
Medienkritik: Mehr als „trotziger Idealismus“
HELGE BUTTKEREIT, 17. April 2025, 10 Kommentare, PDFHinweis: Dieser Beitrag ist auch als Podcast verfügbar.
Wenn ein Insider über die Tagesschau auspackt, dann ist das interessant. Alexander Teskes Buch „Inside Tagesschau“ (Langen Müller Verlag) über die Vorgänge hinter den Kulissen in Hamburg-Lockstedt liefert bislang unbekannte Einblicke. Wer bestimmt, was im obersten Nachrichtenleitmedium gesendet wird? Welche Mechanismen stehen hinter den Beiträgen und wer sind die heimlichen Chefs? „Inside Tagesschau“ hat es in die Sachbuch-Bestsellerliste geschafft und zeugt davon, dass Medienkritik mittlerweile eine breite Leserschaft findet – Teskes Buch ist nicht das erste, auch Harald Welzer und Richard David Precht („Die Vierte Gewalt“) oder auch Michael Meyen („Die Propaganda-Matrix“) haben mit medienkritischen Büchern Bestseller gelandet. Ein Insider-Buch wie Teskes ist dabei vielleicht noch interessanter für die breite Öffentlichkeit.
Auch Danhong Zhang ist Insiderin. Die gebürtige Chinesin arbeitete in der China-Redaktion der Deutschen Welle. Sie hat beim Staatssender, der aus dem Bundeshaushalt finanziert wird, erlebt, was passiert, wenn man eine andere als die Mainstream-Meinung vertritt. Mittlerweile ist sie zurück in China, um dort frei über ihre Erfahrungen mit richtigen und falschen Meinungen über ihre Heimat in Deutschland zu schreiben. Das dürfte auf den ersten Blick überraschend sein, geht man von den allgemeinen Vorurteilen über Medien(un)freiheit in Deutschland und China aus. Zhangs Buch „Nur die richtige Meinung ist frei“ (FiftyFifty) liefert interessante Einblicke und erzählt eine spannende Geschichte, läuft aber vermutlich ob der Themen Deutsche Welle und China unter dem Radar und außerhalb der Bestsellerlisten.
Teske und Zhang kritisieren, dass sich der Meinungskorridor im Journalismus verengt. Sie vertreten – wie beispielsweise auch Welzer und Precht – das Bild eines objektiven Journalismus, der alle relevanten Positionen zu einem Thema in die öffentliche Diskussion bringt und zur Meinungsbildung in der Bevölkerung beiträgt. Aber wo war dieses Idealbild je verwirklicht? Ist es nicht nur eine ideologische Nebelkerze derer, die ihre Interessen durchsetzen wollen? Ist nicht die herrschende Meinung letztlich die Meinung der Herrschenden? Die Sozialwissenschaftlerin Renate Dillmann tendiert zu den letztgenannten Positionen. Ihr Buch „Medien. Macht. Meinung“ (PapyRossa) analysiert, wie die Medien die Öffentlichkeit zur Kriegstüchtigkeit drängen und welche Kontrolle die Herrschenden in Geschichte und Gegenwart auszuüben versuchen.
Dillmann hält dabei die Kritik, wie sie viele medienkritische Autoren äußern, für in der Sache richtig. Die Forderung nach „Reset und Neustart“, wie sie beispielsweise auch im „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“ gefordert wird, ist nach ihrer Darstellung aber ein „trotziger Idealismus“. Die Kritiker sind trotzig wider besseres Wissen. „Zu einer grundsätzlichen Kritik der Rolle und Funktion der Medien in der Bundesrepublik lassen sie sich trotz allem, was sie in ihren Redaktionen im Umgang mit Artikeln, Sendungen und kritischen Einwänden erlebt haben, nicht hinreißen.“ (Dillmann, S. 145) Dillmann hält diese grundsätzliche Kritik allerdings für nötig, die bei Teske kaum, bei Zhang etwas stärker geübt wird. Deren jeweilige Position soll im Folgenden kritisch reflektiert und mit Dillmanns (und anderen) Analysen zu Macht und Medien in Beziehung gesetzt werden.
Der Nachrichtenplaner
Alexander Teske hat bis Ende 2023 in der Planungsredaktion der Tagesschau gearbeitet. Und er hat sich viele Notizen gemacht. Notizen darüber, was alles dort läuft und vor allem was schiefläuft. Teske stellt Kollegen, ihre Marotten und Vorlieben vor. Er kann auf Basis der Notizen teilweise wortwörtlich aus den Konferenzen zitieren. Das bedient einen gewissen Voyeurismus beim Leser und liefert gleichzeitig interessante Einblicke in Wichtiges wie Unwichtiges. Die entscheidende Frage dabei ist, wer die Richtung bestimmt. Das sind laut Teske die Chefs vom Dienst – nicht die Chefredaktion.
„Die Chefs vom Dienst eint: Sie sind meinungsstark und haben ihre persönlichen Vorliegen. Dies widerspricht dem Selbstbild der Tagesschau vom neutralen, objektiven Beobachter der Nachrichtenwelt.“ (Teske, S. 23)
Was die Chefs vom Dienst nicht senden wollen, wird nicht gesendet. Der Chefredakteur will es anders? „Das ist mir scheißegal!“, zitiert Teske einen Chef von Dienst. Was nicht in ihr Weltbild passe, das schafft es nicht in die Sendung. Und da die Chefs vom Dienst sich meist eher links der Mitte verorten, hat dies auch eine Auswirkung auf die Nachrichtenauswahl. Was Teske außerdem stört?
„Die meisten haben nie vor der Kamera gestanden oder Beiträge realisiert. Sie kennen die Bedingungen, unter denen diese vor Ort entstehen, nicht oder nicht mehr. Sie haben dadurch wenig Gespür für die Realität in einem Studio.“ (Teske, S. 19)
Am Anfang klingt es danach, dass Teske die Realität außerhalb der Studiotüren meint. Der letzte Satz deutet dann in Richtung Medienrealität. Der Journalist und Redakteur Teske kritisiert also als Betroffener. Er selbst hat – noch als Redakteur des MDR – Beiträge für die Tagesschau gemacht und fühlt sich noch dazu als Ostdeutscher in einer von Westdeutschen dominierten Redaktion unverstanden. So zumindest klingt es hier und anderswo.

Sein Buch lese sich, schreibt Michael Meyen, „eher wie ein Bewerbungsschreiben für öffentlich-rechtliche Führungsaufgaben, so sich die Zeiten doch noch ändern sollten“. Die tiefere Analyse, wie die Frage, ob beispielsweise die Entkoppelung der Redakteure von der Wirklichkeit eines der Probleme ist, fehlt bei ihm. Er bleibt auch bei der soziologischen Betrachtung in der Betroffenheit stecken – auch wenn er sich mit der Elitenforschung und der Herkunft der Journalisten beschäftigt. In der Tagesschau habe lange der Blick auf hohe Mieten gefehlt, schreibt er.
„Denn festangestellte Tagesschau-Redakteure leben häufig in der eigenen Immobilie. Zuwanderung sehen sie auch deswegen mit anderen Augen, weil sie weniger damit in Berührung kommen. In ihren Wohnvierteln und an ihrem Arbeitsplatz begegnen sie selten Migranten. Auch das Gendern ist vielen Redakteuren ein Herzensanliegen – die Mehrheit ihrer Zuschauer lehnt es ab. Die Berichterstattung über Gaspreisbremse und Tankrabatt hat selten erwähnt, dass alle Einkommensschichten davon profitieren, auch die, die es nicht nötig haben. Die Gutverdiener profitieren sogar überproportional, da sie in größeren Wohnungen wohnen und größere Autos fahren.“ (Teske, S. 47)
Das ist alles verständlich, aber als Kritik zu dünn. Teske ist selbst im eigenen Kosmos stecken geblieben. Dass es bereits seit Jahren viel Kritik an Tagesschau und Co. gibt, kommt bei ihm nicht vor. Was es gibt, das ist die Banalität der Realität in der Redaktion. So erfahren wir, dass nur solche Redakteure Kommentare sprechen dürfen, die auf einer Liste stehen. Auf die kommen sie, weil ihr Haussender sie vorschlägt, warum bleibt offen.
Teske illustriert die Entscheidungsfindung an einem besonderen Fall: Sarah Frühaufs Kommentar gegen die Ungeimpften aus dem November 2021. In der Runde der Sendeanstalten stand es bei der Auswahl des Kommentators unentschieden, weiß er zu berichten. Am Ende entschied der Chefredakteur und trat damit eine Welle der Empörung gegen die Kommentatorin los, die im Buch wiederum seltsam banal daher kommt. Teske schreibt einige launige Bemerkungen über Kollegen, die den Shitstorm der Kritiker der Corona-Maßnahmen auf Twitter beobachten. Teskes Kommentar: „Gut, dass wir sonst nichts zu tun haben auf Arbeit.“ (Teske S. 40) Es wundert vor diesem Hintergrund auch nicht, dass „Querdenker“ bei ihm ein Schimpfwort ist. Immerhin: Multipolar bekommt mit Verweis auf die RKI-Protokolle eine lobende Erwähnung, ansonsten kommt die Gegenöffentlichkeit nicht vor.
Die Vorurteile, die man nach intensiver Rezeption der Öffentlich-Rechtlichen hat, sie werden in Teskes Buch alle bestätigt. Der Blick hinter die Kulissen zeugt davon, wie das in der Praxis funktioniert. So verschwand beispielsweise Harald Kujat nach einem Interview mit tagesschau24 von einem Tag auf den anderen aus der Liste der Experten. Der stellvertretende Chefredakteur Helge Fuhst erregte sich über das Interview, in dem Kujat dem Westen schwere Versäumnisse vorwarf und Verständnis für die Position Russlands äußerte. Teske berichtet:
„Die Anweisung an die Redaktion ist klar: Keine Interviews mehr mit dem General, dieser sei untragbar. Ich bin irritiert. Was ist mit unserer vielgelobten Meinungsfreiheit und dem Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender, die Breite der Meinungen in der Bevölkerung abzubilden, solange sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen?“ (Teske S. 83)
Es gebe keine schwarzen Listen in den Redaktionen, schreibt Teske. Aber in den Dateien mit Kontakten würden Menschen gestrichen oder erhielten Bemerkungen hinter dem Namen. Warum aber ist Teske irritiert? Mit Blick auf den Faktenfinder von tagesschau.de resümiert er an anderer Stelle: „Immer wieder fällt vor allem der Faktenfinder mit tendenziösen Artikeln auf, die so gar nicht zur Marke Tagesschau passen wollen.“ (S. 126) Während er selbst Kapitel um Kapitel nachweist, dass genau diese Tendenz Methode hat, stellt er solcherart Artikel letztlich als Ausrutscher dar. Was sie nicht sind. Seine Haltung: Es müsste eigentlich anders sein. Ist es aber nicht. Und soll es auch nicht. Aber dazu später noch mehr.
Die China-Expertin
Zunächst zu Danhong Zhang. Sie hat die Grenzen des Meinungskorridors 2008 am eigenen Leib erlebt. Die gebürtige Chinesin kam 1988 nach Deutschland, studierte und wurde Mitarbeiterin der Deutschen Welle. Im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking 2008 wurde sie oftmals als Interviewpartnerin angefragt. Sie schreibt, dass sie dabei versucht habe, gegen Klischees anzukämpfen und die gängigen Narrative zu hinterfragen. Zum Beispiel bei Maybritt Illner. Dort sprach sie davon, dass die chinesische Regierung einiges tue, um die tibetische Kultur zu bewahren. Noch weiter ging sie im Deutschlandfunk: „Es ist China gelungen, in den letzten 30 Jahren 400 Millionen Menschen aus absoluter Armut zu befreien.“
Zhang vertrat öffentlich Positionen gegen das gängige China-Narrativ, und das war schließlich zu viel. In der Rückschau schreibt sie, dass sie naiv war und sich nicht damit beschäftigt habe, „welche unausgesprochenen Gesetze in den deutschen Medien gelten. Eins davon lautet: Man springt keinem bösen Land wie China bei.“ (Zhang, S. 47) Sie hatte das bereits vorher getan, anderthalb Jahre lang ging es gut, mit den Aussagen bei Illner und im Deutschlandfunk begann allerdings eine Kampagne gegen sie. Zhang macht dafür neben zwei deutschen Journalisten insbesondere die Falun Gong und mit ihr verbundene Exil-Chinesen verantwortlich.

Die Kampagne wird im Buch im Detail beschrieben, wer wissen will, wie mit offenen Briefen und diversen Medien auf die Deutsche Welle eingewirkt wurde, kann dies detailliert nachlesen. Zhang verlor ihre Position als stellvertretende Leiterin der China-Redaktion und musste sich bei einer nichtöffentlichen Anhörung im Bundestag rechtfertigen. Sie blieb bei der Deutschen Welle, wechselte aber die Redaktion. In der China-Redaktion wurde derweil eine Art Zensor installiert, der laut Zhang alle Beiträge auf der chinesischen Seite der Deutschen Welle gegen Honorar durchforstete, „um sie auf die Meinung hin zu überprüfen“ (Zhang S. 87). Mitarbeiter, die sich darüber beschwerten, wurden nicht weiterbeschäftigt, die interne Zensur 2014 wieder abgeschafft.
Ausgehend von ihrer eigenen Geschichte schaut Zhang auf die Verwerfungen des deutschen Journalismus. Haltungsjournalismus, Kampagnen, Lückenpresse und Copy & Paste. Die Stichworte sind bekannt, die Themen auch. Interessant ist es bei ihr vor allem dann, wenn es um ihre eigenen Erfahrungen geht. Und davon gab es ab 2015 einige, als sie eine neue Kolumne startete. Nachdem sie mit dem Thema Migration immer wieder aneckte, wollte sie keine politischen Themen mehr anpacken. Denn sie war vielen Kritikern zu kritisch geworden:
„Alles in allem habe ich währen der Flüchtlingskrise die Rolle einer kritischen Beobachterin eingenommen. Lobeshymnen an die Politik anzustimmen, ist nicht die Aufgabe von Journalisten. Für so etwas haben die Regierung und die Ministerien ihre eigenen Pressestellen.“ (Zhang, S. 144)
Auch hier wieder die zweifellos berechtigte trotzige Beschreibung „wie es eigentlich sein sollte“ im Journalismus. War es je so? Oder wie kann es denn künftig so werden? Diesen Fragen geht Zhang – wie auch Teske – nicht weiter nach. Stattdessen sehnt sie sich nach einer Vergangenheit zurück, die es so kaum je gegeben hat.
„Lang, lang ist es her, als die Medien noch die vierte Gewalt darstellen und den Regierenden auf die Finger schauten. Spätestens seit der Flüchtlingkrise 2015 haben die deutschen Medien allerdings die vierte Gewalt aus der Hand gegeben.“
Seit der Flüchtlingskrise? Was war mit der Euro- und der Bankenkrise? Dem 11. September 2001? Dem Jugoslawienkrieg? Der deutschen Einheit? Dem Kalten Krieg? Die Journalisten der Leitmedien marschierten meist stramm an der Seite der Regierung und ihrer Narrative. Vom Begriff der vierten Gewalt einmal ganz abgesehen, der seine ganz eigene Geschichte bei der Vertuschung der wirklichen Machtverhältnisse in den Medien hat. Dazu gleich noch mehr. Zunächst nur noch der Hinweis auf den Abschluss des Buches.
Dort findet sich ein bedenkenswerter Vergleich mit China. Sicher, dort gebe es direkte staatliche Zensur, schreibt Zhang. Und: „In China dienen die Medien der Politik.“ Und in Deutschland? Da verweist die Autorin auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, auch sie selbst sei dreimal auf Twitter gesperrt gewesen. Und wem dienen die Medien? Die Frage hatte sie ja bereits beantwortet und sie ergänzt noch, dass es einen Bruch mit der Realität gebe (Zhang, S. 207). Der deutsche Journalismus sei damit beschäftigt, „Andersdenkende mundtot zu machen und, falls das nicht gelingt, sie durch Etikettierung und Diffamierung aus dem sauberen, homogenen Debattenraum auszuschließen“. (Zhang, S. 208) Die gesammelten Vorurteile über die deutsche Mainstream-Medienlandschaft, sie werden auch durch die Erfahrung von Zhang bestätigt. Für sie und ihre differenzierte Stimme war Deutschland einfach nicht groß genug, stellt sie zum Abschluss fest.
Der Standpunkt der Kritik
„Der Journalismus der Leitmedien neigt zu einer Selektion der Themen am Kriterium nationaler Interessen, stark moralisierenden Benennungen von Sachverhalten, Fragestellungen und Titelzeilen, die Informationen mit Wertungen durchmischen. Er operiert mit fiktiven Subjekten und eliminiert Zusammenhänge, die nötig wären, um einen Themenkomplex zu erfassen und zu begreifen.“ (Dillmann, S. 83)
Diese knappe Darstellung der Realität der Leitmedien aus Renate Dillmanns medienkritischen Buch kann auch die Erfahrungen von Zhang und Teske zusammenfassen. Sie sagt aber noch nicht aus, warum das so ist und warum Dillmann auch die Standpunkte der beiden Medienkritiker – wie den einiger anderer – als „trotzig idealistisch“ beschreiben dürfte. Um das zu verstehen, gilt es ein wenig tiefer einzusteigen und die Beziehung zwischen Herrschaft und Medien zu beleuchten. Denn schließlich hat jede Herrschaftsform ein großes Interesse daran, die jeweiligen Medien zu kontrollieren und für die eigenen Interessen zu nutzen (Dillmann, S. 94).

In der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ ist die Meinungs-, Presse- und Demonstrationsfreiheit grundgesetzlich verankert. Eine andere Meinung darf geäußert werden, ein Anrecht auf eine Umsetzung dessen, was gefordert wird, gebe es aber nicht, so Dillmann (S. 98). Vielmehr gelte, dass alle Gedanken, alle Kritk und demonstrativen Willensbekundungen zur praktischen Ohnmacht verurteilt sind (S. 99). Warum? Dillmann zitiert an dieser Stelle den Hamburger Hamburger Rechts- und Verwaltungswissenschaftler Albert Krölls, der auf die Unverbindlichkeit des freien Meinens hingewiesen hat: „Wenn alle divergierenden Meinungen gleichermaßen gelten sollen, dann gilt keine. Dann gilt eben das, was vom staatlichen Gewaltmonopol erlaubt und geboten wird.“
Jeder kann also meinen was er will, eine Relevanz hat das nicht. Wichtiger Faktor bei der Durchsetzung der „richtigen“ Meinung sind und waren immer schon die Medien, die über die herrschenden Ideen zu berichten haben – ob sie nun kapitalistisch oder öffentlich-rechtlich organisiert sind. Die Leitmedien sind dabei sowohl auf Anzeigenkunden angewiesen als auch auf den Zugang zu exklusiven Informationen von Politikern und anderen Eliten – zwei von mehreren Gründen dafür, warum das System letztlich zu einem Gleichklang der Berichterstattung im Sinne der Herrschenden tendiert. Renate Dillmann schreibt:
„Die Medien als ,Mittler‘ haben dabei die Aufgabe, die Mitglieder der Gesellschaft in allen relevanten Fragen auf den Stand zu bringen beziehungsweise zu halten, über die nötigen Neuerungen und Wendungen in der Innen- und Außenpolitik zu informieren – und das, aus ihrer Sicht ganz natürlich, vom Standpunkt des nationalen Interesses.“ (S. 127)
Informiert wird darüber, wie die Herrschenden versuchen würden, Probleme in Verantwortung für die Menschen zu lösen. Auf dieser Ebene kann dann systemimmanent Kritik geübt werden: Missstände werden skandalisiert und personalisiert. Grund für die Probleme sei jeweils, dass sich jemand nicht an das Gebotene hält. „Die realen Verhältnisse werden in dieser Art der Kritik nur als Abweichung davon, was eigentlich sein sollte, was ebenso idealistisch wie staatskonstruktiv ist, zur Kenntnis genommen.“ (Dillmann, S. 132) Im Rahmen des Bestehenden ist also Pluralismus und Kritik erlaubt. Sie geht aber immer davon aus, dass in „unserer Demokratie“ eigentlich doch alles richtig ist, man also nur zu einer Art guten „Normalzustand“ zurück finden muss. Noch einmal Renate Dillmann:
„Das Publikum der Medien ist – polemisch zugespitzt – selbst Teil des nationalen Kollektivs, das von dem Vor-Urteil ausgeht, dass das eigene Land, seine Prinzipien wie die aktuelle Politik ganz grundsätzlich in Ordnung sind und das alles Unschöne in der Welt darauf zurückzuführen ist, dass etwas nicht funktioniert, jemand versagt oder ,Böses‘ tut.“ (S. 159)
Auswege
Der Versuch, die „Vierte Gewalt“ von den Herrschenden zu lösen, ist also zum Scheitern verurteilt. Mehr noch: Das Konzept selbst ist eines, das den Herrschenden dient, wie Michael Meyen in einem kurzen Video-Vortrag allgemein verständlich erläutert hat. Denn wer sind diese Medien, die als „Vierte Gewalt“ auftreten sollen anderes als die Mächtigen selbst? Also die Milliardäre und Multimillionäre, die mit Medien viel Geld verdienen und die sich von ihrem Haus- und Hof-Juristen Martin Löffler in den 1950er Jahren zur Vierten Gewalt haben hoch schreiben lassen. Die „Vierte Gewalt“ als Werkzeug der Eliten: Sie erlaubt Journalisten und Politikern unter sich zu bleiben.
Und was ist mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, von denen hier ja zumindest angesichts der beiden Bücher die Rede war? Inhaltlich sind sie, das belegen die Beispiele in den beiden Büchern, ebenso an der Seite der Macht und zwar unter anderem, weil die Journalisten aus dem gleichen Milieu wie die meisten Politiker stammen. Vor allem aber, weil es eine direkte Verbindung von Politik und Rundfunkanstalten gibt, die weit über die Drehtüreffekte hinaus geht, die Michael Meyen im Video thematisiert. Der Wechsel von Steffen Seibert vom ZDF zum Amt des Regierungssprechers wäre ein prominentes Beispiel. Auch Alexander Teske beschreibt diese Wechsel in seinem Buch und möchte das Rückkehrrecht von Redakteuren, die als Sprecher in die Politik wechseln, abgeschafft sehen. Schließlich verschärfe sich „der Eindruck der Verflechtung von Politik und Medien mit jedem Seitenwechsler“. Allerdings braucht sich da gar nichts verschärfen, Politik und Anstalten sind eng verflochten, beispielsweise in den Rundfunk- und Verwaltungsräten. Das ist auch Sinn des Ganzen.
Auch über diesen Weg wird eine Art Konsens in den Leitmedien hergestellt, der auch in die Gesellschaft wirken soll. Dass diese Vorstellung weit verbreitet ist, zeigt sich beispielhaft an einer Studie, die die Bundeszentrale für politische Bildung in Auftrag gegeben hat. Die Berliner Zeitung hat kürzlich darauf hingewiesen, erschienen ist die Studie bereits Ende 2023. Sie kritisiert die Einladung von Politikern mit kontroversen Positionen wie Tino Chrupalla oder Sahra Wagenknecht als kontraproduktiv. Diese Einladung unterlaufe einen „konstruktiven, den komplexen Umständen geschuldeter lösungsorientierter Ansatz“. Damit habe man „schlicht wertvolle Zeit verloren, einen Konsens in der deutschen Politik und Gesellschaft herzustellen, der die Unterstützung der Verteidigungsbereitschaft der Ukraine überhaupt nur erlaubt“.
Diesen Konsens im Sinne der Herrschenden, der herrschenden Meinung kann nur eine neue Form von Öffentlichkeit brechen, die natürlich vielfach angegriffen und verleumdet werden wird. „Öffentlichkeit sind wir“, sagt Michael Meyen im zitierten Video. Was heißt das? Es braucht ein wirklich demokratisches Verhältnis in der Öffentlichkeit, zwischen Konsumenten und Produzenten. Und zudem führt Medienkritik ohne Herrschaftskritik automatisch zurück ins System. Es wäre Aufgabe einer Gegenöffentlichkeit, zunächst selbst ihre Voraussetzungen zu klären und dann organisiert neue Wege jenseits der bestehenden Strukturen zu beschreiten.
Einige weiterführende Überlegungen dazu sind an anderen Stellen nachzulesen. Auf diese Weise könnte der „trotzige Idealismus“ praktisch überwunden werden und sich dabei durchaus in der neuen Form von Öffentlichkeit wiederfinden. Denn er ist ja inhaltlich nicht falsch. Er ist nur im bestehenden Mediensystem weder gewünscht noch umsetzbar.
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Renate Dillmann, Macht. Medien. Meinung, Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit, Papyrossa Verlag, 239 Seiten, 17,90 Euro
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Alexander Teske, Inside Tagesschau. Zwischen Nachrichten und Meinungsmache, Langen Müller Verlag, 292 Seiten, 22 Euro
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Danhong Zhan, Nur die richtige Meinung ist frei. Erfahrungsbericht einer Journalistin, FiftyFifty, 218 Seiten, 24 Euro
Über den Autor: Helge Buttkereit, Jahrgang 1976, hat sein Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Journalistik mit einer Arbeit zu „Zensur und Öffentlichkeit in Leipzig 1806-1813“ abgeschlossen. Nach journalistischen Tätigkeiten bei verschiedenen Medien und Buchveröffentlichungen über die Neue Linke in Lateinamerika arbeitet er aktuell in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Titelfoto: Ende der 1970er Jahre: Werner Veigel (1928-1995) moderiert die Tagesschau | Bild: picture alliance/United Archives / Roba Archiv
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