Pressefreiheit: Deutschland und Ukraine steigen in Rangliste

„Reporter ohne Grenzen“ sehen Deutschland auf Platz 10 / Erhebungsmethode weiter unklar / Maßnahmen gegen oppositionelle Medien in Deutschland fließen offenbar nicht in Bewertung ein

6. Mai 2024
Berlin.
(multipolar)

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) sieht die Pressefreiheit weltweit unter Druck. Laut ihrer in der vergangenen Woche zum Tag der Pressefreiheit (3. Mai) veröffentlichen jährlichen Rangliste hat sich die Lage der Pressefreiheit „im weltweiten Vergleich weiter deutlich verschlechtert“. Deutschland ist jedoch auf Platz 10 aufgestiegen (2023: Platz 21), Österreich liegt auf Platz 32 (29), die Schweiz auf Platz 9 (12). Die Rangliste der Pressefreiheit stützt sich nach Angaben der RoG auf fünf Indikatoren: Neben Sicherheit sind dies politischer Kontext, rechtlicher Rahmen sowie wirtschaftliches und soziokulturelles Umfeld.

Dabei steht auch die Liste selbst in der Kritik. Sie wird laut Reporter ohne Grenzen von Wissenschaftlern und Journalisten für die einzelnen Länder mit einem öffentlich zugänglichen Fragebogen erhoben, mehr allerdings ist nicht bekannt. „Das Ergebnis hängt stark davon ab, welche Maßstäbe die Expertinnen und Experten hier anlegen“, schreibt die österreichische Zeitung „Der Standard“ mit Blick auf das verschlechterte Abschneiden des eigenen Landes. Die Namen und die Zahl der Bewerter seien nicht bekannt. Bereits seit Einführung der Rangliste Anfang des Jahrtausends stand die Erhebung in der Kritik, die Fachzeitschrift „Message“ kritisierte eine „unnötige Heimlichtuerei“.

Vor vier Jahren hatten Sozialwissenschaftler mit Blick auf die Einstufung südamerikanischer Länder kritisiert, dass zu wenige Details der Umfrage bekannt seien, der Fragebogen eine eurozentristische Verzerrung aufweise und einseitig sei. Die Methodik der Bewertung ist 2022 in Zusammenarbeit mit einem Expertenkomitee aus Medien und Forschung geändert worden, weiterhin wird jedoch die Organisation insbesondere von westlichen Staaten oder der Europäischen Union (EU) finanziert, die regelmäßig in der Rangliste ganz oben landen. Auch dieses Jahr wird sie angeführt von Norwegen, Dänemark und Schweden. Die zehn danach folgenden Länder sind ebenfalls europäische Staaten.

Mit Blick auf die Rangliste des vergangenen Jahres fasste der Münchener Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen zusammen, dass all das in die Wertung gelange, was im Westen als positiv betrachtet werde – „die formale Trennung von Regierung und Redaktion zum Beispiel. Andersherum: Abzüge gibt es überall da, wo der Staat, Parteien oder Politiker selbst Medien betreiben.“ Rafael Lutz, Journalist der Schweizer Zeitschrift „Weltwoche“, schreibt, dass die Liste auch in diesem Jahr einen politischen Drall habe: „Vorbildlich sind Staaten, die sich unter dem US-Einflussbereich befinden, schlecht weg kommen wiederum diejenigen Länder, die mit dem Westen im Konflikt stehen.“

In ihrer „Nahaufnahme“ für Deutschland schreibt die Organisation, dass sich die Lage der Pressefreiheit hierzulande nicht grundlegend verändert habe. Die Bundesrepublik sei allerdings trotzdem in der Liste aufgestiegen, da „die Zahl der physischen Übergriffe gegen Medienschaffende rückläufig“ sei, was mit dem Rückgang von „Corona- sowie rechtsextremen Demonstrationen“ zu erklären sei. Die „Nahaufnahme“ erwähnt explizit den gewalttätigen Angriff auf ein ZDF-Kamerateam am 1. Mai 2020 in Berlin „am Rande einer Demonstration der Querdenkerbewegung“. Allerdings fehlt in dem RoG-Bericht die Information, dass die inzwischen überführten und verurteilten Täter nicht zur Demonstration gehörten, sondern linksradikale Gegendemonstranten waren.

Der Politikwissenschaftler Jörg Becker kritisierte bereits 2010 in der Zeitung „Neues Deutschland“ den Freiheitsbegriff der Organisation. Sie lasse den „Zusammenhang zwischen privatwirtschaftlicher Pressekonzentration und Rückgang von Meinungspluralität“ außer acht. Michael Meyen schrieb vergangenes Jahr, dass RoG die konzernfreien Medien ebenso ignoriere wie den indirekten politischen Einfluss von Regierungen auf die Journalisten. So spielen denn auch die zahlreichen Maßnahmen gegen oppositionelle Medien in Deutschland offenbar keine Rolle bei der Erstellung der aktuellen Liste. Weder die Zensurmaßnahmen großer Konzerne oder der Landesmedienanstalten noch die Überwachung durch Geheimdienste oder die zahlreichen Kontokündigungen durch Banken werden von RoG erwähnt.

Auffällig in der aktuellen Liste ist schließlich der Aufstieg der Ukraine, die mitten im Krieg weitere Plätze gut gemacht hat. Dabei wies beispielsweise der oppositionelle Politiker Maxim Goldarb im vergangenen Herbst darauf hin, dass die Meinungsfreiheit ist in der Ukraine zerstört worden sei. „Oppositionsmedien sind verboten und geschlossen, oppositionelle Journalisten sind entweder auf der Flucht oder im Gefängnis, jede abweichende Meinung ist zu einem Gedankenverbrechen geworden (sogar ,Likes‘ in sozialen Netzwerken) und wird mit Gefängnis bestraft.“ Die ukrainische Medienforscherin Olga Baysha erklärte, dass zahlreiche Oppositionsmedien in der Ukraine bereits viele Monate vor dem russischen Einmarsch verboten wurden. Zudem seien viele ukrainische Journalisten ohne gerichtliche Überprüfung verhaftet worden oder gar völlig verschwunden.

Auch die „taz“ berichtet anlässlich des Tags der Pressefreiheit vom staatlichen Informationsmonopol, das sich beispielsweise im ‚Telemarathon‘ zeigt, bei dem sich sechs Kanäle zu gemeinsamen Nachrichten zusammengeschlossen haben. Die ukrainische Medienexpertin Oksana Romaniuk spricht gegenüber der Tagesschau von einem „engen Meinungsspektrum“ des „Telemarathons“. Er koste den Staat viel und habe bei den Ukrainern kein Vertrauen gewonnen.

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