Bundeskanzler Olaf Scholz am 25. August 2022 auf einem Militärübungsplatz | Bild: picture alliance / EPA | Morris MacMatzen / POOL

Aufrüstung: Bei wem landet das Geld?

Der Bundestag hat im Juni ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr beschlossen, das mit neuen Staatsschulden finanziert werden soll. Eine Analyse der Eigentumsverhältnisse der begünstigten Rüstungsunternehmen sowie der Gläubigerbanken, die dem deutschen Staat das Geld dafür leihen, zeigt, wer von den Milliarden profitiert.

KARSTEN MONTAG, 21. November 2022, 7 Kommentare, PDF

Zunächst: Das 100-Milliarden-Sondervermögen wurde nicht erst nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022, der sogenannten „Zeitenwende“, konzipiert. Bereits im Oktober 2021 soll laut SPIEGEL ein sechsseitiges Argumentationspapier aus dem Verteidigungsministerium vorgelegen haben, in dem ein solches „Sondervermögen Bundeswehr“ in Höhe von 102 Milliarden Euro angedacht wurde. Das Ministerium verweigert auf Anfrage allerdings eine Veröffentlichung dieses Papiers. Es handle sich um „geheimhaltungsbedürftige Tatsachen“.

Laut dem Gesetz zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ wird angestrebt, in den nächsten fünf Jahren zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das Militär zur Verfügung zu stellen – „auf Basis der aktuellen Regierungsprognose für Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien“. Das Zwei-Prozent-Ziel selbst war schon 2014 bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten formuliert worden. Weiterhin heißt es im aktuellen Gesetz, dass nach Verausgabung des Sondervermögens die finanziellen Mittel aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt werden sollen, „um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und den deutschen Beitrag zu den dann jeweils geltenden NATO-Fähigkeitszielen zu gewährleisten“. Dass das Militärbudget auch nach Ablauf der fünf Jahre weiterhin bei zwei Prozent des BIP liegen soll, bekräftigte Bundeskanzler Scholz in einer Rede im September.

Es wird also voraussichtlich nicht bei den 100 Milliarden bleiben, sondern die jährlichen Rüstungsausgaben werden auch nach 2026 von derzeit 30 bis 50 Milliarden auf 70 bis 80 Milliarden Euro – oder mehr – angehoben, je nachdem wie sich das Wirtschaftswachstum entwickeln sollte. Zur Verdeutlichung der Größenordnung dieser Ausgaben ist in Abbildung 1 der aktuelle Bundeshaushalt zuzüglich des Sondervermögens für die Bundeswehr dargestellt.

Abbildung 1: (für größere Darstellung Bild anklicken) Bundeshaushalt 2022 zuzüglich Sondervermögen Bundeswehr in Tausend Euro, Datenquelle: Bundesfinanzministerium

Wer profitiert von den Waffenkäufen?

Ein grober Wirtschaftsplan für die Verwendung des Sondervermögens der Bundeswehr findet sich im zugehörigen Gesetzestext. Dieser ist allerdings nach Kritik des Rechnungshofes – und aufgrund der voranschreitenden Inflation – im Oktober überarbeitet worden. Laut den bislang bekannten Zahlen sollen rund 33 Milliarden Euro für die „Dimension Luft“, 17 Milliarden für die „Dimension Land“ und 9 Milliarden für die „Dimension See“ verwendet werden. Eine detaillierte Aufstellung der zu beschaffenden Waffensysteme, deren Hersteller und der zugehörigen Mutterkonzerne befindet sich im Anhang in Tabelle 2.

Von den 22 begünstigten Rüstungsunternehmen und Schiffswerften sind 13 Aktiengesellschaften oder gehören zu Mutterkonzernen, die ihrerseits Aktiengesellschaften sind. Aufsummiert beläuft sich die Summe desjenigen Grundkapitals dieser Konzerne, das sich in den Händen von Großaktionären befindet, auf circa 3,6 Billionen Dollar. Davon wird mit 2,4 Billionen Dollar mehr als zwei Drittel von US-amerikanischen Investmentunternehmen gehalten. Den größten Anteil des Grundkapitals in den Händen von Großaktionären besitzen die Capital Group mit 620 Milliarden Dollar, die Vanguard Group mit 340 Milliarden Dollar und BlackRock mit 253 Milliarden Dollar – alle drei sind US-amerikanische Investmentfonds. Detaillierte Informationen hierzu befinden sich in Tabelle 3 im Anhang.

Schuldenquote steigt weiter

Das Sondervermögen der Bundeswehr entspricht einem Fünftel des aktuellen Haushalts und soll ausschließlich über neue Schulden finanziert werden. Diese werden wiederum höhere Zinszahlungen Deutschlands an seine Gläubiger nach sich ziehen. In den letzten 15 Jahren haben bereits die Weltfinanzkrise, die Eurokrise und die Corona-Krise zu außerordentlichen Erhöhungen der deutschen Staatsverschuldung geführt. Seit 2006 sind sie von 1,6 Billionen auf 2,5 Billionen Euro in 2021 angestiegen, bei einem BIP von 3,6 Billionen Euro. Das Haushaltsdefizit betrug in 2021 4,4 Prozent des BIP.

Abbildung 2: BIP und Staatsverschuldung in Billionen Euro sowie Schuldenquote in Prozent in Deutschland, Datenquellen: Statistisches Bundesamt und Eurostat

Damit hat Deutschland die Maastricht-Kriterien erneut nicht eingehalten. Diese bezwecken eine grundsätzliche wirtschaftliche Stabilität und Solidität der Europäischen Union und sehen unter anderem vor, dass EU-Mitgliedsstaaten sich nicht mehr als zu 60 Prozent ihres BIP verschulden dürfen und das jährliche Haushaltsdefizit nicht mehr als drei Prozent des BIP betragen darf.

Wer profitiert von der Neuverschuldung?

Deutschland verschuldet sich über die Ausgabe von Bundeswertpapieren mit unterschiedlichen Laufzeiten und Zinsen durch die Deutsche Finanzagentur. Diese Staatsanleihen dürfen nur Kreditinstitute – so genannte Bieterbanken – erwerben, die von der Finanzagentur nach bestimmten Kriterien zugelassen werden. Derzeit sind 32 Banken zugelassen, die sich an Auktionen von Bundeswertpapieren beteiligen dürfen. Von diesen gelten die Hälfte offiziell als „systemrelevant“, was praktisch bedeutet, dass im Krisenfall die Staaten für sie haften.

Zwei Drittel der Banken sind Aktiengesellschaften oder gehören zu Mutterkonzernen, die Aktiengesellschaften sind. Aufsummiert beläuft sich die Summe desjenigen Grundkapitals dieser Konzerne, das sich in den Händen von Großaktionären befindet, auf circa 30 Billionen Dollar. Davon wird mit 13 Billionen Dollar fast die Hälfte von US-amerikanischen Investmentunternehmen gehalten. Den größten Anteil des Grundkapitals in den Händen von Großaktionären besitzen die Vanguard Group mit 3,5 Billionen und BlackRock mit 2,9 Billionen Dollar – die beiden größten Investmentfonds der Welt, beide aus den USA. An dritter Stelle folgt die norwegische Zentralbank mit 2,2 Billionen Dollar. Detaillierte Informationen hierzu befinden sich in Tabelle 1 im Anhang.

Dies bedeutet, dass die US-amerikanischen Investmentunternehmen nicht nur den größten Einfluss auf zwei Drittel der Gläubigerbanken der deutschen Staatsschulden ausüben, sie profitieren auch am meisten von den Zinsen der deutschen Staatsanleihen sowie dem Handel mit ihnen. Denn ein Großteil der Wertpapiere wird an den internationalen Börsen wie Aktien und Unternehmensanleihen gehandelt. Die Bundeswertpapiere verbleiben also in der Regel nicht bis zum Ende ihrer Laufzeit im Portfolio der Bieterbanken, sondern wechseln ihren Besitz zu Investoren, Geschäftsbanken und Zentralbanken im In- und Ausland.

Abbildung 3: Deutsche Staatsschulden in Milliarden Euro nach Gläubigern, Datenquelle: Internationaler Währungsfonds

Wie Abbildung 3 zeigt, hat die Europäische Zentralbank (EZB) seit 2015 große Teile der deutschen Staatsanleihen auf dem Kapitalmarkt aufgekauft. Dies hat sie nicht nur in Deutschland und nicht nur bei Staatsanleihen, sondern auch in andern EU-Staaten und bei Unternehmensanleihen europäischer Firmen vorgenommen – offiziell, um eine Deflation zu vermeiden und die Inflation im Euroraum bei zwei Prozent zu halten. Das Kapital der EZB für den Kauf der Wertpapiere stammt aus einer „Quantitativen Lockerung“, also einer Erhöhung der Geldmenge im Euroraum durch Geldschöpfung. Die EZB versucht spätestens seit der Eurokrise mit einer expansiven Geldpolitik den Abzug von Kapital aus Europa und die Überschuldung von öffentlichen und privaten Haushalten auszugleichen. Dies erfolgt jedoch zulasten der Allgemeinheit, da sich ohne ein entsprechendes Wirtschaftswachstum der Wert des im Umlauf befindlichen Geldes durch Inflation und niedrige Zinsen verringert.

Wer sind die größten Investmentunternehmen und wem gehören sie?

BlackRock, die Vanguard Group und die Capital Group sind nicht nur diejenigen Unternehmen, die an dem 100 Milliarden-Sondervermögen der Bundeswehr am meisten verdienen, sie befinden sich auch auf Platz eins, zwei beziehungsweise neun der weltweit größten Investmentunternehmen.

Abbildung 4: Die größten Investmentunternehmen nach verwaltetem Vermögen (Stand 2022) in Billionen Dollar, Datenquelle: The Balance

Die Frage nach den Eigentümern dieser Unternehmen lässt sich nicht so einfach beantworten. Die Anleger der Vanguard Group sind gleichzeitig auch die Anteilsinhaber dieses Unternehmens. Da die Vanguard Group nicht an der Börse gehandelt wird, ist die Information, wem sie letztendlich gehört, nicht öffentlich zugänglich. Auch die Capital Group wird nicht an der Börse gehandelt. Auch hier sind die 450 Eigentümer nicht öffentlich bekannt.

BlackRock ist zwar eine Aktiengesellschaft, doch die drei größten Aktionäre sind die Vanguard Group (8,2 Prozent), die Capital Group (4,1 Prozent) und State Street Global Advisors (4,0 Prozent). Größter Aktionär von State Street ist mit neun Prozent wiederum die Vanguard Group. Ganz offensichtlich sind die großen Investmentunternehmen sehr eng vernetzt, und ihre namentlichen Eigentümer ziehen es vor, im Verborgenen zu bleiben.

Eine aufwändige Studie der Universität Zürich von 2011 bestätigt diese Vermutung. Die Forscher fanden heraus, dass im Zentrum der globalen Wirtschaft lediglich 147 eng verknüpfte Unternehmen stehen, die 40 Prozent des Vermögens der untersuchten circa 43.000 wichtigsten international tätigen Firmen kontrollieren. Unter den ersten zehn befanden sich zum damaligen Zeitpunkt die Capital Group, State Street und die Vanguard Group.

Wer letztendlich die namentlichen Eigentümer und die Anleger der Investmentunternehmen sind, die vom Sondervermögen der Bundeswehr profitieren, lässt sich schlussendlich nur vermuten. Es ist jedoch schon allein aufgrund der Vermögensverteilung in reichen Ländern wie in den USA oder in Deutschland sehr wahrscheinlich, dass sich dahinter größtenteils die jeweils oberen zehn Prozent der Gesellschaft verbergen.

Abbildung 5: Inflationsbereinigtes Nettovermögen pro Kopf in Dollar (USA) und Euro (Deutschland), Basisjahr 2021, Datenquelle: World Inequalitiy Database

Schlussbemerkung

Bei der Finanzierung der aktuellen deutschen Rüstungsausgaben sind hauptsächlich US-amerikanische Investmentunternehmen, ihre Eigentümer und ihre Anleger die größten Gewinner. Sie ziehen zugunsten ihrer Anleger über Zinsen auf Staatsschulden und über die Gewinne der Rüstungsunternehmen, an denen sie beteiligt sind, Kapital aus Deutschland ab. Verlierer sind neben den deutschen Steuerzahlern – die die neuen Waffen, deren Unterhaltung sowie die Zinsen finanzieren müssen – auch diejenigen Menschen, deren Leben, Gesundheit und Habe beim Einsatz der Waffen zerstört wird.

Anhang

Tabelle 1: (für größere Darstellung Bild anklicken) Kreditinstitute der Bietergruppe für Bundeswertpapiere und ihre Anteilseigner, Datenquellen: Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH, MarketScreener

Tabelle 2: (für größere Darstellung Bild anklicken) Waffensysteme, die mit dem Sondervermögen der Bundeswehr erworben werden sollen, sowie zugehörige Rüstungsunternehmen und Mutterkonzerne (Auswahl), Datenquellen: Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“, Augen geradeaus, Wikipedia

Tabelle 3: (für größere Darstellung Bild anklicken) Rüstungsunternehmen und ihre Anteilseigner, Datenquelle: MarketScreener

Über den Autor: Karsten Montag, Jahrgang 1968, hat Maschinenbau an der RWTH Aachen, Philosophie, Geschichte und Physik an der Universität in Köln sowie Bildungswissenschaften in Hagen studiert. Er war viele Jahre Mitarbeiter einer gewerkschaftsnahen Unternehmensberatung, zuletzt Abteilungs- und Projektleiter in einer Softwarefirma, die ein Energiedatenmanagement- und Abrechnungssystem für den Energiehandel hergestellt und vertrieben hat.

MANFRED ROSSKOPF, 21. November 2022, 13:40 UHR

Ich meine, in Abbildung 1 muss es heißen: "Bundeshaushalt 2022 zuzüglich Sondervermögen Bundeswehr in Tausend Euro"

BERNHARD MÜNSTERMANN, 21. November 2022, 19:35 UHR

@Manfred Rosskopf
ja, die Nullen auf der waagerechten Achse unten wären 100 Millionen. Das ist ein Versehen. Dass beim Sondervermögen die Anführungsstriche fehlen, muss die Farbe rot wettmachen. Neuverschuldung als Sondervermögen auszuweisen ist als orwellscher Neusprech aber schon eingangs des Artikels gut sichtbar herausgestellt worden.

REDAKTION, 21. November 2022, 23:00 UHR

Vielen Dank für den Hinweis – wir haben es korrigiert.

HAJO, 21. November 2022, 15:40 UHR

Der Artikel ist lesenswert in Bezug auf die Frage "Wer profitiert von den Rüstungsausgaben?". Den Abstecher zur Staatsverschuldung hätte Karsten Montag in dem Artikel unterlassen sollen. Wenn er schreibt »Dies erfolgt jedoch zulasten der Allgemeinheit, da sich ohne ein entsprechendes Wirtschaftswachstum der Wert des im Umlauf befindlichen Geldes durch Inflation und niedrige Zinsen verringert«, ist dies empirisch nicht haltbar. Und die dahinter steckende monetaristische Quantitästherorie ist längst widerlegt.

BERNHARD MÜNSTERMANN, 21. November 2022, 22:05 UHR

@HAJO
Es ist eine steile These zu konstatieren, die von Herrn Montag umrissene Relation sei als Zusammenhang widerlegt. Wo bitte soll diese Binsenweisheit schlüssig und nachvollziehbar widerlegt worden sein? Ich lese allenfalls auf den Nachdenkseiten von Heiner Flassbeck dergleichen. Damit vertritt Flassbeck sicher gewerkschaftsnahe Positionen, ist aber unter den Ökonomen keineswegs unumstritten mit einem solchen Ansatz. Wir können die Folgen davon, dass die Bundesregierung mit der Bazooka die Milliarden nur so herausballert und die Staatsverschuldung weiter in die Höhe treibt derzeit doch live und in Farbe studieren. Insoweit wäre Ihre Herrn Montag widersprechende Behauptung in Ihrem Kommentar bitte zu belegen.

KARSTEN MONTAG, 22. November 2022, 06:45 UHR

Liebe/r Hajo,
ich würde gerne wissen, mit welchen Argumenten der grundsätzliche Einfluss des Zusammenhangs zwischen der im Umlauf befindlichen Geldmenge auf der einen sowie den jeweils getauschten Gütern und Dienstleistungen auf der anderen Seite auf das Preisniveau widerlegt wurde. Dass auch andere Faktoren wie das Vertrauen in eine Währung eine Rolle spielen, will ich gar nicht bestreiten.
Freundliche Grüße
Karsten Montag

TK, 22. November 2022, 20:40 UHR

Lieber Herr Montag,

auch meinerseits vielen Dank für Ihren Artikel. Ich kann den Ansatz nachvollziehen, die hinter den direkten (Käufe) sowie indirekten (Finanzierung/Zinsen) Kosten stehenden Profiteure sichtbar zu machen. Der Hinweis auf die vielfältigen finanziellen Verflechtungen einiger weniger Unternehmen ist meines Erachtens sehr wertvoll. Es wird nämlich allgemein sehr gerne der quasi anonyme, große (Kapital-)Markt beschworen, auf dem es nur Preisnehmer und keine -setzer gibt. Dies ist natürlich nur eine (nützliche) Illusion.

Nun möchte ich zunächst eine kleine Anmerkung zu den Bankeigentümern machen: Zu denen dürfte nicht die norwegische Zentralbank gehören. Vielmehr verwaltet diese lediglich den großen norwegischen Staatsfonds.

Und darüber hinaus möchte ich mich etwas grundsätzlicher den Aussagen von Hajo anschließen. Die EZB stemmte sich in der Finanzkrise weniger gegen eine Kapitalflucht aus Europa (auch wenn es diesbezüglich zu Beginn US-Dollar-Swap-Abkommen mit der Federal Reserve gab; außerdem wäre noch die Frage zu stellen, inwiefern "Kapital" überhaupt einen Währungsraum verlassen kann), sondern gegen einen Zusammenbruch des Interbankenmarktes innerhalb des Euroraums. Dafür schuf sie per Kredit (später zudem mit den Anleihekäufen) enorme Mengen an Zentralbanken(!)geld, das nur auf Konten von Banken bei den nationalen Zentralbanken des Euroraums zirkulieren kann (mit der kleinen Ausnahme Bargeld).

Private Haushalte und Unternehmen verfügen (mit Ausnahme von Bargeld) lediglich über Geschäftsbankengeld, das von letzteren geschöpft wird. Also allein aufgrund unserer Geldordnung führte diese Geldschöpfung der EZB zu keiner unmittelbaren (Verbraucherpreis-)Inflation. Inflationiert wurde zunächst hauptsächlich der Finanzmarkt (Aktien, Anleihen usw.). Die weiteren Effekte sind vielmehr indirekt, da die Maßnahmen der EZB die Kreditgewährung der Banken (und damit Geschäftsbankengeldschöpfung) stimulierte.

In der Folge stiegen erst jahrelang die Immobilienpreise (da Immobiliendarlehen zweckgebunden neues Geld nachfragewirksam bereitstellen und die wenigsten Immobilien nur mit eigenen Mitteln kaufen können). Und nach der Erholung nach dem Corona-"Schock" erreicht bpsw. das Ölfördervolumen der OPEC-Länder erst im jetzigen viertel Quartal 2022 wieder das Vor-Corona-Niveau. Hinzu kommen insbesondere seit Beginn des Kriegs die vielfältigen Sanktionen, die das Energieangebot (für Europa) weiter verringern. Die Inflation ist ergo im Wesentlichen angebotsgetrieben und weniger Ausfluss der Zentralbankgeldschöpfung der EZB. Ich möchte die EZB gar nicht verteidigen, da ich ihre Maßnahmen ebenfalls kritisch sehe, jedoch vorwiegend aus anderen Gründen.

Im Übrigen ist die übliche Quantitätsgleichung (Geldmenge, Güter/Dienstleistungen ergeben Preisniveau) höchst unvollständig, da nur in der Regel nur BIP-relevante Transaktionen erfasst werden (Finanztransaktionen nicht). Überdies ist die eigentliche Definition der Geldmenge auch nach Jahrzehnten strittig (was u. a. daran liegt, dass Geld Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel zugleich ist; Funktionen, die sich gegenseitig ausschließen).

Ich hoffe, meine Darstellung ist einigermaßen nachvollziehbar geraten. Es ist natürlich sehr verkürzt dargestellt und lässt viele weitere Aspekte außer Acht. Mein Anliegen war es jedoch, die Ausführungen von Hajo für Sie, Herr Montag, zumindest ein wenig näher zu erläutern.

Viele Grüße

KARSTEN MONTAG, 23. November 2022, 15:15 UHR

Liebe/r TK, danke für Ihre Erläuterungen.

Dass der Wert des Fiat-Geldes, mit dem wir seit 1973 nach dem Ende des Goldstandards und den festen Wechselkursen Handel betreiben, nur durch die damit getauschten Waren und Dienstleistungen gedeckt ist, ist eine fundamentale Tatsache. Daraus folgt logischerweise, dass eine Erhöhung der Geldmenge ohne eine entsprechendes Wirtschaftswachstum unweigerlich zu einer Entwertung des Geldes führen muss, da es quasi zu einem Überangebot von Geld im Verhältnis zu den Waren und Dienstleistungen kommt. Dieser Zusammenhang ist so simpel, dass man ihn auch als Laie verstehen kann.

Ob und wie es dabei zu Verzögerungseffekten kommt, weil Geld beispielsweise auch als Vermögensspeicher genutzt wird, möchte ich an dieser Stelle gar nicht vertiefen, da mir dazu das entsprechende Fachwissen fehlt. Ich halte es jedoch grundsätzlich für problematisch, wenn man mit Untersuchungen zu diesem Thema belegen will, dass der fundamentale Zusammenhang zwischen Geldmenge und Wirtschaftsleistung widerlegt sei.

Ein niedriger Leitzins, ein Mittel der Zentralbanken, um die Geldmenge zu erhöhen, führt zudem zu einer Entwertung der Vermögen von Sparern, wenn die Inflation höher ist als die Zinsen auf die Einlagen. Auch für diese Erkenntnis muss man kein Volkswirt sein, sondern lediglich die Prozentrechnung beherrschen.

Weiterhin ist es unzweifelhaft, dass es in den letzten Jahren zu einer übermäßigen Erhöhung der Geldmenge im Euroraum gekommen ist. Zwischen 2009 und 2021 ist das nominale BIP im Euroraum von 9,27 auf 12,26 Billionen Euro gestiegen, was einem Wachstum von 32 Prozent entspricht (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/222901/umfrage/bruttoinlandsprodukt-bip-in-der-europaeischen-union-eu/). Im gleichen Zeitraum ist die Geldmenge M3 im Euroraum von 9,35 Billionen auf 15,48 Billionen angestiegen, was einem Wachstum von 66 Prozent entspricht (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/241829/umfrage/entwicklung-der-geldmenge-m3-in-der-euro-zone/).

Ich kann daher die Kritik an meiner Aussage, dass die expansive Geldpolitik der EZB zulasten der Allgemeinheit erfolgt, da sich ohne ein entsprechendes Wirtschaftswachstum der Wert des im Umlauf befindlichen Geldes durch Inflation und niedrige Zinsen verringert, nicht nachvollziehen.

Viele Grüße Karsten Montag

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