Der Kampf um Ivermectin in Deutschland
RALF HUTTER, 7. Februar 2022, 6 Kommentare, PDFSeit zwei Jahren sind auch in Deutschland diverse hochrangige Fachleute mit dem Kampf gegen Coronaviren betraut, viele Millionen Euro gingen an die hochspezialisierte Firma Biontech für die Impfstoffentwicklung – doch der heute wohl größte Vorreiter bei der Bekämpfung von Covid-19 arbeitet weitgehend unbekannt in der mittelhessischen Gemeinde Elbtal. Dort befindet sich seit 1973 die Gemeinschaftspraxis des Hausarztes Heinz Mastall (76), der erklärt: „Wir haben bisher über 500 Patienten zur Prophylaxe und Therapie von Covid Ivermectin verschrieben, mit sehr gutem Erfolg“.
Um den Wirkstoff Ivermectin, der vielerorts erfolgreich gegen Covid eingesetzt wird, tobt ein globaler Kampf. Seit 2020 setzt sich die US-amerikanische Ärztegruppe „Front Line Covid-19 Critical Care Alliance“ (FLCCC) für ihn ein. Diese Allianz von Intensivmedizinern, die sich direkt der Behandlung von Covid-19 widmet – wie ihr Name übersetzt lautet –, hatte in ihrer Praxis der Covid-Behandlung vor allem auf Intensivstationen Behandlungsprotokolle für sowohl Krankenhäuser als auch für die Prophylaxe erarbeitet. Mittlerweile richten sich medizinische Einrichtungen in diversen, vor allem ärmeren Ländern danach. Behörden und Fachverbände vor allem in den USA und Europa aber stellen sich dagegen, da die vorliegenden klinischen Studien nicht aussagekräftig genug seien, und fordern große Studien.
Heinz Mastall ist da ganz anderer Meinung: „Ich nehme es selbst prophylaktisch, wenn ich eine Person untersucht habe, bei der ich eine Covid-Erkrankung vermute. Die Prophylaxe hält eine Woche, das haben Studien weltweit belegt.“ Der Mitbegründer und Vizepräsident der Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr, der sich im Internetauftritt seiner Praxis als „einer der Pioniere der integrativen Krebstherapie in Deutschland“ bezeichnet, hat seine positiven Erfahrungen mit Ivermectin auch in einem Fachmagazin dargelegt.
Gute Erfahrungen in der hausärztlichen Praxis
In der Ausgabe 2/2021 der Zeitschrift „Die Naturheilkunde“ schilderte Mastall, wie es den 160 Personen ergangen war, denen er zwischen dem 15. November 2020 und dem 15. Februar 2021 Ivermectin verschrieben hatte, und zwar in der Standard-Dosis 0,2 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Sein Fazit: „Im Beobachtungszeitraum erkrankte keine der prophylaktisch mit Ivermectin behandelten Personen an Covid-19. Die symptomatischen Corona-Patienten erholten sich erstaunlich schnell.“ Nebenwirkungen habe es nicht gegeben.
Vor allem der prophylaktische Erfolg erscheint beachtenswert, denn laut Mastall konnte er bei fast 120 Risikopatienten erzielt werden. Von denen hätten 32 Krebs gehabt, zum Teil mit Metastasen, weitere 30 seien multimorbid gewesen, hatten also mehrere Covid-relevante Vorerkrankungen. Auch die Leute, die am Arbeitsplatz oder in der Familie Kontakt mit einer Corona-positiv getesteten Person gehabt hatten, erkrankten nicht an Covid. Zu den 14 Erkrankten, die Mastall behandelte, hielt er in seinem Text fest: „Bei den meisten Patienten sank das Fieber bereits schon am ersten Tag nach der Tabletteneinnahme. Die bronchitischen Beschwerden besserten sich rasch, die meisten Patienten sprachen von einer schlagartigen Besserung.“ Bei den 160 Behandelten reichte die Altersspanne von 10 bis 94 Jahren.
Mastall ist mit seinem Ansatz offenbar ein Einzelfall. „Ich kenne keinen Kollegen in Deutschland, der mit Ivermectin in der Praxis arbeitet“, erläutert er auf Anfrage. Ivermectin ist in Deutschland ein Standardmedikament gegen Parasiten, zum Beispiel Krätze und Bandwürmer. Für andere Zwecke darf es zwar ebenfalls verschrieben werden, aber zu diesem sogenannten „Off-Label-Use“ merkt Mastall allgemein an: „Kein Arzt macht das gerne, denn er haftet selbst dafür.“
Das zweite Problem bei dieser Rechtslage ist, dass die Krankenkassen nicht die Kosten übernehmen, wenn Ivermectin gegen Covid verschrieben wird. Mastall stellt also Privatrezepte aus. Er spricht sich für eine Zulassungserweiterung, beziehungsweise eine Notfallzulassung gegen Covid aus. Die Erfahrung aus seiner Praxis zeige, dass viele Menschen die Kosten für Ivermectin scheuen: „Ein Erwachsener müsste in Deutschland, je nach Gewicht, 70 bis über 100 Euro pro Tagesdosis für ein Ivermectin-Präparat bezahlen. Wenn sie es gratis bekämen, wären viele Menschen bereit, Ivermectin sowohl bei symptomloser Infektion als auch als Kontaktperson zu nehmen. So könnten Infektionsketten durchbrochen werden.“
In Online-Vergleichsportalen kostet eine Packung des Ivermectin-haltigen Medikaments Driponin mit vier Tabletten à 3 Milligramm rund 72 Euro. Das entspricht einer Tagesdosis für eine Person, die rund 60 Kilogramm wiegt. Bei Kontakt mit einer Corona-positiv getesteten Person wäre laut der Behandlungsempfehlung der FLCCC, nach der sich auch Mastall richtet, an zwei Tagen je eine Dosis zur Prophylaxe nötig (eventuell sogar mit 0,4 Milligram pro Kilogramm Körpergewicht), bei Infektion sollen es mindestens drei Tagesdosen sein, je nach Symptomen.
Eine Alternative zu Driponin ist der Direktbezug von Ivermectin aus einer Apotheke. „Jede Apotheke müsste Ivermectin herstellen können“, meint Mastall. Allerdings ist er unsicher, ob das auch alle machen würden, denn es sei aufwändig. Teuer muss die Ivermectin-Herstellung dabei nicht sein – in manchen Ländern kostet eine Tagesdosis weniger als einen US-Dollar, denn der Wirkstoff ist nicht mehr patentgeschützt.
Seine positiven Erfahrungen hat Heinz Mastall nach eigener Aussage schon mehrmals politischen Akteuren geschildert, bisher allerdings ohne Erfolg. Multipolar liegt ein auf den 12. Dezember 2021 datierter Brief von ihm an den hessischen Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) vor, in dem er seine positiven Erfahrungen schildert und eine größere, staatlich finanzierte Ivermectin-Studie anregt. Darin ist unter anderem zu lesen:
„Als niedergelassenes Ärzteteam sind wir verwundert, dass Ivermectin einerseits seit 2016 für Kinder ab 5 Jahren und 15 Kilogramm in Deutschland gegen Krätze zugelassen ist und als nebenwirkungsarm betrachtet wird. Andererseits aber bezeichnet der bisherige Patentinhaber, Merck, Ivermectin in derselben Dosierung gegen Corona als ungeeignet und potenziell toxisch.“
Mastalls gleich mitgereichte Erklärung dafür ist, dass der Pharmariese Merck nun gegen Covid den Wirkstoff Molnupiravir vermarktet, und: „Die Behandlungskosten von Molnupiravir liegen bei 770 US-Dollar.“ Sein eindringliches Fazit: „Es ist notwendig, dass alle deutschen Ärzte neben den forcierten Impfungen zum Wohle ihrer Patienten Ivermectin einsetzen.“
Gegenüber Multipolar kritisiert Mastall, dass die auf Molnupiravir basierende Tablette Lagevrio – wie zuvor schon die Impfstoffe – in mehreren Ländern schnell eine Notfallzulassung erhalten hat, weil es angeblich keine Medizin gegen Covid gibt: „Lagevrio ist in der EU noch nicht zugelassen, kann aber über ein formloses Rezept verordnet werden. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Dabei ist seit Anfang Dezember bekannt, dass Molnupiravir deutlich weniger gut gegen Covid wirkt, als die Zwischenergebnisse der Zulassungsstudie ausgesagt hatten, und dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Tablette neben dem Erbgut der Viren auch das des Menschen verändert. Ohnehin ist Molnupiravir, anders als Ivermectin, nur für bestimmte Behandlungsfälle vorgesehen, vor allem nicht für die Prophylaxe.
Am 24. Januar legte Mastall mit einer E-Mail an einen persönlichen Referenten des hessischen Gesundheitsministers nach. Darin schreibt er: „Gerade vor dem Hintergrund der sich rasant ausbreitenden Omikron-Pandemie ist Ivermectin besonders geeignet, prophylaktisch an gefährdeten Arbeitsplätzen gegeben zu werden.“ Mastall weist darauf hin, dass neben Lagevrio auch Paxlovid, die zweite nun in vielen Ländern freigegebene Pille zur Covid-Behandlung, nicht zur Prophylaxe eingesetzt wird. Und er dringt wieder auf eine staatliche Praxisstudie:
„Es wurde nicht eine einzige Studie in Deutschland durchgeführt, die hätte beweisen können, ob Ivermectin wirksam ist oder nicht. Und ich spreche bewusst die staatliche Institution an, da die Pharmaindustrie an der Durchführung von Studien zu Generica, bei denen das Patent abgelaufen ist, nicht interessiert ist.“
Auf die wiederholten Fragen von Multipolar, inwieweit sich das Ministerium mit Ivermectin beschäftigt hat, und wie es mit Mastalls Initiative umgeht, schickte die Pressestelle sowohl am 21. als auch am 25. Januar nur ausweichende Hinweise auf die Behörden in Deutschland, der EU und den USA sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die sich gegen eine Freigabe aussprechen. Am 27. Januar erhielt Heinz Mastall eine Antwort des Ministeriums, in der auf die Ivermectin-kritische deutsche „S3-Leitlinie“ zur Behandlung von Covid verwiesen wird, die von 16 Fachgesellschaften veröffentlicht und hin und wieder aktualisiert wird. Das Ministerium hält zudem unter Bezug auf unter anderem die US-amerikanische Seuchenbekämpfungsbehörde CDC fest: „Aus den USA werden Überdosierung und schwere Störwirkungen nach Anwendung des Antiparasitikums berichtet.“ Auf Mastalls Erfahrungen und seinen Vorschlag einer Praxisstudie wird nicht eingegangen.
Faktenverweigerung bei medizinischen Autoritäten
Der Einsatz von Ivermectin wird generell von behördlicher Seite blockiert. So antwortet die Europäische Medikamentenagentur (EMA) auf eine Multipolar-Anfrage: „Wir haben keine Aktualisierung für unsere Stellungnahme vom 22. März 2021 und können deshalb keine zusätzlichen Antworten liefern.“ Die EMA weigert sich damit, drei konkrete Fragen zu beantworten:
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Warum erhält Ivermectin keine bedingte Marktzulassung (wie die Corona-Impfungen), während weitere Daten zu seiner Wirksamkeit gesammelt werden? Schließlich sehen das die EMA-Bedingungen für Situationen vor, „wo der Nutzen der unmittelbaren Verfügbarkeit der Medizin das Risiko überwiegt, das sich aus der Tatsache ergibt, dass weitere Daten benötigt werden“.
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Welche konkreten gesundheitlichen Risiken würde die massenhafte Anwendung von Ivermectin gegen Covid mit sich bringen?
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Und werden die von der EMA geäußerten Sorgen bezüglich der gegen Coronaviren eventuell benötigten hohen Ivermectin-Dosen nicht von einer Reihe von Studien widerlegt, in denen Ivermectin selbst bei Einnahme des Drei- bis Zehnfachen der Standard-Dosis eine gute Verträglichkeit attestiert wurde?
Die EMA fügt noch an: „Die pandemische Arbeitsgruppe der EMA (COVID-ETF) beobachtet weiterhin die neuerscheinenden klinischen Daten mit Bezug zu Ivermectin.“
Deutsche medizinische Autoritäten vertreten dieselbe Position: Ivermectin soll gegen Coronaviren nur im Rahmen von Studien eingesetzt werden. Selbst das betont kritische und werbefreie Arznei-Telegramm riet im Dezember angesichts der vorliegenden Studien explizit vom Ivermectin-Einsatz gegen Coronaviren ab.
Dasselbe war sowohl im Februar als auch im Juli 2021 in der ebenfalls werbefreien Zeitschrift „Der Arzneimittelbrief“ zu lesen. Einer der beiden Herausgeber ist Wolf-Dieter Ludwig, ehemaliger Professor am Berliner Universitätsklinikum Charité und seit 2006 Präsident der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Auf Multipolar-Anfrage schreibt Ludwig, dass „wir den Einsatz (bzw. die Zulassung) von Ivermectin zur Behandlung von COVID-19 derzeit definitiv ablehnen“. Er schickt zur Erläuterung die beiden entsprechenden Artikel aus dem Arzneimittelbrief mit, sowie einen relativ kurzen Text, der am 20. Oktober von der wichtigen medizinischen Zeitschrift „New England Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlicht worden war.
Die beiden deutschen Artikel beziehen sich im Wesentlichen auf Meta-Studien zu klinischen Versuchen mit Ivermectin gegen Covid. Sie behandeln die Frage der Wirksamkeit primär als akademisches Problem und ziehen sich auf den Standpunkt zurück, die Beweislage sei nicht ausreichend. Sie ignorieren damit, wie alle Fachtexte dieser Art, den erklärten Gesundheitsnotstand wegen Covid an vielen Orten der Welt, die Sicherheit Ivermectins und die Erfolge erwiesener Fachleute vor allem in den USA, die in ihrer krankenhäuslichen Praxis ein Behandlungsprotokoll erarbeitet haben. Inwieweit dieses Protokoll in irgendeiner der eher kleinen klinischen Studien aus aller Welt angewendet wurde, scheint bei dieser Herangehensweise nicht zu interessieren. Bei vielen ist das definitiv nicht der Fall, wie ein Blick in 30 dieser Studien zeigt.
Zudem konsultiert auch der Arzneimittelbrief weder die Fachleute der FLCCC zu den aufgeworfenen Fragen, noch werden die existierenden Metastudien mit positivem Ergebnis gewürdigt. Stattdessen beziehen sich die Ivermectin-kritischen Artikel unkritisch auf Behörden und die WHO, die bekanntlich unter massivem Einfluss kapitalkräftiger Firmen oder Stiftungen stehen. Das vielleicht bedeutsamste Defizit: Die deutlichen epidemiologischen Hinweise etwa aus Lateinamerika, Afrika und Indien, die eine starke Wirkung der massenhaften Ivermectin-Gabe gegen Covid belegen, werden ganz ignoriert.
Regelrecht absurd wird es dann in dem NEJM-Artikel – auf den neben Ludwig sowohl das Arznei-Telegramm in seinem erwähnten Artikel Bezug nimmt, als auch das hessische Sozialministerium in seiner Antwort vom 27. Januar an Heinz Mastall. Darin geht es um „toxische Effekte“ bei der Nutzung von Ivermectin gegen Coronaviren. Der Artikel wurde von drei Forschern der „Gesundheits- und Wissenschaftsuniversität“ des US-Bundesstaats Oregon in Portland geschrieben. Sie erklären, dass Ivermectin-haltige Medikamente nun in den USA viel häufiger verschrieben würden als früher, wobei es im August 2021 eine besondere Steigerung gegeben habe. Ebenso hätten sich die Anrufe bei Oregons Giftnotruf wegen Ivermectin 2021 vervielfacht, und auch da sei die Steigerung im August immens gewesen – allerdings auf niedrigem Niveau. Demzufolge riefen im August 21 Menschen wegen Ivermectin an. 17 von ihnen hatten einfach Tiermedizin gekauft und eingenommen. 6 der 21 Personen gingen wegen ihrer Beschwerden in ein Krankenhaus, 4 landeten auf der Intensivstation. „Diese Fälle illustrieren die potenziell toxischen Wirkungen von Ivermectin“ – so das Fazit. Ivermectin solle nicht gegen Covid eingesetzt werden.
Der Text macht ratlos, denn der Wirkstoff wurde seit den 1980er Jahren milliardenfach und gerade auch präventiv Menschen in aller Welt verabreicht; er gilt als besonders sicher; erfahrene Intensivmediziner haben anhand ihrer praktischen Erfahrungen 2020 ein Behandlungsprotokoll gegen Covid entwickelt – und da soll es eine Rolle spielen, dass Leute, die zum allergrößten Teil ohne medizinische Anleitung Tiermedizin einnehmen, über Beschwerden klagen? Deswegen soll nicht versucht werden, durch die Ivermectin-Gabe bei frühen Covid-Symptomen oder an Kontaktpersonen von Erkrankten einen Ansturm auf Krankenhäuser zu verhindern? Deswegen soll dieses Medikament nicht auf Intensivstationen an Leute verabreicht werden, die seit Tagen künstlich beamtet werden und kein anderes Hilfsmittel in Aussicht haben?
Solche Einwände und Fragen lehnt Professor Ludwig gegenüber Multipolar ab:
„Ich habe in meiner Tätigkeit sowohl als Herausgeber des unabhängigen Informationsblattes ‚Der Arzneimittelbrief‘ als auch als Herausgeber ‚pharmakritischer Standardwerke‘ (z.B. Arzneimittel-Report seit 2015) deutlich mehr Erfahrungen und Kenntnisse hinsichtlich der Interpretation klinischer Studien bzw. Anforderungen der ‚evidenzbasierten Medizin‘ an Wirksamkeit/Sicherheit von Wirkstoffen!“
Zudem kritisiere er seit vielen Jahren den Einfluss der Pharmaindustrie auf die Medizin. „An Ihrem Text bin ich nicht interessiert!“, fügt Ludwig hinzu, wobei unklar ist, ob er den bereits im Dezember erschienenen, oder den aktuellen meint.
Politische Initiativen für die Prüfung Ivermectins
Eine gewisse Offenheit für Ivermectin scheint es hingegen in mindestens zwei deutschen Landtagen zu geben. So schrieb der niedersächsische CDU-Abgeordnete Martin Bäumer im Mai 2021 einen zweiseitigen Brief an die Landesgesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD), um auf die möglichen Vorteile Ivermectins hinzuweisen und nach bereits erfolgenden und eventuellen zukünftigen Anwendungen in Niedersachsen zu fragen. Die Antwort liegt Multipolar ebenso wie Bäumers Brief vor. Die Ministerin schreibt, „dass Ivermectin beispielsweise in Tschechien als Medikament zur Therapie von COVID-19-Infektionen sehr positiv bewertet wird, ohne dass entsprechende Studien diese Wirkung belegen“. Ohne Quellenangabe fügt sie hinzu: „Auch in Deutschland gibt es vor diesem Hintergrund viele Anfragen zum Einsatz von Ivermectin bei Covid-19.“
Bemerkenswert ist an der Antwort der Ministerin, dass sie sich differenzierter zur Studienlage ausdrückt, als das in vielen Ivermectin-kritischen Artikeln in Wissenschaft und Journalismus der Fall ist. So schreibt sie unter Berufung auf die WHO, „dass die Evidenz von ‚sehr geringer Sicherheit‘ sei, ob Ivermectin die Mortalität senkt oder die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung, die Notwendigkeit einer Krankenhauseinweisung und die Zeit bis zur klinischen Verbesserung bei Covid-19- Patienten reduziert.“ Es geht also nicht um Gefahren, sondern das Problem ist, dass die von vielen Studien behauptete Wirksamkeit von Ivermectin nicht sicher genug belegt erscheint. „Daher reicht die bislang vorhandene Evidenz nicht für eine klare therapeutische Empfehlung aus.“ Von einem Ivermectin-Einsatz gegen Coronaviren in Niedersachsen wusste die Ministerin damals nichts, und hinsichtlich eines entsprechenden politischen Engagements schob sie die Verantwortung auf die Bundesebene ab.
Gegenüber Multipolar erklärt Martin Bäumer:
„Nach der aus meiner Sicht enttäuschenden Antwort des Sozialministeriums habe ich mir angeschaut, wie andere Länder mit Ivermectin umgehen. In El Salvador soll Ivermectin zusammen mit anderen Stoffen zu einem ‚Hilfspaket‘ gehören, das jeder Bürger vom Staat kostenlos bekommen kann. Ich denke, es macht Sinn, sich intensiv mit Ivermectin zu beschäftigen und sich die Studienlage anzuschauen.“
Bäumers Brief vom Mai 2021 war passagenweise offenbar von einem Antrag übernommen, der im März von der Fraktion der Freien Wähler sowie zehn CSU-Abgeordneten – also den Regierungsparteien – in den Bayrischen Landtag eingebracht worden war. Er trägt die Überschrift: „Einsatz des Wirkstoffes Ivermectin als Therapeutikum gegen COVID-19 prüfen und ermöglichen“. Im April stimmte ihm der Gesundheitsausschus mehrheitlich zu, am 24. Juni das Landtagsplenum.
Damit ist die Landesregierung aufgefordert, „den Bund“ (konkreter wird es nicht gesagt) um die Prüfung einer Förderung klinischer Studien zum Ivermectin-Einsatz zu bitten. Der Antrag enthält zur Begründung folgende Hinweise: Die Slowakei setze seit Januar 2021 offiziell Ivermectin gegen Covid ein; die „WHO-nahe Organisation“ Unitaid bereite eine Stellungnahme zu Ivermectin vor, nachdem eine von ihr beauftragte Meta-Analyse eine „sehr positive Tendenz“ gezeigt habe; „Ergebnisse großer und wissenschaftlich hochwertiger Studien“ stünden kurz bevor; und: „Ivermectin gehört zu den bekanntesten und sichersten Arzneimitteln der Welt“.
Was hat sich seitdem getan? Und wie stehen die Abgeordneten heute zu dem Antrag? Ablehnend äußert sich gegenüber Multipolar Dominik Spitzer, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion und Vize-Berichterstatter des Gesundheitsausschusses zu dem Thema. Er würde dem Antrag heute nicht noch einmal zustimmen, denn:
„Inzwischen wissen wir viel mehr über die (nicht vorhandene) Wirkung von Ivermectin bei CoVid19, sowie über diverse Nebenwirkungen bei Überdosierung des Mittels. Darüber hinaus haben wir mit einigen anderen Medikamenten, wie z.B. Paxlovid, nun nachweislich wirksame Mittel zur Verfügung, weshalb eine weitere Erforschung von Ivermectin zur Anwendung gegen CoVid19 überflüssig geworden ist.“
Die Freien Wähler schicken auf eine aus sechs Fragen bestehende Anfrage eine wenig aussagekräftige pauschale und kurze Stellungnahme. Darin heißt es:
„Laut Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums ist die Wirksamkeit von Ivermectin für die Prophylaxe und Therapie von COVID-19 auf Basis der vorliegenden Daten zum derzeitigen Zeitpunkt nicht hinreichend belegt. (...) Derzeit werden weltweit mehrere klinische Prüfungen mit dem Wirkstoff durchgeführt, vereinzelt auch in Europa. Die Ergebnisse dieser Studien sind abzuwarten.“
Anders klingt das bei der CSU-Fraktion. Ihr gesundheitspolitischer Sprecher Bernhard Seidenath bekennt sich gegenüber Multipolar zum Antrag:
„Ja, im Kampf gegen Corona müssen wir alle Register ziehen, um schwere Verläufe und Todesfälle zu verhindern.“
Der Frage, was die Landesregierung auf Bundesebene unternommen hat, weicht er zwar aus, liefert aber den Hinweis: „Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat am 15.09.2021 eine Studie mit Ivermectin im Zusammenhang mit COVID-19 genehmigt. Die Studie hat folgenden Titel: ‚Placebo-kontrollierte randomisierte doppel-blinde Phase III Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Ivermectin Tabletten (Driponin®) für die Prophylaxe der COVID-19 Erkrankung bei im Haushalt lebenden erwachsenen Kontaktpersonen einer an COVID-19 erkrankten Person‘.“
Die Frage nach eventuellen Behandlungserfolgen in der Slowakei, in Tschechien oder Bayern beantwortet Seidenath ebenfalls ausweichend. Er weist stattdessen auf eine Initiative seiner Landesregierung in Sachen Covid hin: „Mit unserer Bayerischen Therapiestrategie investieren wir 58 Millionen Euro, um die Entwicklung von neuen Medikamenten und Therapien zu forcieren.“
Wie ein Krankenhaus seinen Erfolg selbst schlechtredet
Dabei gibt es Behandlungserfolge direkt in Bayerns Landeshauptstadt. Sie werden nun aber auf seltsame Weise unter der Decke gehalten.
Am 16. April 2021 sendete die Abendschau des Bayrischen Rundfunks (BR) einen mittlerweile gelöschten, aber im Internet auffindbaren Beitrag über einen „Hoffnungsschimmer aus München“. Das dortige Krankenhaus „Barmherzige Brüder“ setzte nämlich Ivermectin gegen Covid ein. Die über 100 Jahre alte Klinik, die auch der universitären Lehre dient, hat 1.100 Angestellte. Drei ihrer leitenden Intensiv- und Notfallmediziner, darunter der Chefarzt der Abteilung, werden nach wie vor als Kooperationspartner der FLCCC angegeben. Sie wandten das FLCCC-Behandlungsprotokoll an – und zwar mit Erfolg.
Oberarzt Werner Appelt sagte im Abendschau-Bericht, dass die Klinik aus Verzweiflung zu Ivermectin gegriffen habe, da vorher „die Patienten innerhalb kürzester Zeit verstorben“ seien. Mit der FLCCC-Behandlung seien sie hingegen „deutlich stabiler geworden“. Das sei auch „der Trend in allen Studien“. Der Anästhesist sah sich „ethisch-moralisch verpflichtet“, diese Therapie anzubieten. Darüber hinaus sei Ivermectin „das ideale Medikament“, um durch eine frühzeitige Behandlung schwere Krankheitsverläufe und somit Krankenhauseinweisungen zu verhindern. Der BR-Autor ergänzte: „Bei rund 100 Millionen Anwendungen pro Jahr sind kaum Nebenwirkungen bekannt.“
Doch kaum jemand in Behörden, Parteien oder großen Medien griff die gute Nachricht auf. Immerhin im „Tagesspiegel“ konnte Appelt sie im Mai weiterverbreiten. So ist dort mit Bezug auf ihn zu lesen:
„Das Medikament sei kein ‚Wundermittel‘, aber habe die Intubationsrate auf der Station deutlich reduziert.“
In der Folge wird Appelt mit mehreren Aussagen zitiert, die die Ivermectin-Misere auf den Punkt bringen: Für die aufwändigen Wirksamkeitsstudien, die von Behörden und hochrangigen Verantwortlichen in medizinischer Praxis und Forschung gefordert werden, gebe es keinen finanziellen Anreiz, „da sich mit Ivermectin kein Geld verdienen lässt“; das müsse also der Staat finanzieren; allerdings sah Appelt da das Hindernis einer falschen Grundhaltung: „In Deutschland herrscht das Narrativ, dass eine frühzeitige ambulante medikamentöse Therapie nicht vorhanden ist.“ Dabei könne die frühe Behandlung Infizierter „ein sinnvoller Ansatz sein, um eine Überlastung der Klinken bei einer erneuten Welle zu verhindern“.
Im Juli 2021 folgte ein weiterer positiver Bericht, diesmal in der Sendung „TV Bayern live“, die samstags von RTL ausgestrahlt wird. Dort fasst der Autor die Erfolge im Münchner Krankenhaus so zusammen: „weniger schwere Verläufe, sinkende Mortalitätsraten, weniger Patienten im Koma undsoweiter“. Franz Brettner, Chefarzt der Intensivstation, sagt in die Kamera:
„Wir wissen, dass dieses Thema sehr polemisch diskutiert wird, und teilen die zum Teil behördlichen Einschätzungen durch die WHO und andere große Organisationen eher nicht.“
Seine Klinik könne ihre Behandlungsergebnisse „dagegenhalten“. Dass sich die positive Botschaft nicht durchsetzte, hat mittlerweile aber auch das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder selbst zu verantworten. Im Oktober 2021 veröffentlichte es eine Meldung mit der Überschrift: „Impfung bleibt der beste Schutz“, die die Information enthält, dass Ivermectin nun nicht mehr gegen Covid eingesetzt werde.
Ob das Krankenhaus dafür eine Begründung lieferte, kann fast als sprachwissenschaftliche Frage behandelt werden. In der Meldung steht zwar, der Ivermectin-Einsatz habe zu einer „unbeabsichtigten enormen medialen Reaktion geführt, die uns mit einer großen Zahl von Anfragen sowohl von Laien als auch aus Fachkreisen konfrontiert hat“. Das dürfte aber natürlich kein Grund sein, eine Behandlung auszusetzen, und wird auch gar nicht als solcher bezeichnet. Es steht einfach vor dem Satz, der das Behandlungsende verkündet. Vorher schon wird darauf hingewiesen, dass „aktuelle deutsche Leitlinien“ Ivermectin nicht empfehlen. Doch weder dieser Umstand, noch die globale Studienlage werden als Grund für das Umdenken benannt. Die Mitteilung ist also schon in sich unverständlich, und zwar umso mehr, als sie nicht nur festhält, dass Ivermectin „von namhaften amerikanischen Intensivmedizinern empfohlen“ werde, sondern explizit klarmacht: „Unsere Intensivmediziner sind Mitglieder der FLCCC-Alliance.“
Auf Anfrage von Multipolar begründet das Krankenhaus den Sinneswandel mit „der mangelnden Studienlage“. Die Pressesprecherin fügt hinzu:
„Es wird in der Querdenker- und Impfgegnerszene immer wieder behauptet, wir würden auf Anweisung aus der Politik, oder weil wir vor der Pharmaindustrie eingeknickt wären, nicht mehr mit Ivermectin behandeln. Dem ist nicht so, sondern es ist allein eine Gewissensentscheidung unserer Intensivmediziner, das Medikament nicht mehr anzuwenden.“
Die BR-Abendschau hatte am 23. November 2021 einen weiteren Beitrag zum Thema gesendet. Titel diesmal: „Warnung vor vermeintlichem Covid-Medikament“. Darin gibt Chefarzt Brettner („unter anderem“, so der BR-Autor) folgenden Grund für den Ivermectin-Stopp an:
„Weil diverse andere Substanzen bei so schwer kranken Patienten zum Einsatz kommen. Am Ende des Tages zu sagen: Ivermectin hat den Durchbruch gegeben – das lässt sich, auch aus der doch kleinen Anzahl unserer Patienten, nicht wirklich sagen.“
Im Anschluss ruft er dazu auf, sich impfen zu lassen und nicht auf andere Heilmittel
zu vertrauen. Das ergibt ein, freundlich formuliert, widersprüchliches Gesamtbild. Zuerst hieß es: Patienten deutlich stabiler; deutlich geringere Intubationsrate; weniger schwere Fälle, Komatöse und Tote; ideales Medikament für die frühe Behandlung, die in Deutschland unterthematisiert ist; moralische Verpflichtung; Widerspruch zur WHO und anderen großen Akteuren. Dem entgegen steht nun: große Zahl von Anfragen ans Krankenhaus; Studien und Leitlinien, die Ivermectin nicht empfehlen – aber wohlgemerkt auch nicht verbieten; Gewissensentscheidung; Unklarheit, ob Ivermectin oder ein anderer Stoff „den Durchbruch geben“.
Es erschließt sich nicht, warum die einst gemachten starken positiven Aussagen nicht mehr gültig sein sollen. Nachdem ein Dreivierteljahr lang – Ivermectin wurde in der Klinik laut BR ab Januar 2021 verwendet – mit der Behandlung gemäß der FLCCC-Empfehlungen sehr positive Ergebnisse erzielt wurden, hat das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder sie ohne nachvollziehbare Begründung eingestellt.
Was auch immer die Gründe dafür sind, es spielt der globalen Impfkampagne in die Hände. Denn die Corona-Impfstoffe haben ihre vorläufige Zulassung nur, weil es angeblich kein gut wirksames Medikament gegen Covid gibt.
Über den Autor: Ralf Hutter, Jahrgang 1981, ist studierter Soziologe und freier Journalist.
Weiterer Artikel zum Thema:
- Der Streit um Ivermectin (Ralf Hutter, 8.12.2021)
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