Der WHO-Generalsekretär auf der Weltgesundheitsversammlung am 20. Mai 2025 in Genf | Bild: picture alliance/Keystone / Magali Girardin

Mit Allgemeinplätzen gegen neue Pandemien

Nach mehrjährigen Verhandlungen hat die WHO nun den sogenannten Pandemievertrag beschlossen. Vieles bleibt unverbindlich, zugleich werden vorhandene Trends einer Zentralisierung und Militarisierung von Gesundheitspolitik verfestigt – und erhebliche Geldsummen in diese Richtung gelenkt. Welche Relevanz hat das Dokument?

JEAN MERLIN VON AGRIS, 23. Mai 2025, 3 Kommentare, PDF

„Die Welt ist heute sicherer geworden“, verkündete WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus nachdem die Delegierten der Weltgesundheitsversammlung am Dienstagmorgen dem Pandemieabkommen zugestimmt hatten. Auf dessen Text einigten sich die Verhandlungsführer Mitte April. Gleichwohl entspricht das Ergebnis im Wesentlichen dem, was zu erwarten ist, wenn Diplomaten aus fast 200 Staaten dreieinhalb Jahre lang über Formulierungen streiten. Die USA und Argentinien haben sich zwar Anfang 2025 zurückgezogen und sind aus der WHO ausgetreten, aber es handelt sich immer noch um ein Dokument, dem Delegierte etwa aus Russland und der Ukraine, dem Iran und Israel, Indien und Pakistan zugestimmt haben. Das Ergebnis ist also eine 30-seitige Aneinanderreihung vager Absichtserklärungen, immer ergänzt um den Hinweis auf die Souveränität der Nationalstaaten und den Vorrang nationaler Gesetzgebung – oder aber in Tedros’ Worten: „ein Triumph der öffentlichen Gesundheit, der Wissenschaft und des multilateralen Handelns“.

Ursprünglich sollte das Abkommen schon letzten Mai zeitgleich mit der Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) verabschiedet werden, doch die Verhandlungen stockten vor allem im Spannungsfeld zwischen dem Schutz geistigen Eigentums der Pharmaindustrie einerseits und dem Technologietransfer sowie Verteilungsmechanismen zur Sicherung eines möglichst freien Zugangs zu „pandemierelevanten Gesundheitsprodukten“ andererseits. Bei solchen Produkten handelt es sich vor allem um Impfstoffe, Medikamente und Diagnoseprodukte wie z. B. Schnelltests. In einer der wenigen konkreten Zusagen im neuen Abkommen verpflichten sich die noch zu definierenden „teilnehmenden Hersteller“ solcher Produkte, in künftigen Pandemien 20 Prozent ihrer Produktion der WHO zur Verfügung zu stellen, und zwar je zur Hälfte als Spende und zu „erschwinglichen Preisen“.

Die Ausgestaltung des dafür vorgesehenen „Pathogen Access and Benefit Sharing“ (PABS)-Systems, also eines Systems des Zugangs zu Krankheitserregern und daraus entstehenden Vorteile wie z. B. Impfstoffe, wurde jedoch in einen Anhang ausgelagert, über den bis zur nächstjährigen Weltgesundheitsversammlung separat verhandelt werden soll. Erst danach werden Staaten das Pandemieabkommen ratifizieren. Die nun erfolgte Einigung ist also vor allem symbolisch bedeutend, um einen Gesichtsverlust aller Beteiligten zu vermeiden.

Zugleich konsolidiert das Pandemieabkommen jedoch das Thema „Pandemieprävention, -vorbereitung und -management“ (pandemic prevention, preparedness and response) als politisches Handlungsfeld, zu dessen Ziel in den letzten Jahren bereits zahlreiche neue Institutionen geschaffen wurden. Die Ausgaben für die Vorbereitung auf künftige Pandemien haben sich nach Schätzungen des Instituts für Gesundheitsmessung und -bewertung (IHME) bereits zwischen 2009 und 2019 mehr als vervierfacht und mit der Coronapandemie ist das Thema unübersehbar in den Mittelpunkt der globalen Gesundheitszusammenarbeit gerückt. Im Pandemieabkommen sagen die Staaten der Welt zu, entsprechende Ausgaben künftig zumindest nicht zu verringern.

Von Impfgerechtigkeit

Das Abkommen ist das symbolische Herzstück eines größeren Reformprozesses, den die WHO auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie angestoßen hat und der aus den „Fehlern“ der Coronajahre lernen soll. Die im September in Kraft tretenden Änderungen der IGV erlauben dem WHO-Generaldirektor künftig, eine „pandemische Notlage“ auszurufen. Diese stellt eine Steigerung der gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite dar, die seit 2005 achtmal ausgerufen wurde und aktuell bzgl. des Mpox-Ausbruchs in Zentralafrika besteht.

Das Pandemieabkommen verleiht der Ausrufung des Pandemiefalls jetzt die ersten einigermaßen konkreten Auswirkungen in Form des genannten PABS-Systems sowie eines noch gleichermaßen unbestimmten „koordinierenden Finanzmechanismus“, der Entwicklungsländern im Pandemiefall schnell Nothilfen auszahlen soll. Seine Unterzeichner versprechen eine engere Zusammenarbeit in der Vorbereitung auf künftige Pandemien, bzw. bei deren Prävention, und bekennen sich nebenbei auch zu all dem, was dabei irgendwie hilfreich wäre, wie dem universellen Zugang zu Gesundheitsversorgung und sauberem Wasser. Im Mittelpunkt steht aber eindeutig die Überwachung von Krankheitserregern und die schnelle Entwicklung und Verteilung „pandemierelevanter Gesundheitsprodukte“, unter dem Leitprinzip „Equity“, das sich hier wohl am besten mit „Verteilungsgerechtigkeit“ übersetzen lässt.

Um das zu verstehen, muss man wissen, worin das Global Health-Establishment aus WHO und verbundenen Philanthropen, NGOs und wissenschaftlichen Beratern die größte Verfehlung der Coronajahre sehen. Der ungleiche Zugang zu Impfstoffen wurde nicht nur von Vertretern ärmerer Staaten moniert, sondern auch von UN-Generalsekretär Antonio Guterres als „größtes moralisches Versagen unserer Zeit“ gebrandmarkt. Das Weltwirtschaftsforum behauptet, eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen hätte über eine Million Leben gerettet. Während in Deutschland genügend Vakzine bestellt wurden, um die gesamte Bevölkerung vom Säugling bis zum Greis siebenmal zu impfen und in Europa Impfstoffe im Milliardenwert ungenutzt abgelaufen sind und entsorgt wurden, fühlen sich insbesondere viele afrikanische Staaten übergangen.

Tatsächlich erhielten Entwicklungsländer größere Mengen an Corona-Impfstoffen erst Monate nachdem die reicheren Erdteile „durchgeimpft“ waren. Als in Deutschland im August 2021 mit der Einführung der 3G-Regel allmählich aus einem allgemeinen Impfangebot ein allgemeiner Impfdruck wurde, waren in Ländern niedrigen Einkommens erst 1,5% der Menschen geimpft, viele davon mit chinesischen Impfstoffen, die in der EU als minderwertig galten und nicht zur Einreise berechtigt haben.

Die Frage, ob die Durchimpfung der Welt angesichts der begrenzten und rapide abfallenden Schutzwirkung und der zahlreichen berichteten Nebenwirkungen auch des vermeintlich überlegenen Pfizer-BioNTech-mRNA-Impfstoffs überhaupt sinnvoll gewesen wäre, scheinen sich die Vertreter der globalen Pandemieagenda nicht zu stellen.

Doch selbst unterstellt, dass alle Coronaimpfungen einen sicheren und effektiven Schutz vor schweren Verläufen böten, sind globale Vergleiche von Impfquoten unsinnig. In Deutschland waren zwei Drittel der Corona-Toten über 80 und 95 Prozent über 60. In Afrika umfasst diese Risikogruppe nur einen Bruchteil der Bevölkerung, jeder zweite ist unter 18. Zudem legt eine Meta-Analyse von Blutuntersuchungen von Bergeri et al. nahe, dass Mitte 2021 die meisten Afrikaner bereits eine Coronainfektion hinter sich hatten. Sicher und effektiv waren die Impfstoffe derweil für ihre Hersteller, die dank der Notfallzulassungen von Haftungspflichten befreit wurden und Rekordprofite auf Kosten der Steuerzahler machen konnten.

Dass genesene 20-Jährige in Nigeria oder im Kongo auch während der Pandemie dringendere Bedürfnisse hatten als an zwei Dosen der Pfizer-BioNTech-mRNA zu kommen, sollte jeder verstehen können, der nicht an deren Vermarktung verdient. Es geht jedoch ums Prinzip. Die von Entwicklungsländern und NGOs angemahnte strukturelle Ungleichheit bestünde auch, wenn sich eines Tages eine viel gefährlichere Krankheit weltweit verbreiten sollte und Gegenmittel effektiv, aber knapp wären. Arme Länder ohne eigene Produktionskapazitäten müssen sich dann hinten anstellen.

Der neue Verteilmechanismus soll hier zwar für mehr Gerechtigkeit sorgen, aber in der Praxis würden Deutschland oder China wohl auch in Zukunft ihren eigenen Bedarf sichern, bevor sie der WHO größere Mengen zur Verteilung bereitstellen würden. Für Absprachen zwischen Staaten und Herstellern fordert das Abkommen mehr Transparenz ein, freilich immer nur „wie angemessen“ und „im Einklang mit nationalen Regelungen“. Es ist fraglich, ob sich Ursula von der Leyen von solchen windelweichen Formulierungen davon hätte abhalten lassen, Milliardengeschäfte mit dem Pfizer-CEO auf dem kurzen Dienstweg zu vereinbaren.

Das alles wissen natürlich auch die Unterhändler ärmerer Länder, weshalb die Bruchlinie bei den Verhandlungen über das Pandemieabkommen vor allem entlang von Fragen des Technologietransfers verlief. Entwicklungsländer wollen nicht von Almosen abhängig sein, sondern selbst Impfstoffe und Medikamente produzieren, ohne teure Patentgebühren an die Pharmariesen des Nordens zahlen zu müssen. Das Pandemieabkommen enthält daher ausführliche Bekundungen, die Produktion von Pandemieprodukten zu „geodiversifizieren“. Mehr internationale Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung und vereinfachte Lizenzierungsverfahren sollen den Technologietransfer gewährleisten. Allerdings verlieren sich die Formulierungen auch hier durchweg im Allgemeinen und zusätzlich hat die EU noch in den letzten Stunden der Verhandlungen durchgesetzt, alle Zusagen zum Technologietransfer mit zusätzlichen einschränkenden Fußnoten zu versehen.

Den Viren auf der Spur

Das zweite entscheidende Versagen der Coronajahre, auf das sich Expertenkommissionen wie das von den G20-Staaten einberufene internationale Panel einigen können, lag darin, die Entstehung und anschließende weltweite Verbreitung des neuartigen Coronavirus überhaupt zugelassen zu haben. Noch immer glauben viele Experten, SARS-CoV-2 habe einen natürlichen Ursprung in Fledermäusen oder Schuppentieren – oder geben einen solchen Glauben zumindest aus diplomatischen Gründen vor, wie es Recherchen der ZEIT und der Süddeutschen Zeitung im Falle der Regierungen Angela Merkels und Olaf Scholz’ nahelegen, die die gegenteilige Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes geheimhielten.

Um künftige Zoonosen zu verhindern, fordert das Pandemieabkommen einen sogenannten „One Health“-Ansatz. One Health steht grundsätzlich nur für die Selbstverständlichkeit, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt eng zusammenhängen. So banal das scheint, war die Aufnahme des One Health-Prinzips in das Pandemieabkommen durchaus bis zuletzt umstritten, weil etwa afrikanische Vertreter feststellten, dass ihnen die Ressourcen dafür fehlen, die Entwicklung von Krankheitserregern nicht nur im Menschen, sondern auch in Tierpopulationen zu überwachen. Das Beispiel der Vogelgrippe zeigt derweil, dass Erreger mit hohem Zoonoserisiko zumindest dort, wo man es sich leisten kann, schon lange im Visier der Forscher sind.

So oder so spüren künftig noch mehr Labore den neuesten Mutationen all der Viren nach, mit denen wir bisher gänzlich unbekümmert gelebt haben. Basierend auf deren Genomen werden dann in den Laboren der Universitäten und Pharmakonzerne „pandemierelevante Gesundheitsprodukte“ entwickelt und über das noch zu konkretisierende PABS-System verteilt. Davon, dass zur Entwicklung solcher „Benefits“ auch weiterhin gefährliche Gain-of-Function-Forschung betrieben wird, ist im Pandemieabkommen nirgendwo die Rede, wenngleich wenigstens beiläufig auch eine verbesserte Laborsicherheit angestrebt wird. In der vorherrschenden Logik der Pandemieplanung lauert die Gefahr jedoch in der Natur, in Fledermäusen, Zugvögeln und Nutzgeflügel.

Aus dem Labor kommen dagegen Pandemieprodukte, die künftig noch viel schneller entwickelt und zugelassen werden sollen. Die 100 Days Mission, die vor allem von der öffentlich-privaten Partnerschaft CEPI vorangetrieben wird, strebt an, dass in der nächsten Pandemie in nur 100 Tagen Impfstoffe verfügbar sind. Denjenigen, die die Notfallzulassung der Coronaimpfstoffe als voreilig beurteilen, kann diese Zahl nicht geheuer sein. Andererseits waren die Coronaimpfstoffe möglicherweise auch deswegen viel weniger effektiv als anfangs propagiert, weil das Virus schneller mutiert ist als die Impfstoffentwicklung und -zulassung mithalten konnte. Mit der Ratifizierung des Pandemieabkommens sagen Staaten zu, Rahmenbedingungen für die rasche Notfallzulassung von Pandemieprodukten zu schaffen. Plausibel ist, dass, wie Amrei Müller vorhersagt, das „Emergency Use Listing“-Verfahren der WHO als „globale De-Facto-Notfallzulassung“ noch mehr Einfluss gewinnt.

Keine Lockdowns aus Genf

Doch was wurde eigentlich aus der globalen „Machtergreifung“ der WHO, vor der eine fünfhunderttausendfach unterschriebene Petition gegen das Abkommen warnte? Solche Sorge entstand, nachdem zwischenzeitlich kursierende Vorschläge zu Änderungen der IGV der WHO die Möglichkeit gegeben hätten, Staaten im Pandemiefall verbindliche Empfehlungen zu Gegenmaßnahmen auszusprechen. Letztlich bleiben alle WHO-Empfehlungen jedoch unverbindlich. Auch ohne den zivilgesellschaftlichen Widerstand wäre eine solche Selbstaufgabe staatlicher Souveränität wohl kaum konsensfähig gewesen.

Gleichwohl misstrauen viele der WHO, seit die Organisation es billigte, wie Lockdowns nach chinesischer Inspiration weltweit Millionen in Armut stürzten und eine Generation an Kindern und Jugendlichen in ihrer Entwicklung behinderten. Dabei beschreibt ihre Verfassung Gesundheit eigentlich als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“ und nicht als die bloße Abwesenheit von Krankheit, der in der Coronazeit alles untergeordnet wurde. Obwohl punktuell Fehler eingestanden werden, gelten Lockdowns den Befürwortern der globalen Pandemieagenda noch immer als notwendiges Übel. Der argentinische Präsident Javier Milei begründete seine Entscheidung zum Austritt seines Landes aus der WHO ausdrücklich mit deren Billigung der Lockdowns.

Die Autoren des Pandemieabkommens zeigen, dass sie diese Kritik wahrnehmen. Darin heißt es in ungewöhnlich deutlichen Worten: „Nichts im WHO-Pandemieabkommen ist so auszulegen, dass es das Sekretariat der WHO, einschließlich des Generaldirektors, befugt, innerstaatliche Rechtsvorschriften oder politische Maßnahmen einer Vertragspartei zu lenken, anzuordnen, zu verändern oder anderweitig vorzuschreiben oder einer Vertragspartei sonst wie aufzuerlegen oder von dieser zu fordern, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen wie z. B. Reisende zu akzeptieren oder abzuweisen, die Auferlegung von Impfvorschriften oder therapeutischen oder diagnostischen Maßnahmen oder Lockdowns.“ Praktisch ist diese Klausel freilich wirkungslos, denn die darin ausgeschlossenen Auslegungsmöglichkeiten bestehen ohnehin nicht.

Bezüglich nicht-pharmazeutischer Maßnahmen sagen die Unterzeichner des Pandemieabkommens lediglich zu, Forschung zu deren Wirksamkeit und Einhaltung zu betreiben. Das umfasst nicht nur die Epidemiologie, sondern auch die Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Zudem sollen Staaten darauf hinwirken, das Wissen der Bevölkerung in den Bereichen Wissenschaft, öffentliche Gesundheit und Pandemien zu stärken.

Erwähnungen der Verhaltenswissenschaften („behavioral sciences“) sind geeignet, bei denen Argwohn auszulösen, die sich erinnern, wie z. B. im Innenministerium diskutiert wurde, die menschliche Urangst vor dem Ersticken auszunutzen, um in der Gesellschaft „die gewünschte Schockwirkung zu erzielen“ oder wie Verhaltenswissenschaftler der britischen Regierung erfolgreich rieten, „das empfundene Maß persönlicher Bedrohung“ müsse erhöht werden. Gleichwohl gehört es grundsätzlich zu den selbstverständlichen Aufgaben der WHO und nationaler Gesundheitsbehörden, sich damit zu beschäftigen, wie ihre Empfehlungen auch angenommen werden. Sozial- und Verhaltenswissenschaftler beraten seit jeher Informationskampagnen, von „Gib AIDS keine Chance“ bis zu „Kenn dein Limit“, die im besten Fall Menschen darin bestärken, selbstbestimmte Entscheidungen zugunsten ihrer Gesundheit zu treffen.

Während der Coronazeit schuf die WHO den Begriff der „Infodemie“, definiert als „ein Überangebot an Informationen, zutreffend oder nicht, im digitalen und physischen Raum, das ein akutes Gesundheitsereignis wie einen Ausbruch oder eine Epidemie begleitet“. Mit der Überarbeitung der IGV wurde zudem „Risikokommunikation, einschließlich des Umgangs mit Fehl- und Desinformation“ als neue Kernkapazität aufgenommen, die Mitgliedstaaten anstreben.

Kritiker verstehen solche Worte als Euphemismus für Zensur. So brachte die AfD-Fraktion letztes Jahr einen Antrag gegen das Pandemieabkommen in den Bundestag ein, in dem sie vor Demokratieverlust und Informationskontrolle durch die WHO warnte. AfD-Gesundheitspolitiker Martin Sichert mahnte in seiner Rede: „Wer Meinungsfreiheit liebt, muss gegen den Pandemievertrag stimmen“. Im Gegensatz zu früheren Entwürfen ist im abschließenden Textentwurf nun nicht mehr die Rede davon, vermeintliche Fehlinformationen zu bekämpfen. Der Begriff „Misinformation“ wird nur noch in der Präambel genannt, wo das transparente Veröffentlichen von Informationen als Vorbeugemaßnahme gegen sie genannt wird. Realistisch wird das Pandemieabkommen wohl weder zu mehr Zensur noch zu mehr Transparenz führen.

Und wofür das Ganze?

So bleibt die Frage, wofür der ganze Aufwand nun eigentlich gut ist. Eine Schätzung von Wenham und Potluru von der London School of Economics kommt zu dem Ergebnis, dass die langwierigen Verhandlungen über das Abkommen schon bis Mai letzten Jahres über 200 Millionen US-Dollar gekostet hatten. Das ist freilich nur ein Bruchteil der öffentlichen Ausgaben für die Vorbereitung auf hypothetische künftige Pandemien. Der Betrag, den WHO, Weltbank und G20 dazu jährlich aufgerufen haben, entspräche etwa dem Zehnfachen der jährlichen Ausgaben für die Bekämpfung der Tuberkulose – einer Krankheit, an der gemäß den Zahlen der WHO in den letzten fünf Jahren etwa ebenso viele Menschen gestorben sind wie an Corona, bei viel niedrigerem Durchschnittsalter. Auch wenn die pro Jahr geforderten über zehn Milliarden US-Dollar an Entwicklungshilfe für Pandemieprävention wohl nicht zusammenkommen werden, bindet auch ein vorsichtigerer Zuwachs Mittel, die woanders fehlen. Dabei steht die Entwicklungszusammenarbeit nicht nur in den USA unter massivem Druck. Deutschland als bisher zweitgrößtem Geberland im Bereich der globalen Gesundheit kommt eine besondere Verantwortung dafür zu, Geld wirkungsvoll zu investieren.

In einem Forschungsprojekt an der Universität von Leeds, an dem der Autor dieses Texes beteiligt war, wurde gezeigt, dass alarmierende Aussagen von WHO, Weltbank und G20 bezüglich eines massiven und weiter steigenden Pandemierisikos nicht empirisch begründet sind. Zum Beispiel spricht die Weltbank von Millionen jährlichen Todesfällen durch Zoonosen, obwohl die Zahl tatsächlich im halben Jahrhundert vor der Coronapandemie auf die heutige Weltbevölkerung hochgerechnet bei weniger als 400.000 jährlich liegt, wovon 95% auf HIV entfallen.

Dass heute viel mehr neue Krankheitserreger gefunden werden als noch vor wenigen Jahrzehnten, ist kein Beleg für eine gestiegene Gefahr, sondern die Konsequenz eines gestiegenen Forschungsinteresses und vor allem moderner Diagnosemöglichkeiten. Der PCR-Test wurde erst in den 1980er Jahren entwickelt und ist vielerorts auch erst seit der Coronazeit flächendeckend verbreitet. Die meisten in den letzten Jahrzehnten neu entdeckten Krankheitserreger, wie z. B. antibiotikaresistente Keime in Krankenhäusern, führen nicht zu größeren Ausbrüchen und wären in früheren Zeiten unbemerkt geblieben. Die Ebola-Ausbrüche in Westafrika und im Kongo waren zwar lokal dramatisch, aber auch eindämmbar.

Und selbst Pandemien sind meistens keine globalen Katastrophen. Die Schweinegrippepandemie 2009 war sogar harmloser als eine durchschnittliche Grippesaison. Corona kann angesichts der starken Indizien für einen Laborursprung kaum sicher zu den Zoonosen gezählt werden. So oder so wäre es mit seiner hohen Übertragbarkeit und einer Infektionssterblichkeit von ca. 0,3% eher ein Ausreißer als die Bestätigung eines Trends.

Darüber, dass Pandemien besser vermieden werden sollen, sind sich wohl alle einig. Nur ihre übertriebene Darstellung als wachsende und existenzielle Bedrohung für die Menschheit rechtfertigt jedoch den Ausbau eines gewaltigen institutionellen Apparates zu ihrer Prävention und Bekämpfung. Das Pandemieabkommen ist das Aushängeschild dieser neuen Pandemieindustrie, die in den letzten Jahren mehr oder weniger still herangewachsen ist.

Dazu gehören neben der erwähnten 100 Days Mission etwa Projekte für eine umfassendere, besser koordinierte Überwachung von Krankheitserregern, für die der 2021 bei der Weltbank eingerichtete Pandemiefonds bereits fast sieben Milliarden gesammelt hat. Ebenfalls 2021 wurde der WHO Pandemic Hub in Berlin eröffnet, in dem über 100 Mitarbeiter an einer besseren Zusammenführung weltweiter epidemiologischer und virologischer Daten arbeiten, um eine Art Frühwarnsystem zu betreiben. In Südafrika soll der WHO mRNA-Hub den internationalen Technologietransfer fördern.

Auch um das komplexe Ökosystem verschiedener Pandemieinitiativen zu koordinieren, sollen die Unterzeichnerstaaten des Pandemieabkommens Pandemiepläne entwickeln, die die gesamte Gesellschaft („whole-of-society“) umfassen und in einem echten Krisenfall möglicherweise ebenso ignoriert würden, wie es mit den bestehenden Plänen im Jahr 2020 geschah. Zudem müssen sie der WHO regelmäßig über ihre Fortschritte in der Pandemierüstigkeit Bericht leisten. Auf dieser Grundlage veröffentlicht diese dann „Richtlinien, Empfehlungen und nicht-bindende Maßnahmen“.

Die tatsächliche Bedeutung dieser neuen globale Pandemiebürokratie ist fraglich. Das Pandemieabkommen reiht sich in eine lange Liste internationaler UN-Vereinbarungen, von denen viele außerhalb eines kleinen Fachpublikums kaum Beachtung finden. Dass solche auch ohne Kontroll- und Vollstreckungsmechanismen eine Wirkung entfalten können, zeigt derweil der bis dato einzige vergleichbare internationale Vertrag auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit, das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs von 2003. Es schuf Normen, deren Erfüllung von Staaten seitdem erwartet wird, beispielsweise das Verbot von Tabakwerbung oder Rauchverbote zum Nichtraucherschutz. In einem Urteil über das EU-Verbot von Mentholzigaretten verwies der Europäische Gerichtshof etwa auf die im Rahmenübereinkommen formulierten Erwartungen.

Es bleibt abzuwarten, ob die Welt durch das Pandemieabkommen wirklich sicherer geworden ist, wie der WHO-Generaldirektor behauptet oder ob das gestiegene Interesse an der Erforschung pandemischer Erreger umgekehrt sogar das Risiko erhöht. Letztlich ist Papier geduldig, vor allem wenn es den Briefkopf einer UN-Organisation trägt. Wenn beispielsweise die sogenannten „Nachhaltigen Entwicklungsziele“ der UNO mit derselben Vehemenz verfolgt würden wie einst Unmaskierte und Ungeimpfte, wäre die Welt wohl wirklich besser auf künftige Pandemien vorbereitet. Dann hätten nämlich wesentlich mehr Menschen Zugang zu ärztlicher Versorgung, sauberem Wasser, hygienischen Sanitäranlagen und gesunder Ernährung.

Das entspräche auch der ursprünglichen Mission der WHO, Gesundheit als ganzheitliches „körperliches, geistiges und soziales Wohlergehen“ zu fördern. Stattdessen findet Pandemieprävention weiterhin vorrangig auf der molekularen Ebene statt – und die internationale Gesundheitsdiplomatie wird sich ein weiteres Jahr lang fast ausschließlich mit Fragen der Verteilung „pandemierelevanter Gesundheitsprodukte“ beschäftigen.

Über den Autor: Jean Merlin von Agris, Jahrgang 1990, ist Doktorand an der Universität Leeds und forscht im Projekt „Re-Evaluating the Pandemic Preparedness And REsponse Agenda“ (REPPARE) zur internationalen Pandemiepolitik. Er hat einen Masterabschluss in Entwicklungsökonomie von der Universität Göttingen. Vor Beginn seines Promotionsstudiums sammelte er Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit und in der öffentlichen Statistik.

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MICHAEL KARI, 24. Mai 2025, 07:10 UHR

Für mich stellt es sich als reinen Wirtschaftsvertrag dar, der zwar freiwillig und unverbindlich sein soll, aber bei Nichtbefolgung sicher schwere Nachteile für den Meuterer bedeutet. Hier zeigt sich wieder der Firmencharakter unserer bekannten Welt und wer das Sagen hat. Zumal wenn selbst Russland dem zustimmte, dann frage ich mich auch, warum "unsere Demokratie" Krieg führt, gegen Russland. Beides sind offensichtlich Geschäftsgebaren. Zwei Seiten einer Medaille. Alles ist Kommerz! Es geht weder um Krankheiten, Pandemien, erst recht nicht um Gesundheit. Es geht um's Geld, um absolute Kontrolle, um Macht und alle IWF- Mitglieder sind darin verwoben. Ein Moloch, der nicht mehr zu bremsen ist.

SE, 24. Mai 2025, 13:10 UHR

Es wird lange Zeit wirken, Jahrzehnte!

Wie die Agenda 21, "Rio Deklaration", auch. Sämtliche Stadtplaner und umgebende Verwalter, etwa Bürgermeister, handeln heute danach ohne von dem Dokument zu wissen. Die interessiert auch nicht, wenns ihnen unter die Nase gehalten wird. Es hat eine Denk-, Rede- und Darstellungsweise etabliert ... und das hat etabliert, dass praktisch alle Ortschaften heute nach eben dieser Weise verwaltet und damit gleichgeschalten sind. Jeder öffentliche Spielplatz zeigt das, oder auch diese Terrarium-Baumaßnahmen, die Verwalter als "Renaturierung" bezeichnen; in der Wirklichkeit haben die mit Natur genauso wenig zu tun wie ein Zoo. Dem Zoo gleich allerdings, "leiten" (vorschreiben) diese Baumaßnahmen, wie und wo sich Menschen hindurchzubewegen haben und "gewähren" (nötigen) bestimmten, ausgewählten Tier- und Pflanzenarten so zu "leben" (dahinexistieren), dass die Menschen sie beim geleiteten Hindurchbewegen sehen können. Mein Bürgermeister spricht dann von "Abenteuer", was die Bürger, dank ihm und seiner Baumaßnahme, nun "erleben" können. Damit dieses "Abenteuer" auch sicher ist, wird noch ein Halteseil am Bachlauf angebaut.

... so ist und wird das Pandemiegerede Denken und Wahrnehmen komplett verbiegen, in ein vollständig surreales "Weltbild" ...

STRESSTEST, 25. Mai 2025, 14:55 UHR

"Tatsächlich erhielten Entwicklungsländer größere Mengen an Corona-Impfstoffen erst Monate nachdem die reicheren Erdteile „durchgeimpft“ waren."

Und das hat abertausenden Bewohnern dieser Entwicklungsländer das Leben gerettet:

"WHO-Daten belegen weltweiten drastischen Anstieg von Covid-Todesfällen nach Massenimpfungen
Eine weitere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Massenimpfungen gegen das Coronavirus nicht nur gescheitert sind, sondern die Lage sogar verschlimmert haben – mit den höchsten Todesfallzahlen in den Bevölkerungsgruppen mit der höchsten Impfrate. [...]

Ergebnisse

Die COVID-19-Todesfälle stiegen mit einer Impfquote zwischen 43,3 % (Afrika) und 1275,0 % (Westpazifik). Die Regionen Westpazifik (1,5 %) und Afrika (3,8 %) trugen am wenigsten zu den weltweiten kumulativen COVID-19-Todesfällen vor der Impfung bei, während Amerika (49,9 %) und Europa (27,6 %) die höchsten Zahlen aufwiesen. Amerika (39,8 %) und Europa (34,1 %) waren trotz hoher Impfquoten für mehr als 70 % der weltweiten COVID-19-Todesfälle verantwortlich, und der prozentuale Anstieg der COVID-19-Sterblichkeit und der Anteil der Personen älter als 65 Jahren korrelierten in Afrika signifikant (0,48)."

https://tkp.at/2025/04/26/who-daten-belegen-weltweiten-drastischen-anstieg-von-covid-todesfaellen-nach-massenimpfungen/

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