Ein Moderator sieht rot
PAUL SCHREYER, 3. Juni 2022, 7 Kommentare, PDFDass Medien eine weitere Intensivierung des Krieges als notwendig darstellen, ist mittlerweile Alltag. Dennoch markierte die Lanz-Ausgabe vom 2. Juni 2022 einen besonderen Höhepunkt. Eingeladen waren unter anderem die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages und seit wenigen Wochen außerdem Vizepräsidentin der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, einer Nato-Lobbyorganisation, sowie Frederik Pleitgen, Sohn des langjährigen WDR-Intendanten Fritz Pleitgen und seit vielen Jahren Senior International Correspondent bei CNN. Als Gegenpart durfte die Professorin für Europapolitik Ulrike Guérot in der Runde Platz nehmen, zuletzt Autorin des kontrovers diskutierten Bestsellers "Wer schweigt, stimmt zu".
Strack-Zimmermann hatte Guérot für Ihre Forderung nach Frieden in der Ukraine bereits Anfang Mai scharf kritisiert („unfassbar widerwärtig, irre“). Auch in der Talkshow traten die Politikerin und der CNN-Journalist Guérot entschieden, teils aggressiv entgegen. Doch als ihr eigentlicher Gegner entpuppte sich Lanz selbst.
Nachdem Guérot in einem ersten Statement angeführt hatte, dass Putin Sicherheitsgarantien wolle, was ein Schlüssel für ein Ende des Krieges sei, sprach Lanz leise in die Runde: „Wer fängt an?“ Gemeint war offenkundig, welcher der Gäste Guérot zuerst widersprechen wolle. Schon mit dieser Eröffnung war klar, worum es in den folgenden Minuten gehen sollte – eine umfassende Zurechtweisung des Gastes.
Diese Konstellation ist in den letzten Jahren immer mehr zum Standard in den Medien geworden ist: Man lädt einen Menschen mit abweichender Meinung ein, fährt dann aber eine Breitseite von Gegnern auf, die diesem Gast kollektiv und unmissverständlich klar machen, dass und warum er sich irrt. Darin liegt auch eine Belehrung des Publikums: Schau, so kann es auch Dir ergehen, wenn Du eine andere Meinung öffentlich äußerst.
Das besondere hier: Als Chefankläger in der von zwei Millionen Zuschauern verfolgten Sendung trat der Gastgeber persönlich auf – der damit seine Moderatoren-Rolle weitgehend verließ. Deutlich wurde im Verlauf der Sendung die Unmöglichkeit, das Thema Ukraine-Krieg überhaupt noch grundsätzlich kontrovers zu diskutieren. Verloren gegangen scheint auch die Bereitschaft, dem andersdenkenden Gegenüber gute Absichten zu unterstellen. Es herrscht stattdessen die einengende, beklemmende Atmosphäre eines großen Misstrauens.
Dazu kommt vielfach die Ersetzung von Logik durch moralische Empörung. So konterte Strack-Zimmermann Guérots Verweis auf strategische Überlegungen und die Motivation Putins mit dem schlichten Satz: „Da sterben Menschen“. Mit anderen Worten: Wie könne man ernsthaft solche Fragen erörtern, wenn es doch jeden Tag Tote gebe. Die permanente Dringlichkeit, die jedes grundsätzliche, tiefergehende Nachdenken und Zweifeln verbietet und zum sofortigen Handeln zwingt, ist aus der Corona-Krise bereits gut bekannt.
Einigkeit herrschte in der Guérot gegenüberstehenden Runde darüber, dass die USA alles versucht hätten, diesen Krieg zu verhindern. Lanz erinnerte daran, dass Scholz noch kurz vor dem russischen Einmarsch mit Putin an dem bizarr langen Tisch gesessen hatte. Man habe wirklich alles versucht. Dass Scholz, wie zuvor schon Macron, bei diesem Treffen Putin aber außer Floskeln wenig anzubieten hatte, blieb unerwähnt. Für Lanz zählte offenbar das mediale Bild: Scholz war „in Moskau gewesen“, habe sich daher also ernsthaft engagiert.
Als Guérot versuchte, an die Vorgeschichte des Krieges zu erinnern und dabei die Jahreszahlen 2008 und 2014 nannte, platzte dem Moderator der Kragen: „Das hilft uns doch heute nicht weiter“, was er mit einer Wiederholung des Satzes „Da sterben Menschen“ ergänzte. Guérot entgegnete, die Frage sei, was vorher stattgefunden habe. Sie erwähnte den von der OSZE registrierten massiven Beschuss im Donbass ab Mitte Februar und fragte: „Ist Putin das alleinige Übel?“ – „Die Antwort ist: ja!“, platzte es da unvermittelt aus Lanz heraus.
Als Guérot dann auch noch Henry Kissinger ins Feld führte, der zuletzt mehr Realismus in der Kriegführung angemahnt hatte, wurde Lanz ungehalten. Leute wie Kissinger seien „99 Jahre alte Männer“, Kissinger habe „auch schon viel Mist gemacht“. Strack-Zimmermann ergänzte, Guérots Äußerungen seien „das Narrativ von Putin“.
Lanz kam dann auf die Toten von Butscha zu sprechen. Mit Blick auf die russische Armee fragte er eindringlich: „Was sind das für Menschen, die so etwas tun, (…) so bar jeder Moral?“ Die naheliegende – und, man könnte meinen, auch insinuierte – Antwort: „Unmenschen“ oder vielleicht sogar: „Untermenschen“ wagte zwar niemand in der Runde zu geben, doch der Gedanke war greifbar.
Guérots Versuche, dennoch rationale, strategische Fragen zu erörtern („Was ist eigentlich das Ziel für Europa?“) blieben angesichts der moralischen Dauer-Empörung der von Lanz angeführten Runde allerdings zum Scheitern verurteilt. Strack-Zimmermann versuchte zwar eine Antwort: „Die Integrität der Grenzen“. Doch Guérots Nachfrage: „Wo wollen Sie hin?“ schwebte bis zuletzt unbeantwortet über dem – publikumslosen – Fernsehstudio.
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