Covid-19 – zwei, drei Gedanken in der Krise
ULRICH TEUSCH, 26. März 2020, 9 Kommentare, PDFAn irgendeiner Stelle unserer Diskussion schrieb ich Folgendes: Ich hätte den Eindruck, das Spektrum des öffentlich Sagbaren werde immer enger, der Anpassungsdruck steige, wir würden auf Konsens getrimmt.
Darauf erntete ich Widerspruch. Das genaue Gegenteil sei der Fall, sagte mein Diskussionspartner. Die soziale Polarisierung nähme zu, die Gesellschaft spalte sich immer mehr, diverse Gruppen würden gezielt gegeneinander ausgespielt.
Nachdem wir ein wenig über unsere kleine Kontroverse nachgedacht hatten, wurde uns klar, dass wir beide Recht hatten. Wir sprachen über zwei Herrschaftstechniken, die eng miteinander zusammenhängen, die zwei Seiten einer Medaille sind: Zum einen erleben wir die „Herstellung von Konsens“, wie Noam Chomsky das nennt, zum anderen ein „Divide et impera!“, ein „Teile und herrsche!“.
Zwei Herrschaftstechniken
Für die Herstellung von Konsens ist der politisch-mediale Mainstream zuständig. Dessen Idealvorstellung lautet: Wir, die Gesellschaft, sind uns in allen wesentlichen Fragen einig. Wir sind eine Wertegemeinschaft. Es herrscht der Konsens der Demokraten. Wo’s drauf ankommt, ziehen wir an einem Strang. Wir sind solidarisch. Klassenkampf ist passé. Wir diskutieren, stimmen ab und respektieren das Ergebnis. Bonn war nicht Weimar, und Berlin ist es auch nicht.
Es ist gar nicht notwendig, dieses Konsens-Ideal tatsächlich und vollständig zu erreichen. Es ist wahrscheinlich auch nicht möglich. Es gibt ja immer irgendwelche Leute, die querschießen, die mit etwas unzufrieden sind, die herumnörgeln. Solange sie nur wenige sind und nur vereinzelt auftreten, sind sie allerdings keine Bedrohung für das große Ganze.
Zum Problem werden sie erst, wenn sie sich vermehren und organisieren. Dann ist Gefahr im Verzug – und die Reaktion der Machtwächter folgt auf dem Fuß. Wenn der Konsens gefährlich bröselt, werden andere Saiten aufgezogen. Dann braucht’s eine innergesellschaftliche Feinderklärung, um die Störenfriede in die Ecke zu drücken, um zu verhindern, dass sie bis in „die Mitte der Gesellschaft“ vordringen.
Die Vernünftigen und die Unvernünftigen
Man kann in unserer Gesellschaft gegenwärtig beides gehäuft und verschärft beobachten: sowohl die „Herstellung von Konsens“ als auch das „Teile und herrsche!“. In der „Corona-Krise“ tritt diese zweidimensionale Herrschaftstechnik besonders deutlich in Erscheinung.
Einerseits heißt es: Wir erleben die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Jetzt müssen wir zusammenhalten, vernünftig sein und Opfer bringen. Wir können diesen Notstand nur heil überstehen, wenn jeder an seinem Platz das Richtige tut. Wir sind eine große Gemeinschaft im Kampf gegen eine tückische Gefahr.
Andererseits heißt es: Leider sind nicht alle vernünftig und opferbereit. Wären sie es, müssten wir gar keine unangenehmen Maßnahmen ergreifen, also keine massiven Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens verfügen. Alle würden auf bloßen Zuruf parieren und mit Freuden das Richtige tun und das Falsche lassen. Und für diejenigen, die sich ohnehin vernünftig und opferbereit verhalten, ist unser Maßnahmekatalog ja auch im Grunde belanglos. Er trifft lediglich diejenigen, die sich uneinsichtig, unvernünftig, unverantwortlich zeigen.
Ganz unabhängig von der Frage, wie schlimm die Corona-Krise tatsächlich ist (oder nicht ist), ganz unabhängig auch von der Frage, ob sich hinter „Corona“ noch etwas ganz Anderes verbirgt – es ist nicht erstaunlich, es war vielmehr zu erwarten, dass staatliche Macht auf die Krise mit der skizzierten Doppelstrategie reagieren würde.
Trau, schau, wem!
Was ich hingegen nie und nimmer erwartet und für möglich gehalten hätte, ist die Art und Weise, in der „wir“ – nicht der Staat, sondern „wir alle“ (oder doch ziemlich viele von uns) – mit der Krise umgehen:
Schon vor zwei oder drei Wochen konnte man von übereifrigen Vertretern des Bürgerselbstschutzes böse angemacht werden, wenn man seine kleinen Kinder nicht rigoros wegsperrte, sondern mit ihren Freunden und Freundinnen an der frischen Luft spielen ließ.
Wer auf „sozialen Netzwerken“ unterwegs ist und dort dissidente Lage-Einschätzungen postet, muss sich darauf gefasst machen, von Vertretern der Mehrheitslinie mit Vorwürfen überhäuft, beschimpft oder gleich ganz blockiert zu werden.
Geradezu bestürzend und verheerend empfinde ich jedoch, dass Menschen, mit denen man über viele Jahre kollegial und freundschaftlich zusammengearbeitet hat, mit denen man auch weiterhin in tausend Fragen übereinstimmt, nun wegen eines abweichenden Urteils über „Corona“ unvermittelt den Stab brechen – und zwar einseitig, unwiderruflich, ohne weitere Diskussion. Und dass sie diese Zäsur oft mit bösartigen Unterstellungen verbinden, etwa der, dass der Andere sich nicht bloß in einem verzeihlichen Irrtum befinde, über den in aller Ruhe zu sprechen wäre, sondern dass er sich als eminente Gefahr für die Volksgesundheit entpuppe, jedenfalls nicht der sei, für den man ihn immer gehalten habe, sondern ein schlimmer Finger, der Übles im Schilde führe. Trau, schau, wem!
Solche betrüblichen Vorgänge haben mit den eben skizzierten Herrschaftstechniken „derer da oben“ nichts zu tun. Dieser Zwist ist nicht fremdentfacht, sondern selbstgemacht. Aber er spielt – und das ist die Tragik – letztlich denen in die Hände, die uns unter Kontrolle halten wollen, indem sie uns entweder in einen falschen Konsens locken oder nötigen – oder uns gegeneinander ausspielen und aufhetzen.
Diskussion
9 Kommentare