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Das Virus und unsere Projektion

Wenn der Mensch zu seinem eigenen Feind postuliert wird, dann wird das Leben sinnlos. Weil es immer Krieg bedeutet. Was sich zur Zeit beobachten lässt, ist eine Art Rüstungsindustrie, verlegt ins Gesundheitswesen.

JEANNETTE FISCHER, 12. Juni 2020, 1 Kommentar

Am Anfang war ein Virus. SARS-CoV-2. Dann folgte die Projektion. Unsere Projektion: Das Virus wird unser aller Beschädiger sein. Wir werden Opfer dieses Virus werden. Der Feind ist gesetzt, weil das Opfer von ihm gesetzt ist, weil das Opfer den Feind bestätigt, weil das Opfer erst den Feind ausmacht. Das entspricht einem üblichen Kriegsnarrativ. Da hier keine Waffen mehr von Nutzen sind, um einen Feind zu bekämpfen, stellen wir uns vor, seine Trockenlegung wäre mit dem Entzug des Menschen vollbracht.

Ich habe mich gefragt, warum wir nicht erst fragen, mit wem wir es hier zu tun haben? Warum wir das Virus umgehend als unseren Killer einordnen? Warum wir gleich wissen, dass es uns zu beschädigen, ja zu töten beabsichtigt? Warum wir gleich wissen, dass wir ihm hilflos ausgeliefert sind? Und die einzige Reaktion, die uns bleibt uns zu schützen ist, die Übertragung auf andere Menschen zu unterbinden? Also dem Menschen den Menschen zu nehmen? Einen Keil zwischen die Menschen zu rammen? Über Wochen hinweg? Monate? Alle und alles stillzulegen?

Menschen zu spalten, sie zu polarisieren ist Teil jeder Kriegs- bzw. Herrschaftsrhetorik. Ob es sich um die Spaltung zwischen religiösen Gemeinschaften handelt oder zwischen Ethnien, zwischen Impfgegnern und Impfbefürwortern, zwischen Staaten, zwischen Mann und Frau spielt keine Rolle. Die Auseinandersetzung in der Differenz, das Üben der Konflikte durch das Anderssein wird über die Spaltung verhindert. Dann ist es nicht mehr möglich, sich mit der Differenz auseinanderzusetzen, sich daran zu reiben, daran zu wachsen, dabei zu begehren, sondern die Differenz wird zum Anlass genommen, sich zu bekämpfen, sich zu verfeinden und gegeneinander anzutreten im Wettbewerb um den ersten Platz. Anerkennen wir hingegen den anderen Menschen in seiner Differenz, nehmen ihn wahr und ernst, setzen uns mit ihm auseinander, dann können wir lernen, wir können uns verändern und heben dabei, ganz nebenbei, den Herrschaftsdiskurs auf.

Die Bedrohung

Das, was uns fremd, was uns unbekannt ist, ordnen wir per se als bedrohlich ein und damit wissen wir, was zu tun ist: Wir haben es zu bekämpfen. Diese Kriegsrhetorik beruhigt uns, ob sie sinnvoll ist oder nicht spielt keine Rolle. Sie ist uns einfach nicht fremd, wir kennen dieses Aktions- beziehungsweise Reaktionsschema, es scheint Teil unserer DNA geworden zu sein.

Wir brauchen jedoch dringend eine Alternative zu dieser Denkschablone.

Ich gehe davon aus, dass in unseren Jahrtausende alten Herrschaftsverhältnissen der Sinn für eine konstruktive und niemanden schädigende Wehrhaftigkeit abhanden gekommen ist in der Erfahrung, dass sie unerwünscht ist, zurückgewiesen und bestraft wird, weil sie die bestehenden Mächteverhältnisse gefährden würde. Wir haben gelernt, uns in der Nische der Anpassung zurecht zu finden, uns hier einzurichten, um der Gefahr von Ausschluss, Diffamierung und Stigmatisierung zu entgehen. Aus der Enge dieser Nische ergibt sich ein Blick auf die Welt, die diese als bedrohlich erscheinen lässt. Aus der Enge dieser Anpassung ist die Perspektive auf die Welt eine angstbesetzte. Mit zunehmendem Wohlstand kann diese Nische gemütlich eingerichtet werden, hier können wir entschleunigen, endlich Zeit für die Kinder haben, Keller räumen, am Strand bräunen und vieles mehr. Der Bedrohungs/Anpassungsmodus ist uns zur Gewohnheit geworden. Uns bedrohen inzwischen gar die mittellosen Flüchtlinge, die jedoch, anders als ein Virus, der Grenze verwiesen werden können. Mit ihnen müssen wir uns nur noch ‚am Rande’ befassen.

Dass sich weltweit (fast) alle Regierungsbevollmächtigten auf die isolatorischen Massnahmen einigten, hat nichts damit zu tun, dass sie die sinnvollsten wären. Sie können keineswegs sinnvoll sein, da es sinnwidrig ist, die einen zu schützen und dieser Schutz gleichzeitig alle anderen gefährdet. Das, was ihnen gemeinsam ist, ist die destruktive Projektion auf dieses Virus. Weltweit dieselbe aggressive Projektion. Die Angst, die wir haben, ist die Angst vor dieser Projektion. So entsteht das Narrativ, dass wir Opfer eines sehr destruktiven Virus werden. Und nicht Betroffene unserer eigenen Projektionen. Wir haben Angst vor dem weißen Hai, seit er uns als unser Killer vorgeführt wurde. Kein Zoologe vermag nach diesem Film dieses Stigma zu entschärfen.

Vor dem weißen Hai können wir uns wirksam schützen, wenn wir seine Lebensgewohnheiten kennen. Vor dem Virus können wir uns auch schützen, wenn wir wissen, mit was wir es zu tun haben. Dafür braucht es eine gewisse Zeit, ein paar Tage, die wir uns schuldig sind, um in der Folge entsprechend reagieren zu können. Um dann Maßnahmen zu ergreifen, die niemandem schaden. Jeder Krieg führt den ‚Schutz der Bevölkerung’ zu seiner Legitimierung ins Felde. Und jeder Krieg, auch wenn er gewonnen wird, schädigt immer auch die eigenen Leute. Die Maßnahmen sind dementsprechend bezüglich des Virus bedeutungslos, eine Bedeutung erhalten sie erst über unsere aggressiven Projektionen, dass wir es mit einem Killer zu tun haben. Und erst so wird es sinnvoll, alles stillzulegen, auch das Denken: Vor so viel Aggression – unsere Projektion – müssen wir in Deckung gehen.

Respekt

Dieses Virus taucht ab und das nächste wird auftauchen. Die Aufrüstung dagegen hat begonnen und neue Wirtschaftszweige werden aufleben. Um nun vorgreifende Maßnahmen gegen eine nächste anstehende Pandemie zu erheben, braucht es Applikationen und Impfungen, so die gängigen Annahmen. Alles wird bereitgestellt, ein ganzer Industriezweig aus der Taufe gehoben, eine Art Rüstungsindustrie, verlegt ins Gesundheitswesen. Es werden kriegsvorbereitende Maßnahmen getroffen, um ihn zu verhindern. Zum Schutze aller, die wir potentielle Opfer eines Angriffes sein werden. Die ganze Rüstungsindustrie ist zu unserem Schutze da. So wird sie legitimiert. Ist ein Krieg je durch seine Vorbereitung verhindert worden? Nein, dazu bräuchte es einen Paradigmenwechsel.

Ohne das Virus verharmlosen zu wollen gibt es einen anderen Diskurs ihm zu begegnen, als im Kriegs- beziehungsweise Bedrohungsmodus. In erster Linie ist es vonnöten, unsere Projektionen, welche wir dem Virus unterstellen, auf unsere eigenen destruktiven Absichten hin zu prüfen. Denn ein Virus soll das bleiben, was es ist: Ein Virus, das bei einigen Menschen ein Krankheitserreger ist und bei den meisten anderen nicht, und dass dieses Virus für einige Menschen einen tödlichen Ausgang hat und dass wir in diesem Spielraum nach Lösungen zu suchen haben, um die gefährdeten Menschen zu schützen. Dass wir eine Unterscheidung machen zwischen unseren destruktiven Projektionen und dem Virus an sich ist unbedingt erforderlich, um nicht unnötig Menschen zu gefährden. Gleichsam, um nicht Zeit und Geld zu verlieren, die wir einsetzen könnten, nicht um die Krankheit zu bekämpfen, sondern die Gesundheit zu ermöglichen.

Der Versuch, das Virus unter Kontrolle zu bringen, in dem der Mensch als sein Träger und Überträger unter Kontrolle gebracht wird, ist nutzlos. Genauso nutzlos, wie wenn wir den Ozean ausschütten würden, um dem weißen Hai Herr zu werden. Es gibt schnellere, wirksamere und schadlose Methoden, außerhalb des Kriegsnarrativ, außerhalb eines Bedrohungsmodus: Respekt.

Respekt vor dem weißen Hai reicht, um uns nicht zu gefährden. Respekt ist jedoch ausgeschlossen, wenn sowohl der Hai als auch das Virus zu unserem Feind postuliert werden. Wenn unmittelbar bei seinem Auftauchen der Kriegs- und Bedrohungsmodus eingeschaltet wird, wir die Opfer und das Virus der Täter ist, wird ein Schlachtfeld eröffnet, auf dem alle zu Schaden kommen.

Das wiederum hat nichts mit dem Virus zu tun.

Über die Autorin: Jeannette Fischer, Jahrgang 1954, arbeitete 30 Jahre als Freud’sche Psychoanalytikerin in Zürich. Sie beschäftigt sich intensiv mit der Frage der Gewalt, Macht und Ohnmacht, kuratierte hierzu Ausstellungen und drehte zwei Dokumentarfilme. Ihr Buch „Angst – vor ihr müssen wir uns fürchten“ erschien 2018.

BERNHARD MÜNSTERMANN, 12. Juni 2020, 22:40 UHR

Danke Frau Fischer für ihre Perspektive mit Blick auf unsere psychischen Befindlichkeiten. Im Rom der Alten wusste man als abgebrühter Skeptiker noch: homo lupus homini. Die Kleptokraten und ihre willigen Helfer unserer Tage, vermeintlich alles nur wohlmeinende und aufgeklärte Zeitgenossen wie Frau Dr. rer.nat. Merkel geborene Kasner, formulieren implizit lieber so: virus lupus hominibus.

Uns Menschen als Sozialwesen mit fadenscheinigen Gründen in die beispiellose soziale Isolation zu treiben, ist ein Vergehen, ist eine Form von Machtmissbrauch, die es schonungslos aufzuklären gilt. Respektvoll in den Formen der persönlichen Auseinandersetzung, mit zivilgesellschaftlichen Mitteln also, in der Sache selbst aber um größtmögliche Transparenz und resultierende Erkenntnis bemüht, welche Agenda hier vorangetrieben werden soll, in wessen Interesse dies geschieht. Anselm Lenz schlägt mit seinen Mitstreitern einen Sommer der Demokratie vor und zitiert bei jeder Gelegenheit das Grundgesetz GG Art. 1 – 20. Es ist die geronnene Lehre aus den düsteren Jahren unserer Geschichte, die nicht achtlos über Bord geworfen werden soll. Wer das außer Acht lässt, wem dafür der Sinn offenbar abhanden kam, der sollte in Deutschland kein öffentliches Staatsamt bekleiden, der soll nicht als Bundespräsident das höchste Staatsamt ausüben und mit der 1 auf dem Dienstwagen herumfahren.

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