstream“ sind – wobei diese Formulierung in ihrer undifferenzierten Weise der Realität auch nicht gerecht wird. Der Eindruck entsteht, dass bestimmte Bürger prinzipiell gegen „den Mainstream“ seien, womöglich einfach so, ohne groß nachzudenken. Als Leser gelangt man so zu dem Eindruck, diejenigen, die gegen den „Mainstream“ aufbegehren, müssen irgendwie „verbohrt“ sein.

Richtig ist: In vielen westlichen Demokratien gibt es Bürger, die zunehmend unzufrieden mit den Eliten und Machteliten sind. Das ist, nach Jahrzehnten neoliberaler Politik, bei einer für nicht wenige Bürger real erfahrbaren, das heißt: real existierenden Repräsentationskrise in den Parlamenten gewiss kein Wunder. Ja, diese Bürger gibt es in der Tat seit langem. Und, dass es hierbei Überschneidungen mit den Corona-Protesten gibt, ist offensichtlich.

Aus Bürgern mit eigenen Einsichten werden passive Objekte

Wie geht die Autorin mit dieser Erkenntnis um? Sie versetzt diese Bürger mit ihren Anliegen in den Status passiver Subjekte. Diese Bürger werden „genährt von eigenen Experten, die ihr Publikum gegen den Mainstream einschwören.“

Auch hier werden wieder Ursache und Wirkung verwechselt. In dem Artikel ist es nicht etwa so, dass Bürger sich aufgrund realer Beobachtungen, aufgrund von real vorhandenen Erfahrungen, vom Mainstream abwenden und deshalb auch ein Weg und ja: auch ein „Markt“ für einen Akteur wie Ganser vorhanden ist. Nein, zuerst war der Guru. Zuerst war die Einschwörung gegen den Mainstream. Und erst dann kamen die Kritik und der Protest.

Noch weiter als die NZZ-Autorin kann man kaum mit seiner sozialen Beobachtung daneben liegen. Wollte man die Realität noch stärker verdrehen, könnte man sagen: Zuerst kam Ganser, dann die „Brutkastenlüge“ – die aber nur von ihm erfunden wurde und die es in der Realität nie gegeben hat.

Was ist nur bei der NZZ los?

Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts stellt die Autorin Daniele Ganser vor. Wir erfahren, dass sein aktuelles Buch „wochenlang das meistverkaufte Sachbuch im deutschsprachigen Raum“ war. Das ist eine sachliche Information, ein Lichtblick in diesem Artikel.

„Ganser war lange Zeit ein renommierter Friedensforscher. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er bekannt, als er behauptete: Die amerikanische Regierung hatte selbst mit den Attentaten vom 11. September zu tun. Seither schrieb er weitere Bücher über Ressourcenkriege und Geheimdienste. Ständiger Subtext: Die Bevölkerung wird manipuliert.“

Da steht die Aussage nun: „Ganser war lange Zeit ein renommierter Friedensforscher“. Ganser „war“, meint Fulterer. Frage: „War“ Ganser? Oder „ist“ Ganser? Das kommt auf die Perspektive an. Für viele „ist“ Ganser ein renommierter Friedensforscher und Historiker. Seine Arbeit zu Gladio darf man durchaus als ein starkes Stück Wissenschaft bezeichnen.

Aber natürlich darf man auch die Perspektive des „Mainstreams“ einnehmen. Demnach ist Ganser nun kein renommierter Forscher mehr, weil Medien ihm aufgrund seiner Einlassungen zu den Terroranschlägen vom 11. September sein Renommee abgesprochen haben – mit weitreichenden Konsequenzen für seine Karriere. Er hat seinen Lehrauftrag an der Universität verloren.

Mediale Benennungsmacht: „anerkannt“ oder „umstritten“

Aus soziologischer Sicht wird an dieser Stelle sichtbar, wie Medien über ihre Benennungsmacht Personen auf- und abwerten. Wir kennen das: Ein „anerkannter“ Experte ist der, den große Medien als „anerkannten“ Experten bezeichnen. Wenn Medien einen Experten hingegen als „umstritten“ anführen, dauert es nicht lange, bis seine „Anerkennung“ dahin ist.

Das hat, wohlgemerkt, nicht notwendiger Weise etwas mit der Realität zu tun. Die Medienzuschreibung „Experte“ oder „Nichtexperte“ mag ein Indikator für Qualität eines Forschers sein, aber: Jeder Mediennutzer tut gut daran „anerkannte“ Experten und „umstrittene“ Experten selbst kritisch zu überprüfen und nicht der Medienzuschreibung blind zu folgen.

Die Realität ist leider: „Anerkannte“ Experten sind zu oft insbesondere jene Experten, die fachlich eine von Journalisten gewünschte Weltanschauung untermauern. Der US-Soziologe Charles Wright Mills sprach von „Legitimationswissenschaftlern“, sprich: Fachleuten, die das Handeln der Herrschenden im öffentlichen Diskurs legitimieren. Dazu gehört Ganser sicherlich nicht. Kürzen wir ab: Fulterer nimmt mit der „(medien-) realitätserzeugenden“ Aussage, wonach Ganser ein renommierter Experte „war“ die Perspektive des Mainstreams ein. Weiter mit der Analyse:

„Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er bekannt, als er behauptete: Die amerikanische Regierung hatte selbst mit den Attentaten vom 11. September zu tun. Seither schrieb er weitere Bücher über Ressourcenkriege und Geheimdienste. Ständiger Subtext: Die Bevölkerung wird manipuliert.“

Soweit bekannt, hat Ganser nicht „behauptet“, die amerikanische Regierung habe etwas mit den Attentaten vom 11. September zu tun. Ganser hat, wissenschaftlich sauber, drei in der Öffentlichkeit vorhandene Erklärungen für die Anschläge in einem geschichtswissenschaftlichen Seminar herausgearbeitet. Demnach gibt es die „offizielle Version“, wonach die USA „überrascht“ (surprise) wurden. Manche gehen von „Let it happen on purpose“ aus (also angenommen, die Regierung wusste von den Anschlagsplänen und hat sie bewusst zugelassen), andere von „Made it happen on purpose“ (die Regierung hat die Pläne selbst entworfen).

Zu sagen, die „amerikanische Regierung könnte etwas mit…zu tun haben“ ist etwas anderes als zu sagen: die amerikanische Regierung „hat“ mit…zu tun.“ Das eine ist die Möglichkeitsform, das andere die Wirklichkeitsform.

Ganser liefert keinen „Subtext“ sondern nachprüfbare Fakten

Nun geht es inhaltlich ganz schnell: Die Autorin klärt die Leser darüber auf, dass Ganser über „Ressourcenkriege“ und „Geheimdienste“ schreibt, er in einem Subtext vermittele, die Bevölkerung werde manipuliert. Zunächst: Nein, Ganser liefert in Sachen Manipulation von Bürgern keinen „Subtext“. Er spricht offen Manipulationen an. Nachzusehen in vielen seiner Vorträge.

Aber, viel wichtiger: Er liefert sogar konkrete Beweise, wie Bürger manipuliert werden. Er führt in seinen Veröffentlichungen, in seinen Auftritten, immer wieder Beispiele für Manipulationen der Öffentlichkeit an – auch und insbesondere von Medien, die oft distanzlosen Nachrichten, die in das Weltbild von Journalisten passen, unkritisch verbreiten – , wie etwa die bereits angesprochene Brutkastenlüge.

Wäre es an dieser Stelle des Artikels für eine Journalistin, die sich der Objektivität verpflichtet fühlt, angebracht, den NZZ-Lesern einen Einblick zu geben, was Ganser meint, wenn er von Manipulation spricht? Natürlich! Denn nur so kann der Leser einschätzen, ob Gansers Manipulationsverdacht gegenüber Geheimdiensten und Regierungen substantiiert ist. Doch genau darum geht es der NZZ offensichtlich nicht. Hier ersetzt Raunen Information.

NZZ konstruiert das Bild eines Manipulators

Die Autorin schiebt Gansers Manipulationsvorwurf in den „Subtext“, das heißt auch, in den eher vagen Bereich – wo es offensichtlich auch keine konkreten Beispiele für seinen Manipulationsverdacht gibt.

So lässt die NZZ einen Forscher „entstehen“, der auf einer unterschwelligen Ebene, quasi: „hinterrücks“ bei seinem Publikum Zweifel sät. Das Publikum, so der Eindruck, wird von Ganser durch den im „Nebenklang“ vermittelnden Manipulationsverdacht gegenüber staatlichen Institutionen in eine zweifelhafte Richtung gelenkt. Das Bild eines gewieften Akteurs wird sichtbar, der selbst als großer Manipulator agiert. Voilà! Hier steht also wieder der Guru, der seine „Jünger“ verführt.

In der Gedankenwelt des Artikels ist es offensichtlich nicht so, dass Regierungen, Geheimdienste und andere Institutionen „manipulieren“. Es wird geradezu so getan, als ob Manipulation in unserer Gesellschaft nicht omnipräsent sei. Man könnte als Journalistin, die mit dem Anspruch antritt, das NZZ-Publikum aufklären zu wollen, beispielsweise einen Satz darüber verlieren, „Wie das Pentagon militärische Analysten dazu benutzt die Medien zu manipulieren“, – nachzulesen im renommierten „Guardian“. Die Autorin könnte auf die „Geschichte der Kriegspropaganda“ eingehen (hier nachzulesen bei der Bundeszentrale für politische Bildung – die nicht gerade als Frontorganisation der „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet werden kann).

Nichts davon. Dass Ganser darüber in seinen Vorträgen spricht: egal. So sieht Journalismus aus, der wohl ein Problem damit hat, zu sagen, „was ist“. Abermals wird deutlich: Der NZZ geht es offensichtlich nicht um ein möglichst objektives, sauberes Bild. Ganser muss ein Guru sein. Er muss ein Manipulator sein. Seine Leser können nur „Verführte“ und „Spinner“ sein. Das, so drängt es sich einem immer mehr auf, will der Artikel liefern. Und das tut er.

So eindimensional, wie der Begriff „Manipulation“ im Text Anwendung findet, so tauchen auch die Begriffe „Ressourcenkriege“ und „Geheimdienste“ auf. Westliche Geheimdienste, die Terror verüben? Gewiss, wir vergessen einfach, beispielsweise, den Anschlag auf die Rainbow Warrior. Und der „imperiale Zungenschlag“ des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, als dieser von Ressourcenkriegen sprach, war nicht so gemeint. Oder er ist ein Verschwörungstheoretiker.

Autorin rückt Gansers Publikum in esoterische Ecke

Auf den folgenden Abschnitt verzichten wir aufgrund des Umfangs dieser Analyse.

„Ganser scharte so eine beachtliche Gefolgschaft um sich. Er verkauft nicht nur Bücher, sondern tourt mit Vorträgen durch Deutschland, die Schweiz und Österreich. Was bewegt jene, die ihm zuhören? Eine Reise durch das Universum der Ganser-Fans im Corona-Jahr.“

Weiter mit:

„Es ist Mitte Februar, und Menschen dürfen sich noch in Mengen drängen. Das tun sie bei den Wohlfühltagen in Luzern. Weniger bei den Ständen für Lichttherapie und Granderwasser, mehr bei Gansers Vortrag «Warum Achtsamkeit wichtig ist, wenn man Kriegslügen aufdeckt». Das Thema ist nicht gerade lebensnah, trotzdem müssen Extrastühle in den Vortragssaal der Messehallen gebracht werden. Mein Sitznachbar fragt mich, ob auch ich eine «Erwachte» sei.“

An dieser Stelle lässt die NZZ-Autorin Gansers Publikum in Erscheinung treten. Die Begriffe „Wohlfühltage“, „Lichttherapie“ und „Granderwasser“ entfalten ihre Wirkung. Hier kann es nur um irgendein esoterisches Geschehen gehen. An solch einem Ort – jetzt wissen wir es – bewegen sich also „Gansers Jünger“. Das ist der Ort, an dem der Oberguru himself auftritt. Unter dem Titel „Warum Achtsamkeit wichtig ist, wenn man Kriegslügen aufdeckt" hält Ganser einen Vortrag. Es bleibt die Frage, warum gerade dieser Ort von Fulterer ausgesucht wurde. Ganser hält viele Vorträge im Jahr. An ihnen sind gewiss nicht immer Stände für „Lichttherapie“ aufgebaut.

Aufdeckung von Kriegslügen für NZZ kein „lebensnahes“ Thema

Der Titel sollte eigentlich für jeden, der für Frieden ist, interessant klingen. Anders formuliert: Die Frage, wie man als Bürger so „achtsam“, „wachsam“ sein kann, dass man Kriegslügen (auch solche, die Qualitätsmedien verbreiten) erkennt, ist ziemlich wichtig. An einem Vortrag zu solch einem Thema sollte es erstmal nichts auszusetzen geben. Doch der NZZ-Autorin fällt zu dem Titel Folgendes ein: „Das Thema ist nicht gerade lebensnah…“

„Nicht gerade lebensnah“? Ab wann ist das Thema denn „lebensnah“? Zugespitzt: Für die Menschen, denen selbst eine „Kriegslügenbombe“ auf den Kopf fällt, ist das Thema wohl ziemlich lebensnah – aber dann ist es zu spät und sie sind tot.

Am Ende dieses Absatzes lässt die Autorin zum ersten Mal eine Person zu Wort kommen, die Ganser gut findet. Wunderbar passend fragt die Person, die zufälligerweise auch noch genau neben der Autorin sitzt, ob Fulterer auch eine „Erwachte“ sei. Es mag sein, dass diese Frage tatsächlich genauso von einem Besucher des Vortrags gestellt wurde. Aber es ist, das darf man anmerken, schon ein gewisser „Zufall“, dass ein Besucher gerade solch eine Frage stellt (die eine Steilvorlage ist, um Gansers Publikum als „schräg“ zu zeichnen).

Wichtig ist: Die sprechende Person ist anonym. Die Autorin zitiert die Person nicht mit ihrem Namen, so dass man überprüfen könnte, ob sie diese Frage tatsächlich so gestellt hat und was sie sonst noch so gesagt hat. Halten wir diese Feststellung fest. Denn es kommen weitere anonyme Sprecher dazu.

„Neunzig Minuten lang staunt, lacht und empört sich das Publikum mit Ganser, der einen Bogen spannt von Galileo Galilei, der verfolgt wurde, weil er die Wahrheit über die Sonne und die Erde sagte, bis zu ihm, Ganser, und der Unterdrückung seiner Forschung.

Ganser sagt: «Das Prinzip der Kriegspropaganda ist es, bei einem Menschen die Erinnerung daran auszulöschen, dass der andere zur Menschheitsfamilie gehört. 9/11 war das extremste Beispiel, aber es war immer so.»

Hinter Ganser erscheinen an der Wand Schlagzeilen der «Bild»-Zeitung: Biowaffen, Raketenbunker, der Irak.

Um sich gegen die Propagandamaschine zu wappnen, sei Training nötig: Ganser rät, den Blick weg von den Nachrichten und nach innen zu wenden. Er erklärt, was man tun kann, wenn einen Freunde wegen der eigenen Haltung kritisieren. Es sei ähnlich, wie wenn man kalt dusche: «Zuerst fühlt es sich schlecht an, aber dann wird man stärker. Man wird immun.»

Der Abend hat die Dynamik eines Rockkonzertes, die Fans können die Hits beinahe auswendig. Pointen braucht Ganser nur mehr anzudeuten. «Wikipedia, die ‹freie› Enzyklopädie.» Lachen im Saal. Alle hier wissen: Wikipedia ist einseitig, manipuliert. Beim Eintrag zu Daniele Ganser steht: «Er verbreitet Verschwörungstheorien.»“

In diesen Abschnitten thematisiert Fulterer Gansers Vortrag.

Aus einem 90-minütigen Vortrag sind das die „Inhalte“, die die Autorin den NZZ-Lesern mitteilt. Wer die Vorträge von Daniele Ganser kennt, der weiß: Es sind Vorträge, die inhaltlich gefüllt mit Beispielen, mit Anschauungsmaterial sind. Man könnte sagen: Konkret, konkreter, Ganser-Vortrag. Von all den greifbaren Inhalten, von den harten Fakten, die Ganser in seinen Vorträgen präsentiert: keine Spur in dem NZZ-Artikel. Die Abwesenheit von Journalismus kommt an dieser Stelle zum Vorschein.

Journalismus, der auf konkrete Fakten verzichtet

Wie will man aus diesen inhaltsleeren Zeilen als Leser, der vielleicht noch nie von Ganser gehört, noch nie einen seiner Vorträge gesehen hat, den Wissenschaftler und Autor inhaltlich sauber einordnen? Das ist unmöglich.

„Neunzig Minuten“ lang ein Publikum das „staunt“, „lacht“, „empört“, ein gespannter „Bogen“ von „Galileo Galilei“ zur „Wahrheit“, zur „Sonne“, zur „Erde“, zu „Ganser“, zu „unterdrückter Forschung“, „Kriegspropaganda“, „Menschheitsfamilie“, „9/11“, „Bild-Zeitung“, „Bio-Waffen“, „Raketenbunker“, „Irak“, „Propagandamaschine“, „Rockkonzert“, „Wikipedia“.

Dies erinnert an Billy Joels Song „We didn’t start the fire” – nur das Joel kein Journalist, sondern ein Künstler ist und in der Lage war, aus einzelnen Begriffen und Schlagwörtern tatsächlich Inhalt abzuliefern.

Was hat hier eigentlich der zuständige NZZ-Redakteur gemacht?

An dieser Stelle des Artikels muss die Frage gestellt werden: Hat da überhaupt ein Redakteur drüber gelesen? Wäre es nicht angebracht von Redakteursseite zur Autorin Ruth Fulterer zu sagen: „Bitte, füllen Sie diesen Absatz mit konkretem Inhalt. Lassen Sie uns nachvollziehen, an welchen konkreten Beispielen Ganser seine Position festmacht.“

Doch, um es abermals zu sagen: Das wäre der Fall, wenn Journalismus, wenn „Inhalt“ gewünscht wäre. So wie der Artikel angelegt ist, so wie er sich präsentiert, drängt sich der Schluss auf, dass „Inhalt“ eben nicht gefragt war.

„Nach dem Vortrag bildet sich vor dem Signiertisch eine Schlange. Ich versuche, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Aber wenn ich mich als Journalistin vorstelle, will keiner reden, weder trainierte Mittzwanziger noch ältere Ehepaare in Anoraks. Also verschweige ich es. Eine Frau in der Schlange raunt, neben ihr sei ein Journalist im Publikum gewesen. «Ah, woran haben Sie denn das erkannt?» – «Der hat so komisch geschaut. Und nicht mitgelacht.»

Ein paar Leute reden dann doch, auch nachdem ich erwähnt habe, dass ich Journalistin sei. Sie erzählen, dass sie Ganser schon oft auf Youtube gesehen hätten. «Tagesschau» schauten sie nicht mehr, damit die Propaganda sie nicht erreichen könne. Ein junger Mann, der sich als ehemaliger Soziologiestudent vorstellt, gibt mir seine Kontaktdaten und verspricht, am Telefon mehr zu erzählen. Sie alle eint: Sie glauben Ganser und seinen Thesen, obwohl kaum ein seriöser Wissenschaftler diese teilt.

Oft drehen sich Verschwörungserzählungen um einschneidende Ereignisse: der Mord an John F. Kennedy, die Mondlandung, der 11. September. Die Welt wird kollektiv erschüttert, und innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen kann man etwas beobachten, was sich meist abseits der Aufmerksamkeit weiterentwickelt: Weltgeschichte.

Und dann soll da, hinter dieser einschneidenden Veränderung, einfach eine banale Ursache stehen? Ein Verrückter, Glück, ein paar Terroristen? Gar der Zufall? Kann das wirklich sein?

Wenige Wochen nach dem Vortrag von Ganser ruft die WHO die Pandemie aus. Es ist die Geburtsstunde einer ganzen Familie neuer Verschwörungstheorien. Auch viele von Gansers Jüngern werden ihnen glauben. Weil sie bei Ganser bereits eingestimmt wurden.“

Auch diese Passage ist gekennzeichnet von namenlosen Personen, deren Handeln die Autorin beschreibt, Personen, die Fulterer durch direkte und indirekte Zitate sprechen lässt. Auch das ist aus journalistischer Sicht zumindest nicht unproblematisch. Ob diese Gespräche, diese Aussagen so stattgefunden haben oder nicht, lässt sich nicht nachvollziehen. Als Leser darf man dann entscheiden, ob man der Autorin glaubt, oder nicht.

„Sie alle eint: Sie glauben Ganser und seinen Thesen, obwohl kaum ein seriöser Wissenschaftler diese teilt.“

Was will ein Leser nun mit solch einer pauschal gehalten Aussage anfangen? „Kaum ein seriöser Wissenschaftler“ – das ist natürlich nicht ungeschickt von der Autorin formuliert. Sie hätte auch schreiben können: „kein seriöser Wissenschaftler“. Dann stünde sie aber vor dem Problem, dass man nur einen einzigen „seriösen“ Wissenschaftler anführen müsste, um ihre Aussage zu entkräften. Doch das Wörtchen „kaum“ lässt die Aussage dehnbar werden wie ein Kaugummi.

Autorin geht nicht naiv mit Sprache um

An solchen sprachlichen Auffälligkeiten ist zu bemerken, dass die Autorin nicht naiv ist. Sie weiß, wie sie mit Sprache umgeht, wie sie Begriffe einsetzt, sprachliche Distanz schafft und überhaupt: das Spiel mit Andeutungen und Kontexterzeugung beherrscht. Gewiss: Es wäre verwunderlich, wenn eine Journalistin dazu nicht in der Lage wäre. Wenn man allerdings weiß, dass eine Autorin mit Sprache umzugehen versteht, dass sie auch intellektuell aufgrund ihrer formalen Bildung und Ausbildung in der Lage ist, komplexere Themen und Sachverhalte zu durchdringen, dann stellt sich die Frage, wie es zu einer derart unterkomplexen Realitätsdarstellung wie in dem Artikel kommen kann?

Wir haben bereits oben darüber gesprochen, dass das Adjektiv „seriös“ eine Zuschreibung ist, die nicht einfach neutral aufgefasst werden darf. Sie beruht auf „Zuschreibungsmacht“. „Seriös“ ist, wer als „seriös“ bezeichnet wird. Gerade wenn solch eine Zuschreibung in Zusammenhang mit Wissenschaft auftaucht, gilt es, kritisch zu hinterfragen.

Das wissenschaftliche Feld – man denke an die Arbeit des französischen Soziologen Pierre Bourdieu – ist durchzogen von Macht- und Positionskämpfen. Auch muss das wissenschaftliche Feld in seinen Beziehungen zu anderen Feldern gedacht werden, um zu begreifen, dass das, was als „seriös“ und „wahr“ betrachtet wird, oft mit das Produkt von Macht- und Herrschaftsverhältnissen ist. Auch wenn mancher das nicht hören möchte: Die wissenschaftliche „Wahrheit“ vollzieht sich nicht in einem luftleeren, herrschaftsfreien Raum.

Wer ist also als Wissenschaftler seriös? Ist der Wissenschaftler seriös, der den 9/11-Commission-Report liest und zu dem Ergebnis kommt, dass die Anschläge eindeutig aufgeklärt sind? Oder ist der Wissenschaftler seriös, der den 9/11-Commission-Report studiert und der, ähnlich den „Jersey Girls“ der Ansicht ist, dass es noch „offene Fragen“ gibt?

Abneigung gegen ketzerische Fragen

Man könnte an dieser Stelle der Frage nachgehen, wie eigentlich das „Universum“ der NZZ-Autorin aussieht. Von welchem „Denkstandort“ betrachtet sie die Welt, politische Ereignisse und: Daniele Ganser? Oftmals ist bei denjenigen, die sich an das klammern, was sie als „seriöse Wissenschaft“ bezeichnen, ein stark ausgeprägter Hang zur Anerkennung der Orthodoxie festzustellen. Soziologisch lässt es sich recht gut erklären, wie aufgrund einer bestimmten Sozialisation Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata eingeschliffen werden, die zur Einverleibung einer „relativ naiv-natürlichen Weltanschauung“ führen – eine Weltanschauung, die bei nicht wenigen eine regelrechte Abneigung für ketzerische Fragen und Perspektiven entstehen lässt.

„Auch viele von Gansers Jüngern werden ihnen glauben. Weil sie bei Ganser bereits eingestimmt wurden.“

So einfach kann man es sich machen. „Gansers Jünger“ würden neuen „Verschwörungstheorien“ glauben, weil Ganser sie eingestimmt habe. Wieder kommt das Bild einer Masse zum Vorschein, die nicht in der Lage ist, selbständig zu denken. „Gansers Jünger“ glauben natürlich nicht etwa deshalb an eine „neue Verschwörungstheorie“, weil sie diese sorgfältig geprüft haben und zu dem Ergebnis gekommen sind, dass an ihr etwas dran sein könnte.

Das Urteil ist längst gefällt. Für Differenzierung ist auch an dieser Stelle kein Platz. Die offensichtlich nicht kleine Gruppe an Bürgern, die die Arbeit von Ganser wertschätzt, kann nur aus unreflektierten Guru-Anhängern bestehen. Von einer Qualitätszeitung wie der NZZ darf erwartet werden, dass dieses Bild mit klaren Fakten untermauert wird. Stattdessen: bisher nur anonyme Personen, die eigenartiger Weise immer genau das sagen und sich so verhalten, wie es ins „Bild“ passt.

Unkritischer Gebrauch von Kampfbegriffen

Zu kritisieren ist die Autorin auch für den kritiklosen Gebrauch des Begriffs „Verschwörungstheorie“. Das ist ein Kampfbegriff. Er markiert die Konfliktlinie in unserer Gesellschaft zwischen Vertretern des „Mainstreams“ und den „Alternativen“. Der Begriff wird, entgegen der Realität, in großen Medien nahezu durchgehend negativ verwendet. Dieser einseitige Gebrauch des Wortes führt dazu, dass es als Kampfbegriff gegen Wirklichkeitsvorstellungen eingesetzt wird, die sich konträr zum Mainstream in Position bringen. Auch Fulterer trägt durch ihren Artikel dazu bei, dass nur eine Seite der Medaille gezeigt, während die andere verborgen wird.

Das ist aus journalistischer Sicht ebenfalls untragbar. Schließlich: „Verschwörungstheorien“ sind ein völlig legitimer Akt des Denkens. Menschen auf diesem Planeten haben alles Mögliche hervorgebracht. Auch reale Verschwörungen. Derzeit existieren acht Milliarden Menschen auf der Erde. Soll es dabei tatsächlich keine realen Verschwörungen geben?

Wenn es also reale Verschwörungen gibt, dann ist es nur logisch und völlig nachvollziehbar, dass Menschen sich Gedanken machen und sie bei Betrachtung bestimmter weltpolitischer Ereignisse gegebenenfalls eine Verschwörungstheorie entwickeln. Was soll daran schlimm sein? Nichts. Gar nichts. So lange Verschwörungstheorien nicht mit böser Absicht in die Welt gesetzt werden, um bestimmte Gruppen zu diskreditieren, so lange sie keine anti-semitische oder rassistische Basis haben, sind Verschwörungstheorien eben das, was in einer pluralistischen Gesellschaft, die von Meinungsvielfalt geprägt sein soll, völlig legitim ist.

„Julian, der wie alle, die einverstanden waren, mit mir zu reden, in Wirklichkeit anders heisst, ist ein Arzt Anfang dreissig und der Freund eines Freundes von mir. Er kommt aus Deutschland und arbeitet in einem Krankenhaus in der Schweiz. Von den Fans, die ich treffen werde, ist er der einzige, der Ganser nicht nur von Youtube-Videos kennt, sondern seine Bücher tatsächlich gelesen hat. «Imperium USA», Gansers jüngstes Buch, hat Julian gleich bestellt, als es erschienen ist.

«Imperium USA» ist eingängig geschrieben. Aber auch einseitig: Es zeichnet ein Bild von den USA als Unrechtsstaat, der von Anfang an nur ausbeutete: die Indigenen, Südamerika, den Nahen Osten.

Vieles ist interessant, vieles ist belegt.“

Nun versucht die Autorin es mit etwas mehr Ausgewogenheit. Ein „Fan“ von Ganser kommt zu Wort. Auch er spricht leider nur anonym, unter falschem Namen. Die Autorin lässt den Leser wissen, dass es einen Grund dafür gibt, Julian etwas ausführlicher als andere Personen, die Ganser gut finden, zu Wort kommen zu lassen. Denn er, „Julian“, habe im Gegensatz zu allen anderen „Fans“, mit denen die Autorin gesprochen habe, Gansers Bücher gelesen.

Es wäre an dieser Stelle interessant, mit wie vielen „Fans“ Fulterer insgesamt gesprochen hat. Bei dem Vortrag wollten viele offensichtlich nicht mit ihr reden, einige haben es, so sagt sie, dann doch getan. Aber nochmal: Wie viele? 20? 30? Oder vielleicht 3? 4? Interessant ist diese Detailfrage deshalb, weil so weiter der Eindruck verstärkt wird, Gansers „Jünger“ wären eine leicht manipulierbare Masse, die sich in großer Zahl nicht mal vernünftig mit der Arbeit ihres „Gurus“ auseinandersetzt (was eigenartig wäre. Gansers Bücher werden zu Beststellern, aber kaum jemand liest sie?). Aber auch diesbezüglich bleibt die Journalistin im Vagen.

„«Imperium USA» ist eingängig geschrieben. Aber auch einseitig: Es zeichnet ein Bild von den USA als Unrechtsstaat, der von Anfang an nur ausbeutete: die Indigenen, Südamerika, den Nahen Osten.

Vieles ist interessant, vieles ist belegt. Julian lobt immer wieder die Quellenarbeit. Das tun viele von Gansers Fans, weil seine Bücher und Vortragsfolien voller Fussnoten sind.“

An dieser Stelle geht die Autorin auf Gansers letzten Bestseller ein. Wir erfahren: Das Buch ist „eingängig geschrieben“, „vieles ist interessant, vieles ist belegt“, aber: Das Werk sei auch „einseitig“.

Wieder fragt sich der Leser: Was genau ist jetzt der Punkt? Wir haben es also mit einem gut geschriebenen Buch zu tun, dessen Autor viel Interessantes präsentiert und vieles belegt, aber das auch einseitig ist. Gut. Nehmen wir den Vorwurf der Einseitigkeit zunächst einmal hin. Stellen wir nochmal die Frage: Und? Wo ist jetzt das Problem?

Bücher, gerade populärwissenschaftlich geschriebene Bücher sind oft, irgendwie, „einseitig“. Ja, das ist im Grunde genommen das, was Verleger geradezu fordern. Eine gewisse Einseitigkeit ist auch das, was ein „gutes“ Buch ausmachen kann. Sachbuchautoren vertreten oft eine bestimmte Sicht. Ganser kritisiert nicht die USA, sondern er kritisiert die US-amerikanische Machtpolitik – was im Hinblick auf Hiroshima, Vietnam und Agent Orange, den Irak-Krieg, Drohnen-Morde und andere Tatsachen nicht völlig unangebracht ist.

Gansers Fußnoten werden als etwas Problematisches präsentiert

Rechtfertigt also ein angeblich „einseitig“ geschriebenes Buch solch ein Raunen, wie es in dem NZZ-Artikel durchgängig zu hören ist? Darf man deshalb einem Akteur wie Ganser seine Redlichkeit absprechen? Nein. Das sollte man nicht tun. Die Frage muss lauten: Wie einseitig ist Gansers Buch? Dazu wird die Autorin im darauffolgenden Abschnitt etwas „näher“ eingehen. Bleiben wir noch für einen Moment bei diesem Abschnitt. Wir erfahren weiter, dass Gansers „Bücher und Vortragsfolien voller Fußnoten sind.“

Würde dieser Artikel von Objektivität geprägt sein, wären diese Hinweise ein Punkt, der für den Wissenschaftler Daniele Ganser spräche. Er macht eben das, was fundierte wissenschaftliche Arbeit kennzeichnet: Transparenz, klare Quellenangaben, Belege, viele Fußnoten. Doch in dem veranschlagten Kontext des Artikels passiert etwas Bemerkenswertes: Dem Leser drängt sich der Verdacht auf, dass nachvollziehbare Belege für zitierte Quellen bei Ganser aus irgendeinem Grund gegen ihn sprechen. Was sonst ein Grund wäre, einen Buchautor zu loben, klingt nun verdächtig.

Ein altbekanntes Prinzip kommt zum Vorschein. Ist das Urteil über einen Menschen erst einmal gefällt, kann er sagen und tun, was er will. Alles wird so gedreht, dass es in einem negativen Licht steht.

Will ein Journalist das Werk eines Autors unbedingt schlecht rezensieren, dann wird aus einem „umfangreichen“ ein „dickleibiges“ Buch. Ist das Buch eher knapp und auf den Punkt gehalten, sagt man dem Leser, es sei ein „dürres Pamphlet“. Bei Ganser sind es nun die zahlreichen Fußnoten, an denen man Anstoß finden soll. Das sagt die Autorin zwar nicht explizit, aber man kennt aus ähnlichen Beiträgen Äußerungen zur Arbeit so genannter „Verschwörungstheoretiker“. Tenor: Verschwörungstheoretiker versuchen, durch besonders viele Fußnoten ihren Publikationen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Im Unterton wird hier also Gansers wissenschaftliche Arbeit in Frage gestellt. Ist Ganser etwa ein Blender? Will er Wissenschaftlichkeit nur vortäuschen?

„Leider wird gerade dort, wo der Inhalt misstrauisch stimmt, die Quellenlage dürftig. Zum Beispiel schreibt Ganser, die Regierung der USA sei über die Pearl-Harbor-Anschläge bereits im Vorfeld informiert gewesen, habe die dort stationierten Soldaten aber geopfert, um die amerikanische Bevölkerung gegen Japan aufzuhetzen.

Es ist eine bekannte Verschwörungstheorie. In Gansers Buch kommt sie scheinbar fundiert daher. Schliesslich behauptet er das nicht selber. Er stützt sich auf Quellen, ein, zwei Bücher. Er verschweigt, dass die meisten Historiker davon ausgehen, dass es sich für die Regierung nicht ausgezahlt hätte, einen so grossen Teil der Streitkräfte zu opfern, zumal die Mehrheit im Kongress sowieso hinter dem Präsidenten gestanden habe.“

Endlich ein konkreter Punkt

Die Autorin kommt an dieser Stelle auf den Punkt. Endlich erfolgt eine Kritik, die sich auf einen konkret greifbaren Vorwurf konzentriert. Es geht um den japanischen Angriff auf den US-Kriegshafen Pearl Harbor im Dezember 1941. Obwohl Ganser also seine Quellen gut dokumentiert habe, sei an inhaltlich kritischen Stellen im Buch eine dürftige Quellenlage auszumachen. Wir erfahren, dass Ganser sich bei der Annahme, die USA seien über die Attacke vorab informiert gewesen, zwar auf Quellen stütze, allerdings kritisiert die Autorin die geringe Anzahl der Quellen. Hinzu komme, dass Ganser die Leser nicht umfassend genug aufkläre. Sie schreibt:

„Er verschweigt, dass die meisten Historiker davon ausgehen, dass es sich für die Regierung nicht ausgezahlt hätte, einen so großen Teil der Streitkräfte zu Opfern…“

Werfen wir einen Blick in Gansers Buch:

„…auf Wikipedia wird im Eintrag zu Pearl Harbor diese reale Verschwörung als »Verschwörungstheorie« abgetan, die angeblich »von der Mehrzahl der Historiker mangels seriöser Belege zurückgewiesen« werde. Natürlich haben Historiker zu Pearl Harbor unterschiedliche Auffassungen. Einige, darunter Manfred Berg, der an der Universität Heidelberg lehrt, stufen dieses Ereignis tatsächlich als einen Überraschungsangriff ein. Andere aber nicht.“

Und Ganser schreibt weiter:

„Es gibt keine Abstimmung unter den Historikern in allen Ländern der Welt und auch nicht im deutschsprachigen Raum, aus der hervorgehen würde, was die Mehrheit zu Pearl Harbor denkt. Die Behauptung von Wikipedia ist ohne Grundlage. Auch die Neue Zürcher Zeitung führt ihre Leser in die Irre. »Die Überraschung war total. Der Angriff traf die Amerikaner unvorbereitet«, behauptet die Neue Züricher Zeitung. Das ist aber nicht richtig. Nur das Volk und der Kongress waren überrascht, der Präsident und die Verschwörer waren es nicht. Präsident Roosevelt und seine engsten Berater hatten alles dafür gegeben, dass Japan den ersten Schuss auf die USA abgibt.“

Die NZZ ist selbst Konfliktpartei

Wir halten fest: Daniele Ganser kritisiert die NZZ für ihre Berichterstattung zu Pearl Harbor.

Die NZZ-Autorin erhebt in einem Artikel über Ganser, als vorgeblich objektive Berichterstatterin, den Vorwurf, dieser führe seine Leserschaft in Sachen Pearl Harbor in die Irre – die Autorin verschweigt dabei allerdings den Konflikt, den es zwischen der Zeitung und dem Wissenschaftler bei dem angesprochenen Thema gibt.

Warum verschweigt sie das? Der Konflikt, der offensichtlich im Hintergrund schwelt, ist für die Leserschaft nicht unwichtig. Denn so wird deutlich: Die NZZ ist im Grunde genommen bei diesem Thema selbst „Partei“. Die Frage darf gestellt werden: Haben deshalb vielleicht die zuständigen Redakteure einen Text, der nahezu ausschließlich aus anonymen Quellen besteht und auch handwerklich höchst fragwürdig ist, ins Blatt gehoben?

Hinzu kommt: Die Autorin schreibt, dass „…die meisten Historiker davon ausgehen…“ und hat diese Aussage mit einem Link unterlegt. Ganser schreibt in seinem Buch, dass es keine „Abstimmung unter den Historikern in allen Ländern der Welt und auch nicht im deutschsprachigen Raum [gibt], aus der hervorgehen würde, was die Mehrheit zu Pearl Harbor denkt.“ Folgt nun unter dem Link eine klare Widerlegung von Gansers Aussage? In dem verlinkten Artikel, der eher kurzgehalten ist, schreibt ein anderer Autor Folgendes:

„Most historians have rejected the claims of Beard, Tansill, and Buchanan as reductionist and unconvincing. …. Most historians believe that there was no back door to war and no conspiracy to trick the American public into a conflict it did not wish to fight in either Europe or Asia.”

Das ist also Fulterers „Gegenbeweis“. Der Autor dieses englischsprachigen Artikels spricht zwei Mal von „der Mehrheit der Historiker“. Wo und wie er zu dieser Aussage kommt, wie fundiert sie ist, auf welchen Quellen sie beruht, ist nicht nachvollziehbar. Wir wissen als Leser auch nicht, wie der Autor, Robert Dallek, einzuordnen ist. Er ist, wie in dem englischsprachigen Artikel steht, ein emeritierter Professor, der einschlägig veröffentlicht hat. Aber wie ist seine Forschung zu bewerten? Welche politischen Ansichten hat er? Welche Wirklichkeitsvorstellungen bilden die Grundlage seiner Forschung?

NZZ verwandelt unbelegte Annahme in schlagenden Gegenbeweis

Fulterer genügt die Aussage Dalleks, um dem Historiker Ganser entgegenzutreten und zu sagen, die „meisten Historiker gehen [davon aus]…“. Halten wir fest: In dieser Absolutheit ist die Aussage von Fulterer nicht haltbar. Ganser sagt völlig zu Recht, dass nicht erfasst ist, was „die Mehrheit“ der Historiker der Welt zu Pearl Harbor denken.

Man mag Fulterer und der Quelle, auf die sie sich stützt, soweit entgegenkommen, dass vielleicht tatsächlich „die Mehrzahl“ der Historiker von einem Überraschungsangriff ausgeht. Nur: Dann sollte man kenntlich machen, dass es sich dabei um eine Annahme handelt.

Auf insgesamt 22 Seiten schreibt Ganser in seinem Buch über Pearl Harbor, die Zusammenhänge, den Angriff, die Auswirkungen. Inhaltlich sind diese Seiten sehr dicht geschrieben, klar in der Argumentation, nachvollziehbar in den Schlussfolgerungen. Das soll nicht heißen, dass Ganser mit seinen Schlüssen zwangsläufig recht hat, aber: Fulterers Einlassungen sind eben keine Widerlegung.

„Oft folgt nach einer minuziösen Beschreibung seiner Variante eines historischen Ereignisses eine Relativierung à la «So könnte es auch gewesen sein». Julian findet Gansers Schreibstil wissenschaftlich. Auch zu 9/11 zeige Ganser nur die verschiedenen Theorien auf, sagt Julian, von «make it happen» bis «let it happen». Ganser stelle nur Fragen.“

Nach Vorwurf der Einseitigkeit folgt Vorwurf der Mehrseitigkeit

An dieser Stelle stutzt man als Leser: Wurde Ganser gerade noch „Einseitigkeit“ vorgeworfen, erfährt man nun, dass er nach detaillierten Beschreibungen einer Lesart auch eine andere, gegenteilige Lesart folgen lässt. Erneut kommt zum Vorschein, dass eine Vorgehensweise, die dem Wissenschaftler Ganser positiv anzurechnen wäre, negativ interpretiert wird. Offensichtlich informiert er sein Publikum doch umfassend. Er macht sie darauf aufmerksam, dass es unterschiedliche Geschichtsdeutungen gibt.

„«Aber denkst du wirklich, dass es möglich wäre, dass so viele Leute zusammenarbeiten und Tausende Landsleute umbringen als Vorwand für einen Krieg?», frage ich.

«Ich traue es den Amis schon zu», sagt Julian. Amerikaner, das seien die, die nach einem Flug aufstünden, während das Flugzeug noch rolle, und in Südafrika respektlos mit schwarzen Kellnern umgingen. Julian findet sie schamlos. «Kann sein, dass mir Ganser deshalb gefällt», sagt er.“

Nun sind wir an einer der problematischsten Stellen des Artikels angelangt. „Julian“, der bisher einen eher vernünftigen Eindruck erweckt hat, outet sich als einer, der pauschal die Angehörigen eines ganzen Landes, verurteilt. Abwertend bezeichnet er „die Amerikaner“ als „die Amis“, eine „anti-amerikanische“ Grundhaltung kommt zum Vorschein. „Die“ Amerikaner gingen also „respektlos mit schwarzen Kellnern“ in Südafrika um.
Das ist eine Aussage, die hart ist. Dumpfer Anti-Amerikanismus ist (leider) weit verbreitet. Lässt man es aus journalistischen Gründen als Medium zu, dass solch eine pauschal diffamierende und hetzerische Aussage den Lesern zugänglich gemacht wird, sollte man gute Gründe haben.

Will eine Zeitung einen Autor wie Ganser einer „kritischen“ Betrachtung unterziehen und dabei aufzeigen, dass sein Publikum problematische Ansichten hat, kann man natürlich solch ein Zitat bringen. Aber: Gerade, weil dieses Zitat auch auf Ganser zurückfällt, an dieser Stelle sich sozusagen ein Kreis schließt (Ganser wird auch immer wieder unterstellt, anti-amerikanische Ressentiments zu bedienen), ist es journalistisch unseriös, solch eine weitreichende Aussage von einer Person anzuführen, die nicht namentlich genannt werden möchte.

Abwertende Aussagen Anderer treffen Ganser

Wer im Rahmen eines Zeitungsartikels gegen andere Personen, Gruppen oder die Mitglieder einer ganzen Nation eine derart „kontroverse“ (hetzerische) Aussage tätigt, der sollte das unter seinem Namen tun – wenn es dafür denn einen journalistischen Grund gibt, solch eine Aussage überhaupt zu veröffentlichen. Dass „Julian“ anonym bleiben möchte, ist nachzuvollziehen.

Dass die NZZ an dieser Stelle Anonymität gewährt, ist jedoch nicht nachzuvollziehen. Zumindest nicht aus journalistischen Gründen. Weder „Julian“, noch seine Aussage, sind so wichtig, als dass die Öffentlichkeit unbedingt von Ihnen erfahren müsste und es keinen anderen Weg gäbe als die Aussagen der Öffentlichkeit unter dem Schutz von Anonymität zukommen zu lassen.

Nachzuvollziehen ist die Veröffentlichung allerdings dann, wenn weniger journalistische als weltanschauliche Interessen bei der Ausarbeitung und Veröffentlichung eines Artikels handlungsleitend sind. Dieser Eindruck entsteht zumindest beim Lesen immer wieder.

„Ein Vortrag über Erdöl und Kriege hat ihn auf Ganser gebracht. Dieser habe eine ganz neue Perspektive auf die Weltgeschichte geboten, eine Alternative zur Erzählung, dass der Westen prinzipiell gut sei und die anderen böse. Gansers Buch «Illegale Kriege» las er mit Begeisterung. «Ganser ordnet die Dinge ein, zu denen die ‹Tagesschau› nur eine Momentaufnahme bietet. In der Schule hatte ich beim Nationalsozialismus das Gefühl, richtig verstanden zu haben, was da gesellschaftlich passiert ist. Aber wenn es um Iran geht oder um Ghadhafi, dann fehlte mir jeder Kontext.»

Als ich nachfrage, was ihn im Unterricht bei Ghadhafi und Iran gestört habe, weiss er es auch nicht mehr. Könnte er sich erinnern, hätte ich wohl wenig dagegenzuhalten. Dazu fehlt mir das Detailwissen.

Das Gespräch mit Julian gibt mir das Gefühl, dass er zuhören würde, wenn ich genug wüsste. Er hängt nicht an Ganser und ist durchaus bereit, sich kritischer mit ihm zu befassen.

Bisher hat er keinen Grund dafür gesehen. Auch nicht in dessen Umgang mit dem Coronavirus.

Dieses hat sich inzwischen in Europa ausgebreitet, mit ihm Eindämmungsmassnahmen und mit denen wiederum Verschwörungstheorien: Das Virus sei gar nicht gefährlich. Die Regierungen benutzten es, um die Bürger einzusperren. Aber Julian hat keine Zweifel an Existenz oder Gefährlichkeit des Virus, dafür landeten genug Opfer auf seinem Seziertisch im Krankenhaus.

Julian sagt: «Meines Wissens hat sich Ganser zum Virus nicht festgelegt.»

Tatsächlich sagte Ganser, als alternative Medien ihn im Frühling zum Coronavirus befragten, als Historiker wolle er sich erst einmal zurückhalten. Und warnte im nächsten Satz davor, abweichende Meinungen zu «diffamieren». Sophie Scholl, Luther und Galilei hätten auch keine Mehrheiten hinter sich gehabt.“

Auch dieser Absatz sei nur knapp analysiert.

Dass Ganser sich zum Virus „nicht festgelegt“ habe (dem ist tatsächlich so), dass er sich „erst einmal zurückhalten“ wolle, ist ein weiterer Punkt, der für ihn als seriösen Historiker spricht. Ganser ist offensichtlich nicht der „Verschwörungsguru“, der hinter jedem gesellschaftlichen Ereignis sofort die große Verschwörung wittert und seine „Jünger“ sofort entsprechend „instruiert“. Die Realität ist offensichtlich: Ganser hält sich in Sachen Covid-19 zurück.

Wie schon eben oben angesprochen: Bei einem um Objektivität bemühten Artikel würde man auch an dieser Stelle erwarten, dass eine entsprechend positive Einordnung vonseiten der Autorin erfolgt. Dem ist wieder nichts so. Stattdessen folgt ein Zitat Gansers, das in dem aufgezogenen Gesamtkontext Lächerlichkeit erzeugt und unterschwellig den Verdacht schürt, Ganser könnte dem Größenwahn verfallen sein. Sophie Scholl, Martin Luther, Galileo Galilei und Daniele Ganser – die Implikation, die so entsteht, ist eindeutig.

Interessant ist an dieser Stelle, dass Fulterer nicht kommentiert. Sie stellt die Aussagen in den Raum. Der Leser darf „frei“ seine eigenen Schlüsse ziehen. Doch diese Schlüsse können unter Berücksichtigung des gesamten Artikels im Grunde genommen nur negativ sein. Erwartet werden kann, dass der Leser durch die durchweg negative „Rahmung“ so eingestellt ist, dass er diese „Information“ schon „richtig“ einordnen können wird. An dieser Stelle sind wir sehr nahe im Bereich der Manipulation.

Der zweite „Fan“

„Anton nennt sich einen «Internationalisten». Ich treffe ihn im August im Gastgarten eines Cafés in Bozen in Südtirol. Er ist ein zierlicher Mann mit buschigen Augenbrauen, ein pensionierter Lehrer – und er findet Ganser gut.

Er kennt Ganser von den Portalen alternativer Medien, die er regelmässig konsultiert, und von Gansers Videos.

Anton erzählt, schon in den 1970er Jahren habe er gegen die Kriege der USA demonstriert. Recht schnell folgt in seiner Argumentationskette auf die Lügen über Massenvernichtungswaffen im Irak die Mutmassung, Russland habe nichts mit dem Giftanschlag auf den Doppelagenten Sergei Skripal und seine Tochter zu tun. «Das waren nur Vorwürfe, und es ist ja nichts herausgekommen», sagt Anton. In solchen Dingen traut er den «Standardmedien» nicht. Die NZZ sei da zum Beispiel «rein imperialistisch».

Mit Bekannten spricht er nicht so oft über diese Themen. Auch online interagiert er nicht. Aber er schaut Videos und liest viel. Was ihm interessant scheint, speichert er in einem eigenen Ordner ab.

Er schickt mir nach meinem Gespräch immer wieder Artikel aus alternativen Medien und Blogs. Als Alexei Nawalny vergiftet wird, erhalte ich von ihm per Whatsapp Links zu Artikeln, die behaupten, dass vor allem der Westen von Nawalnys Vergiftung profitieren würde. Man könne nicht wissen, was genau geschehen sei.

Über Nervengift wüssten auch westliche Geheimdienste Bescheid, da sei es «auffällig», dass alle Putin beschuldigten. Anton schreibt: «Ohne klare Beweise sind Mutmassungen günstig für den Wahlkampf – reiner Opportunismus, um der eigenen Seite einen Persilschein zu besorgen für die ‹deep questions›!»

Enttäuschte «Altlinke» wie Anton sind ein wichtiger Teil von Gansers Fan-Basis. Psychologen sagen, dass enttäuschtes politisches Engagement für Verschwörungstheorien empfänglicher machen könne: Wenn sich trotz so viel Einsatz nichts ändert, dann muss doch «etwas faul sein».

Die Corona-Pandemie nimmt Anton ernst. Umständlich entschuldigt er sich dafür, dass er seine Maske vergessen hat, obwohl wir draussen sitzen. Trotzdem klagt er die Berichterstattung über die Anti-Corona-Demos an. Er sagt, die Medien hätten zum Beispiel die Demonstration in Berlin kleingeredet und die Teilnehmer auf Nazis und «Covidioten» reduziert. Obwohl er selbst nicht auf so eine Kundgebung gehen würde, fühlt er sich den Demonstranten verbunden. Er teilt mit ihnen Informationsquellen, Werte, Helden.

Auch Ganser ist dabei, als in Berlin am 1. August Esoteriker mit Reichsflaggenschwenkern marschierten, mit Plakaten, auf denen «Niemand hat das Recht zu gehorchen» stand und «Wir sind die zweite Welle».

Demonstranten umringen ihn und machen Selfies, als sie ihn entdecken. Ein Fan filmt die Szene und veröffentlicht das Video auf Youtube.“

Auch dieser längere Abschnitt sei nur knapp analysiert.

Neben dem „Anti-Amerikaner“ tritt nun ein zweiter „Fan“ Gansers in Erscheinung. Dabei handelt es sich um einen „Alt-Linken“. Auch ihm gestattet Fulterer und die NZZ Anonymität.

„Enttäuschte «Altlinke» wie Anton sind ein wichtiger Teil von Gansers Fan-Basis. Psychologen sagen, dass enttäuschtes politisches Engagement für Verschwörungstheorien empfänglicher machen könne: Wenn sich trotz so viel Einsatz nichts ändert, dann muss doch «etwas faul sein».“

Gibt es einen Beleg für die Aussage, dass „enttäuschte Altlinke“ ein „wichtiger Teil von Gansers Fan-Basis“ sind? Zumindest bleibt die Autorin diesen Beweis schuldig. Deutlich wird schon jetzt: Gansers Publikum muss „eigenartig“ sein. Da haben wir also einen, der anti-amerikanische Ressentiments schürt und noch einen Altlinken. Beide, dieser Eindruck entsteht, sollen wohl exemplarisch für weite Teile von Ganser „Fan-Basis“ stehen.

Der Begriff „Altlinke“ ist politisch und weltanschaulich stark aufgeladen. Vor dem inneren Auge entsteht das Bild von eigenwilligen, ja schrägen Charakteren, die vor vielen Jahrzehnten gegen das Establishment und gegen den Atomkrieg protestiert haben und womöglich noch von ihrem Äußeren Rainer Langhans von der Kommune 1 ähneln. Und dort wo scheinbar „schrullige“, ja, vielleicht „verschrobene“ Charaktere zu finden sind, hat auch die Psychologie einiges zu tun.

Anonyme psychologische Ferndiagnose

Wie aus dem Hut gezaubert, lässt Fulterer Psychologen (gleich in der Mehrzahl) auftauchen. „Psychologen sagen….“, heißt es in dem Text. Auch dieses in der indirekten Rede gehaltene Zitat kommt ohne Quellenbeleg aus. Welche Psychologen sagen was genau? Wo haben sie das gesagt? Wer sind sie? Wie sind ihre „Befunde“ einzuordnen? Worauf basiert diese Aussage? Wie sind diese Psychologen weltanschaulich zu verorten? Auch hier geht Fulterer den denkbar kürzesten Weg, der einer Qualitätszeitung wie der NZZ nicht gerecht wird.

Ohne also dem Leser die Möglichkeit zu geben, sich selbst ein Bild von der Qualität der Aussage machen zu können, wird plötzlich Gansers Publikum einer psychologischen Betrachtung unterzogen. An dieser Stelle wird es besonders düster. Zur Einordnung von Menschen, die eine bestimmte politische Sicht, eine bestimmte Weltanschauung vertreten, zieht die NZZ Psychologen hinzu. Die Autorin legt Gansers Publikum auf „die Couch“. Der Verdacht, der mitschwingt, ja, der im Grunde genommen offen im Raum steht, lautet: Gansers Publikum hat womöglich ein psychiatrisches Problem!

Wer den Diskurs zum Thema „Verschwörungstheorien“ verfolgt, weiß, dass immer wieder Versuche unternommen werden, so genannten „Verschwörungstheoretiker“ zu psychiatrisieren. Das ist im Hinblick auf die Geschichte der Psychiatrisierung von politisch „Andersdenkenden“, das heißt, von Bürgern, die eine politisch unerwünschte Meinung vertreten, ungeheuerlich. Die Psychologisierung und in der Konsequenz: Psychiatrisierung von so genannten Verschwörungstheoretiker gehört wohl mit zu den schlimmsten Angriffen, die mit Sprache im politischen „Diskurs“ möglich sind.

Psychiatrisierung politisch Andersdenkender und Diskursverseuchung

Wenn angefangen wird, Psychologen in Stellung zu bringen um politische Ansichten, die vom Mainstream abweichen, zu diskreditieren, dann ist ein Grad der Diskursverseuchung erreicht, an dem allenfalls „Diskurs-Saboteure“ ein Interesse haben. Allein schon die Grundprämisse, die dieser Forschung zu Grunde liegen dürfte, nämlich: Dass Menschen, die eine Verschwörungstheorie vertreten, „erforscht“ werden müssten, weil ihre Weltsicht offensichtlich „absonderlich“ sei, lässt tief blicken. Wie wenig Substanz offensichtlich diese Art der „Forschung“ aufzubieten hat, lässt sich erahnen an dem Zitat, das Fulterer anführt:

„Psychologen sagen, dass enttäuschtes politisches Engagement für Verschwörungstheorien empfänglicher machen könne: Wenn sich trotz so viel Einsatz nichts ändert, dann muss doch «etwas faul sein».“

Wenn also ein Altlinker erkennt, dass sein politischer Kampf zu nichts führt, dann komme er irgendwann drauf, dass „etwas faul“ sein müsse. Allein schon die Formulierung, dass „etwas faul“ sein müsse, zeigt, wie diese Aussagen zu deuten sind. Die Gedanken, die „den Altlinken“ untergeschoben werden, münden in einer inhaltlich abwertenden Formulierung. „Etwas faul sein“, das klingt in diesem Kontext nach einer unangebrachten Verdächtigung. Der „Altlinke“, der von seinem eigenen politischen Kampf so aufgezehrt wurde, flüchtet sich in einen abstrusen Verdacht, um wenigstens noch ein kleines bisschen ideologischen Halt zu haben.

Sollte dies der „Befund“ von Psychologen sein, dann stellt sich die Frage, warum die „Psychologen“ beziehungsweise hier in paraphrasierender, verkürzter Form: die Autorin, ihn nicht anders formulieren?

Zum Beispiel: Altlinke haben in ihrem langen, erfolglosen politischen Kampf erkannt, dass selbst in einem demokratischen Staat die Macht der herrschenden Klasse so stark ausgeprägt ist, dass eine Veränderung, die gegen die Interessen dieser Klasse gerichtet ist, keinen Erfolg hat. Sie haben verstanden, dass in einer Demokratie eine Vielzahl von vorgelagerten machtelitären Formationsprozessen stattfindet (man denke nur an die zahlreichen diskreten Zirkel der Machteliten, in die auch Journalisten eingebunden sind), die echte Veränderungen der Verhältnisse nahezu unmöglich machen.

Klingt das nicht anders? Es sei dahingestellt, wie ein Altlinker nun tatsächlich formulieren würde, aber: Will man das Wissen und den Verstand der „Altlinken“, die oftmals ihren Marx gelesen haben, auf den Gedanken und die Formulierung, dass da „etwas faul“ sein müsse, reduzieren? Wer das tut, bewegt sich im Bereich der Manipulation. Hier wird einer Gruppe eine Formulierung in den Mund gelegt, eine Formulierung, die in ihrer Undifferenziertheit und Pauschalität die Gruppe samt ihrer Ansichten in den Augen des Lesers ins Lächerliche zieht. Salopp formuliert: „Ja, ja die Altlinken, für die ist doch immer „etwas faul“, sie sind eben frustriert. Die sollten mal einen Psychiater aufsuchen.“

Gegner von „Verschwörungstheorien“ bewerten „Verschwörungstheoretiker“

Dass bei einem so porträtierten Lesepublikum auch Gansers Erfolg negativ erscheint, liegt auf der Hand. Der naheliegende Schluss wäre dann: Ganser ist eben so erfolgreich, weil es so viele „Spinner“ gibt. Wie aufgezeigt, hätten „die Psychologen“ (beziehungsweise Fulterer) die Motivation „der Altlinken“ auch anders formulieren können.

Und diese Erkenntnis führt uns zu der Frage: Wer sind diese Psychologen eigentlich? Teilen sie selbst Verschwörungstheorien? Können sie sich selbst damit identifizieren? Teilen sie die Annahme, dass es auch in einem demokratischen System reale Verschwörungen gibt? Dass in der Konsequenz Verschwörungstheorien völlig legitim sind und eine pauschale Abwertung unangebracht ist? Es darf davon ausgegangen werden: Genau das ist nicht der Fall. Die Frage muss also lauten: Könnten die „Forschungsergebnisse“ etwa weltanschaulich beeinflusst sein?

Wir halten fest: Psychologen, die vermutlich selbst kaum „Verschwörungstheoretiker“ sind, „erforschen“ „Verschwörungstheoretiker“ und zeichnen dabei ein wenig schmeichelhaftes Bild von den „Verschwörungstheoretikern“. Hinzu kommt dann eine Journalistin, die, wie sich annehmen lässt, offensichtlich auch keine Freundin von Verschwörungstheorien ist und verfasst dann einen Artikel, der – Überraschung – Verschwörungstheorien und ihre Anhänger negativ porträtiert.

Gewiss: Man darf diese Auffassung haben. Man kann die von der Autorin eingenommene Perspektive einnehmen. Nur: Dann sollte besser nicht der Anspruch erhoben werden, ein „objektives Bild“ der NZZ-Leserschaft zu bieten. Der Objektivitätsanspruch, das ist ein zentrales Problem, schwingt aber vor und zurück in dem Artikel.

Psychologisierung ist auch umgekehrt möglich – aber nicht ratsam

Da es an dieser Stelle um die Psychologie geht: Leser könnten sich genauso gut fragen, was die Motivation von Autoren ist, die so sehr gegen Verschwörungstheorien ins Feld ziehen? Ist es aufgrund einer entsprechenden Erziehung der tief verwurzelte Wunsch nach Anerkennung in einer Gemeinschaft? Geht es darum, „dazu zu gehören“, zum Mainstream, zur (gefühlten?) Mehrheit? Weil man dann auf der „sicheren“ Seite steht. Neigen Kritiker von Verschwörungstheorien dazu, „offizielle Lesarten“ anzuerkennen, weil sie in der Erziehung durch ihre Eltern oder anderer Bezugspersonen gelernt haben, „Autoritäten“ samt deren Entscheidungen zu respektieren, auf keinen Fall grundsätzlich in Frage zu stellen? Erwächst so auch die Bereitschaft, autoritäre Maßnahmen, so wie sie in der Corona-Pandemie verhängt wurden, sang- und klanglos zu akzeptieren?

Natürlich hat menschliches und gesellschaftliches Verhalten Ursachen. Psychologie, Sozialpsychologie und Soziologie geben darüber Aufschluss. Aber wenn im öffentlichen Diskurs die gegenseitige Psychiatrisierung Argumentation ersetzt, dann ist der Diskurs am Ende. Wenn etwa die Frage, ob Teile der NATO-Geheimarmeen in Staatsterrorismus verwickelt waren dazu führt, dass eine Gruppe die andere auf die Couch legen will, dann ist eine saubere Diskussion nach den Prinzipien von Rede und Gegenrede dahin. Runtergebrochen stelle man sich zwei Kinder im Kindergarten vor, die gegenseitig zu sich sagen: „Du bist doof!“ Wie das endet, haben alle vor Augen.

Gesellschaftliche Spaltung durch Medien erneut belegt

Gegenüber Medien steht der Vorwurf im Raum, die Gesellschaft zu spalten. Hier, an dieser Textstelle des Artikels, wird sichtbar, wie berechtigt der Vorwurf ist. Diejenigen, die sich mit Verschwörungstheorien auseinandersetzen und die Arbeit von Ganser loben, sind „Jünger“, die Altlinken lässt man von einem Psychologen analysieren und überhaupt: alle klinisch auffällig, wer den Mainstream-Glauben an ein naives pluralistisches Idealbild hinterfragt. So geht gesellschaftliche Spaltung.

„Die Corona-Pandemie nimmt Anton ernst. Umständlich entschuldigt er sich dafür, dass er seine Maske vergessen hat, obwohl wir draussen sitzen. Trotzdem klagt er die Berichterstattung über die Anti-Corona-Demos an. Er sagt, die Medien hätten zum Beispiel die Demonstration in Berlin kleingeredet und die Teilnehmer auf Nazis und «Covidioten» reduziert. Obwohl er selbst nicht auf so eine Kundgebung gehen würde, fühlt er sich den Demonstranten verbunden. Er teilt mit ihnen Informationsquellen, Werte, Helden.“

Richten wir den Fokus auf folgende Stelle:

„Er sagt, die Medien hätten zum Beispiel die Demonstration in Berlin kleingeredet und die Teilnehmer auf Nazis und «Covidioten» reduziert.“

„Sagen, was ist“ – diesem Motto fühlen sich viele Journalisten verpflichtet. An dieser Stelle des Artikels zieht sich Fulterer zurück. Sie lässt sprechen. Grundsätzlich ist das gut, weil man so dem sprechenden Raum gibt, er kann sagen, was er sieht, wie er denkt, was er fühlt. Dem Leser bietet sich so ein Einblick in die Gedankenwelt des Sprechers. Gut.

An entscheidenden Stellen sagt die Autorin nicht, „was ist“

Nicht gut ist allerdings, dass Fulterer – und das hat Methode – sich immer genau an jenen Stellen zurückzieht, wo es darauf ankäme als Gegengewicht zu jenen Abschnitten zu agieren, wo sie sehr präsent ist und dem Leser „Einordnungshilfe“ bietet. Womit wir wieder beim Anspruch „sagen, was ist“ angelangt sind. Warum lässt Fulterer Anton einfach sagen, dass die Demonstration in Berlin „kleingeredet“ wurde und die Teilnehmer auf „Nazis“ und „Covidioten“ reduziert wurden?

Dadurch, dass Fulterer hier nämlich nicht eingreift und dem Leser „sagt, was ist“, wirken die Aussagen so, als wären sie lediglich nur seine sehr „eigene“ Sicht. Sie wirken so, als wären sie schlicht falsch. Das passt natürlich zum Bild eines Altlinken, der eben in seiner Welt, oder um in der Bildsprache des Artikels zu bleiben: seinem eigenen „Universum“ lebt.

Angemessen wäre es, hier den Leser darüber aufzuklären, dass immerhin die Polizei selbst die Teilnehmerzahl an der Demo nach oben korrigiert hat und dass es eine heftige Auseinandersetzung über die tatsächliche Zahl gegeben hat. Angebracht wäre ferner einzugestehen, dass Medien von Anfang an die Demonstrationen auf eine Weise gerahmt haben, die den Eindruck hat entstehen lassen, die Masse der Demonstranten bestünde zu weiten Teilen aus „Rechten“ und so genannten „Covidioten“ – das zeigt die Medienbeobachtung.

Auch an dieser Stelle kommt ein „manipulativer Moment“ zum Tragen. Indem man eben nicht wenigstens die Aussagen einordnet, einem Realitätsabgleich unterzieht, wirken sie fragwürdig. Fulterer überlässt es den NZZ-Lesern „selbst“, die „richtigen“ Schlüsse zu ziehen, aber im Grunde genommen führt sie die Leserschaft subtil in eine offensichtlich gewünschte Richtung.

Es kann nicht geklärt werden, inwieweit diese Manipulation bewusst vorgenommen wurde, oder ob sich diese sozusagen „natürlich“ durch den eigenen Glauben daran, „objektiv“, aber in Wirklichkeit von der eigenen Weltanschauung geleiteten Wahrnehmung, zu „berichten“, ergibt. Die Vermutung ist, dass keine böse Manipulationsabsicht vorhanden ist – was allerdings an den Auswirkungen nichts ändert.

„Auch Ganser ist dabei, als in Berlin am 1. August Esoteriker mit Reichsflaggenschwenkern marschierten, mit Plakaten, auf denen «Niemand hat das Recht zu gehorchen» stand und «Wir sind die zweite Welle». Demonstranten umringen ihn und machen Selfies, als sie ihn entdecken. Ein Fan filmt die Szene und veröffentlicht das Video auf Youtube.“

Der erste Satz in diesem Abschnitt hat es in sich. Die Signalwörter „Esoteriker“ und „Reichsflagge“ entfalten ihre Wirkung, ja, sie kontaminieren letztlich nicht nur diesen Abschnitt, sondern den gesamten Artikel.

Was für ein Eindruck entsteht hier bei Lesern, die Ganser nicht kennen?

Man stelle sich vor, wie unbedarfte NZZ-Leser, die noch nie etwas von Ganser gehört und von den Demonstrationen mitbekommen haben, diese Passage lesen. Für sie drängt sich förmlich der Verdacht auf, dass Ganser bewusst an einer Art „Nazi-Demonstration“ teilgenommen hat. Und wer würde das machen, wenn er nicht selbst ein Nazi ist? Ist Ganser etwa ein Nazi? Diese Gedankenkette entsteht.

Das Perfide ist: Die Autorin kann an dieser Stelle ihre Hände in Unschuld waschen. Schließlich sagt sie nichts „Falsches“. Ganser war am 1. August auf der Demo in Berlin. Dort waren auch „Esoteriker“ und „Reichsflaggenschwenker“. Jetzt sind wir im Bereich eines Journalismus anbelangt, den man als „boshaft“ bezeichnen darf.

Neben der öffentlichen Psychiatrisierung von Menschen gehört der „Nazi-Vorwurf“ zu den schlimmsten Zuschreibungen, auf die man im Diskurs zugreifen kann. Zwar wird Ganser hier nicht offen als „Nazi“ bezeichnet, aber allein schon dieser unausgesprochenen, aber dennoch greifbare Vorwurf, Ganser bewege sich in einer geographischen (und deshalb womöglich: gedanklichen) Nähe von Nazis, hat eine enorm stigmatisierende Wirkung.

Wenn wir die offiziellen Zahlen als Grundlage nehmen, dann waren zwischen 20.000 und 30.000 Bürger auf der angesprochenen Demonstration. Das ist die Einwohnerzahl einer Kleinstadt. Dass bei einer fünfstelligen Zahl von Menschen sich auch „Typen“ positionieren, mit denen man nichts zu tun haben will, ja: die meinen, Reichsflaggen schwenken zu müssen, wird man nicht zu hundert Prozent ausschließen können.

Wenn auch keine genauen Zahlen auszumachen sind, ist längst bekannt, dass „Rechte“ und schon gar keine Nazis einen größeren Teil der Demonstrationen bestimmen. In einem bereits im Dezember 2020 veröffentlichen BKA-Papier heißt es, die Beteiligung von Personen aus der rechten Szene sei von „nicht prägender Natur“, wonach demzufolge „derzeit…eine umfassende Beeinflussung bzw. Unterwanderung des Protestgeschehens durch die rechte Szene aktuell nicht konstatiert werden.“

Stark selektives Vorgehen der Autorin

Das ist das, was jeder, der auch nur halbwegs unvoreingenommen war, bei Betrachtung der Demonstrationen, insbesondere auch der in Berlin, beobachten konnte. Menschen aus allen Altersgruppen, Schichten und Klassen, mit, natürlich, auch unterschiedlichen politischen Ausrichtungen, kamen zusammen, um gegen die schweren Grundrechtseingriffe zu demonstrieren. Auch Ganser war dort.

Wieder wird deutlich: Die Autorin geht stark selektiv vor. Sie hätte auch schreiben können, dass Ganser eine Demonstration besucht hat, auf der zahlreiche Mütter mit ihren Kindern, Hausfrauen und Rentner waren. Wie klingt das? Harmlos. Dieser Perspektive passt natürlich nicht zu dem Artikel.

Es kommt noch schlimmer. Von den „Reichflaggenschwenkern“ zieht Fulterer die Aufmerksamkeit der NZZ-Leser auf eine Szene, die in einem verlinkten Video zu beobachten ist. Sie zeigt Ganser in einer Straße in Berlin, wie er von Bürgern, die ihn erkennen, umringt wird, wie er sich mit ihnen unterhält, um dann weiterzugehen. Das Problem: In der Menschentraube, von der Ganser umringt wird, sind keine „Reichsflaggenschwenker“ zu sehen.

Die Aufnahmen zeigen „normale“ Menschen, unterschiedlichen Alters und einen freundlichen Ganser. Nicht mehr. Harmlos eben. Nur am Rande in einem Zug von Demonstranten, an der Menschentraube vorbeilaufen, sind diese Flaggen kurz zu sehen – aber auch die Friedensflagge.

Der schnelle Sprung in dem Artikel von „Reichsflaggenschwenker“ zu Ganser und den Demonstranten lässt jedoch den Eindruck zu, Ganser stünde quasi direkt neben den Reichsflaggenschwenker oder würde neben ihnen laufen. Um rauszufinden das dem nicht so ist, muss man schon den Link zu dem Video folgen und 6 Minuten und 56 Sekunden an Zeit opfern. Während der Leser im Online-Angebot der NZZ diese Möglichkeit immerhin noch hat, ist dies in der gedruckten Zeitung nicht möglich.

Der dritte „Fan“: Und wieder ein anonymer Sprecher

„Jener junge Mann, der mir nach dem Vortrag seine Kontaktdaten gab, nennen wir ihn Ben, arbeitet als Sozialarbeiter an einer Schweizer Schule. Er trägt einen etwas zotteligen Bart, Ohrring und streut gern Zitate ins Gespräch ein, etwa von Max Weber. Beim Vortrag damals hatte er auch Mutter und Freundin dabei. Sie hingen an Bens Lippen.

Wir telefonieren nicht lange nach meinem Treffen mit Anton. Ben sagt, dass er ein Arbeiterkind und früher dick gewesen sei. In der Schule sei er gehänselt worden. Er weiss, was es heisst, wenn man nicht ganz dazugehört: «Diese Gemeinsamkeit hat mir Ganser gleich sympathisch gemacht.»

Er meint den Bruch in Gansers Karriere: jenen Moment, in dem aus einem respektablen Wissenschaftler ein Ausgegrenzter wurde. Vor einigen Jahren arbeitete Ganser noch für die ETH, die Uni St. Gallen und Avenir Suisse. Die akademische Karriere scheiterte an seinen Thesen zum 11. September und der Vermischung von Fakten und verschwörerischen Inhalten.

Eine «Arena»-Sendung im Jahr 2017, zu der er als «umstrittener Publizist» eingeladen war und bei der er in einen Streit mit dem Moderator geriet, besiegelte sein Bild in der Öffentlichkeit: Vielen gilt er seitdem als Verschwörungstheoretiker.

Für Ben wurde er damals zum Helden. Zum Vorkämpfer gegen Marionettenmedien.

«Fies» und «tendenziös» sei der Beitrag gewesen. Er habe die «Arena» an jenem Abend live geschaut. «Dass man jemanden wie Ganser nicht einmal seine Thesen erörtern lässt – der hat schliesslich einen Doktortitel!»

Wissenschaftler sagen, Anhänger von Verschwörungserzählungen hätten oft eine narzisstische Sehnsucht: Sie geniessen es, sich wissender als die anderen zu fühlen. Besonders.

Ben sagt, er interessiere sich nicht nur für das, was Ganser erzähle, sondern auch für den Umgang mit ihm. Dafür, wie es komme, dass Meinungen vom Diskurs ausgeschlossen würden. Ben ist überzeugt: Ganser wurde ausgeschlossen, weil er unangenehme Wahrheiten verbreitet.

Ähnlich skeptisch ist Ben gegenüber klassischen Medien beim Thema Corona.

Er informiere sich dazu viel auf Youtube, sagt er. An der Sinnhaftigkeit der Massnahmen des BAG zweifelt er. Und er versucht, andere von seinen Ansichten zu überzeugen. Viele Freunde hörten auf ihn. Zu Hause habe es aber Konflikte gegeben: Sein Vater sei Hochrisikopatient. Später schickt er mir ein Bild, das in einer Tabelle zeigt, wie viel die reichsten Milliardäre während der Corona-Krise verdient haben. Bill Gates: 16 Milliarden Dollar. «Diese Grafik spricht eine deutliche Sprache. Wer profitiert von der Situation?», schreibt Ben.“

Diesen Teil des Artikels werden wir zur Vermeidung von Redundanz weitestgehend überspringen. Nur so viel: Wieder greift die Autorin auf einen gesichtslosen, anonymen Sprecher zu. Wir erfahren von diesem „Ben“, dass er früher „dick gewesen sei“ und in der Schule „gehänselt wurde.“

„Fans“, die perfekt ins Bild passen

Wir glaubwürdig ist es, dass eine Person einer Journalistin, die er gerade einmal bei einem Vortrag getroffen hat, bei einem darauffolgenden Telefonat davon erzählt, dass er als Jugendlicher „dick“ gewesen sei und in der Schule deshalb „gehänselt“ wurde?

Es ist erstaunlich, dass die Reporterin drei „Fans“ von Ganser zu Wort kommen lässt, die allesamt genau zu jenem Bild passen, dass in der Medienöffentlichkeit von „Verschwörungstheoretikern“ gezeichnet wird. Da ist einer, der eine anti-amerikanische Grundhaltung hat, ein desillusionierter Altlinker, der scheinbar Probleme hat, sich der Realität zu stellen. Und da ist eben ein „junger Mann“, der früher als Kind „gehänselt“ wurde und deshalb Ganser „sympathisch“ findet. Gewiss: All das mag korrekt sein.

Vielleicht hatte die Autorin einfach „Glück“, dass sie genau mit den Leuten sprechen konnte, die einen Artikel wie „Gansers Jünger“ ermöglichen würden. Spätestens aber seit dem die per E-Mail erteilten Redaktionsanweisungen aus dem Relotius-Skandal bekannt wurden, in denen nachzulesen ist, wie die Spiegel-Redaktion ihrem Top-Reporter mitteilt, wie die Personen, über die er in seiner Reportage über den Bau der Mauer im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet berichten sollte (wunderbar die Stereotypen bedienend) angelegt sein sollten, darf man als Analyst ein gewisses Misstrauen gegenüber allzu perfekt ins Bild passenden Personen haben, die in einem Zeitungsartikel auftauchen.

Es ist ein bisschen so, als würde ein Reporter zu einer „Corona-Demo“ gehen und dann die Stimmen von fünf Leuten wiedergeben, die allesamt der rechten Szene angehören. Wäre das dann einfach ein „Zufall“?

Auch im Zug wird die Autorin von Gansers „Fans“ angesprochen

Folgenden Teil des Artikels analysieren wir ebenfalls nur knapp:

„Im August 2020 sitze ich im Zug und lese weiter in «Imperium USA». Es ist mir etwas peinlich, in der Öffentlichkeit Gansers neues Buch zu lesen – hoffentlich denkt keiner, ich sei Verschwörungstheoretikerin. Prompt spricht mich das Paar, das mir gegenübersitzt, an. Die beiden tragen zwar Masken, sehen aber aus, als kämen sie direkt von einer Corona-Demo. Vor allem die Frau: Sie hat die Haare zu einer aufwendigen Mittelalterfrisur geflochten und trägt ein Stirnband mit einem geschwungenen Symbol an der Stirn. Ich sage, ich fände Gansers Buch so mittel, es sei historisch nicht ganz sauber.“

Zufälle gibt es. Da sitzt also die Verfasserin des Artikels in einem Zug mit dem Buch von Daniele Ganser – und prompt spricht sie ein Paar an, das Gansers Buch beziehungsweise Ganser und seine Arbeit offensichtlich kennt. Leider bleiben auch diese beiden Personen anonym. Auffallend ist: Dies ist nun schon das zweite Mal, dass Fulterer von Ganser-„Fans“ angesprochen wird (zuvor hat sie auch schon ihr Sitznachbar auf dem Vortrag angesprochen).

Erstaunlich ist weiter, dass auch diese beiden irgendwie ein wenig „eigenartig“ zu sein scheinen.
Beide sehen, laut Autorin, so aus, als kämen sie von einer Corona-Demo. Zur Gegenprobe schaue man sich einfach mal das von der Autorin in dem Artikel verlinkte Video zur Corona-Demo an. Dort sind nur „normal“ aussehende Menschen zu sehen. Was für ein Bild hat Fulterer von den „Corona-Demonstranten“ wohl im Kopf? Die Frau trage gar eine „Mittelalterfrisur“. Über die Frau erfahren wir von Fulterer noch, dass sie sich im Feld der „Pflanzentherapie“ bewege.

Auch an dieser Stelle sitzt das „Framing“. Wir nehmen mit, dass wir es bei denen, die Gansers Arbeit schätzen, nicht mit „normalen“ Leuten zu tun haben. Interessant ist dieser Teil des Artikels vor allem aber auch deshalb, weil Fulterer uns einen Einblick in ihr Innenleben gibt. Es ist ihr „etwas peinlich“ in der Öffentlichkeit das Buch von Ganser zu lesen.

Wo sind die journalistischen Qualitätskriterien der NZZ-Redaktion?

Wie schon angesprochen fragt man sich beim Lesen des Artikels immer wieder, wie die Redakteure der NZZ diesen Artikel eigentlich redigiert haben. Spätestens an dieser Stelle wäre es von einer professionellen Redaktion, die Interesse an einer möglichst objektiven Berichterstattung hat, zu erwarten, der Autorin ein Ausfallhonorar zu zahlen und/oder sie vielleicht einen Kommentar zu Ganser verfassen zu lassen.

Für einen „Bericht“ mit Anklängen aus einer Reportage, die zwar subjektiv sein darf, die aber auch Objektivität verlangt, hätte die Redaktion gut daran getan, die Arbeit einem etwas vorurteilsfreieren Journalisten zu überlassen – vor allem im vorliegenden Fall, bei dem es immerhin um die öffentliche Beschreibung eines Wissenschaftlers und Autors geht.

Wie viel Objektivität kann man von einer Journalistin erwarten, die offen eingesteht, dass es ihr peinlich ist, in der Öffentlichkeit Gansers Buch zu lesen? Würde sie wirklich aus dem „Universum von Gansers Jüngern“ zurückkommen können, und eine objektive Berichterstattung abliefern können?

Wir wissen nicht, wie die Erwartungshaltung der Redaktion war. Aber die abgelieferte „Reise“ der Reporterin in das „Universum“ der „Ganser-Jünger“ spricht eine deutliche Sprache. Objektivität sieht anders aus.

Reportagen werden durch Weltanschauung strukturiert – nicht durch Realität

Deutlich wird an dieser Stelle auch ein Problem, das wir leider immer wieder im Journalismus unserer Zeit medienübergreifend feststellen müssen: „Reporter“ gehen mit einer bestimmten Weltsicht an ein Thema ran, sie betrachten den Gegenstand ihrer „Erkenntnis“ mit einer bestimmten (politischen) Haltung und aus ihrer eigenen subjektiven Überzeugung. Viele Redaktionen ficht das nicht sonderlich an. Das Gegenteil ist der Fall. Redakteure erwarten geradezu, dass die Reporter mit einem bestimmten „Bild“ zurückkommen.

Es ist noch nicht lange her, da hat der Skandal um den die gefälschten Reportagen des Spiegel-Reporters Claas Relotius einen tiefen Einblick gegeben, wie „objektiv“ die Berichterstattung eines der qualitativ hochwertigsten journalistischen Produkte auf dem Markt, der Spiegel, in manchen Beiträgen war. Relotius hat in seinen Fake-Reportagen im Grunde genommen genau die ideologische Erwartungshaltung der Redakteure widergespiegelt.

Erinnert sei an seine „Reportage“ über die Trump-Wähler in einer Kleinstadt. Von seinem Besuch aus Amerika kam Relotius zurück und hat jenes Bild abgeliefert, das von Anfang an die Berichterstattung in unseren Medien dominiert hat: Trump-Wähler können nur „dumm“ und „unterbelichtet“ sein. Dummerweise waren diese Trump-Wähler, nicht so „dumm“. Sie konnten sogar deutsch und haben die Spiegel-Reportage mit der frisierten Wirklichkeit lesen und richtig einordnen können. Der Rest ist Geschichte.

Vorurteile statt Professionalität: NZZ scheitert am journalistischen Anspruch

Wenn Reporter beladen voller Vorurteile und mit der festen Überzeugung rausgehen, um ihre Eindrücke in die Redaktionen „zurückzubringen“, dann gehört ein hohes Maß an Professionalität dazu, sich vor Ort nicht von den eigenen Vorurteilen leiten zu lassen. Dass dazu leider längst nicht alle in der Lage sind, ist offensichtlich. Deshalb bedarf es Redakteuren, die vorab gerade bei solchen „schwierigen Geschichten“ genau abklopfen, wie ein Reporter politisch und weltanschaulich positioniert ist, der über ein bestimmtes Thema „berichten“ will.

Es ist traurig zu sehen, dass die NZZ an dieser Stelle versagt hat. Eine kluge redaktionelle Entscheidung wäre auch zum Schutz der Autorin wichtig gewesen. Aber so liefert sie einen Artikel ab, der in ihrer peer group wohl mit Applaus begrüßt werden dürfte, der aber, bei Lichte betrachtet, alles andere als ein Glanzstück journalistischer Schaffenskunst ist.

Doch davon abgesehen: Warum findet Fulterer es „etwas peinlich“, das Buch von Ganser in der Öffentlichkeit zu lesen? Immerhin sagt sie, sie finde das Buch „so mittel“. So schlecht, dass es einem peinlich sein muss, kann es dann kaum sein. Also muss es wohl vor allem der Name „Ganser“ sein, mit dem sie nicht in Verbindung gebracht werden möchte – zumindest nicht als „Leserin“ oder gar als „Fan“.

Zu erfahren ist: Fulterer macht sich Sorgen darüber, dass irgendwer denkt, sie könnte eine „Verschwörungstheoretikerin“ sein. Über den weltanschaulich kontaminierten Kampfbegriff haben wir schon gesprochen. Und auch darüber, dass es keinen Grund gibt, „Verschwörungstheorien“ pauschal zu verurteilen. Fulterer hat jedoch, das offenbart sie, ein Problem mit der Vorstellung, als „Verschwörungstheoretikerin“ wahrgenommen zu werden. Diese Passage würde gewiss Raum für psychologische Ferndiagnosen bieten, aber darauf verzichten wir aus Sachlichkeitsgründen.

Die Zwei im Zug

„Ich meine damit Stellen wie jene über die Zwischenkriegszeit. Der 14-Punkte-Friedensplan des amerikanischen Präsidenten Wilson, an den ich mich aus der Schulzeit erinnere, fehlt einfach. Ganser übergeht ihn, wohl weil er nicht ins Narrativ passt, dass die USA durch die harte Bestrafung Deutschlands Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs trügen.

Die Frau mir gegenüber nickt wissend. Auch in ihrem Feld – Pflanzentherapie – gebe es immer wieder Leute, die in ihren Versprechen einen Schritt zu weit gingen und sich nicht mehr an die Fakten hielten.

Sie und ihr Begleiter zupfen immer wieder an ihren Masken, während wir sprechen. Dass ich Ganser lese, macht mich in ihren Augen zu einer Verbündeten. Sie äussern ihre Zweifel an der Pandemie. Ich erzähle von Bekannten, die erkrankt sind, von überlasteten Spitälern in Italien. Das sei doch echt. Die Antwort: In Italien seien die Krankenhäuser doch immer überlastet.

Wir wechseln das Thema. Die beiden wirken ehrlich interessiert an der Welt. Und scheinen voller Sorge zu sein. Die Frau wegen des Klimawandels, der Mann wegen des Finanzmarkts. Als sie erfahren, dass ich als Journalistin über Wirtschaftsthemen schreibe, wollen sie Auskünfte. Ich erkläre, warum ich nicht von einer kommenden Hyperinflation ausgehe. Er widerspricht mit Argument-Bruchstücken, die ich später im Netz wiederfinde. Sie stammen von Männern, die den nächsten Finanz-Crash prophezeien, wie dem Autor Marc Friedrich oder dem Spieltheorie-Professor Christian Rieck.

Dann sagt die Frau: «In unsicheren Zeiten wie diesen profitiert einer wie Ganser natürlich.» Wieder so ein Moment in dieser Recherche, wo jene, die für mich absurde Dinge glauben, plötzlich sehr reflektierte Dinge sagen.“

Zum Schluss dieses Abschnitts richten wir den Fokus auf folgenden Satz: «In unsicheren Zeiten wie diesen profitiert einer wie Ganser natürlich.» Erstaunlich, dass erneut eine Aussage geradezu perfekt zu dem von Fulterer gezeichneten Bild passt. Da sagt ein „Fan“ von Ganser selbst, dass einer wie Ganser von unsicheren Zeiten profitiere.

Wenn „Fans“ Ganser kritisieren, sind sie plötzlich „reflektiert“

Dieses Mal lässt die Autorin den Satz allerdings nicht nur im Raum stehen – wie zuvor bei dem Altlinken und dem „Anti-Amerikaner“. Sie kommentiert die Aussage zustimmend. Allerdings sagt sie nicht explizit, was genau sie zur Zustimmung veranlasst. Als Leser erfahren wir nur, dass die Feststellung der Frau „sehr reflektiert“ sei.

Nun muss man nicht lange nachdenken, um dahinter zu blicken, was mit dieser „klugen“ Aussage gemeint ist. Ganser sei deshalb ein Profiteur der Krise, weil er ein Geschäft mit der Angst mache. Das ist die Aussage, wenn man sie entkleidet. Im Diskurs über Verschwörungstheorien trifft man schnell auf den Vorwurf, die Autoren entsprechender Literatur würden bewusst „Verschwörungstheorien“ verbreiten oder in entsprechenden Gewässern schippern, um damit Geld zu verdienen. Stichwort: Krisenzeiten und ihre „Propheten“.

Da der Abschnitt auf diese Weise endet, kommt der Aussage nochmal eine eigene Kraft zu, sie bleibt sozusagen beim Leser leichter „hängen“. Der irre Moment daran ist: Auch Autoren, die Bücher gegen „Verschwörungstheorien“ verfassen, erheben solche Vorwürfe gegen Ganser und Co., obwohl sie selbst ebenfalls mit dem Thema „Geld verdienen“.

Sollte allein die Tatsache, dass Menschen „Angst“ vor etwas haben und andere damit Geld verdienen, Grund für einen Vorwurf sein, dann müsste die Autorin fairerweise gerade bei dem Milliardenmarkt der Impfstoffe förmlich auf den Hinterbeinen sein.

Das Interview der Autorin mit Daniele Ganser

„Am Ende treffe ich Ganser persönlich. Es ist Spätsommer, noch sind die Restaurants offen, und Ganser federt fröhlich ins Tibits in Basel, sein Hemd ist locker aufgeknöpft. Er macht, wie ich, ein Aufnahmegerät an. Trotzdem gibt er sich überrascht, als die Fragen kritischer werden.“

Auftritt: Daniele Ganser. In diesem sechsten und letzten Teil des Artikels, der mit der Zwischenüberschrift „Schattenfechter“ überschrieben ist, setzt sich die Autorin näher mit Ganser auseinander. Zunächst achten wir darauf, wie Fulterer ihn den NZZ-Lesern vorstellt. Ganser, so ist zu erfahren, „federt fröhlich“ mit einem „Locker aufgeknöpftem“ Hemd in ein Restaurant.

Natürlich gehört es zu einem in Anklängen an eine Reportage erinnerten Zeitungsbeitrag, dass die Reporterin dem Leser Orte und Personen näher beschreibt. Sie wird, das war zu erwarten, Ganser auch, was dessen konkretes Handeln vor Ort bei dem Treffen angeht, beschreiben. Der Leser soll eben ein möglichst plastisches Bild von Ganser vor Augen haben. Soweit, so gut.

Vordergründig gibt es nichts daran auszusetzen, wenn ein Reporter beschreibt, wie sein Interviewpartner „fröhlich federnd“ ein Restaurant betritt, ein aufgeknöpftes Hemd trägt. Vordergründig könnte man zu dem Schluss kommen, dass Ganser ein dynamisch, aber zugleich entspannter „Typ“ ist, der mit einer offenen Haltung zu dem Treffen kommt.

Zieht man jedoch den Gesamtkontext dieses Artikels hinzu, bedenkt man, wie Ganser bisher bereits „gerahmt“ wurde, das heißt, zum Beispiel: Als einer der wohl mit Angst Geld verdient, dann entsteht eine andere Lesart. Hier kommt einer in das Restaurant, der deshalb „federnd“ auftreten kann, der deshalb mit aufgeknöpftem Hemd zu einem Treffen kommt, weil es ihm sowohl finanziell als auch persönlich „gut geht“. Und es geht ihm deshalb „gut“, so die tiefer in den Zeilen angelegte Lesart, weil er es als „Guru“ und „gewiefter Geschäftsmann“ versteht, sich mit der Angst seines Publikums ein (wohl auch noch ein beachtliches) Auskommen zu sichern.

So sind sie eben, die „Gurus“: locker, entspannt, gelassen. Sie haben schließlich ihre Jünger, die, geschickt manipuliert, dafür sorgen, dass es den Großmeistern gut geht. Es stellt sich die Frage: Würde die Autorin, in einem anderen Kontext, auch einen angesehenen Politiker, der ihr so entgegentritt, in einem entsprechenden Artikel beschreiben?

Ganser nimmt das Interview auch auf

Des Weiteren ist von Bedeutung, dass die Autorin Gansers Aufnahmegerät erwähnt. Wer die Erzählungen von Experten, Autoren, Journalisten kennt, die sich mit Vertretern großer Medien aufgrund eines erbetenen Treffens eingelassen haben, weiß, dass es oft zu einem Konflikt im Nachgang kommt. Die „Alternativen“ werfen den Journalisten, die sich mit ihnen auseinandersetzen, dann unter anderem vor, dass sie falsch zitieren oder Zitate aus dem Zusammenhang reißen.

Ganser dürfte um diese Problematik wissen. Das ist, so die Annahme, der Grund, warum er selbst das Gespräch aufzeichnet. Auch der Autorin dürfte das klar sein. Warum erwähnt Fulterer aber, dass Ganser das Gespräch auch aufzeichnet? Gewiss: Auch hier lässt sich vordergründig argumentieren. Es mag ihr darum gehen, dem Leser eben ein möglichst genaues Bild von Ganser zu vermitteln. Schließlich ist genau das die Aufgabe eines Reporters. Wie schon oben gesagt: „sagen, was ist“. Wenn Ganser das Gespräch aufzeichnet, zeichnet er nun mal das Gespräch auf. Das wird man dann als Reporterin ja noch der Leserschaft mitteilen dürfen.

Auch mit dieser Argumentation lässt es sich einfach die Hände in Unschuld waschen. Ein etwas tieferschürfende Lesart, fördert allerdings einen anderen Grund zu Tage. Wenn sich eine „Mainstream-Journalistin“ und ein Akteur aus dem „alternativen“ Bereich in dem skizzierten Rahmen treffen, findet in aller Regel ein „Kampf“ statt. Die Reporter kommen wohl nur in den seltensten Fällen mit einer offenen Grundhaltung zu solch einem Treffen.

Die Ablehnung, die Abneigung gegen „Verschwörungstheorien“, gegen das „Alternative“, gegen die politischen Überzeugungen usw. der Interviewpartner ist so offensichtlich, darüber braucht man nicht groß zu reden. Auch in dem NZZ-Artikel macht die Autorin keinen Hehl daraus, dass es ihr „peinlich“ ist, mit Gansers Buch in der Öffentlichkeit zu sitzen. Eine ergebnisoffene Recherche dürfte so kaum zu erwarten sein. In aller Regel geht es in solchen Gesprächen darum, den Interviewpartner irgendwie zu „überführen“, irgendeine „Schwachstelle“ zu finden, irgendeine Äußerung hervorzukitzeln, mit der man ihm dann einen „Strick“ drehen kann.

Das also dürfte – verständlicherweise – der Grund für Ganser sein, auf Nummer sicher zu gehen. Für den jeweiligen Journalisten mag es ein Ärgernis sein, wenn der Interviewpartner ihm durch die Aufnahme des Gesprächs signalisiert, dass ein Misstrauen vorliegt. Dennoch könnte man als Journalist auch sozusagen die „Größe“ besitzen, in einem ohnehin aufgeladenen Verhältnis zur Befriedung beizutragen und einfach unerwähnt lassen, dass Ganser das Gespräch aufzeichnet. Doch das Gegenteil ist der Fall. Getreu nach dem Motto: Wenn Du mir „blöd“ kommst, komm ich Dir „blöd“ zurück und erwähne, dass Du das Gespräch aufzeichnest, scheint Fulterer zu handeln.

Indem Fulterer den NZZ-Lesern mitteilt, dass Ganser das Gespräch aufgenommen hat, wird der Eindruck erweckt, Ganser sei ein ziemlich argwöhnischer Mensch. Hat sein Misstrauen vielleicht sogar krankhafte Züge (mag man sich fragen)? Wenn man berücksichtigt, wie insgesamt negativ Fulterer Ganser darstellt, wie fragwürdig sie sein Verhalten zeichnet, wie bereits die Psychologen für Gansers „Fans“ bemüht wurden, so ergibt sich diese Lesart wie von selbst.

Autorin bedient erneut Reichsbürger-Assoziationen

„Ich frage nach seinen Fans. Er sagt: «Ich erlebe mein Publikum als sehr mündig, es sind keine Fans, sondern Menschen, die selber nachdenken.»

Reichsflaggen auf der Corona-Demo? «Keine gesehen.»

Vorträge von ihm werden in Reichsbürger-Chats geteilt? «Was mit Ihren Videos passiert, können Sie nicht kontrollieren.»

«Und wenn Sie öffentlich sagen würden, dass Sie das nicht gut finden?» – «Ich bin klar gegen Gewalt und Rassismus und sage das immer wieder. Ich finde es wichtig, niemanden auszuschliessen aus der Menschheitsfamilie. Das betone ich auch immer wieder. Das ist klar genug.»“

Diese Abschnitte knüpfen erneut an den „Nazi-Kontext“ an. Was Fulterer hier macht, darf man als journalistisch unredlich bezeichnen. Aber der Reihe nach. Es liegt in der Natur von Themen, dass sich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen mit ihnen Auseinandersetzen oder sich zu ihnen hingezogen fühlen.

Ein Beispiel: In rechtsradikalen Kreisen gibt es gewiss eine Vorliebe für Waffen. Aber nicht nur rechtsradikale „mögen“ Waffen. Auch andere gesellschaftliche Gruppen haben einen Bezug zu Waffen. Etwa ein Sportschütze, ein Polizist, oder einfach ein Waffenliebhaber, der aber mit beiden Füßen fest auf dem Boden der Verfassung steht und mit rechtsradikalem Gedankengut nichts zu tun hat. Nehmen wir an, alle drei sind in einem Schützenverein aktiv und besuchen auch das jährlich stattfindende Schützenfest. Allerdings: Zu dem Fest, kommen auch zwei Mitglieder der rechten Szene – wohlgemerkt: Sie wurden nicht eingeladen. Und niemand hat ihre Identität erkannt. Will man den drei Schützen nun ernsthaft vorwerfen, dass sie ein Schützenfest besucht haben, auf dem auch zwei „Rechte“ waren? Sollen sich die drei nun öffentlich von „rechts“ distanzieren?

Übertragen wir das Beispiel auf den Artikel: Wäre Gansers Fachgebiet die Genderforschung, würde er durchs Land reisen und Vorträge zu entsprechenden Themen halten, wäre kaum damit zu rechnen, dass seine Vorträge in Chats der Reichsbürger geteilt werden. Gansers Thema ist aber die verdeckte Kriegsführung, Terroranschläge unter falscher Flagge, Ressourcenkriege, die Anschläge vom 11. September, kurz um: Er blickt mit kritischen Augen auf Regierungen und Staaten, er hinterfragt Machtpolitik kommt zu Schlüssen, die denjenigen, die im „Mainstream“ behaftet sind, die an orthodoxen Betrachtungsweisen festhalten wollen, nicht passen.

Dass Mitglieder aus dem rechten Spektrum, dass Nazis, dass Reichsbürger ebenfalls Regierungen und Staat hinterfragen, Verschwörungstheorien vertreten usw., ist kein Geheimnis. Ihre Motivation ist allerdings in aller Regel eng mit ihrer politischen Gesinnung, ihrer rechten Ideologie verknüpft. Frage: Wenn ein Nazi oder ein Reichsbürger gegen die massiven Grundrechtseinschränkungen im Zuge der Corona-Maßnahmen ist, er außerdem der aktuellen „Covid-Impfung“ kritisch gegenübersteht, was ist dann von Lieschen Müller zu halten, die ebenfalls die Eingriffe in die Grundrechte kritisiert und die Impfung ebenso misstrauisch betrachtet?

Ist Lieschen Müller dann quasi selbst ein Nazi oder ein Reichsbürger? Sollte Lieschen Müller in so einer Situation besser öffentlich Abbitte leisten und wohl am besten gleich ihre Ansicht ändern? Sollte Lieschen Müller also nun besser für die Einschränkung der Grundrechte sein und nicht mehr kritisch der Impfung gegenüberstehen. Das wäre natürlich absurd. Und genau so absurd ist es, wenn eine Journalistin in einem Gespräch einem Wissenschaftler und Autor wie Ganser vorhält, dass seine Vorträge in Reichsbürger-Chats geteilt würden.

Distanzierungsforderung als Akt journalistischer Aggression

Alleine schon die Aufforderung, Ganser möge sich „distanzieren“, ist in dem vorgezeichneten Rahmen ein Akt journalistischer Aggression. So wie man besser keinen einfachen, harmlosen Fahrgast beim Aussteigen aus einem Zug, in dem in dem auch ein Nazi mitgefahren ist, auffordern sollte, sich von Nazis zu distanzieren, so sollten Journalisten in dem angesprochenen Kontext vorsichtig sein. Der Schaden, der angerichtet wird, ist groß. In beiden Fällen umschließt die Aufforderung zur Distanz nämlich den unausgesprochenen, aber dennoch sichtbaren Vorwurf, eine Nähe zu Rechtsextremen zu haben.

Fulterer und die NZZ erweisen hier dem „Kampf gegen Rechtsextremismus“ einen Bärendienst. Wenn permanent im öffentlichen Diskurs versucht wird, kritische Autoren mit Nazis und Reichsbürger zu verbinden, werden viele Bürger desensibilisiert, weil der Vorwurf inflationär gebraucht wird. Am Ende ist Lieschen Müller dann eben auch ein Nazi. Und sie und viele andere werden sagen: „So what! Dann sind wir eben ‚Nazis‘, dann sind wir eben ‚Pack‘!“.

Von einer Qualitätszeitung wie der NZZ würde man an der Stelle erwarten, dass die Autorin konkret aufzeigt, warum Gansers Vorträge in den Chats von Reichsbürgern geteilt werden. Hat Ganser gesagt, dass nicht Merkel das Land regiert, sondern der „König von Deutschland“? Hat Ganser irgendwo in seinem Vortrag den „Führergruß“ gezeigt und finden deshalb seine Vorträge Verbreitung in rechten Kreisen? Dann wären diese Fragen allemal berechtigt.

Spielerei mit unterschwelligen Verdächtigungen

Nur weil Ganser die Terroranschläge vom 11. September aufgrund seiner „Gladio-Kenntnisse“ hinterfragt und Rechte 9/11-Verschwörungstheorien verbreiten, also in der Konsequenz auch offensichtlich die Vorträge von Ganser anhören, rechtfertigt das nicht ein Spiel mit unterschwelligen Verdächtigungen und Assoziationen, das in dem NZZ-Artikel entsteht.

„Er erzählt, wie überrascht er am Anfang über den Erfolg seiner Videos war: «Ich habe früher gedacht, Youtube sei nur für Katzenvideos da. Wie ich mich irrte. Nur dank Youtube konnte ich bekannt genug werden, um meine Arbeit ganz durch mein Publikum zu finanzieren.»

Ganser nennt sich oft einen unabhängigen Historiker. Unabhängig heisst in dem Fall, dass Ganser keine Uni oder kein Institut hat, die ihn bezahlen. Gansers Einkommen hängt von seinem Publikumserfolg ab. Und er hat keine Bedenken, diesen zu maximieren.“

Die zuvor bereits angedeuteten (zweifelhaften) ökonomischen Interessen Gansers, werden nun noch deutlicher angesprochen. Die Aussage, dass Ganser keine „Bedenken“ habe, schreibt ihm implizit „Skrupellosigkeit“ zu. Ganser als Guru dargestellt und der „federnd“ und mit „aufgeknöpftem Hemd“ zum Interview auftaucht, erscheint nun noch mehr wie ein Akteur, dessen „eigenartige“ Arbeit in erster Linie dazu zu dienen mag, ihm ein Auskommen zu sichern.

„Indem er zum Beispiel in der deutschen Ausgabe des russischen Staatssenders Russia Today (RT Deutsch) auftritt oder als Gast in der Sendung KenFM. Die betreibt Ken Jebsen, der den Holocaust als PR-Aktion bezeichnete und heute verbreitet, dass Bill Gates, vermittelt durch die WHO, die deutsche Regierung kontrolliere.

Es ist eine Strategie der «Experten» der Gegenöffentlichkeit, gemeinsam aufzutreten und sich so Fans zuzuschieben. Ganser, eloquent und nie ohne Anzug unterwegs, immer mit Doktortitel vor dem Nachnamen, bringt einen Hauch von Elitarismus in eine Bewegung, die gegen Eliten aufbegehrt.“

Zweierlei Maß bei Bewertung medialer Aktivitäten

Fulterer „entdeckt“ in diesem Abschnitt eine „Strategie“, die sie den NZZ-Lesern mitteilen möchte. Akteure der Gegenöffentlichkeit würden zusammen auftreten und sich Fans gegenseitig „zuschieben“. Wie ist das eigentlich so im Hinblick auf die vielen Talkshows und anderen Formaten im Fernsehen, in denen permanent Politiker, A-, B- und C-Prominente und andere allein oder gemeinsam auftreten, weiter von Sendung X zu Sendung Z tingeln. Werden sich da nicht, irgendwie, auch gegenseitig „Fans“ und „Gäste“ zugeschoben?

So sieht es aus, wenn mit zweierlei Maß gemessen wird. Wenn die eine Seite sich gegenseitig „Fans“ oder Zuschauer zuschiebt (man denke nur daran, wie oft bei Anne Will und anderen Sendungen zum Abschluss bereits auf die folgende Tagesthemen oder eine andere Sendung verwiesen wird, so dass die Zuschauer „bitte dranbleiben“ mögen), dann ist das völlig legitim. Wenn ein Autor ein Buch über das „böse Russland“ schreibt und damit Geld verdient oder ein Claus Kleber mit einem Buch antritt, um „die Wahrheit zu retten“, dann ist daran absolut nichts zu kritisieren.

Fans „zuschieben“ und „Geld verdienen“ ist aufseiten der weltanschaulichen Gegner jedoch zutiefst verwerflich. Erneut lässt sich ein von Einseitigkeit geprägter „Journalismus“ identifizieren.

„Ich will wissen, ob er ein schlechtes Gewissen hat ob der Verunsicherung, die er sät: «Ist es nicht fahrlässig, so zu tun, als wäre Russia Today eine ähnlich gute Quelle wie die ‹Tagesschau›?»“

Diese Zeilen lassen erahnen, welche Anerkennungsverhältnisse bei der Autorin auszumachen sind. Die Ansicht, bei der Tagesschau handele es sich um ein qualitativ hochwertiges Nachrichtenprodukt, scheint auch Fulterer zu teilen. Russia Today hingegen, das von vielen Journalisten innerhalb des „Mainstreams“ als Schmuddel-Sender betrachtet wird, sollte wohl aus Sicht der Autorin nicht als Quelle für einen Autor dienen, der den Anspruch erhebt, „seriös“ zu sein.

Auch hier wird deutlich, dass die Autorin einen Hang zu jenen Betrachtungsweisen hat, die innerhalb der Mainstream-Medien dominieren. Für einen Rechercheur, der unvoreingenommen an Quellen geht, kann Russia Today eine „gute“ wie „schlechte“ Quelle sein. Das gilt genauso für die Tagesschau.

Wenn natürlich auch die Reputation einer Quelle und die Herkunft einer Information für Journalisten eine wichtige Rolle spielen, so gilt aber zugleich, dass eine Information nicht nur deshalb „falsch“ ist, weil sie aus einer angeblich „unseriösen“ Quelle stammt. Genauso wenig ist eine Information automatisch „richtig“, wenn sie von einer Quelle kommt, die für „seriös“ gehalten wird.

„Fahrlässig“ von Ganser ist es also mitnichten, so „zu tun“, als sei „Russia Today eine ähnlich gute Quelle wie die Tagesschau“. Hier käme es auf den Einzelfall an.

„Ganser erzählt, wie er von SRF und «Spiegel» schlecht behandelt wurde. Er wirkt gekränkt. Die Arbeit von RT Deutsch habe er hingegen als professionell erlebt. Er sagt: «Es gibt immer verschiedene Sichtweisen. Zum Beispiel in Weissrussland: Der Westen sagt, dass Demokraten demonstrieren, die Russen glauben an westliche Koordination.»“

In diesem Abschnitt teilt Fulterer dem Leser mit, dass Ganser „gekränkt“ wirke. Hier lässt sich ein direkter Bezug zu seinen altlinken „Fans“ herstellen. So, wie weiter oben aufgezeigt, diese angeblich durch die verlorenen Kämpfe der Vergangenheit verletzt seien, so könnte wohl auch Ganser „verletzt“, ja, vielleicht sogar verbittert sein.

Geschicktes Spiel mit Assoziationen

Auch diese „Information“ der Reporterin führt dazu, dass sich das negative Bild von Ganser verdichtet. Er „ist“ nicht nur ein Guru und einer der leicht „federnd“ durch die Gegend läuft, dabei sein Publikum „abzockt“, sondern auch noch einer, der sich durch das Verhalten von Spiegel und Co. „gekränkt“ fühlt.

Vielleicht, diese Frage drängt sich auf, basiert die Medienkritik, die Ganser auch in seinen Vorträgen äußert, ja gerade darauf? Kann Ganser in seiner Kritik also nicht ernst genommen werden, weil er zum Kritiker aus einer Kränkung heraus wird, seine Kritik folglich auf persönlichen Motiven beruht? Solche Fragen und Schlüsse provoziert der Artikel an dieser Stelle regelrecht.

Warum lässt Fulterer die NZZ-Leser wieder im ungewissen? So wie schon weiter oben in der Analyse freigelegt, hält sich die Autorin auch an dieser Textstelle auffällig zurück. Warum teilt sie den Lesern nicht mit, wie der SRF oder der Spiegel Ganser „schlecht behandelt“ haben. Haben die beiden Medien nun, oder haben sie nicht? Der Leser kann das nicht wissen. Haben die Medien sich fragwürdig gegenüber Ganser verhalten oder ist Ganser, aus welchen Gründen auch immer, einfach nur zu Unrecht beleidigt?

Ob Ganser Recht hat, erfährt der NZZ-Leser nicht

Der gesamte Verlauf des Artikels lässt im Grunde genommen den Schluss, dass Ganser ein „Unschuldslamm“ ist, nicht zu. Ein Guru, der Jünger um sich schart, der mit fragwürdigen Publikationen sein Geld verdient? Wenn zwei renommierte Medien vielleicht etwas „robuster“ mit dieser Person umgehen, dann lässt sich das doch nachvollziehen, so Schlussfolgerungen, die man als Leser ziehen kann. Nach allem, was wir bisher analysiert haben, liegt es sehr nahe davon auszugehen, dass Fulterer nicht umfassend informieren und aufklären will.

Auch die angeführten Zitate von Ganser verdienten es, von Fulterer beleuchtet zu werden. Ist Ganser denn im Unrecht mit dem, was er sagt? Stimmt es denn nicht, dass „es immer verschiedene Sichtweisen“ gibt? Ist es denn falsch, dass der Westen von „demonstrierenden Demokraten“ und Russland von „westlicher Einflusnahme“ spricht? Wer hat nun Recht? Fulterer lässt aber diese wichtigen Fragen, die letztlich auch in Gansers Forschungsgebiet als Historiker und Friedens- und Konfliktforscher fallen, einfach so stehen. Dadurch kommt der Verdacht auf, dass Gansers um Differenzierung bemühte Perspektive unangebracht ist.

„Gansers Relativismus könnte eine Strategie sein, um sich gegen den Vorwurf zu wehren, er legitimiere fragwürdige Medien. Aber im Gespräch wirkt es so, als meinte er das alles ernst.“

„Relativismus“ nennt Fulterer kurzgefasst Gansers inhaltliche Positionierung. Ja, sie geht sogar davon aus, dass Ganser strategisch vorgeht, nur um dem Verdacht entgegenzuwirken, er zitiere aus fragwürdigen Gründen „unseriöse“ Medien.

Auch hier kommt eine Unterstellung zum Vorschein, die einen gewissen Grad an Boshaftigkeit aufweist. Warum sollte sich Ganser – der immerhin eine fundierte geschichtswissenschaftliche Bildung vorweisen kann – auf Quellen wie Russia Today beziehen, wenn er dafür keinen guten Grund als Historiker erkennen kann? Will man Ganser wirklich unterstellen, er würde bestimmte Quellen, die für die Autorin offensichtlich fragwürdig sind, aus anderen Gründen anführen?

Warum sollte er das tun? Um seine Reputation weiter unter den Beschuss großer Medien zu stellen? Um sich Vorwürfe von der NZZ anhören zu müssen? Oder vielleicht sogar aus „dunklen“ Gründen, weil er mit Putin einen Pakt geschlossen hat und Russia Today diskret promoten möchte? Wahrscheinlich wäre das eine Verschwörungstheorie, die von manchen „Mainstream-Journalisten“ sofort aufgenommen würde.

Möglichkeit zur Kehrtwende verpasst

Fulterers Aussage, wonach es aber im Gespräch so wirke, als meinte er das alles ernst, was er sagt, bietet einen weiteren Einblick in die Denkweise der Autorin. Der Eindruck entsteht, dass sie einen Bruch ihrer Realitätsvorstellungen erlebt. Offensichtlich hat die Überzeugung vorgeherrscht, Ganser würde oft aus strategischen Gründen bestimmte Positionen beziehen, in der Realität stehe er aber gar nicht dahinter, meine es ganz anders. Und nun das. Ganser meint wohl entgegen Fulterers Annahme tatsächlich, was er sagt.

Spätestens an dieser Stelle kann man erwarten, dass die Autorin ihre eigenen Realitätsvorstellungen hinterfragt und dies in dem Artikel auch entsprechend durch einen Perspektivenwechsel sichtbar macht. Spätestens an dieser Stelle hätte sich die Autorin fragen müssen, ob die „Ganser-Geschichte“ für die NZZ vielleicht nicht doch ganz anders aussehen sollte. Wir wissen nicht, ob Fulterer das getan hat. Der abgelieferte Artikel zeugt jedenfalls nicht davon.

„Am 15. Dezember lässt Daniele Ganser in einem Videointerview auf einer österreichischen unabhängigen Medienplattform das Jahr 2020 Revue passieren. Sein Fazit zur Corona-Krise: Es gibt Leute, die haben vor dem Virus Angst, und es gibt Leute, die sorgen sich um ihre demokratische Freiheit. Beide Seiten hätten recht.“

Wir erfahren: Ganser ist der Auffassung, dass manche Menschen Angst vor dem Virus haben, andere Angst vor dem Verlust ihrer Freiheit. Laut Ganser hätten beide Seiten Recht. Auch hier klingt zum wiederholten Male ein kluger, abwägender Ganser durch. Doch werden diese Aussagen nicht positiv von der Autorin aufgenommen, kommentiert.

„Er beklagt die Internetzensur, es bereite ihm Sorgen, dass der Kanal von Ken Jebsen von Youtube gesperrt worden sei. Die Videoplattform hatte sich an der Verbreitung von Fehlinformationen zur Pandemie gestört. Jebsen hatte dort 500 000 Abonnenten. Vier Mal so viele wie Ganser.

Der hat sich im Herbst schon einmal auf der Nachrichten-App Telegram einen öffentlichen Kanal zugelegt. Dort wird man nicht so schnell gesperrt. Ganser sagt, Bürger sollten doch Zugang zum ganzen Spektrum der Meinungen haben. Dass seine Interviewerin behauptet, es würden ja schon seit Jahren Ärzte zensiert und teilweise umgebracht, vielleicht vom Staat, weil sie Naturheilmittel gegen Krebs propagierten, lässt er unkommentiert.

Zum Schluss wünscht er allen ein 2021 voller friedlicher, wertschätzender Kommunikation.

Am 15. Januar postet Daniele Ganser auf seiner Facebook-Seite einen Blog-Artikel zu einem 91-jährigen Schweizer, der fünf Tage nach der Corona-Impfung gestorben ist. «¬Unstrittig ist, dass der betagte Patient nach der Verabreichung der Impfung gestorben ist», so zitiert er einen Schweizer Journalisten. Ganser spielt den Impfskeptikern in die Hände. Aber er wäre nicht Ganser, wenn er sich nicht absichern würde. Und so folgt bei ihm gleich der Satz: «Swissmedic erklärte aber, es sei ‹höchst unwahrscheinlich›, dass die Impfung zum Tod geführt habe.»

Wären Verschwörungstheoretiker Drogen, wäre Ganser das Marihuana. In jungen Jahren probieren es viele aus, die meisten hören wieder auf. Ganser-Fans, die nachher Geschichte studieren, werden ihn anzweifeln, jene, die wie mein Arzt-Freund viele andere Interessen haben, lesen ihn und legen das Thema auch wieder weg.

Manche aber bleiben hängen. Für sie ist der seriöse Ganser mit seinen «kritischen Fragen» der Einlassschein und Prediger erklären, was «die da oben» eigentlich vorhaben. Zurück bleibt das diffuse Gefühl, dass man dem System nicht trauen kann.“

Dieser längere Abschnitt sei nur knapp analysiert. Schlag auf Schlag führt Fulterer Aussagen und Handlungen von Ganser an, die im Gesamtkontext des Artikels allesamt negativ zu deuten sind. Ganser beklagt „Internetzensur“, weil aus Sicht der Mainstream-Medien ein „fragwürdiger“ Kanal gelöscht wird, Ganser „spielt Impfskeptikern in die Hände“, man kann ihn mit einem „Prediger“ vergleichen und mit einer Droge (Marihuana) gleichsetzen.

Zum Schluss erfolgt ein Fazit zu Gansers Publikum, das wie erwartet ausfällt. Die Autorin inszeniert sich selbst als eine Person, die in der Lage ist, die „wahre“ Realität zu kennen – im Gegensatz zu Gansers „Jüngern“, denen Ganser den „Einlassschein“ reicht für eine Welt, in der sicher geglaubte Wahrheiten verschwinden und so das Gefühl entstehe, man könne dem System nicht trauen.

Alles ist, wie es scheint

Die beiden Schlusssätze lassen erahnen, warum manche Journalisten so verbissen gegen Daniele Ganser und Co. anschreiben und gegen das, was sie als "Verschwörungstheorien" bezeichnen. Viele dieser Journalisten sind als Vertreter der Orthodoxie zu verstehen. Ihnen geht es gerade darum, nicht den „Einlassschein“ abzuholen in eine Welt, in der „sicher geglaubte Wahrheiten verschwinden“. Sie wollen in jener Welt sein, in der die „sicher geglaubten Wahrheiten“ wahr und auch unangetastet bleiben. In dieser Welt ist es verpönt, „dem System“ zu misstrauen oder gar „das System“ grundsätzlich zu hinterfragen.

Es ist eine Welt, in der die Interaktionsmuster der Machteliten wie am Bohemian Grove nicht beleuchtet, die NATO auf keinen Fall geheime Armeen unterhalten hat und alles grundsätzlich immer so ist, wie es scheint. In diesem Universum "geht es uns gut". In ihm, stellt sich die Frage, was passiert, wenn der Staat einen nach Corona „in die Freiheit entlässt“, dort singt man Angela Merkel auf einer Pressekonferenz ein Ständchen zum Geburtstag und bleibt bei der Pandemie „Zoohause“. Kurz um: alles wunderbar. Wären da nur nicht „Ganser und seine Jünger“.

Über den Autor: Marcus Klöckner, studierte Soziologie, Medienwissenschaften und Amerikanistik. Er ist Journalist und Autor. Zuletzt erschien sein Buch: „Sabotierte Wirklichkeit – Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird“. Als Mitherausgeber initiierte er 2019 eine Neuausgabe des Klassikers der herrschaftskritischen Soziologie „Die Machtelite“ von C. Wright Mills.

ANDREAS BERTRAM, 11. Februar 2021, 23:10 UHR

Danke für die ausführliche Analyse! Auch wenn die Versuchung nahe liegt, Ruth Fulterer mit gleicher Münze zurückzuzahlen – im Ansatz wurden die glühenden Zangen einer psychologischen Retourkutsche aufgezeigt – war es wohltuend, dass dies unterblieb, auch mit Hinweis auf das Sandkastengewerfe. Beim Lesen (bzw. Überfliegen) des Originalartikels fragte ich mich auch, ob die Fulterer als Journalistin hier bewusst aufs Eis geführt und auf Ganser angesetzt wurde. Markus Klöckner verweist zurecht mehrfach auf die Verantwortung und die an den Mängeln sichtbare Unterlassung der Redaktion. Dieser Artikel war also so als Pamphlet und Propaganda gewollt.

Operation Mockingbird zeigte, dass wesentliche Stellen in bedeutenden Zeitungs- und Fernsehredaktionen mit CIA-Verbindungsleuten bestückt wurden. Insofern kann man dies analysierte Machwerk sowohl als Furterers Feuertaufe in die journalistische Welt der Diffamierung sehen wie auch als weitere Bestätigung der von Swiss Policy Research https://swprs.org/ analysierten Nähe der NZZ zur NATO (Nordatlantischen Terrororganisation). Da diese von den USA dominiert wird, war von einem NZZ-Artikel nicht mehr zu erwarten. Danke noch mal für die Analyse.

BERTHOLD HAIN, 12. Februar 2021, 15:45 UHR

Als pensionierter Beamter (Psychologe) leiste ich mir den manchmal verzweifelnden Luxus, politische Nachrichten und Statistiken (im letzten Jahr waren 80% der Beiträge über Corona oder Trump) in sehr unterschiedlichen Medien (ausser den Rechten) zu lesen oder anzusehen. Auf Dauer ist das schwer aushaltbar, erscheint mir aber zumindest zur Analyse der Absichten und zum eigenen kritischen Denken wichtig.

Ginge es in Rezensionen über Daniele Gansers Bücher oder Vorträge um einzelne Besonderheiten in seiner Argumentation, so könnte man diese darstellen, und das würde den wissenschaftlichen Diskurs beleben; er belegt ja seine Quellen. Aber aus Markus Klöckners differenziertem Beitrag sehe ich, dass es der Journalistin der NZZ genau darum nicht geht (sie belegt kaum Fakten!), sondern um persönliche, absichtliche und wohl auch bezahlte Diffamierung.

Daniele Ganser "passiert" das nicht zum ersten Mal (vergleiche das Video "Die dunkle Seite der Wikipedia" vom 04.04.2016)
https://www.youtube.com/watch?v=5vdHiPGhIc0

Und er ist in bester Gesellschaft: Die Namen der kritischen Wissenschaftler und Journalisten (höchst selten auch einiger Politiker) muss ich auf dieser Seite nicht wiederholen...

Der perfide Trick ist: Gut recherchierte Fakten werden unvollständig und fehlerhaft aufgegriffen und in ein anderes Framing gesetzt. Für Betroffene ist es ganz schwer, sich dagegen zu wehren, weil viele Leser sich nur an den Bildern und Schlagzeilen aus dem Mainstream orientieren und das Original nicht kennen und so auch nicht vergleichen können.

Zwei Sätze Daniele Gansers (sein Fazit zum Jahr 2020) sind erschreckend realistisch: "Es gibt Leute, die haben Angst vor dem Virus, und es gibt Leute, die sorgen sich um die persönliche Freiheit" (...und das gesellschaftliche Miteinander, möchte ich gern hinzufügen). Die Zugehörigkeit zur einen oder anderen dieser Gruppen hat sich bereits vor einem Jahr herausgebildet und seitdem eher verhärtet als aufgeweicht.

Es gibt aber wohl eine (zunehmende) Anzahl von Bürgern, die bemerkt: je renitenter die Mainstreammedien ihre Darstellung wiederholen und nur Details der längst bekannten Narrative ändern, desto deutlicher stimmt da was nicht.

MARIE, 13. Februar 2021, 08:15 UHR

Ich habe vor einigen Jahren über eine Studie von Psychologiestudenten gelesen, welche Texte analysieren sollten – ohne zu wissen, wer der Autor dieser ist –, und das Ergebnis war alarmierend: den Verfassern (Politikern) dieser Texte konnte eine Psychose/Neurose attestiert werden.

Für mich deckt sich dieses Beispiel immer deutlicher mit der Verfasstheit, welche aus dieser Ecke der "Entscheidungsträger" kommt = Rettung davor wohl vergeblich ... es sei denn, es gäbe für bestimmte Funktionsträger eine Bedingung für psychische Gesundheit (zum Allgemeinwohl). So kann sich wohl jeder nur selbst davor schützen und nicht verrückt machen lassen. Vielleicht ist ja dieser Text dazu eine interessante Ergänzung:

Dunkle Erleuchtung – HINTER DEN SCHLAGZEILEN (hinter-den-schlagzeilen.de)

PHILIPP B., 14. Februar 2021, 00:05 UHR

Eine interessante Analyse. Von mir nur ein kleiner Hinweis: Gegen Ende des Artikels kommt das Wort "Unschuldslamm" in einer etwas missverständlichen Bedeutung vor. Ein Unschuldslamm ist nach landläufiger Auffassung jemand, der so tut, als sei er unschuldig. Gemeint ist im Artikel an der entsprechenden Stelle aber die tatsächliche Schuldlosigkeit von Herrn Ganser, oder? Hier wäre die Formulierung "...dass Ganser unschuldig ist" besser.

BERNHARD MÜNSTERMANN, 14. Februar 2021, 17:50 UHR

Ich will den auch in der NZZ immer wieder übel diffamierten Herrn Dr. Ganser selbst kommentieren lassen. In seinen vielen Vorträgen lässt er zur Erheiterung des Publikums auch öfter einfließen, er sei als junger Student in den 90igern mit der NZZ unter dem Arm durch Uni, durch Cafeteria, Flure und Hörsaal gelaufen, um so die Studentinnen ein wenig zu beeindrucken. Wenn seine lauschenden Zuhörer dadurch amüsiert im Weiteren wieder seinem Vortrag aufmerksam zuhören, kommt hinterher der Hinweis auf die Plattform Swiss Policy Research und deren Einschätzung von Medien gemessen an NATO-konformer Berichterstattung. Und da ist die NZZ in einer Reihe mit BILD, mit ARD und ZDF zu finden. Ich verstehe das so, dass er seine Methode zur Anbahnung freundschaftlicher Verhältnisse aus den 90igern heute nicht mehr wirklich empfehlen möchte.

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