Landesmedienanstalt geht nach Enthüllung der RKI-Protokolle gegen Multipolar vor
REDAKTION, 27. August 2024, 28 Kommentare, PDFDie Landesanstalt für Medien NRW (LfM) hat Multipolar am 23. August in einem Brief mitgeteilt, dass mehrere unserer Beiträge der vergangenen Jahre nicht der journalistischen Sorgfaltspflicht genügen würden. Die in Düsseldorf ansässige LfM ist die Aufsichtsbehörde für private Medien mit Sitz in Nordrhein-Westfalen und verfügt über einen Jahresetat von gut 20 Millionen Euro, gespeist aus den Rundfunkgebühren. Multipolar hatte bislang keinerlei Kontakt zu der Behörde.
Die LfM beruft sich in ihrem Schreiben auf Paragraf 19 des Medienstaatsvertrages, in dem es heißt, dass Medien „den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen“ haben und Nachrichten „mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen“ sind. Seit einer Reform des Medienstaatsvertrages Ende 2020 sind die Landesmedienanstalten auch für die Überwachung von Online-Medien zuständig.
Konkret moniert werden in dem vorliegenden Schreiben insgesamt vier Passagen aus Artikeln und Interviews, die in den Jahren 2022, 2023 und 2024 erschienen sind. Bei allen Texten geht es um die Coronakrise. Beanstandet werden in sämtlichen Fällen Aussagen, die den Regierungsverlautbarungen entgegenstehen:
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In einem im März 2022 veröffentlichten Interview erklärte der Arzt und Psychologe Prof. Christian Schubert gegenüber Multipolar: „Die Covid-19-Krise hat den ersten großen Schritt gemacht, dass unsere Lebenserwartung sinken wird. Die steigt nicht mehr. Die Kollateralschäden, die wir jetzt zu erwarten haben durch diese Krise, werden die Lebenserwartung in den nächsten Jahrzehnten verringern. Wir haben dazu schon erste Hinweise. Für die Schweiz wurde berechnet, dass drei Monate Lockdown und Schulschließungen wegen der damit verbundenen psychopathologischen Folgen – wir sprechen zum Beispiel von Selbstmord, Depression und Traumatisierung – 1,76 Millionen Lebensjahre kosten. Damit sind die staatlichen Maßnahmen 55mal schädlicher als das Virus selbst.“ Die LfM bemängelt, dass die Herkunft der Zahlen „unklar“ sei und diese „unbelegt“. Die Äußerung hätte daher „vom Interviewführer näher hinterfragt oder im Nachgang für den Leser nachvollziehbar eingeordnet werden müssen“.
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Eine im März 2023 veröffentlichte 14-seitige Analyse unseres Autors Florian Schilling zu einem Dokument der britischen Statistikbehörde zum Thema Sterblichkeit und Impfungen leitete unsere Redaktion so ein: „Nach einer mehr als siebenmonatigen Veröffentlichungspause hat die britische Statistikbehörde nun Zahlen vorgelegt, die erstmals in diesem Umfang zeigen, wie nutzlos und sogar schädlich die Corona-Massenimpfung war. Zu keinem Zeitpunkt und in keiner Altersgruppe finden sich signifikante Belege für eine geringere Gesamtsterblichkeit Geimpfter. Im Gegenteil führte die staatliche Impfkampagne fast von Beginn an zu einer höheren Gesamtsterblichkeit der Geimpften, die zudem mit der Zeit ansteigt und um so höher ausfällt, je jünger die Geimpften sind.“ Dem widerspricht die LfM mit einer eigenen, pauschal gehaltenen Einschätzung der medizinstatistischen Zusammenhänge: Schilling und Multipolar hätten die amtlichen britischen Daten „fehlinterpretiert“ und „falsch dargestellt“.
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In einem im März 2024 veröffentlichten Beitrag teilte Multipolar mit, dass es die freigeklagten RKI-Protokolle nun für alle einsehbar veröffentlicht hatte, weiterhin aber mehr als tausend Passagen geschwärzt waren. Im Text dazu heißt es: „Wie Multipolar auf Grundlage der bislang geheim gehaltenen Papiere bereits berichtete, beruhte die im März 2020 vom RKI verkündete Verschärfung der Risikobewertung von 'mäßig' auf 'hoch' – Grundlage sämtlicher Lockdown-Maßnahmen und Gerichtsurteile dazu – anders als bislang behauptet nicht auf einer fachlichen Einschätzung des Instituts, sondern auf der politischen Anweisung eines externen Akteurs – dessen Name in den Protokollen geschwärzt ist.“ Die LfM erklärt, dies sei „irreführend“, da die Entscheidung sehr wohl auf einer fachlichen Einschätzung beruhe. Schließlich, so die LfM, sei laut Protokoll vom 16. März 2020 ja „eine neue Risikobewertung vorbereitet“ worden. Das LfM schließt aus dieser Protokollnotiz demnach, dass diese neue Risikobewertung auch innerhalb des RKI initiert und ausgearbeitet worden war. Allerdings hatten die RKI-Anwälte dem Verwaltungsgericht Berlin gegenüber erklärt, dass bis auf die Protokollnotiz vom 16. März in der Behörde „keine weiteren Dokumente vorhanden sind, die sich mit der Änderung der Risikobewertung“ befassen.
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In einem im Juni 2024 veröffentlichten Interview erklärt ein Berliner Feuerwehrmann gegenüber Multipolar: „In der Realität hatten wir circa 25 Prozent weniger Einsätze, gerade, als alles losging mit der sogenannten Covid-Pandemie. Die Einsatzzahlen gingen also anfangs klar zurück. Es war viel mehr Panik. (…) Das gleiche Bild ergab sich auch in den Krankenhäusern. Wenn du die Patienten in den Krankenhäusern abgegeben hast, hast du ja auch mit den Schwestern gesprochen: 'Wie sieht es denn hier bei euch aus?' Die (…) haben gesagt: 'Ja, wir haben zwar viel Stress gehabt, beim Aufbau von zusätzlichen Intensivstationen oder die organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen, aber in der Realität, dieses Freihalten der Betten...' Es gab keinen Ansturm von Patienten. Im Gegenteil, die haben gesagt, sie könnten jetzt Urlaub nehmen, Überstunden abbauen. Es wurde sogar darüber nachgedacht, in den Krankenhäusern Teilzeitkräfte zu entlassen. Die Schwestern haben erzählt: 'Wir haben hier eine Auslastung, die liegt teilweise nur noch bei 40 Prozent.' (…) Es gab keine Pandemie in unserer Wahrnehmung. (…) Im Nachhinein muss ich sagen: Man wollte aber kopflose Panik verbreiten und man hat es geschafft. Ich habe natürlich gesehen, dass es überhaupt keinen Grund für die Angst gab, weil ja die Krankenhäuser frei waren.“ Die LfM ist mit dieser Schilderung des Feuerwehrmannes nicht einverstanden und führt an, es gebe „stichhaltige Belege dafür, dass in der Hochzeit der Pandemie viele Krankenhäuser unter erheblichen Kapazitätsengpässen litten“. Multipolar hätte die Aussagen des Feuerwehrmannes daher „einordnen“ müssen.
Multipolar soll der LfM nun bis zum 23. September mitteilen, ob die genannten vier Beiträge „angepasst“ und die „verpflichtenden Informationen ergänzt“ wurden. Die Behörde droht, „zeitnah ein förmliches Verwaltungsverfahren einzuleiten“. In einem ähnlichen Verfahren einer Landesmedienanstalt musste das regierungskritische Portal Apolut zuletzt pro Artikel 800 Euro „Bearbeitungsgebühr“ zahlen. In diesem Fall kam es nicht zu einem Gerichtsverfahren, da der Apolut-Anwalt die Widerspruchsfrist verstreichen ließ.
Das Schreiben an Multipolar ist nicht namentlich unterzeichnet. Letztlich verantwortlich sind LfM-Direktor Tobias Schmid und Justiziarin Laura Braam – die beide im Beitragsbild über diesem Artikel zu sehen sind. Medienwächter Schmid war bis zu seinem Wechsel zur LfM beim Medienkonzern RTL beschäftigt, zuletzt als Executive Vice President Governmental Affairs. Lobbycontrol kritisierte seinerzeit, es sei „schwer nachvollziehbar und fragwürdig“, dass mit Schmid „ausgerechnet ein langjähriger Lobbyist des privaten Rundfunks“ zur LfM-Spitze wechsle. Auch seine Stellvertreterin Petra Gerlach kommt von RTL. Schmid, der laut LfM-Finanzbericht ein monatliches Gehalt von knapp 22.000 Euro bezieht, ist sich über die Grauzone, in der er agiert, offenbar im Klaren. So erklärte er im vergangenen Jahr:
„Der Bereich Hass und Beleidigung ist rechtlich gut definiert, bei bewusster Desinformation gibt es da noch Schwierigkeiten. Wo liegen mit Blick auf Meinungsfreiheit die Grenzen? Das ist noch nicht zu Ende diskutiert. Es gibt kein Verbot für Desinformation im medialen Bereich. Aber wir brauchen dringend gesetzliche Grundlagen, um dagegen vorzugehen.“
Laut Eigendarstellung ist die LfM „dafür da, die Meinungsfreiheit in Medien zu wahren“. Der offizielle Slogan der Behörde lautet: „Der Meinungsfreiheit verpflichtet“. Man sei generell „staatsfern“. Schmids Vorgänger an der LfM-Spitze, Jürgen Brautmeier, stellte jedoch schon vor einigen Jahren klar, die Staatsferne der Landesmedienanstalten sei „eine schöne Fiktion“:
„In der Realität konnte man eine große Politiknähe beobachten, weil Struktur, Spitzenpersonal und Aufgabenstellung der nordrhein-westfälischen Medienanstalt immer wieder parteipolitischen Interessen unterworfen wurden bzw. entsprechende Beeinflussungsversuche stattfanden.“
Multipolar hatte bereits im vergangenen Jahr in einer Recherche zu den Landesmedienanstalten berichtet, dass Zweifel daran bestehen, ob der betreffende Paragraf 19 des Medienstaatsvertrags verfassungsgemäß ist. So argumentiert der Medienrechtler Wolfgang Lent, die Regelungen träfen ausschließlich Online-Medien, was Indiz für eine Sonderrechtsregelung sein kann. Zudem sei nicht klar definiert, wer unter das Gesetz falle. Vor allem aber würde die Kontrollfunktion gegenüber dem Staat ausgehebelt, wenn Journalisten bei ihrer Recherche Rücksicht auf Staatsbelange nehmen müssten. Lent: „Eine Behördenaufsicht über die Einhaltung von Sorgfaltspflichten führt gerade in diesen Fällen zu inakzeptablen Rahmenbedingungen der online-journalistischen Arbeit.“
Multipolar prüft derzeit das Schreiben der Landesmedienanstalt um das weitere Vorgehen zu bestimmen.
Nachtrag 14.9.: Multipolar hat das Schreiben der Landesmedienanstalt mittlerweile beantwortet.
Weitere Artikel zum Thema:
- Die Landesmedienanstalten als Wahrheitsministerien (Helge Buttkereit, 2.11.2023)
- Neue Zensurbehörde? Medienaufseher gehen gegen unabhängige Online-Medien vor (Tilo Gräser, 22.2.2021)
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