Röhren für die Pipeline Nord Stream 2 | Bild: picture alliance / Jens Büttner/dpa-Zentralbild/ZB

Washingtons langer Kampf gegen russische Energie für Europa

US-Regierungen versuchen bereits seit Jahrzehnten, Öl- und Gasgeschäfte zwischen Russland und Deutschland zu verhindern. Weil deutsche und andere europäische Politiker sich früher gegen diese Übergriffe wehrten, kamen die Projekte trotzdem zustande. Heute ist das anders. Die Bundesregierung hatte bereits vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine Washingtons Position übernommen und die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 verhindert. Der österreichische Historiker Hannes Hofbauer blickt in seinem neuen Buch „Im Wirtschaftskrieg“ auf die westliche Sanktionspolitik gegen Russland und auch auf den Kampf um Energiegeschäfte. Multipolar veröffentlicht Auszüge daraus.

HANNES HOFBAUER, 8. Januar 2025, 0 Kommentare, PDF

Am 26. September 2022 explodierten vier Sprengladungen nahe der dänischen Insel Bornholm in der Ostsee. Sie waren unter Wasser an den Erdgas-führenden Leitungen der Nord-Stream-Pipelines angebracht worden. Der Anschlag auf die deutsch-russische Energiepartnerschaft sah einen klaren Gewinner : die USA. Wer einen Blick zurück in die jahrzehntelange US-Blockadepolitik gegen den Aufbau deutsch-russischer Erdgas- und Erdölprojekte wirft, der kann die Debatte darüber, wer den Terroranschlag verübt hat, nur als Heuchelei empfinden.

Im Frühjahr 1961 bekam die Kennedy-Regierung in den USA Wind von einem deutsch-sowjetischen Energieprojekt. Der Geheimdienst meldete an das Präsidentenamt, Moskau plane, Erdöl aus Tatarstan nach Deutschland zu liefern und Bonn wisse darüber Bescheid. Für die noch ausstehenden 1000 Baukilometer seien Röhren bei den deutschen Großunternehmen Mannesmann, Hoesch und Phoenix-Rheinrohr in Auftrag gegeben worden. Um der geplanten deutsch-russischen Energiekooperation eine zusätzliche Gefährlichkeit zu unterstellen, ortete der US-Geheimdienst eine militärische Funktion der Rohrleitung. Sie würde im Falle eines Einmarsches der Roten Armee in die BRD die Militärs mit Öl versorgen, warnte er. (1)

In Washington war man höchst alarmiert. Es galt, eine deutsch-sowjetische Energiepartnerschaft, die noch dazu den Namen „Druschba – Freundschaft“ trug, mit allen Mitteln zu verhindern. Das Röhrengeschäft durfte nicht zustande kommen. Allerdings tat sich dabei ein Problem auf : Großrohrleitungen standen nicht auf der COCOM-Liste. Es musste also ad hoc ein Plan gefasst werden, wie der Pipeline-Bau gestoppt und die bereits bestehenden Lieferverträge für die Röhren ungültig gemacht werden konnten. Die dazu wohl berufenste Stimme, jene des damals zuständigen US-Unterstaatssekretärs George W. Ball, gibt Aufschluss über die Königsdisziplin der Machtausübung.

George W. Ball beschäftigte sich in der US-Administration unter Außenminister Dean Rusk mit Wirtschaftsfragen. Er war ein bekanntes Sprachrohr der Friedensbewegung gegen den Vietnamkrieg und agierte auch als Whistleblower zur Aufdeckung der aggressiven US-Außenpolitik. In der Washington Post vom 11. März 1982 berichtet Ball von seinem Auftrag, 20 Jahre zuvor die deutsch-russische Energiepartnerschaft zu blockieren. Er tat dies aus Anlass eines bevorstehenden neuen Gas-Röhrengeschäftes zwischen Moskau und Bonn, auf das wir weiter unten noch zu sprechen kommen werden. Es lohnt sich, den Washington-Post-Artikel in seiner gesamten Länge durchzulesen :

„Zu Beginn der Kennedy-Administration hat mir der Präsident die Aufgabe übertragen, den Bau der sogenannten Freiheits -Pipeline (2), die sowjetisches Öl nach Westeuropa gebracht hätte, zu verhindern zu versuchen. Wir könnten, so wurde damals gedacht, einen riesigen Schraubschlüssel in das Projekt werfen, wenn wir die Stornierung der Verträge erzwingen würden, die bereits mit westdeutschen Stahlunternehmen über den Bau von Großröhren abgeschlossen waren. Durch intensiven Druck brachten wir einen NATO-Beschluss zustande, dass die 200.000 Tonnen Röhren, die die deutschen Firmen versprochen hatten, ein ‚strategisches Gut‘ seien. Und unser beständiges ‚Armdrehen‘ überzeugte den zögernden Kanzler Konrad Adenauer letztendlich, ein Röhrenembargo anzuordnen. Weil die Anordnung aufgrund der Notstandsvollmachten der Regierung erfolgte, hatte das westdeutsche Parlament die Möglichkeit, innerhalb von drei Monaten das Embargo aufzuheben. Bis zum letzten Tag drohte die Mehrheit des Bundestages mit ihrem Einspruch. Das Embargo wurde nur dadurch gerettet, weil Mitglieder von Adenauers Partei aus dem Plenum auszogen und den Bundestag damit beschlussunfähig machten. Doch was für ein Pyrrhussieg ! Ein oder zwei Jahre später erzählte mir der russische Botschafter Anatol Dobrynin grinsend : ‚Ich danke Ihnen im Namen meiner Regierung. Als Sie die Deutschen dazu brachten, von ihren Verträgen zurückzutreten, zwangen sie mein Land, das zu tun, was wir lange zuvor hätten tun sollen – nämlich ein Stahlwerk zu bauen, das Großröhren herstellt. Jetzt sind wir in dieser Hinsicht autark. Dafür sind wir Euch dankbar.‘“ (3)

Die Pipeline wurde mit Rohren aus der Tschechoslowakei und Rumänien von Tatarstan bis in die DDR fertiggestellt.

1970er Jahre: Erster sowjetisch-deutscher Gasliefervertrag

Das US-Embargo gegen sowjetische Energielieferungen an Deutschland hielt bis 1966. Im Frühling 1970 starteten Moskau und Bonn dann den nächsten Versuch, diesmal günstiges Erdgas aus westsibirischen Gasfeldern in die BRD zu leiten. Das daraus entstandene Erdgas-Röhren-Geschäft bestand anfangs aus einem Liefervertrag für drei Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr, wofür im Gegengeschäft bundesdeutsche Röhren zum Einsatz kamen, finanziert über Kredite deutscher Bankinstitute. Bis Dezember 1972 lieferte Mannesmann über eine Million Tonnen Großrohre für die fast 2000 Kilometer lange Pipeline. 1973 erreichte dann erstmals sibirisches Erdgas die bundesdeutschen Verbraucher. Diesmal konnte Washington dank der Beharrlichkeit westdeutscher und europäischer Politiker das Projekt nicht verhindern.

Österreich war als neutrales Land der BRD voraus. Hier floss ab September 1968 russische Energie in Form von Gas über die Tschechoslowakei in den Grenzort Baumgarten, der bald zu einer europäischen Erdgasdrehscheibe ausgebaut wurde.

Ronald Reagan startet den nächsten Angriff

Der nächste US-Angriff auf die deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen kam im ersten Amtsjahr des Schauspielerpräsidenten Ronald Reagan Ende 1981. Im Visier war – wie gehabt – die sowjetische Erdgasversorgung der BRD und Westeuropas. In einem ersten Schritt verbot Reagan, ohne Konsultationen mit seinen Verbündeten in der NATO, jegliche Zulieferung von US-amerikanischen Konzernen für das europäische Erdgas-Röhren-Geschäft. Dieses Verbot galt auch für Tochtergesellschaften, die ihren Sitz außerhalb Amerikas hatten, womit innerstaatliches US-Recht über die Landesgrenzen hinweg zur Anwendung kam. Die Rechtsordnung der betroffenen Länder in Europa war damit – aus US-amerikanischer Sicht – hinfällig. (4)

Offiziell begründeten die USA ihre verschärfte Blockade gegen deutsch- bzw. europäisch-sowjetische Wirtschaftsbeziehungen mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan im Dezember 1979, ohne freilich erklären zu können, was Gaslieferungen in deutsche Haushalte und Unternehmen damit zu tun hatten. Es galt schlicht und einfach, die Sowjetunion zu schädigen und sie von Deviseneinkünften möglichst abzuschneiden. Das passierte in der vagen – und von der Geschichte des COCOM bereits widerlegten – Hoffnung, damit ihre Wirtschaft sabotieren zu können. Tatsächlich war es dann die von Ronald Reagan zeitgleich angezogene Rüstungsspirale, in die er die Verantwortlichen in Moskau hineintrieb, die letztlich den Zusammenbruch der Sowjetunion von außen beschleunigte.

Mitten während der Weihnachtsfeiertage 1981 verkündete das Büro Reagan – unter dem Eindruck der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen – weitgehende Sanktionen gegen die Sowjetunion. Darunter befanden sich ein Flug- und Landeverbot für die Fluglinie Aeroflot, das Ende der Erteilung von Exportlizenzen, die Nichtverlängerung einer Reihe von bilateralen wirtschaftlichen, aber auch kulturellen Abkommen, der Stopp eines anstehenden neuen Getreideabkommens und ein Verbot für Kommissionsgeschäfte aller Art. Das war ein Schlag ins Gesicht vieler Firmen wie beispielsweise den Baugerätehersteller Caterpillar, dem ein Auftrag für 90 Millionen US-Dollar durch die Lappen ging, weil er für die Maschinen keine Ausfuhrlizenz mehr erhielt. Caterpillar musste eines seiner Werke schließen und Hunderte Arbeiter entlassen. (5) Auch das Erdgas-Röhren-Geschäft war durch die Sanktionsmaßnahmen direkt betroffen, denn General Electric war es ab sofort untersagt, wie vereinbart Bestandteile für Gasturbinenkompressoren in der Größenordnung von 175 Millionen US-Dollar nach Europa zu liefern. (6)

Ob der radikalen Sanktionspolitik Reagans gingen die Wogen hoch. Ein enger Mitarbeiter des Präsidenten wird im deutschen Handelsblatt mit den Worten zitiert : „Um Moskau zu bestrafen, stoßen wir uns einen Balken ins eigene Auge und drohen, ihn solange drin zu lassen, bis die Russen unseren Schmerz nicht mehr aushalten können.“ (7)

In Europa, insbesondere in Deutschland und Frankreich, beließ man es nicht bei Protesten gegen die exterritoriale Sanktionspolitik Washingtons. Auch Drohungen, die USA würden Soldaten aus Deutschland abziehen, sollte Bonn sich weigern, gegen Moskau wieder einmal in den Ring zu steigen, nutzten nichts. Europa blieb standhaft. Nach einer nochmaligen Verschärfung der antisowjetischen Sanktionen im Juni 1982 trat der Rat der EG-Außenminister zusammen und erklärte :

„Diese Aktion, die ohne irgendeine Konsultation mit der Gemeinschaft unternommen wurde, schließt eine extraterritoriale Ausdehnung der amerikanischen Rechtssetzungsbefugnisse ein, die unter den gegebenen Umständen den Prinzipien des Völkerrechts widerspricht, für die Gemeinschaft unannehmbar ist und voraussichtlich nicht vor den Gerichten der EG anerkannt wird.“ (8)

Die französische Tochterfirma des US-Konzerns Dresser Industries ließ sich vom US-Embargo nicht beeindrucken und lieferte vertragsgemäß Kompressoren an die Sowjetunion. Der italienische Turbinenhersteller Nuovo Pignone hatte weniger Glück : US-Behörden beschlagnahmten bestellte Gasturbinen im Hafen von New York. (9) Auch AEG und Mannesmann hatten mit der repressiven Wirtschaftspolitik Washingtons zu kämpfen. Doch diesmal kam Schützenhilfe von oben. Niemand geringerer als Bundeskanzler Helmut Schmidt wies Washington in die Schranken. In der New York Times gab er wegen des versuchten US-Boykotts gegen das Röhren-Gas-Geschäft zu Protokoll : „Sie haben uns keine einzige Gallone Öl geliefert und können es auch nicht, auch kein Gas. Deshalb müssen wir diversifizieren.“ (10) Schmidt bezog sich dabei auf den Präzedenzfall der Kürzung amerikanischer Erdöl-Exporte im Zuge der Ölkrise 1973.

Am 3. November 1982 sah sich Ronald Reagan gezwungen, die das deutsch-sowjetische Erdgas-Röhren-Geschäft betreffenden Sanktionen aufzuheben.

(…)

Dieselbe US-Strategie auch nach Ende des Kalten Krieges

Russland zu schädigen, das war und ist auch das Ziel Nr. 1 der US-amerikanischen Administration. Ihrem Wirken fiel bereits sehr früh die seit 2009 geplante Gaspipeline „South Stream“ zum Opfer. Diese hätte den sibirischen Energieträger durch das Schwarze Meer ins bulgarische Warna und weiter nach Griechenland und Süditalien sowie nach Serbien und Ungarn bringen sollen. Jahrelange schwierige Verhandlungen endeten damit, dass im Juni 2014 eine US-amerikanische Senatoren-Delegation unter der Führung des alten Haudegens John McCain Bulgariens Premierminister Plamen Orescharski „bearbeitete“, der tags darauf das Aus von South Stream verkündete.

Knapp vor der heißen Phase des Öl- und Gaskrieges, im Jahr 2021, stammten 45 Prozent des russischen Budgets aus dem Energieexport. Moskau musste sehr viel daran gelegen sein, in dieser Auseinandersetzung nicht unterzugehen.

Erdöl : Importverbot und Preisdeckel

Die von Washington und Brüssel betriebene Sanktionspolitik gegen Russland fand bald auch ihren zivilgesellschaftlichen Flankenschutz. Er äußerte sich in Deutschland erstmals prominent am 9. März 2022. Der mit „besorgten Grüßen“ unterzeichnete Aufruf forderte einen sofortigen und umfassenden Importstopp aller russischen Energieträger. Gerichtet war das Schreiben an Bundeskanzler Scholz, Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner. „Die Unterzeichner*innen dieses Briefes“, stand da zu lesen, „finden es unerträglich, diesen Krieg jeden Tag weiter zu finanzieren. (…) Erlassen Sie gemeinsam mit den anderen EU-Staaten einen Importstopp für Öl, Gas und Kohle (…). Drehen sie der russischen Führung den Geldhahn zu !“

Als ErstunterzeichnerInnen fungierten unter anderem die bekannten Kreml-Hasser und Ex-Grünen Rebecca Harms, Marieluise Beck und Ralf Fücks – alle drei vom „Zentrum Liberale Moderne“ –, weiters die ehemalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt Kerstin Müller, der Aufsichtsratsvorsitzende von „Correctiv“ Lukas Beckmann sowie eine Reihe von Schauspielerinnen und Journalisten.

(...)

Seit dem 6. Sanktionspaket vom 3. Juni 2022 gilt in der EU ein Importverbot von russischem Rohöl auf dem Seeweg, sechs Monate später endete die Übergangsfrist. Um zu verhindern, dass russisches Erdöl jenseits der transatlantischen Blase frei verschifft und verkauft werden kann, verfielen die Bürokraten in Brüssel auf eine reichlich absurde Idee : einen Preisdeckel, den sie weltweit durchsetzen wollten. Er sollte Russland empfindlich treffen und wurde mit 1. Januar 2023 auf 60 US-Dollar pro Barrel festgelegt ; er lag damit zum damaligen Zeitpunkt um ca. 10 Dollar unter dem Weltmarktpreis. (11)

Die G7 waren für diesen marktwirtschaftlichen Schurkenstreich mit an Bord. Die damit aufgebaute Drohkulisse diente vor allem dazu, große Reedereien und Versicherungen zu beeindrucken. Es durfte, so die Brüsseler Idee, kein russisches Öl verschifft oder versichert werden, wenn dafür mehr als 60 US-Dollar pro Barrel bezahlt wurde. Die Sache scheiterte – wenig verwunderlich – an zwei Dingen. Zum einen hatte Moskau eine Schattenflotte von 600 Öltankern im Einsatz, die 27 Prozent der weltweit vorhandenen Kapazitäten umfasste, und zum anderen konnten die Sanktionen mangels Kontrolle auf den Weltmeeren schwerlich durchgesetzt werden. Ein knappes Jahr nach der Einführung des ominösen Ölpreisdeckels resümierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung trocken : „Öltanker vor Russlands Küste : Das Land verkauft Rohöl oberhalb des Preisdeckels.“ 

Dass der Versuch, einen Ölpreisdeckel von 60 US-Dollar pro Fass durchzusetzen, von Anfang nicht den gewünschten, sondern sogar den gegenteiligen Effekt mit sich brachte, darauf machte der liberale Ökonom und Putin-Gegner Wladislaw Inosemcev anlässlich eines Referates in Wien aufmerksam. Denn in den 60 US-Dollar sind bereits alle Abgaben und Steuern, die dem russischen Staat zustehen, enthalten. Die Förderung des Erdöls schlägt bloß mit 19 US-Dollar pro Fass zu Buche. Das heißt im Klartext, dass der russische Staat keinerlei finanzielle Einbußen befürchten muss, selbst wenn Gazprom oder andere Energiekonzerne nur um 60 US-Dollar verkaufen. Allenfalls diese Firmen leiden an einer gewissen Profitklemme, das russische Finanzministerium hingegen überhaupt nicht. (12)

Die russischen Energieriesen wussten sich ohnedies zu helfen und umschifften den Preisdeckel elegant. Wie das gemacht wurde, beschrieb der Russland-Korrespondent der Welt und der Wiener Presse folgendermaßen : „Die Handelsfirma übernimmt von russischen Lieferanten das Öl am Ostseehafen Primorsk beziehungsweise am Schwarzmeerhafen Noworossijsk gewissermaßen zu einem All-Inclusive-Preis, der unter dem vom Westen verfügten Preisdeckel von 50 Dollar liegt. Damit sind die Sanktionen formal eingehalten. Für den Weitertransport bis zu Endabnehmern wie Indien oder China schlägt die Handelsfirma Transport- und Versicherungskosten auf.“  (13) Der Clou an der Sache : Die Handelsfirmen befinden sich zum großen Teil im Besitz der russischen Ölkonzerne. So einfach gehts in der Marktwirtschaft.

EU legt ostdeutsche Öl-Raffinerie trocken

Zu Jahresbeginn 2023 versiegte russisches Erdöl, das über die Druschba-Pipeline nach Deutschland kam, um die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt zu befeuern. Durch die Leitung durfte nur mehr kasachisches Erdöl fließen. Was die Sanktionierer nicht bedachten, war die Geografie. Kasachstan soll jährlich 1,2 Millionen Tonnen Rohöl durch „Druschba“ pumpen. Um dies bewerkstelligen zu können, bedarf der staatliche Konzern KazTransOil freilich der Genehmigung seines russischen Gegenübers Transneft. Denn zwischen Kasachstan und Deutschland liegt nun mal Russland. Die Transitgenehmigung wurde von russischer Seite rasch erteilt. Wie viel Transneft dafür einstreicht, kann in der EU freilich niemand sagen. Dass Moskau bei der Transaktion Geld verdient, ohne Öl beisteuern zu müssen, dürfte den Verantwortlichen aber mittlerweile dämmern.

Neben Erdöl hat Brüssel auch russisches Erdgas im Visier. Seit dem 5. April 2022, sechs Wochen nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine, kann „Gazprom Germania“ nicht mehr auf sein Eigentum zugreifen. Ab diesem Zeitpunkt wird der Konzern von der deutschen Bundesnetzagentur treuhändisch verwaltet, was durch das Energiesicherungsgesetz juristisch ermöglicht wurde. Nach offizieller Lesart wollte Berlin damit Moskau zuvorkommen :

„Um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten, wird die Bundesregierung die Treuhandverwaltung der Gazprom Germania längerfristig absichern und das durch Sanktionen von russischer Seite ins Straucheln geratene Unternehmen über ein Darlehen vor der Insolvenz bewahren. Mit diesem Vorgehen behält die Bundesregierung den Einfluss auf diesen Teil der kritischen Energieinfrastruktur und verhindert eine Gefährdung der Energiesicherheit.“

Mit „russischen Sanktionen“ war ein geplanter Verkauf gemeint, durch den der russische Eigentümer im März 2022 den EU-Sanktionen ausweichen wollte. Dem kam Berlin zuvor. Undurchsichtige Eigentumsverschiebungen folgten, bis der Bund im November 2022 die frühere Gazprom-Tochter verstaatlichte.

Auf ein allgemeines Importverbot von russischem Gas konnte sich die EU bis zu Redaktionsschluss dieses Buches nicht festlegen. Zu wichtig ist der Rohstoff für Industrie und Haushalte in weiten Teilen der Union. Stattdessen tobt der Kampf um russisches Erdgas auf anderen Ebenen.

Der Kampf um Nord Stream 2

Am 8. November 2011 war die Welt – konkret : die Beziehung zwischen Moskau und Berlin – noch in Ordnung. An diesem Dienstag erfolgte die Einweihung von Nord Stream 1 durch Langzeitkanzlerin Angela Merkel und Kurzzeitpräsident Dmitri Medwedew. Ab diesem Zeitpunkt floss sibirisches Erdgas in zwei Strängen vom russischen Vyborg ins vorpommerische Lubmin. Erstmals waren Russland und Deutschland direkt – unter Wasser – energetisch verbunden. Die Nord Stream AG war ein Gemeinschaftsprojekt der Mehrheitseigentümerin Gazprom mit der deutschen Wintershall Dea, E.ON und dem französischen Gasversorger Engie SA.

Bereits zwei Jahre später (2013) wurde mit den Planungen zweier weiterer Röhren begonnen. Nord Stream 2 verläuft weitgehend parallel zu der bereits bestehenden Pipeline und sollte jährlich weitere 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr über Deutschland in die Europäische Union pumpen. Die Technik der Rohrverlegung unter Wasser war aufwendig und nur wenige Unternehmen in der Welt sind dazu imstande. Zu den technischen Problemen, die letztlich allesamt gelöst werden konnten, gesellten sich schwerwiegendere wirtschafts- und geopolitische Hindernisse. Polen und die Ukraine waren von Anfang an „natürliche“ Feinde der Nord-Stream-Projekte, erlaubten diese doch, russisches Gas direkt nach Deutschland zu leiten und die über Land laufenden Pipelines in Polen und der Ukraine zu umgehen. Mit den USA verfügten die beiden osteuropäischen Länder über einen machtvollen Verbündeten. Der Vorsitzende des einflussreichen US-Think-Tanks „Stratfor“, George Friedman, betonte 2015 auf einem Vortrag in Chicago eine Grundkonstante amerikanischer Geopolitik, die darin bestand, eine enge Verbindung von deutscher Technologie und russischen Rohstoffen zu verhindern. (14)

In der Energiefrage kam es bereits 1961, wie weiter oben beschrieben, zu US-Sanktionen gegen ein deutsch-sowjetisches Erdgas-Röhren-Geschäft, das tatsächlich boykottiert werden konnte. Zwanzig Jahre später trat Washington erneut gegen eine energetische Zusammenarbeit zwischen Moskau und Bonn auf, scheiterte damals aber an der konsequenten Haltung von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Die Errichtung einer Pipeline war die Folge.

Washingtons Werkzeuge: Von Sanktionen bis Sprengstoff

Gegen Nord Stream 2 brachte Washington sein gesamtes Arsenal an ökonomischem Kriegswerkzeug – und zuletzt wohl auch militärischen Sprengstoff – zum Einsatz. Im Jahr 2017 verschärfte sich die Gangart der USA gegen die deutsch-russische Energiekooperation, als der amerikanische Senat mit 97 : 2 für die Ausweitung von antirussischen Sanktionen stimmte. (15) Damit gerieten auch westeuropäische Unternehmen wie die OMV, die über einen Kredit in der Höhe von 730 Millionen Euro an Nord Stream 2 finanziell stark engagiert war, ins Fadenkreuz. Österreichs damaliger Bundeskanzler Christian Kern reagierte prompt und nannte das neue US-Gesetz eine „illegale Bedrohung der europäischen Energiesicherheit“. (16) Der deutsche Außenamtssprecher Martin Schäfer äußerte sich ähnlich und bezeichnete die durch den US-Senatsbeschluss möglich gewordene Bestrafung europäischer Unternehmen als „politisch inopportun“ und „völkerrechtswidrig“, ein Tonfall, der ein paar Jahre später nicht mehr zu hören war.

In den USA agierte man mittlerweile völlig offen und ohne jede diplomatische Gepflogenheit nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen alle Unternehmen, die am Bau der Nord Stream 2 beteiligt waren. „Wie viele Menschen wissen, sind wir gegen das Nord-Stream-2-Projekt, die US-Regierung ist dagegen“, meinte die Sprecherin des US-Außenamtes Heather Nauert während eines Pressebriefings Mitte Mai 2018. „Wir glauben, dass das Nord-Stream-2-Projekt die Energiesicherheit und die Stabilität in Europa insgesamt untergräbt.“

Eineinhalb Jahre nach Baubeginn von Nord Stream 2 unterschrieb dann US-Präsident Donald Trump im Dezember 2019 ein „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“. Es heißt auch im Original so : “Protecting Europe’s Energy Security Clarification Act”. Die Verantwortlichen in Brüssel oder Berlin ließen Washington ohne großen Einwand gewähren, schon gar keinen, der einer solchen Frechheit mit Taten entgegengetreten wäre. Das US-Gesetz zielte einzig auf die Fertigstellung von Nord Stream 2 ; und bewirkte tatsächlich, dass die mit der Verlegung der Röhren in 30 Meter Tiefe beauftragte Schweizer Firma „Allseas“ unmittelbar danach – noch vor Weihnachten 2019 – ihre Arbeit einstellte. Ersatz für „Allseas“ war schwer zu bekommen ; jedenfalls nicht im transatlantischen, von Washington abhängigen Raum. Das angeforderte russische Verlegerschiff „Akademik Cherskij“, das einzige seiner Art, werkte gerade im fernen Wladiwostok und es dauerte sechs Monate, bis es Anfang Mai 2020 vor Ort in der Ostsee ankam. Es ging nun darum, die letzten 150 Kilometer Röhren für die Pipeline auf dem Meeresgrund zu versenken und zu befestigen.

Einen besonders unappetitlichen Tiefpunkt erreichte die US-Sanktionsmaschine gegen Nord Stream 2 im August 2020. Damals geriet die 10.000 EinwohnerInnen zählende Gemeinde Sassnitz auf Rügen ins Visier der USA. Drei extra angereiste US-Senatoren drohten dem Sassnitzer Bürgermeister und Linken-Politiker Frank Kracht, ihn auf die schwarze Liste zu setzen. Weil die Gemeinde mit 10 Prozent am Fährhafen im Ortsteil Mukran beteiligt ist, soll ihn die Härte der extraterritorialen Sanktionen treffen, inklusive Einreiseverbot ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Sein Vergehen : Er ließ das russische Schiff „Akademik Cherskij“ fallweise im Hafen anlegen, damit die Matrosen beispielsweise Lebensmittel besorgen konnten. Kracht kommentierte das US-Ansinnen als „Gipfel der Unverfrorenheit“. Die mecklenburg-vorpommerische Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) reagierte auf den US-Vorstoß mit der Bemerkung, man werde am Bau von Nord Stream 2 festhalten. Und selbst die EU-Kommission ließ verlauten, dass sie extraterritoriale Sanktionen für völkerrechtswidrig halten würde.

Der vorgebrachten Kritik folgte allerdings keine Tat, schon gar nicht in Berlin. Im Gegenteil. Denn zwischenzeitlich war im Juni 2021 die erste Röhre und im September 2021 die zweite Röhre von Nord Stream 2 fertiggestellt worden. Die Kosten beliefen sich auf 9,5 Milliarden Euro. Der Bau war abgeschlossen und die Leitungen mit Gas gefüllt, man hätte mit der Lieferung beginnen können ; es brauchte nur jemanden, der in Lubmin den Hahn aufdrehte. Stattdessen stoppte die technisch dafür zuständige Bundesnetzagentur das Zertifizierungsverfahren. Als Vorwand diente der für große Teile der Infrastruktur in Deutschland zuständigen Agentur die Schweizer Registrierung des Unternehmens „Nord Stream 2 AG“, das seit 2016 zu 100 Prozent im Eigentum von Gazprom stand. Im Wortlaut liest sich dies folgendermaßen :

„Die Bundesnetzagentur ist nach eingehender Prüfung der Unterlagen zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Zertifizierung eines Betreibers der Leitung Nord Stream 2 nur dann in Betracht kommt, wenn der Betreiber in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert ist.“

Damit wollte man sicherstellen, dass die schon Jahre zuvor ebenfalls gegen Gazprom gerichtete EU-Gasrichtlinie bei Nord Stream 2 umgesetzt wird. Diese besagt, dass Betrieb der Leitung und Vertrieb des Gases unternehmerisch getrennt sein müssen. Das Management des Konzerns wollte dem nachkommen, wie auch die Bundesnetzagentur zugibt. Warum bis dahin allerdings der Betrieb nicht hätte aufgenommen werden können, erschließt sich nicht. Denn die Bundesnetzagentur „entscheidet nicht über die Aufnahme des Betriebs, sondern prüft die regulierungsrechtlichen Fragen, zum Beispiel die Einhaltung der Entflechtungsregeln“, so ihr Sprecher, der im Handelsblatt zitiert wird. „Sollten zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme die entflechtungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sein, so kann die Bundesnetzagentur dies als Ordnungswidrigkeit ahnden.“ Die Androhung eines Bußgeldes schreckt im Wirtschaftsleben meist niemanden ab, wenn dies um Zehnerpotenzen unterhalb des erwartbaren Gewinns liegt, was beim Gasgeschäft sicherlich der Fall war, wie das Handelsblatt am 16. November 2021 einräumte.

Tatsächlich war zu diesem Zeitpunkt, also noch vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine, schon klar, dass sich Berlin gegen weitere russische Gasimporte entschieden hatte. Umso klarer wurde dies, als drei Wochen später eine neue Bundesregierung unter Olaf Scholz (SPD) ihr Amt antrat. Außenministerin Annalena Baerbock wandte sich von ihrem ersten Arbeitstag an gegen weitere deutsch-russische Kooperationen.

Russische Gegenmaßnahmen

Mittlerweile hatte man auch in Moskau mitbekommen, dass es mit Gaslieferungen durch Nord Stream 2 auf absehbare Zeit nichts werden würde. Dazu erließ Brüssel am 23. Februar 2022 das 1. Sanktionspaket gegen Russland, dem in den Wochen darauf eine Kaskade an weiteren Paketen folgte. Die Stimmung im Kreml war entsprechend und man befürchtete, dass die bis dahin teuerste Investition in ein Energieinfrastrukturprojekt – die 9,5 Milliarden Euro – sich in Luft auflösen könnten.

Um den Druck auf die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu erhöhen, ließ sich die russische Seite eine Reihe von restriktiven Maßnahmen einfallen, mit denen Gaslieferungen über die grundsätzlich funktionierende Nord Stream 1 reduziert wurden. Damit wollte man die Notwendigkeit von Nord Stream 2 unterstreichen. Besonders wirkungsvoll in diesem Reigen an – letztlich wirkungslosen – Erpressungsversuchen erwies sich die Ankündigung von Schäden an Turbinen, die an sogenannten Verdichterstationen für die Weiterführung des Gases sorgen.

Wie ein solcher Kleinkrieg im Detail ablief, zeigt der Fall einer schadhaften Turbine aus Portowaja nahe Vyborg, die im Frühjahr 2022 von ihrer Herstellerfirma Siemens ins kanadische Reparaturwerk verbracht wurde. Nach erfolgter Reparatur und Wartung verweigerte Ottawa mit dem Hinweis, das 20 Tonnen schwere Gerät stünde auf der kanadischen Sanktionsliste, den Rücktransport nach Europa. Der Kreml reagierte am 14. Juni 2022, indem er die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 um 60 Prozent kürzte. (17) Ohne diese Turbine, so die Erklärung, könnte der nötige Druck nicht aufrechterhalten werden, um 100 Prozent zu liefern ; Ersatzturbinen seien keine verfügbar. Diese Argumentation war seltsam, mussten in der Vergangenheit immer wieder Siemens-Turbinen in die einzig dafür zuständige Reparaturwerkstatt nach Kanada verschickt werden, ohne dass sogleich Drosselungen für den Gasexport nötig geworden wären. Nach hektischen Verhandlungen zwischen dem deutschen Wirtschaftsminister und seinem kanadischen Gegenüber gelang es Robert Habeck, für die in Kanada festsitzende Turbine eine Ausfuhr-Sondergenehmigung zu erhalten, allerdings nicht nach Russland, wo sie benötigt wurde, sondern nach Deutschland. Der Transfer ins russische Portowaja nahe Vyborg schien nur eine Formsache.

Doch die Moskauer Behörden fanden eine neue Möglichkeit, um die Wichtigkeit von Nord Stream 2 zu betonen. Die Zollpapiere für die Einfuhr der Turbine nach Russland ließen auf sich warten. (18) Und ausgerechnet in diesen Tagen wurde eine zweite Turbine schadhaft. Gazprom ließ daraufhin am 27. Juli 2022 den Export um weitere 50 Prozent drosseln, wodurch nur mehr 20 Prozent der möglichen Kapazität in Deutschland ankamen. Innerhalb von Stunden schoss der Gaspreis an der Rotterdamer Börse um 30 Euro pro Megawattstunde auf 200 Euro in die Höhe. Als dann Moskau Anfang September 2022 ein Öl-Leck meldete, kletterte der Gaspreis auf dem Rotterdamer Markt auf 280 Euro. Jedem Beobachter war klar, dass Moskaus übles Spiel mit dem Gaspreis die Rache für die Blockade von Nord Stream 2 war – und auch dafür, dass Brüssel mit Rückendeckung Berlins 300 Milliarden Euro an russischen Zentralbankgeldern eingefroren hatte.

Nach Pipeline-Sprengung: Wenig Aufklärungsinteresse in Berlin

Am 26. September 2022 beendete dann eine Marine-Spezialeinheit aus (mutmaßlich) den USA den Kampf um Nord Stream 2. Die Sprengung der 9,5 Milliarden Euro teuren Pipeline, eigentlich ein Terrorakt gegen eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte Deutschlands, verursachte verdächtig wenig Aufsehen in Berliner Regierungskreisen ; wohl deshalb, weil jedermann – und auch Frau Baerbock – wusste, wer hinter dem Anschlag stand. (19) Bereits am 7. Februar 2022 hatte US-Präsident Joe Biden in Washington die Sprengung der energetischen deutschen Nabelschnur angekündigt. Die russische Invasion der Ukraine voraussehend, erklärte Biden damals :

„Wenn Russland einmarschiert, das heißt Panzer oder Truppen über die Grenze der Ukraine fahren, dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden das beenden.“

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz stand währenddessen zwei Meter neben Biden und hielt sich am Mikrofon fest. Zwei Wochen später überquerten russische Panzer die Grenze zur Ukraine. Einer der Verbündeten Washingtons, der langjährige polnische Außenminister Radosław Sikorski, meldete sich unmittelbar, nachdem eine enorme Gasblase aus der Ostsee blubberte, mit den Worten : „Thank you America“.

Fazit eines jahrzehntelangen Kampfes

Zum schrittweisen, aber stetig erfolgten Hinausdrängen Russlands als Energielieferant für Westeuropa sind abschließend drei Bemerkungen bedeutsam : 1) es hat nur bedingt funktioniert ; 2) die eigentlichen Gewinner sind US-Konzerne ; 3) Erdgas konnte damit als frei handelbare Ware etabliert werden.

Dass die Sanktionen gegen Moskau nicht den gewünschten Effekt erzielen, ist bereits mehrfach betont worden. Gegen das Erdöl-Embargo ging Moskau mit einer riesigen Schattenflotte vor, die auf den Weltmeeren nicht kontrolliert werden kann. Auf die Sprengung oder Sperrung von Gaspipelines antwortete die russische Seite mit einem verstärkten Export von Flüssiggas. Weil bis Redaktionsschluss dieses Buches der Import von russischem LNG-Gas in der EU nicht offiziell verboten ist, haben Länder wie Spanien (um 80 Prozent) und Frankreich diesen seit 2022 sogar signifikant gesteigert.

Als – vorläufiger – Sieger im Kampf um den Energiemarkt sind unschwer die USA auszumachen. Im Verkauf von Erdgas sind US-Konzerne zu Global Players aufgestiegen. Das ist insofern nicht selbstverständlich, als bis vor Kurzem ein rigides Exportverbot von Öl und Gas bestand. Erst im Jahr 2016 hob der US-Kongress mit dem „Energy Policy and Conservation Act“ das seit 1975 in Kraft befindliche Verbot von Energieexporten auf. Er tat dies bereits in weiser Voraussicht eines heraufdräuenden Wirtschaftskrieges gegen Russland, der nach dem Kiewer Majdan im April 2014 Fahrt aufgenommen hatte. Bereits seit 2021 sind die USA Marktleader für gefracktes Gas in EU-Europa, insbesondere in Deutschland. Dafür wurden eigene Hafenanlagen mit Terminals für die Regasifizierung in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Lubmin aus dem Meer gestampft. Damit hilft die sogenannte Ampel-Regierung mit ihrem grünen Wirtschaftsminister jenen Schaden zu kompensieren, den mutmaßlich US-Marines bei der Sprengung von Nord Stream 2 hinterlassen haben, zum Vorteil amerikanischer Importeure.

Ein vielfach nicht wahrgenommener Effekt des Vormarsches von Flüssiggas auf dem Weltmarkt ist die Tatsache, dass die Verschiffbarkeit den Rohstoff Erdgas zu einer ganz normalen Handelsware gemacht hat. Zuvor war der Transport in großen Mengen nur über Pipeline-Systeme durchführbar. Dies hatte langfristige Investitionsvorhaben zur Voraussetzung, die in jahrzehntelangen Lieferverträgen ihren Ausdruck fanden. Damit verbunden war die Notwendigkeit stabiler politischer Beziehungen zwischen Herkunfts- und Empfängerländern des Rohstoffs zur Absicherung einer dauerhaften Zusammenarbeit. In unserem Fall verband diese das russische Sibirien mit weiten Teilen EU-Europas.

Dies hat sich mit der Möglichkeit des Transports verflüssigten Erdgases grundlegend geändert. Nun können Gaslieferungen von einem Tag auf den anderen verhandelt und umgeleitet werden, Preise und Liefermengen unterliegen keinen langfristigen Vereinbarungen mehr. Eine Reihe von großen Playern ist bereits in dieses Geschäftsmodell eingestiegen. Neben den USA und Katar sind dies vor allem Russland und Australien. Wie volatil diese Art von Markt – gegenüber der an Pipelines gebundenen Form – ist, zeigte ein Ende Januar 2024 von US-Präsident Biden erlassenes Moratorium, das weitere Exporte von Flüssiggas nicht mehr genehmigte. Diese Entscheidung war der kurzfristigen Erkenntnis zu verdanken, im Vorwahlkampf Punkte bei grün-affinen WählerInnen zu sammeln, die gegen das Fracking von Erdgas aus Klimaschutzgründen auftreten. Russland und andere Länder stehen bereit, diese Lücke zu füllen.

Hannes Hofbauer: Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland, Promedia, 256 Seiten, 22 Euro

Über den Autor: Hannes Hofbauer, Jahrgang 1955, Studium der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Publizist und Verleger. Von ihm ist u.a. erschienen: „Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung“ (2016) sowie „Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte“ (2022).

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Anmerkungen

(1) Cain, Das US-Handelsembargo, in : Bernd Greiner u. a., Ökonomie im Kalten Krieg. Hamburg 2010, S. 445

(2) Gemeint war die „Freundschafts“-Leitung.

(3) Georg W. Ball, Über das Durchschneiden von Pipelines und unserer eigenen Gurgel. In : Washington Post vom 11. März 1982, übersetzt in : Harald Müller/Reinhard Rode, Osthandel oder Wirtschaftskrieg ? Die USA und das Gas-Röhren-Geschäft. (Hessische Stiftung für Konfliktforschung, Report vom Mai 1982), Frankfurt/Main, S. 66

(4) Autorenkollektiv, Wirtschaftskrieg – Boykott – Embargo. Berlin/DDR 1984, S. 16 ; siehe auch : Claudia Wöhrmann, Osthandel als Problem der atlantischen Allianz. Erfahrungen aus dem Erdgas-Röhren-Geschäft mit der UdSSR. Bonn 1986 (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Bd. 38), S. 146 f.

(5) Autorenkollektiv, S. 19

(6) Müller/Rode, Osthandel oder Wirtschaftskrieg? Die USA und das Gas-Röhren-Geschäft. (Hessische Stiftung für Konfliktforschung, Report vom Mai 1982), Frankfurt am Main, S. 30

(7) Handelsblatt vom 16. November 1982, zit. in : Autorenkollektiv, S. 19

(8) Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (Bonn) vom 25. Juni 1982, S. 563, zit. in : Autorenkollektiv, S. 65

(9) Christian Müller, Der Erdgas-Röhren-Konflikt 1981/82, in : Greiner u. a., S. 516

(10) New York Times vom 19. Februar 1981, zit. In : Ebd., S. 511

(11) Polen und die baltischen Republiken verlangten einen Preisdeckel von 30 US-Dollar pro Barrel, konnten sich aber damit nicht durchsetzen.

(12) Vortrag von Wladislav Inosemcev im „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche“ am 27. Mai 2024 in Wien.

(13) Die Welt vom 19. Mai 2024

(14) Siehe : Elke Schenk, Der heimliche Krieg. Die EU-Energiepolitik erklärt Russland den Wirtschaftskrieg. S. 7

(15) Wiener Zeitung vom 17./18. Juni 2017

(16) ebenda

(17) Maurice Höfgen, Der neue Wirtschaftskrieg. Berlin 2022, S. 141

(18) Ebd., S. 143

(19) Siehe dazu : Florian Warweg, Nord Stream als Kriegsgrund. In : Hannes Hofbauer/Stefan Kraft, Kriegsfolgen. Wie der Kampf um die Ukraine die Welt verändert. Wien 2023

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