Die Maskenpflicht verändert das gesellschaftliche Klima
PAUL SCHREYER, 24. April 2020, 10 Kommentare, PDFHinweis: Dieser Beitrag ist auch als Podcast verfügbar.
Schon seit einiger Zeit hatte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder auf eine Maskenpflicht in Deutschland gedrängt. Da sich kein bundesweiter Konsens erzielen ließ, preschte Bayern am 20. April vor. Innerhalb weniger Tage folgten die übrigen Bundesländer dem Beispiel, so auch meine Heimat Mecklenburg-Vorpommern, wo man am wenigsten vom Coronavirus betroffen ist. Laut Robert Koch-Institut kommen hier auf 100.000 Einwohner weniger als 50 positiv Getestete (der Bundesdurchschnitt beträgt 175). Bislang kam es zwischen Wismar und Greifswald ingesamt zu 15 Todesfällen. In Rostock, der mit 200.000 Einwohnern größten Stadt des Landes, erklärte der Bürgermeister diese Woche, man sei „Corona-frei“, es gäbe keine neuen Fälle.
Dennoch hat auch die von Manuela Schwesig (SPD) geführte Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns am Mittwoch verfügt:
„Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in der Öffentlichkeit wird dringend empfohlen. Für den Bereich des ÖPNV (Busse, Straßenbahn, Taxis) sowie beim Betreten eines Geschäfts ist das Tragen eines Mund-Nasenschutzes in Mecklenburg-Vorpommern ab dem 27. April verpflichtend vorgeschrieben.“
Der NDR berichtet dazu:
„Wer sich von Montag an weigert, im öffentlichen Personennahverkehr eine Maske zu tragen, muss mit einem Bußgeld in Höhe von 25 Euro rechnen. Dieses Bußgeld droht auch, wenn man ohne Maske in ein Geschäft begibt und sich bei einer entsprechenden Aufforderung zum Verlassen des Geschäfts widersetzt, wie Ministerpräsidentin Manuela Schwesig am Nachmittag erläuterte. (…) Noch am Dienstag hatte Schwesig erklärt, eine Maskenpflicht in Geschäften sei wegen der geringen Infektionszahlen im Nordosten vorerst nicht geplant. Das sei auch juristisch nicht zu begründen. Wenn sich die Maskenpflicht in anderen Bundesländern durchsetze, werde Mecklenburg-Vorpommern aber nachziehen.“
Man folgt im Zweifel also einfach der Mehrheit. Fakten und Gesetze bleiben zweitrangig. Im Schweriner Parlament wurde die weitreichende Verordnung nicht diskutiert. Die letzte Sitzung dort fand ohnehin schon am 1. April statt und bestand im Wesentlichen aus dem Verlesen von Vorlagen und Beschlüssen sowie dem anschließenden Handheben. Kritische Diskussionen – Fehlanzeige. In der Sitzung erklärte Schwesig stattdessen:
„Wir sollten jetzt in dieser Krise das, was typisch ist in der Demokratie, dass Regierung und Opposition sich reiben und diskutieren, einmal überwinden und zusammenstehen, um unserem Land zu helfen.“
Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle:
„Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD und DIE LINKE“
Das Parlament fällt als Korrektiv derzeit weitgehend aus, und das deutschlandweit. Der neue Modus der Politik ist simpel: Die Regierung beschließt Maßnahmen – und die Bürger haben sie zu befolgen (sofern kein Gericht übergriffige Anordnungen stoppt). Mit einer funktionierenden Demokratie hat dieses Vorgehen wenig zu tun.
Gesundheitlicher Nutzen?
Zur medizinischen Notwendigkeit der Maskenpflicht stellen sich erhebliche Fragen. Das zum Bundesgesundheitsministerium gehörende Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erklärt zum gesundheitlichen Nutzen von Stoffmasken, eine Schutzwirkung sei „in der Regel nicht nachgewiesen“. Die Masken könnten aber „das Bewusstsein für 'social distancing' sowie gesundheitsbezogenen achtsamen Umgang mit sich und anderen unterstützen“. Die Behörde betont:
„Träger der beschriebenen 'Community-Masken' können sich nicht darauf verlassen, dass diese sie oder andere vor einer Übertragung von SARS-CoV-2 schützen, da für diese Masken keine entsprechende Schutzwirkung nachgewiesen wurde.“
Das heißt: Die Vermummung hilft zwar kaum, hält aber den Angstlevel weiter hoch. Der Virologe Christian Drosten formulierte es diese Woche so:
„Masken sind eine Ergänzung der Maßnahmen und eine Erinnerung für alle an den Ernst der Lage!“
Das Robert Koch-Institut (RKI) hat bis vor einigen Wochen die gleiche Position wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vertreten und erklärt, ein Mundschutz im Alltag sei unnötig. Es gäbe „keinen wissenschaftlichen Hinweis“, dass eine Verwendung Sinn hätte, so RKI-Vizpräsident Lars Schaade noch am 28. Februar. Der gleiche Lars Schaade empfiehlt diese Woche nun dringend das Maskentragen, ganz im Sinne der Regierung, deren Teil seine Behörde ist.
Das RKI versucht, seinen Kurswechsel wissenschaftlich zu untermauern. In einem am 14. April veröffentlichten Dokument mit dem Titel „Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von COVID-19“ heißt es, es habe intern eine „Neubewertung“ gegeben. Die Behörde beruft sich dabei auf eine aktuelle Studie von Forschern aus Hongkong, die zeige, dass das Tragen einer Stoffmaske zu einer „relevanten Reduktion der Ausscheidung von Atemwegsviren über die Ausatemluft“ führen würde.
Schaut man sich diese Studie genauer an, ist das Bild allerdings längst nicht so klar und eindeutig, wie das RKI nahelegt. Die Forscher untersuchten die Schutzwirkung bei verschiedenen Virusarten und stellen fest:
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass chirurgische Masken den Ausstoß von Influenzaviruspartikeln in die Umwelt in Atemtröpfchen wirksam reduzieren können, nicht aber in Aerosolen. (…) Beim Rhinovirus gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Nachweis des Virus mit oder ohne Gesichtsmaske, sowohl in Atemtröpfchen als auch in Aerosolen.“
Das heißt: Eine allgemeine Schutzwirkung von solchen Masken in Bezug auf Viren wurde nicht belegt. Auf diese Studie stützt das RKI jedoch seine aktuelle „Neubewertung“.
Dazu kommen gesundheitliche Beeinträchtigungen durch das Maskentragen. So wies schon vor mehreren Jahren eine Untersuchung nach, dass durch das verstärkte Wiedereinatmen der ausgeatmeten Luft die CO2-Konzentration im Blut von Trägern von Stoffmasken wesentlich ansteigt. Das führt zu Konzentrationsschwäche, Müdigkeit und allgemein verringerten körperlichen und geistigen Fähigkeiten.
"Die Epidemie ist bereits vorbei"
Mediziner wie der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, warnen vor der neuen Verordnung, die mehr schade als nütze. Resigniert meint Montgomery: „Aber was will man gegen den Überbietungswettbewerb föderaler Landespolitiker mit rationalen Argumenten tun?“
Auch Knut Wittkowski, einer der weltweit angesehensten Epidemiologen, stellt den Sinn der Maßnahme grundsätzlich in Frage. Der Mediziner, der 20 Jahre als Leiter der Abteilung für Biostatistik, Epidemiologie und Forschungsdesign an der Rockefeller University in New York tätig war, erklärte am Freitag in einem Interview mit dem Portal KenFM auf die Frage, was eine Maskenpflicht bringe:
„Es bringt überhaupt nichts. Die Epidemie ist bereits vorbei. Das Virus zirkuliert nicht mehr in einem relevanten Umfang in der Bevölkerung. Zu einem Zeitpunkt den Mundschutz einzuführen, wo es keinen Virus mehr gibt, ist ein bisschen seltsam. (…) Jeder kann sich die Daten angucken und sieht: Deutschland ist über den Berg, genauso wie alle anderen europäischen Länder.“
(Ergänzung 25.4.: Das Interview mit Knut Wittkowski wurde wenige Stunden nach der Veröffentlichung von Youtube gelöscht. Es ist aktuell hier zu finden.)
Erzwungener Gehorsam
Vom fehlenden medizinischen Sinn abgesehen, besteht der grundsätzliche Tabubruch der Maßnahme darin, alle Bürger zu nötigen, öffentlich und für jeden sichtbar zu bekunden, dass man Angst vor dem – kaum noch zirkulierenden – Virus habe und der Regierung blind Folge leistet. Menschen sollen unter Strafandrohung gezwungen werden, ihren Mitbürgern zu signalisieren, dass sie sich bereitwillig unterordnen – und zwar ganz egal, wie zweifelhaft oder unsinnig die befohlene Maßnahme objektiv ist.
Das absehbare Ergebnis der Maskenpflicht sind daher noch mehr Unmündigkeit, Passivität, Mutlosigkeit und Angst in der Bevölkerung – mutmaßlich ein Zustand, der einigen politischen Akteuren gut ins Konzept passt.
Der Epidemiologe Wittkowski mahnt:
„Menschen haben so langsam vergessen, dass Demokratie etwas ist, wofür man immer kämpfen muss. Wenn man aufhört, sich für Demokratie aktiv einzusetzen, dann werden die Rechte der Menschen eingeschränkt. Das sehen wir jetzt ganz deutlich. Ich hoffe, dass diese Erfahrung dazu führt, dass Menschen sich wieder aktiver für die Demokratie in ihrem Land einsetzen.“
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