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Twitter – die neuen amtlichen Mitteilungen?

Facebook, Google und Twitter sind die Kommunikationsgiganten unserer Tage. Twitter spielt dabei eine besondere Rolle: Es wird wird von Institutionen und Personen des politischen Lebens quer durch die Welt für die Kommunikation verwendet. Das ist ein Problem.

WOLFGANG ROMEY, 5. Februar 2020, 4 Kommentare, PDF

Alle nutzen Twitter. Donald Trump hat das schon im Wahlkampf getan und setzt es als Präsident der Vereinigten Staaten umfangreich fort, so auch nach dem Mord am iranischen General Kassem Soleimani. Trump erklärte auf Twitter, Soleimani sei für den Tod von „Tausenden Amerikanern“ verantwortlich und habe „noch viele weitere töten wollen“. Auch zusätzliche kriegerische Handlungen will er über Twitter ankündigen.

Er ist aber nur einer der Twitter-Nutzer in diesem Konflikt. Irans Präsident Hassan Rouhani entgegnete auf Twitter, man werde „Rache für dieses abscheuliche Verbrechen nehmen“. Nachdem von den USA neue Sanktionen gegen Kuba verkündet worden waren, reagierte dessen Außenminister ebenfalls empört auf Twitter, dies sei ein „verleumderischer und bedrohlicher Schritt“. Eine Auswahl weiterer Twitter-Nutzer quer durch die politischen Strömungen in Südamerika: Der Präsident von Brasilien, Jair Bolsonaro, der Staatschef von Ecuador, Lenin Moreno, der Präsident von Venezuela, Nicolás Maduro.

Twitter verwenden aber auch weitere wichtige Persönlichkeiten der Politik, wie die Staatschefs Russlands, Indiens, Großbritanniens und Frankreichs. Angela Merkel nutzt ihren Account offenbar nicht mehr, doch Kabinetts-Mitglieder wie Heiko Maas, Peter Altmaier und Olaf Scholz sind auf Twitter sehr aktiv. Man könnte die politische Landschaft in Europa und Deutschland weiter durchgehen, von CDU, CSU, SPD, Linkspartei, Die PARTEI, DKP, FDP bis AfD, alle sind bei Twitter vertreten, auch mit den jeweiligen Führungspersönlichkeiten.

Wer die Pressemeldungen in der letzten Zeit verfolgt hat, wird auf eine Reihe weiterer Fälle gestoßen sein, in denen Twitter für mehr oder minder offizielle Zwecke gebraucht wurde, meistens von Menschen, die nicht als Privatpersonen in der Nutzung von Twitter im Rahmen der Nutzungsbedingungen frei sind, sondern von Funktionsträgern, die ein Amt oder eine Organisation vertreten. Ihre Beiträge sind deshalb nicht private Äußerungen, sondern haben den Charakter amtlicher Mitteilungen.

An der Oberfläche wird das deutlich sichtbar bei Donald Trump, wenn er mitteilt, dass er den Kongress über Twitter über die neuesten Entwicklungen in der Auseinandersetzung mit dem Iran informieren wird. Informationen zum Krieg als Tweets! Dieses Beispiel macht besonders deutlich, dass Twitter die Funktion von amtlichen Mitteilungen übernommen hat, die früher ausgehängt, verteilt, in Zeitungen erschienen oder in einem Amtsblatt veröffentlicht wurden.

Shadow Banning und politische Zensur

Da Twitter eine große Reichweite hat, ist das doch sicher ein Fortschritt? Nein! Und zwar aus verschiedenen Gründen:

  • Twitter ist ein privates US-amerikanisches Unternehmen, dessen Betriebszweck nicht in der Veröffentlichung von privaten und amtlichen Tweets besteht. Der Betriebszweck ist Gewinn. Wenn sich heraus stellt, dass dieser Zweck nicht erfüllt wird, gibt es kein Hindernis für Twitter, seinen Betrieb umzustellen oder sogar ganz einzustellen. Dann sind die entstandenen Netzwerke bedroht. Personen in einem Amt können von einem Tag auf den anderen von der Möglichkeit abgeschnitten sein, Informationen breit zu streuen. Wichtig ist für Twitter, dass die Nutzer Aufmerksamkeit und Reichweite erhöhen. Das können auch, wie man sieht, politische Gegner der USA sein. Aber selbst wenn sie Reichweite und Aufmerksamkeit bringen, werden sie unter Umständen ohne Vorwarnung gesperrt, wenn es politisch passt.

  • Als US-amerikanischer Betrieb unterliegt Twitter der Aufsicht und dem Einfluss der US-Administration, die unter anderen wirksam fordern kann, Informationen über die Nutzer heraus zu geben, den Account zu löschen oder zu überwachen. Twitter muss sich auch der Sanktionspolitik der USA unterwerfen. Es ist oftmals überraschend, dass Personen und Organisationen Twitter nutzen, obwohl sie Konflikte mit den USA haben, also durchaus Opfer der Sanktionspolitik werden können und wissen sollten, dass sie auf Twitter ausspioniert werden.

  • Es ist bekannt, dass Twitter von sich aus Nutzer behindert oder aussperrt, ohne das Gründe dafür offen gelegt werden. Besonders perfide ist die Praxis des sogenannten Shadow Banning, die der Nutzer nicht so ohne weiteres erkennen kann. Betroffen sind insbesondere Accounts mit kritischen Inhalten.

Twitter ist außerdem ein Instrument, mit dem politische Präferenzen beeinflusst werden können. So sind beispielsweise in Brasilien tausende Twitter-Accounts angelegt worden, die für den Kandidaten Bolsonaro geworben haben. Am Beispiel Bolivien kann man zeigen, wie fatal die Abhängigkeit von Twitter ist. Evo Morales stand kein anderes Instrument als Twitter zur Verfügung, um sich an sein Volk zu wenden, als die Putsch-Gefahr immer größer wurde. Nach dem Putsch wurden etwa 70.000 Twitter-Accounts geschaffen, die für die Putschisten-Regierung werben. Morales kann dem auf Twitter nichts entgegen setzen und die Unterstützung seiner Person geht im Twitter-Rauschen unter.

Ein weiteres Beispiel für die fatalen Folgen der Twitter-Abhängigkeit zeigt eine Meldung vom Januar, wonach Twitter die Konten zahlreicher offizieller Instanzen Venezuelas sperrte, so etwa der Zentralbank, der Streitkräfte und verschiedener Politiker – alles ohne weitere Erklärung. Das zeigt, dass auch in Venezuela versäumt wurde, eine alternative Kommunikationsinfrastruktur aufzubauen. Dabei wäre das schon seit einigen Jahren möglich gewesen, ob als Ersatz oder als Ergänzung.

Mögliche Alternativen

Für alle kommerziellen sozialen Netzwerke gibt es inzwischen unabhängige Alternativen. Unabhängig heißt, dass sie keinem kommerziellen Anbieter gehören und von diesem kontrolliert werden können. Die Software der Alternativen ist freie Software, sie kann also beliebig genutzt, weiter gegeben, untersucht, weiter entwickelt und als verbesserte Version dann verteilt werden. Folgende Alternativen für die größten kommerziellen Netzwerke gibt es:

Twitter – Mastodon (das inzwischen mehr als zwei Millionen Mitglieder hat)
Facebook – Diaspora
Youtube – Peertube
Instagram – Pixelfed
WhatsApp – Matrix/Riot (das übrigens von der französischen Regierung genutzt wird)

Man muss aber darauf hinweisen, dass diese Alternativen recht neu sind und deshalb überwiegend nicht den Funktionsumfang bieten, wie die kommerziellen Netze; es fehlt aber immer die Funktion Ausforschung.

Das Besondere an diesen Netzen ist, dass es verteilte Netze sind, die aus Knoten oder Instanzen bestehen, die untereinander kommunizieren. Die Aktivitäten der Instanzen werden untereinander abgeglichen. Ein Beispiel: Ich habe ein Konto auf der Pixelfed-Instanz P21, mein Sohn ein Konto auf der Instanz P33, und wir möchten jeweils unsere Bilder sehen. Wenn ich ein Bild auf P21 veröffentliche, erscheint es auch bei meinem Sohn auf P33, wenn er mir von dort aus folgt. Kommentiert er es, erscheint der Kommentar auch bei mir.

Eine weitere Besonderheit ist, dass man eine eigene Instanz anlegen kann, da die dafür nötige Software freie Software ist. Jedes Ministerium, jeder Politiker, jeder Parteivorstand kann seine eigene Instanz anlegen und bestimmen, in welcher Weise damit kommuniziert wird. Man kann die Nutzung völlig freigeben oder zum Beispiel bei einer Familie festlegen, dass sich die Instanz nur von vielleicht weltweit verstreuten Familienmitgliedern nutzen lässt.

Die Installation auf dem eigenen Rechner erfordert (noch) eine recht große Expertise, die aber bei Ministerien oder Parteien immer vorhanden sein sollte, da sie in der Regel über eine größere IT-Abteilung verfügen. Da die Software frei ist, könnten sich die Institutionen auch an der Weiterentwicklung beteiligen und mit dafür sorgen, dass noch vorhandene Schwächen behoben oder fehlende Funktionen ergänzt werden. Das wäre eine sinnvollere Nutzung öffentlicher Gelder, statt sie für Lizenzen an Microsoft zu vergeuden.

Die Zukunft könnte also so aussehen, dass die Institutionen, zu denen Personen mit den gesperrten Accounts gehören, eigene Instanzen anlegen, die dann von den Mitarbeitern genutzt werden. Jeder Bürger kann von der Instanz, bei der er angemeldet ist, diesen Institutionen folgen.

Und das Problem der Reichweite? Die mangelnde Reichweite wird fast immer als Argument vorgebracht, um bei Twitter zu bleiben. Wird ein Account gesperrt, sinkt die Reichweite bei Twitter allerdings schlagartig auf Null. Was tun? Meiner Meinung nach kann es ein erfolgversprechender Weg sein, den Wechsel weg von Twitter beispielsweise zu Mastodon anzukündigen und die Follower auf Twitter aufzufordern, zukünftig dort zu folgen. Diese Aufforderung sollte wiederholt, und der Twitter-Account nach einem geeigneten Zeitraum gelöscht werden.

So macht es auch der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, weil das Twittern nicht mit seiner Tätigkeit als Datenschützer vereinbar sei. Twitter sammele im Hintergrund Nutzerdaten. Er könne nicht zugleich Aufsichtsbehörde und Nutzer eines womöglich datenschutzrechtlich problematischen Netzwerkes sein. Auch Privatpersonen steht dieser Weg offen.

Ein letzter Aspekt: Ich erwarte von meiner Regierung, allen Funktionsträgern und allen öffentlichen Institutionen, dass ich nicht gezwungen bin, einen privaten US-amerikanischen Dienst zu nutzen, um Informationen von diesen Stellen oder Personen zu erhalten. Das schadet der Demokratie. Die genutzten Dienste müssen einer öffentlichen Kontrolle zugänglich sein, selbst betriebene Dienste sind das. Schon aus diesem Grund ist es für öffentliche Einrichtungen notwendig, Twitter zu verlassen und eine demokratisch kontrollierte Kommunikationsinfrastruktur aufzubauen.

Über den Autor: Wolfgang Romey, Jahrgang 1948, studierte Theoretische Elektrotechnik, war Lehrer im berufsbildenden Bereich, Lehrerausbilder und später Dezernent für Lehrerausbildung in der Bezirksregierung Düsseldorf. Die kritische Auseinandersetzung mit den Folgen der Digitaltechnik, die ihm dramatisch unterentwickelt scheint, ist bis heute sein Thema.

BERNHARD MEYER, 8. Februar 2020, 16:40 UHR

Könnte Human Connection von Dennis Hack auch eine Alternative zu Facebook oder Twitter sein oder werden? Siehe https://human-connection.org

WOLFGANG ROMEY, 17. Februar 2020, 11:15 UHR

Wenn Human Connection wirklich ernst mit der Dezentralisierung macht, könnte es aus meiner Sicht eine Alternative werden. Zentrale Lösungen bieten immer die Gefahr, daß sie in kommerzielle Hände kommen.

WOLFGANG ROMEY, 5. Februar 2020, 17:45 UHR

Ein Ergänzung von mir: Die Landesregierung von Baden-Württemberg ist seit einigen Tagen auf Mastodon vertreten: https://mastodon.social/@RegierungBW.

MARKUS BÖDEN, 11. Februar 2020, 13:15 UHR

Es ist wirklich erschreckend, wie stark derzeit die Meinungsmache und/oder Panikmache über die (privaten) Netzwerke gemacht wird. Dem letzten Aspekt von Herrn Romey kann ich nur beipflichten.

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