Das Ende eines Staatsanwalts – Warum der Fall Trump eigentlich ein Fall Biden ist
STEFAN KORINTH, 19. Februar 2020, 1 Kommentar, PDFHinweis: Dieser Beitrag ist auch auf Englisch verfügbar.
Im Juli 2019 führte US-Präsident Donald Trump ein folgenschweres Telefongespräch mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Das Telefonat, dessen Gesprächsinhalt bald darauf bekannt werden sollte, führte ein paar Monate später zu einem Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) gegen Trump. Anfang Februar 2020 wurde es jedoch erwartungsgemäß von der republikanischen Mehrheit im US-Senat abgeschmettert.
Die Impeachment-Argumentation der Demokratischen Partei lautete: Trump habe sein Amt missbraucht, indem er von seinem ukrainischen Kollegen verlangt habe, juristische Ermittlungen gegen Joe Biden und dessen Sohn Hunter Biden einzuleiten. Er habe hierzu finanzielle Hilfen von rund 400 Millionen Dollar für das ukrainische Militär zurückgehalten, solange die Ermittlungen nicht aufgenommen worden seien. Trump habe Selenskyj erpresst, um seinen potenziellen demokratischen Rivalen Joe Biden in der anstehenden US-Präsidentenwahl mit den Ermittlungsergebnissen zu beschädigen.
Ein berechtigter Vorwurf, aus dem aber nur politisches Theater mit absehbarem Ausgang wurde.
„Es gibt viel Gerede über Bidens Sohn …“
Der tatsächliche Wortlaut des Telefongesprächs ist nicht bekannt. Doch veröffentlichte das Weiße Haus wenig später ein Transkript, in dem das Gespräch sinngemäß wiedergegeben wird. Die für das Impeachment interessante Passage findet sich auf Seite vier oben. Trump sagte demnach zu Selenskyj:
„Es gibt viel Gerede über Bidens Sohn, dass Biden die Strafverfolgung gegen ihn gestoppt hat, und viele Leute wollen etwas darüber herausfinden. Was auch immer Sie in dieser Angelegenheit mit dem Justizminister machen können, wäre toll. Biden ging herum und prahlte, dass er die Strafverfolgung gestoppt hat, also wenn Sie sich das genauer ansehen können ... das Ganze klingt schrecklich.“ (1)
Es ist bei weitem nicht die einzige interessante Stelle des Transkripts, aber bleiben wir für diesen Artikel dabei. Trump spricht von Hunter Bidens Tätigkeit für den ukrainischen Erdgaskonzern Burisma Holdings, gegen den die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft ermittelte. Vater Joe Biden habe sich später öffentlich damit gebrüstet, den damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zur Entlassung des Generalstaatsanwalts gezwungen zu haben, so dass die Ermittlungen gegen Burisma und Hunter Biden endeten. Im Oktober 2019 wurden tatsächlich wieder neue Ermittlungen gegen den Burisma-Eigner, aber nicht gegen Hunter Biden aufgenommen. Von einer Drohung Trumps oder dem Zurückhalten von Militärhilfe ist im Transkript übrigens an keiner Stelle die Rede.
Dass Trump mit seiner Forderung nach Ermittlungen gegen Biden eigene politische Zwecke verfolgte, ist offensichtlich. Doch das bedeutet nicht, dass an dem Fall Biden nichts dran wäre. Im Gegenteil. Der Fall des früheren Vizepräsidenten besteht auf den ersten Blick aus zwei Aspekten: die Einmischung Joe Bidens in die Souveränität der Ukraine und die Selbstbereicherung seines Sohnes, die er damit schützte. Doch dabei bleibt es nicht. Je tiefer man in dem Fall gräbt, desto mehr Dreck kommt ans Tageslicht.
Joe Biden und die Souveränität der Ukraine: ein Witz
Vizepräsident Joe Biden war der Ukraine-Beauftragte der Regierung Obama. Das Magazin Foreign Policy schreibt, niemand in der US-Regierung habe mehr Einfluss in der Ukraine gehabt als er. Interpretiert hat Biden diese Rolle ziemlich offensiv. Die ukrainische Staatsführung sah er ganz offensichtlich nur als Befehlsempfänger an.
Für Biden – als US-Vizepräsidenten – schien es völlig unproblematisch zu sein, dem Staatsoberhaupt eines anderen Landes die Personalpolitik in dessen Strafverfolgungsbehörden vorzuschreiben und ihn mit der möglichen Verweigerung von Kreditgarantien in Höhe von einer Milliarde US-Dollar unter Druck zu setzen. Damit nicht genug, erzählte Biden offenherzig von dieser Tat. So berichtete er im Januar 2018 bei einer öffentlichen Veranstaltung des Council on Foreign Relations:
„Ich bin wohl zum zwölften, dreizehnten Mal nach Kiew gefahren. Und ich sollte verkünden, dass es eine weitere Milliarden-Kreditgarantie gibt. Und ich hatte von Poroschenko und Jazenjuk die Zusage bekommen, dass sie gegen den Staatsanwalt vorgehen würden. Und das taten sie nicht. Und als sie von einer Pressekonferenz kamen, sagte ich: „Nein, wir werden Ihnen die Milliarde Dollar nicht geben.“ Sie sagten: „Sie haben keine Befugnis. Sie sind nicht der Präsident. Der Präsident sagte ...“. Ich sagte: „Rufen Sie ihn an. Sie kriegen die Milliarde nicht. Ich werde in etwa sechs Stunden abreisen. Wenn der Staatsanwalt bis dahin nicht gefeuert wird, bekommen Sie das Geld nicht.“ Tja, Hurensohn. Er wurde gefeuert. Und sie haben jemanden eingesetzt, der zu der Zeit solide war.“ (2)
Bidens Erpressungsmanöver à la Trump
Im Nachhinein hat sich Joe Biden sicherlich mehrmals gewünscht, dass er damals auf dem Podium zu diesem Fall geschwiegen hätte. Zwar erwähnt er seinen Sohn hier nicht, aber das ist erst einmal nachrangig. So oder so war sein Ultimatum an den ukrainischen Präsidenten eine neokoloniale Anmaßung. Die Neue Zürcher Zeitung spricht von einem „Erpressungsmanöver“. Biden tat hier genau das, was die US-Demokraten Trump im Impeachment vorwarfen: Finanzhilfen für die Ukraine zurückzuhalten, wenn der ukrainische Präsident nicht das tue, was die US-Regierung will.
Zugegeben, für Joe Biden war es nicht das erste Mal, dass er auf der ukrainischen Souveränität herumtrampelte – etwas, das die USA sonst regelmäßig Russland vorwerfen. Biden hatte bereits im Dezember 2013 den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch nachts aus dem Bett holen lassen, um ihm telefonisch mitzuteilen, dass er „bestraft“ werde, wenn er den Maidan räumen lasse. So berichtet es der frühere Premierminister der Ukraine Nikolai Asarow in seinem Buch. (3) Biden schrieb also dem ukrainischen Präsidenten vor, wann dieser die ukrainische Polizei in der Ukraine einzusetzen habe. Im Februar 2014 wiederholte Biden seine Drohungen gegen Janukowitsch, wie auch der Spiegel berichtete.
Wie gesehen, setzte Biden dieses Verhalten gegenüber der US-freundlichen Nach-Maidan-Regierung fort. Die New York Times (NYT) adelte seine Einmischung im Fall des entlassenen Generalstaatsanwalts als „einen seiner denkwürdigsten Auftritte“ im Kampf gegen die ukrainische Korruption. Gegen Korruption? Ja, so wird der Fall von Biden und ihn unterstützenden Medien erklärt – dazu gleich mehr. Außer Kritik von linken US-Alternativmedien hatte die Aktion jedenfalls zunächst keine negativen Folgen für Biden – weder juristisch noch politisch. Der 77-Jährige befindet sich derzeit in den Vorwahlen der Demokratischen Partei im Rennen um das Präsidentenamt.
Hunter Biden und Burisma
Sein Sohn Hunter war von Mai 2014 – also kurz nach dem Maidan, in dem sein Vater eine wichtige Rolle spielte – bis April 2019 im Vorstand der Öl- und Gasfirma tätig. Es war nicht das erste Mal, dass er im Schlepptau der Ämter seines Vaters zu lukrativen Posten kam. Selbst die NYT kommt im oben zitierten Artikel nicht umhin, die komplett fehlende Eignung des Anwalts für einen Aufsichtsratsposten bei Burisma zuzugestehen. Weder hatte er bis dato Erfahrungen mit der Ukraine, noch hatte er solche im Gas- und Ölgeschäft. Zudem war Hunter Biden nur wenige Monate zuvor aus der Navy-Reserve geflogen, weil er positiv auf Kokain getestet worden war. Massive Drogen- und Alkoholprobleme begleiten ihn bereits sein Leben lang.
Ein kompetenter Bewerber? Nun ja, Hunter Biden im Vorstand zu haben, bedeutet Zugang zum US-Vizepräsidenten, wie gesagt dem Verantwortlichen der Obama-Administration für die Ukraine. Es war der direkte Draht in die US-Regierung und zu den mächtigen Kreisen Washingtons. Die Stellenbesetzung hatte von Beginn an ein Geschmäckle. In diesem Interview des Senders ABC News wird Hunter gefragt, ob er auch im Burisma-Aufsichtsrat säße, wenn sein Nachname nicht Biden wäre. „Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht“, antwortete er.
Neben Hunter Biden kam nach dem Maidan auch sein Geschäftspartner Devon Archer, ein Familienfreund von US-Außenminister John Kerry, in den Aufsichtsrat der Firma. Der ukrainische Oligarch Alexander Onischenko schreibt in seinem Buch (4): Der Burisma-Eigner Mykola Slotschewski hätte „ziemlich clever vorgesorgt“, indem er gut vernetzte Leute aus dem Westen in den Aufsichtsrat berief. Dadurch schützte er die Firma vor Enteignung durch andere ukrainische Oligarchen:
„Das war ein Schutzschild, der wirksamer war als ein Mandat in der Werchowna Rada“ [dem ukrainischen Parlament].
Slotschewski war unter dem gestürzten Präsidenten Janukowitsch unter anderem Minister für Umweltschutz und natürliche Ressourcen. Ihm wird vorgeworfen, seiner in Zypern registrierten Firma Burisma zahlreiche Förderlizenzen für ukrainische Öl- und Gasfelder zugeschanzt zu haben. Nach dem Maidan floh er ins Ausland und musste mit Poroschenko und Co. in teure Schachereien eintreten. Doch wegen des prominenten Aufsichtsrates konnten ihm seine ukrainischen Konkurrenten Burisma nicht einfach wegnehmen.
Die „schäbige Seite“ der westlichen Beratungsindustrie
Hunter Biden arbeitete also für einen Oligarchen aus dem früheren „Regime“. Ein Oligarch, der in einer „prorussischen“ Partei tätig war, was in US-Medien etwa im Fall James Manafort sofort als Kreml-Nähe oder sogar als Tätigkeit direkt für Putin ausgelegt wurde. Im Fall Biden findet sich an diesem Detail jedoch so gut wie keine Kritik im Medien-Mainstream.
Immerhin: Laut New York Times gehörte Hunter Biden mit seinem Einkommen zur „schäbigen Seite“ der lukrativen westlichen „Beratungsindustrie“ in der Ukraine. Biden soll bei Burisma 50.000 US-Dollar pro Monat verdient haben. Andere Medien sprechen von 83.000 Dollar. Laut John Solomon vom US-Magazin „The Hill“ sollen drei Millionen US-Dollar allein zwischen April 2014 und Oktober 2015 von Burisma an Hunter Bidens und Devon Archers gemeinsame Investmentfirma Rosemont Seneca geflossen sein. Diese Kontoauszüge, die sich der Journalist vor einem New Yorker Bundesgericht erstritt, sollen das belegen. Man kann die Summen hochrechnen. Hunter Biden war bis Mai 2019 für Burisma tätig.
Vater und Sohn Biden waren also politisch beziehungsweise wirtschaftlich in der Ukraine ziemlich aktiv. Der eine mischte sich wie ein imperialer Vizekönig in die inneren Angelegenheiten des Landes ein, der andere kassierte allein für seinen Nachnamen Millionensummen von einem korrupten Oligarchen. All das ist sehr unappetitlich – aber noch nicht zwingend kriminell. (5)
Doch hatte Joe Bidens Forderung, den ukrainischen Generalstaatsanwalt zu entlassen, auch etwas mit seinem Sohn zu tun? Hatte er tatsächlich Ermittlungen gegen Hunter Biden auf diese Weise unterbinden wollen, wie Donald Trump am Telefon vermutete? Um sich der Antwort anzunähern, lohnt es sich, auf die Details zu sehen.
Joe Bidens Ultimatum
Zuerst einmal lief die Entlassung des ukrainischen Generalstaatsanwaltes Viktor Schokin gar nicht so abrupt ab, wie Biden es vor dem Council on Foreign Relations erzählt hatte. Die Chronologie ist wichtig für die Analyse. Bidens persönlich gegenüber Poroschenko ausgesprochene Entlassungsforderung („in sechs Stunden“) hatte er bei seiner fünften Kiew-Reise vom 6. bis 8. Dezember 2015 ausgesprochen. Schokin hätte also spätestens am 8. Dezember entlassen werden müssen. Tatsächlich amtierte er jedoch weiter als Generalstaatsanwalt und ließ noch Anfang Februar 2016 Eigentum des Burisma-Eigners Slotschewski beschlagnahmen.
Erst am 16. Februar forderte Präsident Poroschenko öffentlich Schokins Rücktritt, nachdem US-Vizepräsident Joe Biden im Verlauf des Februars viermal angerufen hatte. Am selben Tag reichte der Anwalt ein Rücktrittsgesuch ein. Der Fall schien ab diesem Zeitpunkt zu ruhen. Ein brisanter Hinweis einer lettischen Behörde (18. Februar) auf internationale Geldwäsche durch Burisma wurde in Kiew bereits ignoriert.
Ende März setzte das ukrainische Parlament Schokin ab. Erst am 3. April wurde er offiziell entlassen. Genau an diesem Tag unterzeichneten die USA und die Ukraine einen Kreditgarantievertrag über eine Milliarde US-Dollar. Schokins Nachfolger Juri Luzenko übernahm das Amt im Mai und ließ laut übereinstimmenden Berichten sämtliche Ermittlungen gegen Burisma fallen.
Viktor Schokins Zeugenaussage
Der geschasste Generalstaatsanwalt Schokin beschreibt die Vorgänge denn auch ein wenig anders als Biden. In einer Zeugenaussage unter Eid für ein österreichisches Gericht geht er unter anderem auf seinen Rauswurf ein. In dem Dokument bestätigt er (ab Seite 4, Punkt 6), dass Bidens finanzieller Druck entscheidend war. Dies habe ihm Präsident Poroschenko gesagt. Entlassungsgrund sei nicht Bestechlichkeit oder fehlendes Vertrauen der Öffentlichkeit, wie es offiziell hieß, sondern Schokins umfassende Ermittlungen gegen Burisma.
Poroschenko habe ihn nachdrücklich aufgefordert, diese Untersuchungen zurückzunehmen, bezeugt Schokin. Aber er habe sich geweigert, woraufhin Biden gegen ihn aktiv geworden sei. Weiter sagt er, es seien die US-Behörden gewesen, insbesondere Vizepräsident Biden, die den ukrainischen Ermittlern vorgegeben hätten, gegen wen ermittelt und gegen wen nicht ermittelt werden solle. Ein weiterer Eingriff in die Souveränität der Ukraine. Viktor Schokin:
„Ich habe mich nicht daran gehalten, deswegen musste ich gehen.“
Wahnsinniger Druck der USA
In einem Interview mit dem ukrainischen Magazin Strana erläutert Schokin den Hergang noch genauer: Zu Beginn seiner rund einjährigen Amtszeit sei sein Verhältnis zu den US-Offiziellen wie Botschafter Geoffrey Pyatt oder Außenpolitikerin Victoria Nuland gut gewesen. Er habe jedoch schnell festgestellt, dass diese Einfluss auf die Personalpolitik nahmen. So musste Schokin beispielsweise einen Georgier aus dem Team Michail Saakaschwilis zum stellvertretenden Generalstaatsanwalt machen.
Im Fall Burisma habe US-Botschafter Pyatt zuerst sanft darauf gedrängt, die Ermittlungen fallen zu lassen. Als Schokin das ablehnte, habe die US-Regierung ab Sommer 2015 „wahnsinnigen Druck“ aufgebaut und von ihr finanzierte Antikorruptionsaktivisten zu Demos gegen Schokin auf die Straße geschickt. Unklar ist, ob ein gescheiterter Mordanschlag auf Schokin durch einen Scharfschützen im November 2015 ebenfalls mit dem Fall zu tun hat. (6)
Weiter sagt er im Interview, dass er auch Hunter Biden und Devon Archer im Fall Burisma befragen wollte. Joe Biden habe das verhindern und „Korruptionsdreck“ gegen Schokin besorgen wollen, was ihm jedoch nicht gelungen sei. Im Februar 2016 habe Biden wiederholt im Präsidialamt angerufen, nachdem Schokin Anträge auf Beschlagnahme von Burisma-Eigentum eingebracht hatte. Poroschenko gab schließlich nach. Biden habe damit nicht nur den Präsidenten, sondern die ganze Ukraine „gedemütigt“. Soweit Schokin.
Das Gegennarrativ: Schokin war korrupt
Was sagen die Bidens zu den Vorwürfen? Hunter Biden betont, dass gegen ihn nie Ermittlungen in der Ukraine durchgeführt worden seien. Auch die Generalstaatsanwälte, die Schokin nachfolgten, bestätigten das. Joe Biden bestreitet, dass seine Intervention gegen den Generalstaatsanwalt irgendetwas mit seinem Sohn zu tun hatte. Er betont, Schokin musste gehen, weil er korrupt war.
Viele westliche Medien folgen Biden in seiner Argumentation. Doch die Beweisführung ist problematisch und schlecht belegt. Die meisten Berichte wiederholen einfach nur die pauschalen Vorwürfe westlicher Kritiker gegen Schokin. Teilweise kritisieren sie ihn nicht einmal persönlich – sondern die Korruption in der ukrainischen Justiz insgesamt. Konkrete überprüfbare Fälle gibt es nur wenige. Wenn es genauer wird, geht es in der Regel nicht darum, dass Schokin illegal Geld angenommen, sondern dass er die falschen Leute in seiner Abteilung entlassen hat.
Die konkreteste Kritik an Schokin betrifft ausgerechnet den Fall Burisma. In einem kurzen BBC-Fernsehbericht heißt es, Schokin habe die Ermittlungen gegen Burisma nicht vorangetrieben, sondern sogar blockiert. Belege dafür präsentiert die BBC nicht, lässt als Kronzeugin jedoch die ukrainische Aktivistin Daria Kaleniuk vom Anti-Corruption Action Centre (AntAC) auftreten. Doch Kaleniuk ist keine unbefangene Expertin. Ihre Organisation wird direkt von der US-Regierung bezahlt, was auf der AntAC-Website selbst nachzulesen ist, von der BBC aber nicht erwähnt wird.
Schokin hatte von US-finanzierten Antikorruptionsaktivisten gesprochen, die gegen ihn auf die Straße geschickt wurden. Kaleniuk ist eine von ihnen. Schokin gesteht ihnen jedoch zu: „Ich weiß nicht, ob sie verstanden haben, was sie taten oder wozu sie benutzt wurden.“ Immerhin sagt Kaleniuk auch, dass Schokins Vorgänger und Nachfolger ebenfalls korrupt gewesen, und von oben angewiesen worden seien, den Fall Burisma ruhen zu lassen.
Verweigerte Kooperation mit London?
Auch das als eher kritisches, liberales Magazin bekannte „The Intercept“ beteiligte sich an der Verteidigung Joe Bidens mit Korruptionsvorwürfen gegen Schokin im Fall Burisma. Autor Robert Mackey (früher New York Times) tut den Biden-Ukraine-Skandal als „republikanische Verschwörungstheorie“ ab. Auch er zitiert Daria Kaleniuk als Hauptzeugin seiner These, stellt sie als „eine in den USA ausgebildete Anwältin“ vor, ohne ihre finanziellen US-Verbindungen zu erwähnen.
Der Autor thematisiert einen anderen Aspekt des Falls: Eine britische Behörde, das Serious Fraud Office (SFO), hatte im April 2014 Geldwäscheermittlungen gegen Burisma-Eigentümer Slotschewski eingeleitet und dazu dessen Londoner Konten mit einem Guthaben von mehr als 23 Millionen Dollar gesperrt. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft hatte den britischen SFO-Ermittlern anschließend trotz Anfragen nicht die notwendigen Dokumente zugesandt, behauptet Mackey, so dass das gesperrte Geld im Januar 2015 wieder freigegeben werden musste und sofort nach Zypern („offshore“) abgezogen wurde. Der Fall habe in Schokins Hand gelegen.
Doch auch hier ist die Beweisführung löchrig. Als die britischen Kooperationsanfragen im Frühling 2014 in der Ukraine eintrafen, war Schokin gar nicht in der Generalstaatsanwaltschaft tätig. Er wurde erst Ende Juni 2014 aus der Rente reaktiviert. Selbst dann wurde er aber nicht Chef, sondern nur Stellvertreter. Als Schokin den Chefposten des Generalstaatsanwalts im Februar 2015 übernahm, war das Burisma-Geld in London aber schon längst wieder freigegeben worden. Seine beiden Vorgänger als Generalstaatsanwälte Oleh Machnizkyj (Swoboda) und Vitali Jarema (Vaterlandspartei) trifft also weitaus mehr Verantwortung in diesem Fall als Schokin.
Steigt man noch tiefer in die britischen Burisma-Ermittlungen ein, etwa mit Hilfe dieser umfangreichen Recherchen des Guardian, lässt sich jedoch feststellen, dass die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft sehr wohl mit den britischen Kollegen vom SFO kooperierte und deren Aussage nach sogar „mehr als genug“ belastende Unterlagen lieferte. Verantwortlich dafür war der ukrainische Staatsanwalt Vitaly Kasko, der die Zustimmung zu den Ermittlungen von seinem Vorgesetzten einholte. Ob es sich bei dem Vorgesetzten um Viktor Schokin handelte, wird in der Recherche nicht klar, da kein Name dazu genannt wird. Schokins Name taucht im ganzen Beitrag überhaupt nicht auf.
Allerdings reichten dem britischen Richter die Beweise damals nicht, er kritisierte die schlechte Arbeit des SFO und gab das Burisma-Geld wieder frei. Im Nachhinein machten die britischen Ankläger für ihre Niederlage vor Gericht einfach die ukrainischen Kollegen verantwortlich und westliche Medien übernahmen das ungeprüft.
Dieser Vorgang kann also kein Fehlverhalten der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft belegen.
Joe Biden – der Kämpfer gegen Korruption
Mit James Risen hat ein weiterer namhafter Ex-NYT-Autor in The Intercept über den Biden-Burisma-Fall geschrieben. In dem Beitrag erklärt Risen, das Gegenteil von Trumps Vermutungen sei richtig:
„Als Joe Biden in die Ukraine reiste, versuchte er nicht, seinen Sohn zu schützen – ganz im Gegenteil.“
Joe Biden sei ein ehrlicher Antikorruptionskämpfer und Hunter sei „das schwarze Schaf der Familie“. Hunter habe nie den Status seines älteren Bruders erreicht, er sei der „Mühlstein um Joe Bidens Hals“ (!), schreibt James Risen. Joe Biden focht demnach in der Ukraine streng für seine Prinzipien – und das sogar gegen die Interessen seines eigenen Sohnes.
Doch dies passt überhaupt nicht zu Bidens sonstigem Verhalten. Wenn die These des Intercept-Autors stimmt, dann hätte Biden seinen Sohn auch schon längst öffentlich dafür kritisiert, Geld – und zwar Millionensummen – von einem korrupten Oligarchen zu nehmen. James Risen selbst schrieb 2015 in der NYT, Bidens Verhalten sei „heuchlerisch“, in großen Leitartikeln der New York Times und Washington Post wurde damals Hunter Bidens Aktivität für Burisma ebenfalls offen und deutlich abgelehnt. Das ist bemerkenswert. Trotzdem behauptet Biden, er habe mit seinem Sohn nie auch nur über das Thema gesprochen.
Die ukrainische Antikorruptionsaktivistin Kaleniuk sagte: „Ich glaube, Hunter Biden hat etwas sehr Schlechtes getan, und er hat sich sehr geirrt.“ Doch Joe Biden kommen bis heute keine kritischen Worte über die Lippen – im Gegenteil. Noch im Februar 2020 sagte er, sein Sohn habe nichts Falsches getan. Den Posten bei Burisma habe er bekommen, weil Hunter „ein sehr kluger Junge“ sei.
Hier ging es nicht um Korruption
Wie man es auch dreht und wendet, konkrete Korruptionsvorwürfe gegen Schokin können Biden und seine medialen Unterstützer nicht vorlegen. Einem vielstimmigen Chor gleich behaupten sie es einfach nur andauernd. Schokin hingegen zeigte kürzlich in einem Interview mit Trumps Anwalt Rudy Giuliani eine amtliche Bestätigung, dass er noch nie gerichtlich angeklagt, geschweige denn verurteilt wurde – weder wegen Korruption noch wegen etwas anderem.
Auch dieses Dokument belegt erst einmal nichts. Schokin kann trotzdem bestechlich gewesen sein. Doch wenn Korruption der Grund für Bidens Intervention gewesen wäre, dann hätte der US-Vizepräsident jede Woche in die Ukraine fliegen müssen, um Minister und hohe Offizielle aus ihren Ämtern zu drängen. Selbstbereicherung war in Poroschenkos Amtszeit, wie auch davor, ein virulentes Problem in der gesamten politischen Oberschicht der Ukraine. Einen einzelnen Kopf auszutauschen ändert nichts an der Problematik – das wusste auch Joe Biden.
Warum ist ein Staatsanwalt eine Milliarde Dollar wert?
Bidens Verteidiger werfen Schokin vor, er sei nicht gegen die korrupten Strukturen der Janukowitsch-Ära vorgegangen. Doch das waren seine Vorgänger auch nicht. Biden drängte aber nicht auf deren Entlassung und er drängte auch nicht auf die Entlassung des Nachfolgers Juri Luzenko. Dieser hatte sogar alle Ermittlungen gegen Burisma eingestellt. Hätte er dann nicht erst recht gefeuert werden müssen? Nein, Biden machte ausschließlich Druck wegen Schokin – und das mithilfe einer riesigen Geldsumme.
Sowohl die fehlenden Belege als auch obige Indizien sprechen gegen Korruption als tatsächlichen Entlassungsgrund. Ob bestechlich oder nicht, Schokins Person ist zu unwichtig, um eine Milliarde Dollar für seinen Abgang einzusetzen. Der Generalstaatsanwalt war letztlich nur ein Befehlsempfänger Präsident Poroschenkos. Er war ihm gegenüber weisungsgebunden und führte lediglich das aus, was der ukrainische Präsident wollte. (Die Rolle des Generalbundesanwalts in Deutschland ist ganz ähnlich konstruiert.) Die Ermittlungen gegen Burisma hatte nicht Schokin, sondern der Präsident in Auftrag gegeben. Es ist deshalb naheliegend, dass Bidens Erpressungsmanöver Petro Poroschenko treffen sollte.
Ging es um Lizenzen oder um ein Millionen-Schmiergeld?
Warum Petro Poroschenko 2015 begann, die Ermittlungen gegen Burisma voranzutreiben, ist nicht geklärt. Entweder wollte er eine Millionensumme Schmiergeld vom Burisma-Eigentümer erpressen, wie der Informant Andrij Telischenko behauptet, oder Poroschenko wollte an die wertvollen Förderlizenzen der Firma herankommen. So oder so: Er ließ Schokin von der Leine. Es ist das übliche Vorgehen in der Ukraine. Nach Machtwechseln instrumentalisiert die neue Staatsführung das Justizsystem für ihre individuellen Interessen. Sie will an die Pfründe der zuvor mächtigen Oligarchen gelangen. Burisma war eine Chance für Poroschenko.
Das Gasgeschäft ist die lukrativste Geldquelle in der Ukraine – nirgendwo können Oligarchen solche Profite machen wie in diesem Sektor. Dementsprechend umkämpft sind die Fleischtöpfe, weswegen es auch für ausländische Unternehmen, wie etwa US-Konzerne, gar nicht so leicht ist, dauerhaft in den Sektor einzusteigen. Wie bereits erläutert, konnte Poroschenko das Öl- und Gasunternehmen Burisma wegen des dortigen prominenten Aufsichtsrates nicht einfach seinem eigenen Firmenimperium einverleiben. Er konnte jedoch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen anstrengen, um an Burismas Gasförderlizenzen zu kommen.
Laut Viktor Schokin habe Burisma-Eigentümer Slotschewski in seiner Zeit als Minister unter dem vorherigen Präsidenten mindestens sieben solcher Förderlizenzen an seine eigene Firma vergeben. Es handelte sich dabei quasi um eine Genehmigung zum Gelddrucken. Burisma durfte alle drei großen Gasfelder in der Ukraine mitausbeuten und stieg auf diese Weise zum größten privaten Gasunternehmen des Landes auf – allerdings noch weit entfernt vom Platzhirsch, dem Staatskonzern Naftogas. Die Förderlizenzen waren (und sind) die Grundlage des Profits.
Egal ob es um die Lizenzen oder um Schmiergeldforderungen von Poroschenko ging, Burisma-Eigner Slotschewski war durch die Neueröffnung der Ermittlungen alarmiert. Poroschenko musste auf die Finger geklopft werden.
Slotschewski startete eine massive Lobbykampagne, inklusive medialen und politischen Drucks, um die Untersuchungen gegen sich und seine Firma zu beenden. Joe Biden war Teil dieser Kampagne, aber nicht als Befehlsempfänger seines Sohnes oder des Oligarchen Slotschewski, sondern als Teil des eng mit Großkonzernen verquickten US-Politbusiness und als Repräsentant der weltweiten US-Rohstoffhegemonie. Ein komplexes Netz aus politischer Korruption in Washington und geopolitischen Interessen der USA wirkte in diesem Fall zusammen. Viele Teile davon sind bereits aufgedeckt worden.
Der geopolitische Faktor: Erdgas
Wie bei den anderen Interventionen der USA (Rohstoffkriege) ist auch im Fall der Ukraine eine strategisch wichtige Ressource im Spiel – Erdgas. Es spielte im Ukraine-Konflikt nicht die einzige Rolle, und womöglich auch nicht die Hauptrolle. Aber immerhin: Die Ukraine ist mit ihrem großen Pipeline-Netz das wichtigste Gastransitland Europas – zumindest bis die North-Stream-Röhren durch die Ostsee fertig sind, was die USA mit aller Macht verhindern wollen. Der „Gaskrieg“ mit Russland wurde in den Jahren zuvor im Westen politisch massiv gegen Moskau instrumentalisiert.
Neben den wichtigen Transportröhren besitzt die Ukraine auch die drittgrößten Erdgasreserven Europas. Zwar ist ein Großteil dessen als Schiefergas tief im Erdreich gebunden, doch das Problem ist mit moderner Fracking-Technologie „lösbar“. Und darin sind die USA weltweit führend.
Wie wichtig das Thema den USA ist, machte die US-Regierung unter Barack Obama immer wieder deutlich. In ihrem Krisenunterstützungspaket für die Ukraine führten Obama und Biden kurz nach dem Maidan die ukrainische „Energiesicherheit“ als eines der Top-Themen an. In einer Veröffentlichung des Weißen Hauses vom 21. April 2014 heißt es:
„Technische Experten aus den USA werden sich im Mai mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und anderen zusammenschließen, um die Ukraine bei der Entwicklung einer öffentlich-privaten Investitionsinitiative zur Steigerung der konventionellen Gasproduktion aus bestehenden Feldern zu unterstützen, um die heimische Energieversorgung zu fördern. Ein technisches Team wird die Regierung auch mit Maßnahmen beauftragen, die der ukrainischen Regierung helfen werden, eine rasche und ökologisch nachhaltige Umsetzung der 2013 unterzeichneten Verträge über die Erschließung von Schiefergas zu gewährleisten.“
Europäische und US-amerikanische Steuergelder sollten also dazu benutzt werden, ukrainische Gasfelder durch Modernisierung und Einkauf von Fracking-Technologie effizient auszubeuten. Das nutzt der ukrainischen Energieunabhängigkeit gegenüber Russland und bedient gleichzeitig die Gewinn- und Expansionsinteressen der großen US-Energiekonzerne, die neben dem Militärisch-Industriellen-Komplex Hauptprofiteure der US-Außenpolitik sind. Endziel ist es, den kompletten ukrainischen Gasmarkt zu privatisieren, westlichen Konzernen zu öffnen und Gasimporte aus Russland zu verhindern.
Joe Bidens Rede im Parlament
Niemand anderes als Joe Biden selbst machte das ausgerechnet bei seinem Besuch in Kiew am 8. Dezember 2015 deutlich. Es war der Tag, als der US-Vizepräsident das Ultimatum zur Entlassung des Generalstaatsanwaltes aufstellte. Er hielt eine vielbeachtete Rede im ukrainischen Parlament. Darin agitierte er hauptsächlich gegen Russland, bevor er in ein und demselben Atemzug genau die beiden Forderungen nannte, um die es hier geht:
„Das Büro des Generalstaatsanwalts ist dringend reformbedürftig. Das Justizwesen sollte überholt werden. Der Energiesektor muss wettbewerbsfähig sein und von Marktprinzipien regiert werden.“
Burismas Interessen
Die Interessen von Burisma-Eigner Slotschewski sind deckungsgleich mit denen Bidens. Die „Reform“ des Justizwesens entlastet Burisma von Strafverfolgung. Die Privatisierung des Gassektors bedroht die Konkurrenz, kann aber Burisma kaum gefährden. Eine Zerschlagung des Staatskonzerns Naftogas könnte Slotschewskis Anteil am Kuchen sogar noch vergrößern.
Auch die zuvor vom Weißen Haus veröffentlichen Maßnahmen sind für Slotschewski Gold wert. Die Verdrängung Russlands vom ukrainischen Gasmarkt erlaubt Burisma eine hervorragende Verhandlungsposition mit staatlichen ukrainischen Abnehmern. Die millionenschweren US-Investitionen in den Gassektor sind wiederum ein lohnendes Ziel für Veruntreuung. Seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 wanderten westliche Hilfsgelder und Unterstützungskredite regelmäßig in die Taschen von Oligarchen. Schließlich könnte man einen Teil dieser Gelder wiederum verwenden, um Lobbyisten im Westen zu engagieren, die dort um weitere Hilfsgelder werben – zum „Schutz gegen Russland“ versteht sich.
Burisma kauft sich in Washington ein
Slotschewski hatte sich schon lange in Washington eingekauft. Rückblende: Im Januar 2014 – also noch vor dem Machtwechsel durch den Maidan – hatte der angeblich „prorussische“ Oligarch bereits mit seiner vorsorgenden Geschäftspflege begonnen. Er hatte den ehemaligen polnischen Präsidenten Alexander Kwasniewski in den Burisma-Aufsichtsrat geholt. Kwasniewski ist ein überzeugter Transatlantiker und Nato-Freund. Er war und ist eng mit der politischen Führungsschicht der Ukraine verbunden und spielte während der „Orangen Revolution“ 2004 und während des Maidan in Kiew eine tragende Rolle. Kwasniewski sitzt unter anderem im internationalen Beirat des Nato-nahen „Atlantic Council“ (Atlantik-Rat) und öffnete dem Oligarchen offenbar die Türen in Washington.
Nur wenige Monate später folgten die weithin bekannt gewordenen Personalien. Zuerst Devon Archer, der frühere Kampagnenmanager von US-Außenminister John Kerry. Archer (der später in den USA wegen Wertpapierbetrugs verurteilt wurde) traf sich am 16. April 2014, kurz nach seinem Eintritt bei Burisma, im Weißen Haus mit Vizepräsident Joe Biden. Wenige Tage darauf wurde Hunter Biden in den Burisma-Vorstand berufen. Während Biden und Obama wieder nur wenige Tage später beschlossen, Steuergelder in den privaten ukrainischen Energiesektor zu stecken.
„Er bezahlte jeden, um seine Korruption weißzuwaschen“
Burisma-Eigner Slotschewski investierte weiter kräftig in die politische Beziehungsarbeit und die Verbesserung seines Rufes in Washington – wie gesagt, er war Minister unter Viktor Janukowitsch. Der Journalist Max Blumenthal sagt über Slotschewski: „Im Grunde genommen begann er, jeden [in Washington] zu bezahlen, den er bezahlen konnte, um seine Korruption weißzuwaschen.“
Slotschewski engagierte Ende Mai 2014 mit David Leiter einen ehemaligen Mitarbeiter von John Kerry als Lobbyisten für Burisma. Leiters Firma ML Strategies kläre US-Offizielle über Burisma und die Rolle der Firma bei der „Schaffung einer stabilen und sicheren Energiezukunft für die Ukraine“ auf, erläuterte ein Mitarbeiter einer weiteren für Burisma tätigen US-Kommunikationsfirma dem Time Magazine. Wie der Artikel weiter berichtet, führte das Lobbying dazu, dass noch im Juni 2014 vier demokratische US-Senatoren in einem Brief an Barack Obama weitere Investitionen in die ukrainische Energieinfrastruktur forderten, was Burisma öffentlich begrüßte.
In diesem Zeitraum engagierte Burisma auf Drängen Hunter Bidens auch die große US-Anwaltskanzlei Boies Schiller und die Beratungsfirma Nardello und Co.
Im Januar 2017 spendete Burisma eine sechsstellige Summe an den Atlantic Council und unterschrieb eine Kooperationsvereinbarung. Niemand in Washington hatte damit ein Problem. Im Monat darauf nahm Burisma mit Joseph Cofer Black den früheren Direktor des CIA-Antiterrorismuszentrums in den Vorstand auf. Der Geheimdienstler Black ist ein enger Vertrauter des früheren republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney.
Die großen US-Medien ignorierten all diese Fakten zu Burisma. Max Blumenthal sagte, dies zeige nur ein weiteres Mal „die legale, parteiübergreifende Korruption in Washington“.
Niemanden sollte nun noch überraschen, dass auch Joe Biden enge Verbindungen zum Atlantic Council pflegt. Biden hielt dort nicht nur mehrere Reden in seiner Amtszeit. Sein persönlicher außenpolitischer Berater Michael Carpenter arbeitet ebenfalls als Senior Fellow für den Atlantic Council – Hauptthemengebiete: Russland und die Ukraine. Carpenter ist übrigens der Herr, der auf dem Podium des Council on Foreign Relations neben Biden unruhig auf dem Stuhl herumrutschte und gequält lächelte, als sein Chef erzählte, wie er Viktor Schokins Entlassung erzwang.
Burisma-Lobbyisten sprechen bei Kiewer Staatsanwalt vor
Doch damit nicht genug. Slotschewski engagierte schließlich die Lobbyfirma Blue Star Strategies, deren Gründerinnen für die US-Regierung von Bill Clinton gearbeitet haben. Karen Tramontano war Beraterin von John Podesta und ihre Kollegin Sally Painter sitzt bis heute im Verwaltungsrat des Atlantic Council. Im gesamten Jahr 2016 arbeiteten die Lobbyisten durch ständige Kontaktaufnahmen mit der ukrainischen Botschaft in Washington und mit dem US-Außenministerium an der Einstellung der Ermittlungen.
Nach Informationen von Andrij Telischenko, einem ehemaligen Mitarbeiter der ukrainischen Botschaft in Washington, hätten US-Offizielle des Justizministeriums und des FBI im Januar 2016 versucht, ukrainische Staatsanwälte bei einem Arbeitstreffen in Washington zu überzeugen, den Fall Burisma an das FBI abzutreten.
Direkt nach der Entlassung Viktor Schokins im April 2016 bemühten sich die Burisma-Lobbyistinnen von Blue Star Strategies um einen Termin in der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft in Kiew. Nach Druck auf die ukrainische Botschaft in Washington konnten sie in Kiew mit dem Interimsstaatsanwalt sprechen. Seinem Memo zufolge lobten sie die Arbeit der ukrainischen Staatsanwälte und luden ihn in die USA ein.
Begleitet wurden sie dabei von dem US-Anwalt John Buretta, der ebenfalls für Burisma arbeitete. Er bot dem ukrainischen Justizbeamten Treffen mit Topstaatsanwälten der USA an. Sollten diese anlasslosen Schmeicheleien unmittelbar nach Schokins Entlassung den Boden für die Einstellung der Strafverfolgung bereiten?
Ermittlungen nach Millionenzahlungen beendet
Schließlich wurden die Burisma-Akten Anfang 2017 tatsächlich geschlossen. In einem Werbebeitrag in der Kyiv Post berichtete Burisma-Anwalt Buretta über das Ende der Ermittlungen. Eine Steuernachzahlung von umgerechnet rund sieben Millionen Euro, die auf die massive Steuerhinterziehung des Konzerns in der Ukraine hindeutet, verkauft Buretta darin als eine Art Transparenzinitiative.
Auch für die Einstellung der Ermittlungen gibt es unterschiedliche, aber durchaus ähnliche Erklärungen: Der bereits erwähnte ukrainische Informant Andrij Telischenko sagte hier im Interview mit Rudy Giuliani , Burisma-Eigner Slotschewski habe durch die Zahlung einer Millionensumme, die in bar an Petro Poroschenko übergeben wurde, für die Schließung der Ermittlungsakten gesorgt.
Der Oligarch Alexander Onischenko schreibt in seinem Buch, die Ermittlungen gegen Burisma wurden beendet, weil Eigentümer Slotschewski dem ukrainischen Präsidenten als Versöhnungsangebot eine lukrative Unternehmensbeteiligung an einer anderen Firma (Kub Gas) überlies. Onischenko fungierte hierbei als Unterhändler zwischen Poroschenko in Kiew und Slotschewski, der in Dubai weilte.
Die letzte Rede
Welche Art von Bestechung hier auch gezahlt wurde, Fakt ist, die Untersuchungen gegen Burisma wurden eingestellt. Was nach den Erklärungen der medialen Biden-Unterstützer in New York Times und Co. ein klarer Beweis für die Bestechlichkeit des neuen Generalstaatsanwalts Juri Luzenko sein müsste, war jedoch weder ihnen noch Joe Biden ein Wort wert. Dabei hatte Joe Biden noch die große Chance, auch Luzenko zur Ordnung zu rufen, denn er besuchte mit seiner letzten Staatsreise als US-Vizepräsident noch einmal Kiew und zwar am 17. Januar 2017 – also genau fünf Tage nachdem die Ermittlungen eingestellt worden waren.
Bei der Pressekonferenz in Kiew lobte Biden die ukrainische Staatsführung um Poroschenko überschwänglich. Im Anschluss an die gewohnte Anti-Russland-Rhetorik mahnte er Kiew, im Kampf gegen Korruption nicht nachzulassen. Ihm kam kein kritisches Wort zum Thema Burisma oder zum Generalstaatsanwalt über die Lippen. Sehr wohl jedoch forderte er die Ukraine auf, weiterhin an der Energieunabhängigkeit gegenüber Russland zu arbeiten. Zudem erwähnte er, dass die USA in den drei Nach-Maidan-Jahren neben Kreditgarantien (3 Milliarden US-Dollar) und Militärhilfe (600 Millionen US-Dollar) auch 750 Millionen US-Dollar Wirtschaftshilfe in die Ukraine gepumpt hatten.
Wie viel – oder besser gesagt wie wenig – davon tatsächlich am eigentlichen Bestimmungsort angekommen und nicht in die Taschen der Oligarchen weitergeflossen ist, erwähnte Biden nicht. Und selbstverständlich deutete er nicht einmal an, dass eine zweistellige Millionensumme davon über Umwege von Steuerparadiesen wie Zypern oder Belize in die Taschen von Hunter Biden, seinen amerikanischen Geschäftspartnern und unzähligen Politlobbyisten in Washington geflossen sind. Im Übrigen behauptet ein ukrainischer Abgeordneter, dass von den 16,5 Millionen Dollar für die Burisma-Aufsichtsräte auch 900.000 Dollar direkt an Joe Biden geflossen sein sollen.
Was öffentlich als Hilfe der US-Regierung für das ukrainische Volk verkauft wird, ist tatsächlich nichts weiter als die politisch erzwungene Umverteilung westlicher Steuergelder in die Taschen der ukrainischen und US-amerikanischen Oberschicht. In der Familie Biden manifestieren sich beide Seiten dieser Medaille.
Das Ende eines Staatsanwaltes: Schlussfolgerungen
Was zeigt dieser Fall?
Er belegt die Heuchelei der Demokratischen Partei der USA. Während man Trump mithilfe eines Impeachments Amtsmissbrauch und erpresserischen Tauschhandel vorwirft, also staatliche Finanzhilfen gegen politische Gefälligkeiten – ein sogenanntes Quid-pro-quo –, ignoriert man in der Partei ein eindeutig nachgewiesenes, von Joe Biden sogar öffentlich eingestandenes Quid-pro-quo. Die imperiale US-Geisteshaltung gegenüber der Ukraine interessiert in Washington sowieso niemanden, auch nicht die Republikaner.
Der Fall macht deutlich, in welchem Ausmaß sich die Angehörigen und andere Vertraute im Schlepptau von Washingtons Machtelite bereichern. Hunter Biden ist nicht der Einzige. Zahlreiche Söhne und Töchter der US-Politprominenz sitzen auf lukrativen Aufsichtsratsposten, für die sie ausschließlich der exklusive Zugang zu ihren mächtigen Eltern qualifiziert. Das Beispiel Hunter Biden zeigt, dass manche dabei nicht einmal vor der Zusammenarbeit mit äußerst dubiosen Personen zurückschrecken.
Weiterhin belegt der Fall, dass die Kritik an Joe Biden berechtigt ist. Zwar ist Trumps Aussage, dass Biden die Ermittlungen gegen seinen Sohn stoppen wollte, falsch – da es keine Ermittlungen direkt gegen Hunter Biden gab. Abläufe und Indizien legen jedoch nahe, dass Joe Biden mit seinem Erpressungsmanöver den Arbeitgeber seines Sohnes schützte, was auf dasselbe hinausläuft. Die Aktion war singulär, willkürlich und mit extrem hohem Geldeinsatz. Es ist wahrscheinlich, dass der US-Vizepräsident von den Ermittlungen gegen Burisma wusste. Schokins Vorgesetztem – Präsident Poroschenko – sollten mit der Aktion die Grenzen aufgezeigt werden.
Der Fall entlarvt die PR-Phrasen der US-Außenpolitik. Schokins angebliche Korruption war ein vorgeschobenes Argument, eine wohlklingende Rechtfertigung für die Öffentlichkeit und für Medien, die es nicht genauer wissen wollten. Der „Kampf gegen Korruption“ ist eine Legitimationsphrase, wie der „Kampf für Menschenrechte“ – eine Floskel, die die US-Regierung hervorholt, wenn sie die handfesten tatsächlichen Gründe ihres Handelns öffentlich nicht nennen kann, weil diese nicht zu den offiziell hehren Zielen der US-Außenpolitik passen. Die „Hilfe für das ukrainische Volk“ entpuppt sich als durchschaubares Hilfsprogramm für die US-Exportwirtschaft (Rüstung, Gasausbeutung), bei dem Oligarchen und Washingtons Lobbyisten herzhaft mitkassieren.
Zudem zeigt der Fall die Komplizenschaft der US-Mainstreammedien. Während sie den Vorwürfen gegen Trump akribisch nachgingen, unterließen sie Recherchen im Fall Biden-Burisma. Dass sie auch anders können, bewiesen sie 2014/2015, als Hunter Bidens Burisma-Job mehrfach kritisches Thema war – damals war an einen Präsidenten Donald Trump im Traum noch nicht zu denken. Nach dem Trump-Telefonat 2019 warfen die Leitmedien jedoch nur noch Nebelkerzen und griffen jede andere Position mit der üblichen Vokabel „Verschwörungstheorie“ an. Ausnahme von dieser Regel ist hier fallweise Fox News – weil der Sender Trump verteidigt. Echte journalistische Ermittlungsarbeit leisteten hingegen die US-Alternativmedien – sowohl die konservativen als auch die progressiven.
Schließlich macht der Fall erneut deutlich: Rohstoffsicherung, Geopolitik und Konzerninteressen sind die Leitlinien der US-Außenpolitik. Clevere Oligarchen können dies ausnutzen. Ihre Lobbyisten treffen auf offene Ohren in den Ministerien Washingtons. Alle „Reformen“ und Finanzzusagen Bidens spielten nicht der ukrainischen Bevölkerung in die Karten, sondern Unternehmen wie Burisma.
Anmerkungen
(1) Die Aussage im englischen Original lautet: “There’s a lot of talk about Biden’s son, that Biden stopped the prosecution and a lot of people want to find out about that so whatever you can do with the attorney general would be great. Biden went around bragging that he stopped the prosecution, so if you can look into it . . . it sounds horrible to me.”
(2) Die Aussage im englischen Original lautet: „I went over, I guess, the 12th, 13th time to Kiev. And I was supposed to announce that there was another billion-dollar loan guarantee. And I had gotten a commitment from Poroshenko and from Yatsenyuk that they would take action against the state prosecutor. And they didn’t. So they said they had—they were walking out to a press conference. I said, nah, I’m not going to—or, we’re not going to give you the billion dollars. They said, you have no authority. You’re not the president. The president said—I said, call him. I said, I’m telling you, you’re not getting the billion dollars. I said, you’re not getting the billion. I’m going to be leaving here in, I think it was about six hours. I looked at them and said: I’m leaving in six hours. If the prosecutor is not fired, you’re not getting the money. Well, son of a bitch. He got fired. And they put in place someone who was solid at the time.“
(3) Nikolai Asarow: Ukraine: Die Wahrheit über den Staatsstreich. Aufzeichnungen des Ministerpräsidenten. Berlin 2015, Seite 38. Asarow schreibt, Janukowitsch habe ihn nach dem Telefonat mit Biden angewiesen, die geplante Räumung abzusagen.
(4) Alexander Onischenko: Peter der Fünfte. Die wahre Geschichte des ukrainischen Diktators. Berlin 2018, Seite 104ff.
(5) Joe Bidens Intervention könnte in der Ukraine tatsächlich ein juristisches Nachspiel haben. Der durch seinen Druck geschasste Generalstaatsanwalt Viktor Schokin hat dort eine Anzeige gegen Biden wegen Einmischung in die Arbeit einer Strafverfolgungsbehörde gestellt. Diese wird noch zwischen den Behörden hin- und hergeschoben. Auch Hunter Bidens Annahme von Burisma-Geld könnte kriminell sein, wenn es sich um „gewaschenes Geld“ aus Steuerhinterziehung oder sogar Diebstahl von internationalen Hilfsgeldern in der Ukraine handeln sollte.
(6) Laut Ukrainska Prawda feuerten Unbekannte am 2. November 2015 gegen 22 Uhr auf das Büro des Generalstaatsanwalts, in dem Schokin eine Sitzung abhielt. Der SBU übernahm die Untersuchung des Falles und ermittelt bis heute. Der damalige Chefankläger des Militärs, Anatoliy Matios, sagte, dass der Scharfschütze angeblich mit einer Wärmebildkamera geschossen habe und nur Panzerglas Schokins Leben gerettet habe.
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