Massiver Bevölkerungsrückgang in der Ukraine

Weltweit höchste Sterberate und niedrigste Geburtenrate sowie Millionen Kriegsflüchtlinge / Sinkende Bevölkerungszahlen bereits vor dem Krieg / Selenskij sieht Ursache in „russischer Propaganda“

23. September 2024
Kiew.
(multipolar)

Die Ukraine hat laut einem Bericht des US-Geheimdienstes CIA sowohl die höchste Sterberate als auch die niedrigste Geburtenrate der Welt. Laut Prognose der Vereinten Nationen (UN) wird die ukrainische Bevölkerung infolgedessen bis zum Jahr 2100 auf etwa 15 Millionen Menschen zurückgehen. Als die Ukraine im August 1991 ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte, hatte das Land noch mehr als 50 Millionen Einwohner. Dem CIA-Bericht zufolge liegt die Sterberate in der Ukraine bei 18,6 pro Tausend Menschen. Litauen befindet sich mit 15,02 pro Tausend an zweiter Stelle der Sterblichkeitsrate, gefolgt von Serbien mit 14,9. Russland liegt mit 14 Todesfällen pro Tausend Menschen an neunter Stelle.

Aus dem CIA-Bericht geht hervor, dass die Ukraine mit nur sechs geborenen Kindern pro tausend Einwohner den weltweit letzten Platz (228) der Rangliste belegt. Im Vergleich dazu weisen afrikanische Länder die höchste Geburtenrate auf, wobei Niger mit 46,6 Geburten pro tausend Einwohner an der Spitze der Liste steht. „Die Geburtenrate ist in diesem Jahr im Vergleich zu den Zahlen vor der Invasion um das 1,5-fache gesunken: 87.655 Kinder im Jahr 2024 gegenüber 132.595 im Jahr 2021“, heißt es in dem Bericht, über den auch die englischsprachige ukrainische Online-Zeitung „Kyiv Post“ berichtet. (13. September)

Nach Angaben der Nationalbank der Ukraine leben inzwischen 6,7 Millionen Ukrainer im Ausland. Laut dem ungarischen Journalist Gábor Stier sollen während des Krieges jedoch noch deutlich mehr Menschen das Land verlassen haben. In der offiziellen ukrainischen Statistik fehlen die nach Russland geflohenen Ukrainer, kritisierte Stier in einem kürzlich veröffentlichten Beitrag für das Portal „Demokrata“. Die UNO schätzt die Zahl auf drei Millionen ukrainische Staatsbürger, während russische Behörden von fünf Millionen sprechen würden.

Ein neues Ministerium in Kiew soll Abhilfe schaffen und sich mit der Rekordabwanderung befassen, heißt es in dem Bericht, der beim Online-Magazin „Nachdenkseiten“ in deutscher Übersetzung erschienen ist. Das Ministerium habe laut Präsident Wolodymyr Selenskij die Aufgabe, viele der ausgewanderten Ukrainer zurückzuführen. Selenskij sieht Stier zufolge als Ursache des Problems jedoch ausschließlich den Einfluss der „russischen Propaganda“, weil Moskau versuche, den Ukrainern die kulturelle Bindung an ihre Heimat zu nehmen. Deshalb solle das Ministeriums dem russischen Einfluss auf ukrainische Bürger, die das Land verlassen, entgegenwirken, so die Leitlinien des Präsidenten.

Die Probleme begannen nicht mit dem Krieg, schreibt Stier, „er beschleunigte nur eine sich bereits dramatisch verschlechternde demografische Entwicklung. Bereits vor 2022 gehörte die Ukraine zu den 23 Ländern, für die nach UN-Angaben bis 2050 ein Bevölkerungsrückgang von 20 Prozent und bis zum Ende des Jahrhunderts von 50 Prozent prognostiziert wurde.“ Nach den Statistiken des ukrainischen Gesundheitsministeriums sei die Zahl der Geburten im Land seit 2013 um rund sieben Prozent pro Jahr gesunken. Der russische Einmarsch habe die Krise noch weiter verschärft. Derzeit würden auf jede Geburt laut den verfügbaren Daten drei Todesfälle kommen, aber schon zwischen 2018 und 2020 standen jeder Geburt zwei Todesfälle gegenüber.

Seit der Unabhängigkeit sei die jährliche Zahl der Geburten von mehr als einer halben Million Kinder in der Ukraine auf 364.000 im Jahr 2017 und auf 187.000 in den frühen 2020er Jahren gesunken, „ein Trend, der unaufhaltsam zu sein scheint“. Nach Angaben des Dienstes „Opendatabot“, der die Überwachung der Registrierungsdaten ukrainischer Unternehmen und des Gerichtsregisters ermöglicht, wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2024 in der Ukraine 87.655 Kinder geboren, ein Rückgang von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Die demografische Krise werde durch den Verlust von Menschenleben im Krieg, der je nach Quelle auf 150.000 bis eine halbe Million Menschen geschätzt werde, noch verschärft. Zudem hätten in den bisherigen zweieinhalb Jahren des Krieges nach UN-Angaben etwa zehn Millionen Ukrainer ihren Wohnort verlassen, die meisten von ihnen auch das Land. „Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissars gibt es keine Anzeichen dafür, dass Flüchtlinge im Ausland massenhaft über eine Rückkehr nachdenken“, heißt es in dem Beitrag. Die Folgen der Auswanderung seien noch gravierender, wenn man bedenke, dass nach UN-Angaben 80 Prozent der Flüchtlinge Frauen und Kinder sind. Die Ukraine stehe vor einer „Entvölkerung“.

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