Mit Verhaltensökonomie „wirksam regieren“
BASTIAN BARUCKER, 9. Dezember 2024, 6 Kommentare, PDFHinweis: Dieser Beitrag ist auch als Podcast verfügbar.
Die fortschreitende Aufarbeitung der Pandemiepolitik fördert eine klaffende Lücke zwischen der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen und der vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz zutage. Angefangen von Schulschließungen über Maskenpflichten, 2G und Impfpflichten stellt sich ein Großteil der Verlautbarungen und Grundrechtseinschränkung als unverhältnismäßig und wissenschaftlich unbegründet dar. Es stellt sich die Frage, wie es möglich war, in der Bevölkerung mehrheitlich Akzeptanz für ein Regierungshandeln zu generieren, welches nicht der Gesundheit der Bevölkerung diente und gleichzeitig im Widerspruch zum gesunden Menschenverstand und der Wissenschaft stand. Warum haben Richter, Mediziner, Wissenschaftler, Journalisten und die Bevölkerung mehrheitlich mitgemacht?
„Wirksam regieren“
Diese Frage führt in das Feld politisch eingesetzter Verhaltensökonomie, auch Nudging genannt, welche ganz offiziell seit vielen Jahren weltweit eingesetzt wird, um, so der Name der dazugehörigen Initiative in Deutschland, „wirksam regieren“ zu können. Nudging dient dazu, mittels Anreizen bestimmte Verhaltensweisen zu erwirken. Es ist ein Versuch, den Behaviorismus, demzufolge das menschliche Verhalten studiert, vorhergesagt und gesteuert werden kann, wieder gesellschaftlich zu etablieren, wobei bereits die verniedlichende Bezeichnung (to nudge bedeutet stupsen) auf eine bewusste Manipulation hindeutet.
Die aktuelle Wahl von Bettina Rockenbach zur Präsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina ist ein Indiz für die steigende Bedeutung der Verhaltenswissenschaften. Rockenbach ist Professorin für Verhaltensökonomie und hat an der Universität Köln „die Bereitschaft des Einzelnen, in Situationen, in denen der 'homo oeconomicus' dies nicht tun würde, zum Wohle der kollektiven Interessen zu handeln“ erforscht. Die Formulierung erinnert an die spätere Impfkampagne, in der man sich nur „pieksen“ lassen sollte, um andere „zu schützen“ – was jedoch nicht den wissenschaftlichen Tatsachen entsprach.
Unter der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel startete im Jahre 2015 eine Initiative, welche aktuell unter dem Titel „Verhaltenswissenschaften und bürgerzentrierte Politik“ im Organigramm des Bundeskanzleramtes zu finden ist. Laut Webseite ist das Anliegen der dort arbeitenden sieben Wissenschaftler „politische Vorhaben erfolgreich umzusetzen.“ In den USA wurde bereits 2009 der Pionier des Nudging, Cass Sunstein, von der Regierung rekrutiert. Aktuell agieren weltweit Nudge-Units oder sogenannte Behavirol Insight Teams und bieten ihre Dienste Unternehmen und Regierungen an, um politisch gewünschtes Verhalten zu bewirken.
Belohnung für richtiges Verhalten ist Wegfall der Strafe
Die Pandemiepolitik war durch verhaltenssteuernde Techniken gekennzeichnet, mit denen die Bevölkerung zu politisch vorgegebenen Verhaltensweisen gebracht werden und diese als richtig akzeptieren sollte: Abstand halten, Maske tragen, sich experimentelle modRNA-Präparate injizieren lassen. Der „Rückerwerb“ eigentlich unveräußerlicher Grundrechte durch die Einwilligung zur Injektion ist ein prominentes Beispiele solcher Konditionierung. Die Belohnung für das richtige Verhalten ist der Wegfall von Strafe.
Auch der global verwendete Slogan „Pandemie der Ungeimpften“, der eine Gruppe von Menschen ohne faktische Grundlage verantwortlich machte und somit Schuld und Scham induzieren sollte, ist kein medizinischer Fachbegriff und stellt ein Werkzeug für emotionsbasierte Verhaltensmanipulation dar. Auf diesen Slogan in einem Interview mit der „BILD“ angesprochen, erwidert Gesundheitsminister Lauterbach (SPD): „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich selbst von einer ‚Pandemie der Ungeimpften‘ gesprochen habe.“ Nachdem auf der Plattform X anhand verschiedener Tweets von Lauterbach gezeigt wurde, dass seine Erinnerung ihn täuscht, räumte er ein, diesen Slogan mehrfach genutzt zu haben.
Nicht überraschend war daher der Vertrauensverlust in das Impfen als Folge dieser manipulativen und vor allem politisch motivierten Impfkampagne. Statt jedoch diese Politik aufzuarbeiten, veranlasste Lauterbach den Umbau der Ständigen Impfkommission. Die Psychologin und Professorin für Gesundheitskommunikation Cornelia Betsch, die im Corona-Expertenrat saß und das RKI beriet, gab im Gesundheitssausschuss des deutschen Bundestages diesbezüglich zu Protokoll, die STIKO-Geschäftsstelle solle „mit Experten aus den sozialen Verhaltenswissenschaften unterstützt werden, die sich mit Kommunikation und Maßnahmenakzeptanz auskennen“.
Nudging-Techniken „immer transparent“
Eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion aus dem Jahr 2019 mit dem Titel: „Nudging als Regierungsinstrument der Bundesregierung“ beantwortete selbige mit der Aussage, es gebe „keinen übergreifenden 'Nudging'-Ansatz der Bundesregierung“. Nudging werde nicht genutzt, um „Personen auf subtile Weise in ihrem Verhalten zu beeinflussen.“ Stattdessen betonte die Bundesregierung mit Verweis auf Sunstein, dass angewandte Nudging-Techniken „per Definition immer transparent“ seien und „die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen erhalten“ bliebe.
Stimmen diese Aussagen mit aktuellen politischen Vorgängen überein? Der Soziologe Heinz Bude war im Frühjahr 2020 Mitautor des sogenannten Panikpapiers des Bundesinnenministeriums, welches empfahl, Menschen mithilfe von Bildern in Schockstarre zu versetzen, um ein gewünschtes Zielverhalten zu bewirken. Im Januar 2024 resümierte er auf einer Konferenz zu den Lehren aus der Corona-Krise:
„Wir haben gesagt, wir müssen ein Modell finden, um Folgebereitschaft herzustellen, das so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist. Und das war diese Formel 'Flatten the curve', dass wir gesagt haben: 'Wie können wir die Leute überzeugen mitzutun?' Wir sagen denen, es sieht so nach Wissenschaft aus, nicht? Man sagt, 'wenn ihr schön diszipliniert seid, könnt ihr die Kurve verändern'. Das heißt quasi, man kann – es gibt eine Veranschaulichung von individuellen Verhaltensveränderungen in einer Art von wissenschaftlicher Darstellbarkeit.“
Wurde die bewusste Erzeugung von Angst und die Vortäuschung von Wissenschaftlichkeit zu der Zeit transparent gemacht und öffentlich debattiert?
„Manipulation ist wesentlicher Bestandteil der Demokratie“
Die Beeinflussung der Massen auf Grundlage psychologischer Erkenntnisse ist ein vielfältig eingesetztes politisches Werkzeug und historisch betrachtet eines der wichtigsten Machtmittel. Edward Bernays, Vordenker der Massenpsychologie, konstatierte schon 1928:
„Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie.“
Dabei ist die bewusste Erzeugung von Angst ein zentrales Element der Manipulation. Der Psychologe und ehemalige Lehrstuhlinhaber für Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung Rainer Mausfeld widmet sich der Dynamik zwischen Angsterzeugung und Machtinteressen in seinem Buch „Angst und Macht“. Darin heißt es:
„Angsterzeugung ist ein Herrschaftsinstrument, und Techniken zum Erzeugen von gesellschaftlicher Angst gehören zum Handwerkszeug der Macht. Diese Einsicht ist so alt wie die Zivilisationsgeschichte.“
Inwiefern diese Art des Regierens demokratiekompatibel ist, beantwortete er in einem Vortrag 2019 so:
„Demokratie beruht nun auf der Leitidee der mündigen Bürger. Eine systematische Angsterzeugung würde aber grundlegend diese Leitidee unterminieren und die Möglichkeit mündiger Bürger blockieren.“
Die Professorin für Sozialpsychiatrie Dr, Annemarie Jost schreibt in einem Unterkapitel ihres Buches „Die Rettung unserer psychischen Gesundheit“ zum Thema Nudging:
„Angst vermindert die Fähigkeit zur kritischen Reflexion und erhöht die Bereitschaft, Führungspersönlichkeiten und Expert*innen zu folgen.“
Wo auch immer also Angst gemacht wird, die nicht im Verhältnis zur realen Gefahr steht, ergibt sich der Verdacht, dass Menschen manipuliert werden sollen, um politische Ziele durchzusetzen. Sie büßen dabei ihre Fähigkeit zum kritischen Denken erheblich ein und werden in einen leicht steuerbaren Zustand versetzt. Der abwägende Neokortex wird überwunden und eine affekt- und gefühlsbasierte Verhaltenssteuerung der Gesellschaft ermöglicht.
„Stupser in die richtige Richtung“
Offiziell wird die sanfte Manipulation der Massen als Kommunikationsmethode dargestellt und so in ihrer Wirkungsweise verharmlost. Der Untertitel der erwähnten Intitiative der Bundesregierung „wirksam regieren“ lautet „mit Bürgern für Bürger“. Der damalige Verteidigungsminister Heiko Maas bezeichnete Nudging 2015 in einem Zeitungskommentar als „sanften Stupser in die richtige Richtung und klugen Mittelweg zwischen Überregulierung und Laissez-faire“. Ein Ausspruch, der eher an einen Erziehungsratschlag erinnert, als an demokratisches Vorgehen auf Augenhöhe.
Ein prägnantes aktuelles Beispiel findet sich in den geleakten Protokollen des Robert Koch-Instituts (RKI). Dort heißt es im Januar 2023: „Monatsberichte und Impfdashboard werden zum Mai eingestellt. Bewertung von Impfnebenwirkungen wird nicht mehr möglich sein. Dies muss sehr gut kommunikativ begleitet werden, damit es nicht auf RKI zurückfällt.“
Auch auf EU-Ebene wird Nudging angewandt und öffentlich angepriesen. Die damalige Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, lobte die Außenbeauftragte der EU Federica Mogherini für ihre Manipulationskompetenz in einer Rede im Jahr 2017 wie folgt: „Ich habe selber in vier Jahren der Zusammenarbeit erlebt, wie klug, strategisch und empathisch du die Kunst des Nudging beherrschst.“
Klimawandel und Green Nudging
Robert Habecks Äußerungen zum Gebäudeenergiegesetz im Mai 2024 deuten ebenfalls auf ein Demokratieverständnis hin, was zwar im Widerspruch zu aufklärerischen Grundgedanken steht, sich jedoch im Einklang mit dem Weltbild eines zu bevormundenden Bürgers steht, der mittels Stupser zu politisch gewollten Zielverhalten bewegt werden soll. Seine Worte:
„Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, also wie heizen wir in Zukunft, war ja auch ehrlicherweise ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz, wenn er konkret wird, zu tragen – und ich bin zu weit gegangen.“
Auf der Webseite von „wirksam regieren“ heißt es zur Arbeitsweise:
„Mit empirischen Methoden werden Lösungen entwickelt und unter realistischen Bedingungen praktisch getestet.“
Das erinnert an die COSMO-Studie der bereits erwähnten Psychologin Cornelia Betsch, die während der Pandemiepoiitik die Akzeptanz der Bevölkerung wöchentlich unter die Lupe nahm. Auch beim Thema Klimaschutz wird diese praktische Form der Manipulation als wirksames Instrument angepriesen und findet als sogenanntes Green Nudging Anwendung. Cornelia Betsch, mittlerweile Leiterin des neu gegründeten „Institutes für planetares Gesundheitsverhalten“, ist der Meinung:
„Wenn wir Verhalten verstehen, dann können wir Verhalten auch verändern.“
Wer genau „wir“ ist und wer vorgibt, in welche Richtung Verhalten geändert werden soll, bleibt dabei offen. In einem Aufsatz mit dem Titel: „Umfassende Verhaltensdaten – ein Schlüssel zu wirksamer Klimapolitik“ äußern sich Cornelia Betsch und Mirjam Jenny – vormals Leiterin der Projektgruppe Wissenschaftskommunikation im Robert Koch-Institut – dazu wie folgt:
„Es ist offensichtlich, dass Erkenntnisse über das menschliche Verhalten hilfreich sind, wenn es darum geht, individuelle Verhaltensänderungen zu fördern. Fachleute werden sich zunehmend dessen bewusst, dass es nicht ausreicht, individuelle Verhaltensänderungen anzustreben … Regierungen sollten deshalb eine Infrastruktur für die Erhebung und Auswertung verhaltenswissenschaftlicher Daten bereitstellen.“
Vielleicht ist es letzten Endes eine Parallele zwischen Klimakrise und Killervirus, dass der vermeintliche Konsens in der Wissenschaft und die Alternativlosigkeit der verkündeten Maßnahmen so nicht gegeben sind, die durchgeführten Maßnahmen oft auch nicht primär dem Wohl der Gemeinschaft dienen, dem Steuerzahler und Wähler aber zugleich immense Kosten aufbürden und daher „richtig kommuniziert“ werden müssen.
Titelfoto: Bettina Rockenbach, Professorin für Verhaltensökonomie, seit September 2024 Präsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina | Bild: picture alliance/dpa | Jan Woitas
Über den Autor: Bastian Barucker, Jahrgang 1983, ist ausgebildeter Wildnispädagoge und Prozessbegleiter in Gefühls- und Körperarbeit. Er war Lehrbeauftragter an der Alice Salomon Hochschule Berlin und der Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam und begleitet seit mehr als 15 Jahren Menschen im Bereich Umweltbildung und Persönlichkeitsenwicklung. Seit 2020 ist er freier Journalist und schreibt unter anderem für die Berliner Zeitung, die Nachdenkseiten und den Nordkurier. Zum Thema Pandemiepolitik hat er außerdem auf seinem Blog Interviews und Artikel veröffentlicht. 2022 erschien sein Buch „Auf Spurensuche nach Natürlichkeit“.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Artikel wurde – in einer etwas kürzeren Variante – vom Autor zuerst der Berliner Zeitung angeboten, wo Bastian Barucker seit diesem Jahr zahlreiche Beiträge zur Corona-Aufarbeitung in der Rubrik „Open Source“ veröffentlichen konnte. Die Zeitung lehnte den vorliegenden Text im Oktober ab. Sie war zuletzt mehrfach von etablierten Medien kritisiert worden, im September ausdrücklich vom Magazin Übermedien und vom SPIEGEL für das Veröffentlichen der Texte Baruckers. Oppositionelle Medien hingegen lobten die Zeitungsrubrik „Open Source“, in der Gastautoren zu Wort kommen, als „aufklärerisches Modell“. Von Multipolar nach den Gründen für die Absage befragt, wollte sich die Berliner Zeitung nicht öffentlich äußern.
Weitere Artikel zum Thema:
- Nudging: Zur psychologischen Steuerung in der Corona-Krise (Jonas Tögel, 3.4.2023)
- Impfnötigung und individuelles Selbstbewusstsein – ein Erfahrungsbericht (Katharina Meuser, 9.4.2023)
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