Demonstration für Julian Assange am 22. Februar 2020 in London, von links: Politiker Yanis Varoufakis, WikiLeaks-Sprecher Joseph Farrell, WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson, Assanges Vater John Shipton sowie Designerin Vivienne Westwood | Bild: John Gomez / Shutterstock

Der Prozess gegen Julian Assange – Tag 1

Vorbemerkung der Redaktion: Der ehemalige britische Diplomat Craig Murray verfolgt als unabhängiger Prozessbeobachter das Verfahren um die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers. Multipolar hat Murrays Text, den er am 25. Februar auf seinem Blog veröffentlichte, ins Deutsche übersetzt. Er enthält Informationen aus erster Hand, die man in vielen Medien vergeblich sucht.

CRAIG MURRAY, 3. März 2020, 1 Kommentar, PDF

Das Gerichtsgebäude des Woolwich Crown Court wurde entworfen, um die Staatsmacht zu exekutieren. Normale Gerichte sind hierzulande öffentliche Gebäude, die von unseren Vorfahren bewusst inmitten von Städten errichtet wurden, meist nur wenige Schritte von einer Hauptstraße entfernt. Hauptzweck ihrer Lage und Architektur war es, den öffentlichen Zugang zu erleichtern, was der Überzeugung folgte, es sei unabdingbar, dass die Rechtsprechung unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet.

Der Woolwich Crown Court, der den Belmarsh Magistrates Court beherbergt, ist nach dem genau entgegengesetzten Prinzip erbaut. Er wurde zu keinem anderen Zweck entworfen, als die Öffentlichkeit auszuschließen. Verbunden mit einem Gefängnis und gelegen in einem windgepeitschten Sumpfgebiet, weit entfernt von jedem normalen Siedlungszentrum, und nur durch ein Labyrinth von Schnellstraßen zugänglich, ist die gesamte Lage und Architektur des Gebäudes darauf ausgerichtet, den öffentlichen Zugang zu verhindern.

Es wird von dem gleichen mächtigen Stahlzaun wie das Gefängnis begrenzt. Es ist das Außergewöhnlichste überhaupt – ein Gerichtsgebäude, das selbst Teil des Gefängnissystems ist, ein Ort, an dem man bereits bei der Ankunft als schuldig und inhaftiert gilt. Der Woolwich Crown Court ist nichts anderes als die materialisierte Ablehnung der Unschuldsvermutung, die Verkörperung von Ungerechtigkeit in starrem Stahl, Beton und Panzerglas. Er steht in genau der gleichen Beziehung zur Rechtsprechung wie Guantanamo Bay oder die Lubjanka. Tatsächlich ist dieses Gericht ganz einfach die Verurteilungsabteilung des Belmarsh-Gefängnisses.

Als sich ein Assange-Aktivist nach Räumen erkundigte, in denen die Öffentlichkeit der Anhörung beiwohnen könne, wurde ihm von einem Mitarbeiter des Gerichts mitgeteilt, man solle sich bewusst sein, dass Woolwich ein „Antiterror-Gericht“ wäre. Das stimmt zwar, doch ist ein „Antiterror-Gericht“ eine in der britischen Verfassung unbekannte Einrichtung. Wen ein einziger Tag im Woolwich Crown Court nicht davon überzeugt, dass die Existenz der liberalen Demokratie heute eine Lüge ist, dessen geistige Verfassung muss sehr getrübt sein.

Auslieferungsanhörungen finden nicht vor dem Belmarsh Magistrates Court innerhalb des Woolwich Crown Court statt. Sie werden stattdessen immer beim Westminster Magistrates Court (im Zentrum Londons; Anmerkung Multipolar) abgehalten, da man davon ausgeht, dass der Antrag an die Regierung in Westminster zu übergeben ist. Man stelle sich also vor: Diese Anhörung findet zwar vor dem Westminster Magistrates Court statt und wird auch von den Richtern und Mitarbeitern des Westminster Courts abgehalten – allerdings im Gebäude des Belmarsh Magistrates Court innerhalb des Woolwich Crown Court. Diese seltsame Verdrehtheit dient allein dazu, das „Antiterror-Gericht“ nutzen zu können und damit den Zugang der Öffentlichkeit zu begrenzen sowie Angst vor der Staatsmacht zu verbreiten.

Eine Folge davon ist, dass Julian Assange vor Gericht im hinteren Teil des Saales eingesperrt wird, abgeschirmt durch eine kugelsichere Glasscheibe. Während des Verfahrens wies er mehrfach darauf hin, dass es dadurch für ihn sehr schwierig sei, dem Ablauf optisch und akustisch zu folgen. Die Richterin, Vanessa Baraitser, interpretierte dies – mit einstudierter Unehrlichkeit – als ein Problem, das durch den schwachen Lärm der Demonstranten draußen verursacht würde, und nicht etwa durch die räumliche Abtrennung Assanges in einem massiven kugelsicheren Glaskasten.

Es ist kein Grund ersichtlich, Assange in dieser Box zu separieren, die für besonders gewalttätige Terroristen bestimmt ist. Er könnte auch gemeinsam mit seinen Anwälten im Gerichtssaal sitzen, wie ein Angeklagter normalerweise bei einer Anhörung. Aber die feige und bösartige Baraitser hat wiederholte und hartnäckige Anträge der Verteidigung abgelehnt, Assange dies zu erlauben. Baraitser ist natürlich nur eine Marionette, die von der Obersten Richterin Lady Arbuthnot beaufsichtigt wird, einer Frau, die so verstrickt ist in das Rüstungs- und Geheimdienstestablishment, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie ihre Beteiligung an diesem Fall noch korrupter sein könnte.

Für Baraitser oder Arbuthnot ist es egal, ob Assange tatsächlich in einer kugelsicheren Box eingesperrt werden muss oder ob ihn das daran hindert, das Gerichtsverfahren zu verfolgen. Baraitsers Absicht ist es, Assange zu demütigen und uns anderen Angst vor der erdrückenden Staatsmacht einzuflößen. Die unerbittliche Macht der Verurteilungsabteilung des albtraumhaften Belmarsh-Gefängnisses muss gewahrt bleiben. Wer hier ist, der ist schuldig.

Es ist die Lubjanka. Sie sind vielleicht nur ein Untersuchungshäftling und dies eine Anhörung und kein Prozess. Sie haben vielleicht keine gewalttätige Vorgeschichte und werden auch keiner Gewalttaten beschuldigt. Womöglich haben drei der bedeutendsten Psychiater des Landes Berichte eingereicht, in denen von schwerer klinischer Depression und Selbstmordgefahr die Rede ist. Aber ich, Vanessa Baraitser, werde Sie trotzdem in eine Box sperren, die für die gewalttätigsten Terroristen gedacht ist – um zu zeigen, was wir mit Dissidenten machen können. Und wenn Sie dann der Gerichtsverhandlung nicht folgen können, umso besser.

Vielleicht ist es leichter zu akzeptieren, was ich über den Gerichtshof sage, wenn ich ergänze, dass die Verantwortlichen für eine Anhörung, die weltweit verfolgt wird, einen Raum gewählt haben, in dem für die Öffentlichkeit insgesamt 16 Plätze zur Verfügung stehen. 16. Um sicher zu gehen, dass ich einen dieser 16 Plätze bekam und Ihr Mann auf der Tribüne sein konnte, stand ich ab 6 Uhr morgens vor dem großen verschlossenen Eisenzaun in der Kälte, der Nässe und dem Wind Schlange. Um 8 Uhr wurde das Tor entriegelt, und ich konnte durch den Zaun zu einer weiteren Schlange vor den Türen des Gerichtssaals gehen, wo ich mich, trotz der Tatsache, dass auf den Aushängen klar angegeben ist, dass das Gericht um 8 Uhr für die Öffentlichkeit geöffnet wird, noch einmal für eine Stunde und vierzig Minuten vor dem Gebäude anstellen musste. Anschließend wurde ich durch gepanzerte Luftschleusentüren und flughafenähnliche Sicherheitsanlagen befördert und musste mich dann hinter zwei weiteren verschlossenen Türen anstellen, bevor ich schließlich meinen Platz erreichte, gerade, als die Anhörung um 10 Uhr begann. Zu diesem Zeitpunkt sollten wir wohl ausreichend eingeschüchtert und verängstigt sein, ganz zu schweigen von der Durchnässung und möglichen Unterkühlung.

Es gab einen separaten Medieneingang, einen Medienraum mit einer Live-Übertragung aus dem Gerichtssaal und außerdem so viele Medienvertreter, dass ich dachte, ich könnte mich entspannen und müsste mir keine Sorgen machen, da die grundlegenden Fakten sicher umfassend berichtet würden. Ich hätte mich nicht mehr täuschen können. In jeder Minute des Tages verfolgte ich die Argumente sehr genau, und nicht ein einziger der wichtigsten Fakten und Argumente wurde heute irgendwo in den Mainstream-Medien berichtet. Das ist eine kühne Behauptung, aber ich fürchte, sie stimmt. Ich habe also noch viel Arbeit vor mir, um die Welt wissen zu lassen, was tatsächlich passiert ist. Die bloße Aufgabe, ein ehrlicher Zeuge zu sein, ist plötzlich, wo die gesamten Medien diese Rolle aufgegeben haben, extrem wichtig.

Kronanwalt James Lewis gab die Eröffnungserklärung für die Anklage ab. Sie bestand aus zwei gleichermaßen außergewöhnlichen Teilen. Der erste und längste war besonders bemerkenswert, da er keine rechtlichen Argumente enthielt und sich auch nicht an den Richter, sondern an die Medien richtete. Es war nicht nur offensichtlich, dass die Bemerkungen auf die Journalisten abzielten, sondern Lewis erklärte bei zwei Gelegenheiten während seiner Eröffnungserklärung, dass er sich ausdrücklich an sie wenden würde, wobei er einmal einen Satz wiederholte und betonte, dass er dies tue, weil es wichtig sei, dass die Medien den Satz verständen.

Ich bin ehrlich erstaunt darüber, dass Baraitser dies zugelassen hat. Es ist völlig unzulässig, dass ein Anwalt Bemerkungen nicht an das Gericht, sondern an die Medien richtet, und es könnte keinen klareren Beweis dafür geben, dass es sich hier um einen politischen Schauprozess handelt, an dem Baraitser mitschuldig ist. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass die Verteidigung sehr schnell gestoppt worden wäre, wenn sie begonnen hätte, sich an die Medien zu wenden. Baraitser gibt nicht einmal vor, etwas anderes zu sein als ein Sklave der britischen Regierung und damit auch der US-Regierung.

Die Punkte, die Lewis den Journalisten mitteilen wollte, waren folgende: Es stimme nicht, dass auch Mainstreammedien wie der Guardian und die New York Times durch die Anklage gegen Assange bedroht seien, denn Assange würde nicht für die Veröffentlichung der Dokumente angeklagt, sondern lediglich für die Veröffentlichung der Namen von Informanten sowie für die Anleitung von Manning und dessen Unterstützung bei dem Versuch, Computer zu hacken. Nur Assange habe diese Dinge getan, nicht aber die Mainstreammedien.

Lewis las dann eine Reihe von Artikeln aus den Medien vor, die Assange angriffen, als Beweis, dass die Medien und Assange nicht im selben Boot säßen. Die gesamte erste Stunde bestand darin, dass sich die Anklage an die Medien wandte und versuchte, einen Keil zwischen die Journalisten und Wikileaks zu treiben, um so die mediale Unterstützung für Assange zu verringern. Es war eine politische Ansprache und nicht im Entferntesten eine juristische Argumentation. Gleichzeitig hatte die Staatsanwaltschaft unzählige Kopien dieses Abschnitts von Lewis' Ansprache vorbereitet, die an die Medien verteilt und ihnen elektronisch zur Verfügung gestellt wurden, damit sie ohne großen Aufwand veröffentlicht werden konnten.

Nach einer Unterbrechung befragte Richterin Baraitser die Staatsanwaltschaft zur Richtigkeit einiger dieser Behauptungen. Insbesondere die These, dass die Medien sich nicht in der gleichen Lage befänden, da Assange nicht wegen der Veröffentlichung angeklagt wäre, sondern wegen „Anstiftung und Beihilfe“ Chelsea Mannings bei der Beschaffung des Materials, schien nicht mit Lewis' Lesart des Official Secrets Act von 1989 übereinzustimmen, der besagt, dass bereits die Beschaffung und Veröffentlichung von Regierungsgeheimnissen ein Vergehen sei. Sicherlich, so Baraitser, würde dies doch bedeuten, dass Zeitungen, die einfach nur die Manning-Leaks veröffentlichten, sich eines Vergehens schuldig machten?

Dies schien Lewis völlig unvorbereitet zu treffen. Das Letzte, was er erwartet hatte, war irgendeine Scharfsinnigkeit von Baraitser, deren Job es doch war, einfach das zu tun, was er sagte. Lewis summte und brummte, setzte seine Brille mehrfach auf und ab, richtete sein Mikrofon immer wieder und zog eine Reihe von Papieren aus seiner Akte, von denen jedes einzelne ihn durch seinen Inhalt zu überraschen schien, während er sie unglücklich in der Luft schwenkte und meinte, er hätte wirklich den Fall Shayler zitieren sollen, könne ihn aber nicht finden. Es ähnelte einer Episode von Columbo – nur ohne den Charme und die Killerfrage am Ende.

Plötzlich schien Lewis zu einer Entscheidung zu kommen. Ja, sagte er viel entschiedener, der Official Secrets Act sei von der Thatcher-Regierung 1989, nach dem Ponting-Fall, speziell deshalb eingeführt worden, um eine Verteidigung (von Whistleblowern; Anmerkung Multipolar) mit Berufung auf das öffentliche Interesses auszuschließen und den unbefugten Besitz eines Amtsgeheimnisses zu einem Verbrechen mit strikter Haftung zu machen. Das heißt: egal wie man es erlangt hat, die Veröffentlichung und sogar der Besitz machte einen schuldig. Nach dem Prinzip der doppelten Strafbarkeit (eine Person kann nur dann ausgeliefert werden, wenn ihre Handlungen in beiden beteiligten Staaten strafbar sind; Anmerkung Multipolar) wäre Assange daher auslieferungspflichtig, und zwar egal, ob er Manning Beihilfe geleistet hat oder nicht. Lewis ergänzte, dass jeder Journalist und jedes Medium, die ein Amtsgeheimnis veröffentlichen, daher auch eine Straftat begehen würden, unabhängig davon, wie sie es erlangt haben, und unabhängig davon, ob Informanten genannt würden oder nicht.

Der Staatsanwalt widersprach somit voll und ganz seinem Eröffnungsstatement an die Medien, wo er noch erklärt hatte, dass sie sich keine Sorgen machen müssten, da die Vorwürfe an Assange niemals auf sie angewandt werden könnten. Er tat dies direkt nach der Unterbrechung, unmittelbar nachdem sein Team Kopien der Argumente ausgehändigt hatte, die er nun bestritt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich schon oft ein hochrangiger Anwalt vor Gericht so absolut und unmittelbar als vollständiger Lügner erwiesen hat. Dies war zweifellos der atemberaubendste Moment der heutigen Gerichtsverhandlung.

Bemerkenswerterweise finde ich jedoch nirgendwo in den Mainstreamedien eine Erwähnung, dass dies überhaupt geschehen ist. Was stattdessen überall zu lesen ist, sind Medienberichte, die den ersten Teil von Lewis' Erklärung kopieren, wonach die Verfolgung von Assange keine Bedrohung für die Pressefreiheit darstelle. Niemand aber scheint berichtet zu haben, dass er fünf Minuten später seine eigene Argumentation völlig aufgegeben hat. Waren die Journalisten zu dumm, um den Wortwechsel zu verstehen?

Die Erklärung ist sehr einfach. Da Lewis' Klarstellung auf eine Frage von Baraitser folgte, existiert keine gedruckte oder elektronische Aufzeichnung von Lewis' Antwort. Seine ursprüngliche Aussage wurde den Medien zum Kopieren zur Verfügung gestellt. Den Widerspruch dazu zu erkennen, würde erfordern, dass ein Journalist sich anhört, was vor Gericht gesagt wird, es versteht und aufschreibt. In den Mainstreammedien verfügt heute nur eine verschwindend geringe Minderheit über diese elementare Fähigkeit. „Journalismus“ besteht nur noch aus dem Kopieren anerkannter Quellen. Lewis hätte Assange im Gerichtssaal erstechen können – es würde nicht berichtet werden, solange es nicht Teil einer Pressemitteilung der Regierung wäre.

Ich war unsicher, was Baraitser damit bezwecken wollte. Ganz offensichtlich hat sie Lewis in diesem Punkt erhebliche Unannehmlichkeiten bereitet und schien dies eher zu genießen. Auf der anderen Seite ist ihr Argument nicht unbedingt hilfreich für die Verteidigung. Sie sagte im Wesentlichen, dass Julian aus britischer Sicht nach dem Prinzip der doppelten Strafbarkeit ausgeliefert werden könne, und zwar allein für die Veröffentlichung, unabhängig davon, ob er sich mit Chelsea Manning verschworen hat oder nicht, und dass alle Journalisten, die das Material veröffentlicht haben, ebenfalls angeklagt werden könnten. Aber ist dieser Punkt nicht so extrem, dass er nach dem Human Rights Act zwangsläufig ungültig wäre? Drängte sie Lewis dazu, eine Position zu vertreten, die so extrem war, dass sie unhaltbar wurde – und gab ihm genug Seil, um sich zu erhängen – oder geiferte sie einfach bei der Aussicht, nicht nur Assange auszuliefern, sondern auch massenhaft Journalisten zu verfolgen?

Die Reaktion einer Gruppe war jedenfalls sehr interessant. Die vier Anwälte der US-Regierung, die unmittelbar hinter Lewis saßen, wirkten sehr beunruhigt, als der Staatsanwalt klipp und klar erklärte, dass jeder Journalist und jede Zeitung oder jeder Fernsehsender, der ein Regierungsgeheimnis veröffentlicht oder auch nur besitzt, eine schwere Straftat begeht. Ihre gesamte Strategie hatte darin bestanden, so zu tun, als ob dem nicht so wäre.

Lewis schloss dann die Argumente der Anklage ab. Das Gericht habe keine Entscheidung zu treffen, erklärte er. Assange müsse ausgeliefert werden. Das Vergehen falle unter die doppelte Strafbarkeit, da es sowohl in den USA als auch in Großbritannien strafbar wäre. Das britische Auslieferungsgesetz verböte es dem Gericht ausdrücklich, zu prüfen, ob es Beweise zur Untermauerung der Anklagepunkte gab. Hätte es, wie die Verteidigung argumentiere, einen Verfahrensmissbrauch („abuse of process“) gegeben, so müsse das Gericht dennoch ausliefern und dann den Verfahrensmissbrauch als gesonderte Angelegenheit gegen die Täter verfolgen. (Dies ist ein besonders fadenscheiniges Argument, da es dem Gericht aufgrund der souveränen Immunität der US-Regierung nicht möglich ist, gegen diese vorzugehen, wie Lewis sehr wohl weiß.) Abschließend erklärte Lewis, dass der Human Rights Act und die Redefreiheit in Auslieferungsverfahren völlig irrelevant seien.

Danach erhob sich Edward Fitzgerald, um die Eröffnungserklärung für die Verteidigung abzugeben. Er begann damit, dass das Motiv für die Anklageerhebung ausschließlich politischer Natur sei und dass politische Straftaten gemäß Artikel 4.1 des Auslieferungsabkommens zwischen Großbritannien und den USA ausdrücklich ausgeschlossen sind. Er wies darauf hin, dass die Obama-Regierung zum Zeitpunkt des Prozesses gegen Chelsea Manning und erneut im Jahr 2013 spezifische Entscheidungen getroffen habe, Assange wegen der Manning-Leaks nicht zu verfolgen. Dies sei von der Trump-Regierung aus rein politischen Gründen rückgängig gemacht worden.

Was den Verfahrensmissbrauch betraf, so verwies Fitzgerald auf Beweise, die den spanischen Strafgerichten vorgelegt worden seien, wonach die CIA eine spanische Sicherheitsfirma beauftragt hatte, Julian Assange in der Botschaft auszuspionieren, und dass diese Spionage auch die Überwachung von Assanges Treffen mit seinen Anwälten zur Erörterung der Auslieferung umfasste. Für einen Staat, der versucht auszuliefern, sei ein Abhören der anwaltlichen Beratungen des Angeklagten an sich schon ein Grund, den Fall abzuweisen. (Dieser Punkt ist zweifellos richtig. Jeder anständige Richter würde das Verfahren wegen der ungeheuerlichen Bespitzelung der Verteidiger kurzerhand einstellen.)

Fitzgerald fuhr fort, dass die Verteidigung Beweise dafür vorlegen werde, dass die CIA Assange und seine Anwälte nicht nur ausspioniert, sondern aktiv seine Entführung oder Vergiftung in Betracht gezogen habe, und dass dies zeige, dass es in diesem Fall kein Bemühen um Gesetzestreue gebe.

Fitzgerald sagte, dass die Einordnung („Framing“) des Falls durch die Anklage eine vorsätzliche Falschdarstellung der Tatsachen enthalte, was ebenfalls einem Verfahrensmissbrauch gleichkomme. Es stimme nicht, dass es Beweise für eine Schädigung von Informanten gebe, und die US-Regierung habe dies in anderen Foren auch bestätigt, so zum Beispiel im Prozess gegen Chelsea Manning. Es habe keine Verschwörung zum Hacken von Computern gegeben, und Chelsea Manning sei von dieser Anklage vor dem Militärgericht freigesprochen worden. Schließlich wäre es falsch, dass Wikileaks die Veröffentlichung von Namen von Informanten veranlasst hätte, da andere Medienorganisationen an erster Stelle dafür verantwortlich gewesen wären.

Auch hier wird, soweit ich sehen kann, über den US-Vorwurf der Schädigung von Informanten zwar weithin berichtet, aber kaum über die vollständige faktische Widerlegung und die Einschätzung, dass die Fälschung von Fakten einem Verfahrensmissbrauch gleichkomme.

Fitzgerald verwies am Ende auf die Bedingungen in US-Gefängnissen, die Unmöglichkeit eines fairen Prozesses in den USA sowie die Tatsache, dass die Trump-Regierung erklärt habe, dass Ausländer keinen Schutz nach dem Ersten Verfassungszusatz (Schutz der Pressefreiheit; Anmerkung Multipolar) erhalten würden, als Gründe dafür, dass eine Auslieferung ausgeschlossen werden müsse.

Sie können die gesamte Erklärung der Verteidigung lesen, aber meiner Meinung nach war die stärkste Passage die Folgende, in der erklärt wird, warum es sich hier um eine politische Anklage handelt und schon daher eine Auslieferung ausgeschlossen sei:

„Ich muss mich als nächstes mit der Frage befassen, inwieweit diese politisch motivierte Verfolgung die Kriterien erfüllt, gegen Julian Assange wegen seiner politischen Ansichten gerichtet zu sein. Das Wesen seiner politischen Meinungen, die diese Strafverfolgung ausgelöst haben, ist zusammengefasst in den Berichten von Professor Feldstein [tab 18], Professor Rogers [tab 40], Professor Noam Chomsky [tab 39] und Professor Kopelman:

  • Er ist ein führender Verfechter einer offenen Gesellschaft und der Meinungsfreiheit.
  • Er ist gegen Krieg und Imperialismus.
  • Er ist ein weltbekannter Verfechter politischer Transparenz und des Rechtes der Öffentlichkeit auf Zugang zu Informationen über wichtige Angelegenheiten – Themen wie politische Korruption, Kriegsverbrechen, Folter und die Misshandlung von Gefangenen in Guantanamo.

Diese Überzeugungen und Handlungen bringen ihn aus politischen Gründen unweigerlich in Konflikt mit mächtigen Staaten, einschließlich der derzeitigen US-Regierung – was erklärt, warum er als Terrorist angeprangert wurde und weshalb Präsident Trump in der Vergangenheit die Todesstrafe gefordert hat.

Aber ich sollte hinzufügen, dass sich seine Enthüllungen bei weitem nicht auf das Fehlverhalten der USA beschränken. Er hat die Überwachung durch Russland aufgedeckt und Entlarvendes über Herrn Assad in Syrien; und es wird gesagt, dass WikiLeaks-Enthüllungen über Korruption in Tunesien und Folter in Ägypten der Katalysator für den Arabischen Frühling waren.

Die USA sagen, er sei kein Journalist. Aber Sie finden ein vollständiges Verzeichnis seiner Arbeit in Konvolut M. Er ist seit 2009 Mitglied der australischen Journalistengewerkschaft, er ist Mitglied der NUJ und der Europäischen Föderation der Journalisten. Er hat zahlreiche Medienpreise gewonnen, unter anderem wurde er mit der höchsten Auszeichnung für australische Journalisten geehrt. Seine Arbeit wurde gewürdigt vom Economist, von Amnesty International und dem Europarat. Er ist Gewinner des Martha-Gelhorn-Preises und wurde wiederholt für den Friedensnobelpreis nominiert, auch im vergangenen und in diesem Jahr.

Sie können aus den Materialien erkennen, dass er Autor von Büchern, Artikeln und Dokumentarfilmen ist. Er hat Artikel im Guardian, in der New York Times, der Washington Post und dem New Statesman veröffentlicht, um nur einige zu nennen. Manche der Veröffentlichungen, wegen denen gerade seine Auslieferung angestrebt wird, wurden in Gerichtsverfahren in aller Welt verwendet, darunter beim Obersten Gerichtshof Großbritanniens und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Kurz gesagt: Er ist ein Verfechter der Sache der Transparenz und der Informationsfreiheit in der ganzen Welt.

Professor Noam Chomsky drückt es so aus: 'Im mutigen Eintreten für politische Überzeugungen, zu denen sich die meisten von uns bekennen, hat er all jenen in der Welt einen enormen Dienst erwiesen, die die Werte von Freiheit und Demokratie schätzen und die daher das Recht einfordern, zu erfahren, was ihre gewählten Vertreter tun' [siehe Tab. 39, Absatz 14]. Der positive Einfluss von Julian Assange auf die Welt ist daher unbestreitbar, ebenso wie die Feindseligkeit, die von der Trump-Administration ausgelöst wurde. […]

Die Charakterisierung von Julian Assange und WikiLeaks als „nichtstaatlicher feindlicher Nachrichtendienst“ durch Herrn Pompeo macht klar, dass er wegen seiner unterstellten politischen Ansichten ins Visier genommen wurde. Alle Experten, deren Berichte Sie haben, zeigen, dass man Julian Assange wegen der politischen Position verfolgt, die ihm von der Trump-Administration zugeschrieben wird – als ein Feind Amerikas, der zu Fall gebracht werden muss.“

Morgen fährt die Verteidigung fort. Ich bin wirklich unsicher, was passieren wird, da ich mich im Moment viel zu erschöpft fühle, um 6 Uhr morgens in der Warteschlange zu stehen, um hinein zu kommen. Aber ich hoffe, dass ich morgen Abend einen weiteren Bericht verfassen werde. (Anmerkung Multipolar: Murrays spätere Berichte sind inzwischen hier nachzulesen: Tag 2, Tag 3, Tag 4. Ergänzung 11.03.: Ein Leser hat diese Texte ebenfalls ins Deutsche übersetzt.)

Ich danke denjenigen, die diese Berichterstattung durch ihre Spende oder ihr Abonnement ermöglicht haben.

Dieser Artikel ist völlig frei zu vervielfältigen und zu veröffentlichen, auch in Übersetzung, und ich hoffe sehr, dass die Leute dies aktiv tun werden. Die Wahrheit soll uns frei machen.

Über den Autor: Craig Murray, Jahrgang 1958, ist Autor und Menschenrechtsaktivist. Von 1984 bis 2004 war er britischer Diplomat, zuletzt Botschafter in Usbekistan, sowie von 2007 bis 2010 Rektor der schottischen Universität Dundee. Falls Sie die Arbeit von Craig Murray unterstützen möchten, finden Sie hier die Details.

Link zum englischen Originaltext: https://www.craigmurray.org.uk/archives/2020/02/your-man-in-the-public-gallery-assange-hearing-day-1/

SONJA, 5. März 2020, 08:15 UHR

Vielen Dank für die Übersetzung dieses großartigen Berichts, der mich nicht zuletzt durch die Präzision und Prägnanz der Sprache beeindruckt! In einem virtuosen Plädoyer für Gerechtigkeit und Menschlichkeit reißt Craig Murray dem zutiefst entwürdigenden Verfahren gegen Julian Assange die Maske der bürgerlichen Korrektheit vom Gesicht und entlarvt schonungslos die darunterliegende Fratze willkürlicher Gewalt. Was für eine Schande für das Rechtssystem eines Landes, das mit der „Magna Charta“ auf eine über 800jährige stolze Tradition der Verbürgung von Menschen- und Freiheitsrechten (wenn auch zunächst nur für eine kleine elitäre Gruppe) zurückblickt!

Der Prozess gegen Assange ist ein eklatanter Rückfall in feudale Willkürherrschaft. Hier geht es, wie Craig Murray Schicht für Schicht enthüllt, nicht um Recht und Gerechtigkeit, sondern einzig um archaische Rache an einem Menschen, der den Mächtigen mit der Waffe des Wortes und dem Schwert der Aufklärung entgegengetreten war, und um die Statuierung eines Exempels: mit erschreckender Logik wird aus dem „Betriebsunfall“ der unerwarteten Nachfrage durch die dubiose Richterin Baraitser eine fundamentale Drohung an alle Journalisten weltweit: jedem Journalisten, der ein Amtsgeheimnis auch nur besitzt, geschweige denn veröffentlicht, droht dieselbe unmenschliche und willkürliche Behandlung, die Assange vor der verstummten Weltöffentlichkeit widerfährt.

Um so dankbarer müssen wir für jeden Journalisten sein, der den Mut hat, über diesen Unrechtsprozess wahrhaftig zu berichten bzw. sich an der Publikation dieses Berichtes zu beteiligen!

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