
Streitkultur im Deutschlandfunk
WALTER VAN ROSSUM, 24. Juni 2025, 10 Kommentare, PDFDa fährt man nach getaner Arbeit mit dem Auto nach Hause und nutzt die Zeit, dem medialen Mainstream zu lauschen. Im Deutschlandfunk (DLF) läuft in der Sendung „Streitkultur“ ein Streitgespräch. Es geht um die Frage: Darf man Vertreter der AfD zu Live-Interviews oder in Talkshows einladen? Wieder einmal ein Problem mit den Grenzanlagen. Daran arbeitet die Anstalt eigentlich schon Tag für Tag: Feinde identifizieren, beobachten, anklagen. Denn die Demokratie ist bedroht. Der äußere Feind heißt Putin, der kurz davorsteht, sich die Ukraine unter den Nagel zu reißen, um bald Polen und Deutschland einnehmen zu können. Der innere Feind heißt AfD. Gesichert rechtsextrem – mehr braucht man eigentlich nicht zu wissen. Dank dieser beiden Feinde wirkt die Wüste der politischen Mitte so, als habe sie ein Programm, das von den angeschlossenen Sendern und Zeitungen dem Volk verkündet wird. Die Medien der Oberwelt arbeiten zwar ständig am Mauerbau, doch man weiß wenig über die journalistischen Prinzipien ihrer Arbeit. Darüber erfahren wir in diesem Streitgespräch so einiges.
Es streiten sich Christiane Florin, Abteilungsleiterin „Kultur aktuell“ des Deutschlandfunks, mit dem Abteilungsleiter „Aktuelles“ des nämlichen Senders, Friedbert Meurer. Moderiert wird das knapp 25-minütige Gespräch von Deutschlandfunkmitarbeiter Jonas Reese. Wie zu erwarten, handelt es sich tatsächlich weniger um ein Streitgespräch als vielmehr um eine Art Tribunal, das längst sein Urteil gefällt hat. Es geht jetzt nur noch um die interne Beratung der Richter über das Strafmaß.
Christiane Florin vertritt die Position von „Spiegel“ und „Zeit“, die Interviews mit der AfD ablehnen, weil – wie die „Spiegel“-Redakteurin Ann-Katrin Müller in einem Einspieler erklärt – die Gesprächspartner von der AfD einfach „jegliche Normalität der Gesprächsregeln verletzten“. Daher sei es „sehr schwierig ein gewinnbringendes Gespräch zu führen“. Dagegen macht der Vertreter der Gegenseite Friedbert Meurer geltend, der Deutschlandfunk verstehe sich als eine Bühne des Dialogs für möglichst alle Meinungen in diesem Land. „Wir versuchen konträre Teile dieser Gesellschaft zusammenzuhalten. Wir wollen Leute halten, die sonst Gefahr laufen, sich vom System abzuwenden.“ Journalismus als Sozialarbeit. Christiane Florin hingegen sieht Journalisten wie sich selbst eher als „Wächter dieser liberalen Demokratie. Wir sind zu Objektivität und Ausgewogenheit verpflichtet, aber nicht zur Neutralität.“
Offenbar ist dieser Journalistin entgangen, dass man seit einigen Jahren kaum mehr von einer liberalen Demokratie sprechen kann. Politik und Medien haben den Pluralismus auf Besenkammerformat gebracht und sind dabei in der Wahl der Mittel nicht zimperlich. Wer den herrschenden Auffassungen in Sachen Pandemie, Ukraine, Israel oder Klima zu widersprechen wagt, wird geächtet. Bestenfalls wird er aus der regierenden Öffentlichkeit entfernt, darüber hinaus sollte man den Verlust des Arbeitsplatzes und die Kündigung seiner Konten schon mal einkalkulieren. Zahlreiche frisch geschmiedete Instrumente strafrechtlicher Verfolgung erwarten die Delinquenten. Ein ziemlich gnadenloses Mobbing ist schier unvermeidlich. Aber wie soll eine Journalistin das verstehen, die glaubt, sie könne objektiv sein und doch auf Neutralität verzichten?
In den Augen von Frau Florin haben nicht die Mainstreammedien knallharte Spaltung betrieben, sondern die AfD habe sich selbst vom Platz gestellt. Wie der Name schon sagt: „Alternative“. Das heißt doch, dass sie anders sei als die anderen Parteien und deshalb sei es konsequent, sie auch anders zu behandeln. Schließlich missachte die AfD die Menschenwürde, sie wolle den demokratischen Diskurs zerstören – „ganz offen, sie macht ja keinen Hehl daraus“ – und sie bekämpfe unabhängigen Journalismus. Nicht zu vergessen, dass sie jetzt auch als „gesichert rechtsextrem“ vom Verfassungsschutz eingestuft wurde. Christiane Florin spult den Kanon des geläufigen AfD-Bashings ab. Keiner wird ihr in dieser Runde widersprechen. Wie auch? Schließlich hat der mediale Mainstream in jahrelanger, keine Kosten und Mühen scheuenden Arbeit dieses dämonische Bild der AfD selbst hergestellt.
Als Beweis zitiert der Moderator ein frisches Beispiel. Erst vor wenigen Tagen habe man in der Sendung „Information am Morgen“ Beatrix von Storch zu den Friedensverhandlungen in Istanbul interviewt. Und in diesem Interview habe die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende mehrfach erklärt, dass die Ukraine auch selbst schuld sei, wenn es zu keinen Verhandlungen komme – und zwar wegen der Drohnenangriffe auf „schweres Gerät“ der Russen – wie der Moderator die extrem gefährliche Ausweitung der Kampfzone runtermoderiert, um zu schließen, dass es sich dabei um eine klassische Täter/Opfer-Umkehr handle.
Wie immer man zu der Einschätzung von Storchs stehen mag, nichts daran ist prinzipiell unsäglich oder unverhandelbar. Wenn man begründbar der Meinung ist, dass Russland die Ukraine nicht aus imperialem Übermut angegriffen hat, sondern um sich vor einer akuten Bedrohung zu schützen, dann handelt es sich unvermeidlicherweise um eine Uminterpretation der verbreiteten Täter/Opfer-Konstellation. So ist es nun mal, wenn man kontrovers über Kriege und ihre Gründe diskutiert. Die beiden Diskutanten sind alt genug, um sich deutlich daran erinnern zu können, dass es in diesem Lande sehr heftige Kontroversen über Kriege gegeben hat, und vor allem über die, an denen die Bundesrepublik sich beteiligt hatte. Da stellte man sich sogar im Deutschlandfunk gelegentlich die Frage, ob nicht etwa die NATO der Täter sei und die Serben das Opfer. So lange nicht her und doch offenbar völlig entrückt.
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich die AfD zur Zeit tatsächlich an einer so offensichtlichen wie bösartigen Täter/Opfer-Verdrehung leidenschaftlich beteiligt, wenn nämlich der militärische Überfall Israels auf den Iran als Selbstverteidigung interpretiert wird. Hier steht die AfD im besten Einvernehmen mit den Vertretern der von ihr so genannten Systemparteien. In diesem Falle dürfte einem Live-Interview nichts entgegenstehen.
„Ich habe etwas gegen Interviews, wo ich weiß, mein Gegenüber lügt, wenn ich weiß, dass mein Gegenüber Täter/Opfer umkehrt“, erklärt Christiane Florin. Offenbar bevorzugt diese Abteilungsleiterin Gespräche, in denen sich zwei Inhaber der geteilten und einzigen Wahrheit die Klingen kreuzen. Lügen lassen sich aufdecken und über Täter und Opfer könnte man diskutieren. Doch beides darf offenbar nicht sein. „Ein Interview mit AfDlern kennzeichnet, dass die mit mir keine gemeinsame Kommunikationsbasis teilen. Die AfD lässt sich gar nicht auf die Fragen ein. Deren Kommunikationsstrategie zielt auf Diskurszerstörung.“
Man muss es wohl umgekehrt sehen. Wenn ein Vertreter der AfD zu einem Gespräch in einen Sender eingeladen wird, zu dessen Programmschwerpunkten die Dämonisierung, die Kriminalisierung und Pathologisierung der AfD gehört, ist eine „gemeinsame Kommunikationsbasis“ vermutlich an sich schon schwer zu finden. Wenn aber jede erwartbare Antwort von Seiten der AfD als Moment einer Strategie der Diskurszerstörung und offensichtliche Lüge bewertet wird, wird die Sache aussichtslos. Mit anderen Worten: Christiane Florin lehnt Gespräche mit der AfD ab, weil es der großen jahrelangen, kollektiven Dämonisierungsarbeit schaden könnte.
Doch Friedbert Meurer hält an seiner Vorstellung vom Deutschlandfunk als Bühne für alle fest. Er glaubt, die Dämonisierung ließe sich in ein Gespräch mit dem Daimon integrieren. Für solche Fälle wie die AfD empfiehlt er eine neue Gesprächssorte: das „kontroverse“ Interview. Er lobt den fabelhaften Gebrauch dieser Technik durch den Moderator im Duell mit Frau von Storch. Der habe nämlich mit den Menschenrechtsverletzungen und „schweren Folterungen in Butscha“ gekontert. So macht man das, wenn man verhindern will, dass AfDler den DLF als Bühne nutzen und „salbadern“. Mission accomplished! Die Gefahr eines Gesprächs ist gebannt.
Es wird Zeit, die Kollegen an die bewährten Gepflogenheiten eines leider restlos entsorgten Journalismus zu erinnern. Ein Interviewer sollte entweder kritische Fragen stellen oder ein Streitgespräch moderieren. Unseren beiden Abteilungsleitern scheint eher eine Art Diskursschwadron vorzuschweben, die darauf trainiert ist, Interviewpartner mundtot zu machen oder bereits im Vorfeld aus dem Weg zu räumen.
Christiane Florin ist entsetzt über den Ungehorsam von AfD-Gesprächsgegnern. „Das ist hier schon vorgekommen in Interviews. Da wird dann schon die erste Frage minutenlang auseinandergenommen. Da wird pausenlos von CO2-Ideologie gesprochen, von Klimaideologie. Dann sieht man einerseits, wie diese Partei öffentlich-rechtliche Medien in ihrem Kern angreift. (…) Wir werden im Kern angegriffen, auf der anderen Seite werden wir benutzt, um diese Partei zu nobilitieren.“ Man wird es der AfD nachsehen müssen, dass sie einige Vorbehalte gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner aktuellen Verfassung hegt. Dieses Streitgespräch bietet Gründe im Übermaß. In gewisser Weise kann man deshalb Friedbert Meurer zustimmen: „Es ist schwer, mit dieser Partei zu reden. Die Partei entzieht sich in weiten Teilen einer Diskurshöhe, wie wir sie im DLF erwarten. Das ist schwierig, deshalb werden sie bei uns ja auch nur selten interviewt.“
Beim Anhören des Streitgesprächs kommt nach einer Weile die Frage auf: Worum geht es hier eigentlich? Man muss sich in Erinnerung rufen, dass hier über eine einzige, eher peinlich kleinliche Frage debattiert wird: Soll oder soll man nicht live ausgestrahlte Gespräche mit der AfD führen? Christiane Florin ist strikt dagegen. Es gehöre zur Strategie dieser Partei, in einem Satz drei Unwahrheiten unterzubringen. „Ein guter Moderator kann dann vielleicht bei einer Sache widersprechen, aber der Rest bleibt drin.“ Während Friedbert Meurer mutig glaubt, man könne die unliebsamen Gäste am Nasenring durch die Arena führen. Damit habe man seinen journalistischen Informationsauftrag erfüllt und würde so Teile des kritischen Publikums am Ohr der Öffentlich-Rechtlichen halten.
Man möge dem Autor dieser Zeilen nachsehen, dass er darauf verzichtet hat, genau zu ermitteln, wie oft AfD-Parteigänger in Live-Gesprächen im Deutschlandfunk zu Worte kommen. In gewisser Weise ist dieser laue Disput schlicht gegenstandslos. Ein paar alte Grenzpfähle – mehr nicht. Erhellend ist es da, wo es Einblicke in die Gepflogenheiten und auch in die tiefen Ängste der medialen Oberwelt gewährt.
Offensichtlich funktioniert die Propaganda des Mainstreams nur dann, wenn deren Öffentlichkeit hermetisch abgedichtet wird gegen Widerspruch, Zweifel und kritische Argumente. Für Dämonisierer sind Gespräche gefährlich. Es fallen Argumente und unversehens werden Dämonen diskutabel. Dämonen sind mythische Wesen von fabelhafter Herkunft. Wer sie interpretiert, löscht ihre Kraft. Und so kann man nur deshalb pausenlos behaupten, dass Putin ein wahlweise durchgeknallter oder eisig berechnender Imperialist sei, der alte russische, nein sowjetische Größe mit Waffengewalt wiederherstellen wolle, weil sich zuverlässig im Raum dieser Öffentlichkeit niemand befindet, der auch nur nach den Quellen solcher absoluten, also mythischen Gewissheiten fragte.
Im Kern geht es in diesem „Streitgespräch“ nur darum: Riskiert man, dass in einem Live-Gespräch Stichworte der oppositionellen Unterwelt die sterilen Benutzeroberflächen der medialen Oberwelt verunreinigen, um dem Schein zu erwecken, der DLF sei „eine Bühne des Dialogs für möglichst alle Meinungen in diesem Land“, wie Friedbert Meurer allen Ernstes behauptet? Nein, das ist der Deutschlandfunk definitiv nicht. Dieses Streitgespräch ist das Manifest einer vorsätzlichen Gesprächsverweigerung. Aber die ersten Opfer dieser Monologe einer geschlossenen Gesellschaft sind die Journalistendarsteller selbst: gefangen hinter ihren Grenzanlagen.
Über den Autor: Walter van Rossum, Jahrgang 1954, schloss seine Studien der Romanistik, Philosophie und Geschichte in Köln und Paris 1988 mit einem Doktortitel ab. Er arbeitete als freier Autor unter anderem für den Deutschlandfunk, die ZEIT und die FAZ. 2004 erschien „Meine Sonntage mit Sabine Christiansen“, 2007 „Die Tagesshow: Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht“. 2021 folgten „Meine Pandemie mit Professor Drosten: Vom Tod der Aufklärung unter Laborbedingungen“ sowie „Die Intensiv-Mafia: Von den Hirten der Pandemie und ihren Profiten“. Bis 2021 moderierte er die Buchsendung „Gutenbergs Welt“ im WDR-Hörfunk.
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