„Das Ergebnis entspricht nicht dem, was erwartet wurde – deswegen darf es nicht veröffentlicht werden“
KARSTEN MONTAG, 20. November 2024, 7 Kommentare, PDFMultipolar: Herr Professor Reitzner, Sie haben zusammen mit Ihrem Kollegen Christof Kuhbandner im Mai 2023 einen peer-reviewten Beitrag in einem medizinwissenschaftlichen Fachmagazin der Springer-Gruppe veröffentlicht. Darin dokumentieren Sie Ihre Berechnungen zur Übersterblichkeit in Deutschland zwischen 2020 und 2022. In einem weiteren Beitrag vom Februar 2024, der sich noch im Preprint-Status befindet, haben Sie die Schätzung der Übersterblichkeit verfeinert, indem Sie unter anderem die Berechnungen je Bundesland angestellt haben. Beide Arbeiten kommen zu zwei fundamentalen Erkenntnissen. Erstens stimmt insbesondere 2020 die von Ihnen geschätzte Übersterblichkeit von 4.000 Todesfällen nicht mit der offiziellen Todesursachenstatistik von über 30.000 COVID-19-Toten in diesem Jahr überein. Zweitens lässt sich die von Ihnen für 2022 geschätzte Übersterblichkeit von 66.000 Todesfällen nicht allein mit der offiziellen Zahl der COVID-19-Toten von etwas über 52.000 in diesem Jahr erklären. Für Österreich haben Sie ähnliche Resultate ermittelt. Wie kommt es aus Ihrer Sicht zu den Abweichungen?
Reitzner: Wenn man die Übersterblichkeit berechnet und nachher mit den COVID-Toten vergleicht, dann muss man bei den COVID-Toten aufpassen, was man eigentlich zählt. Menschen, die nur mit COVID-19 gestorben sind, sehen wir natürlich in der Übersterblichkeit nicht. Wenn jemand einen Autounfall hatte und gleichzeitig infiziert war, dann ist er an dem Autounfall gestorben, ob mit oder ohne Corona. Doch selbst bei der zweiten Gruppe, in der jemand wirklich an Corona gestorben ist, muss man vorsichtig sein. Es gibt ja durchaus vulnerable Personen, und zwar in hoher Anzahl, die in einem Zustand waren, dass die nächste Erkältung, die nächste Virusinfektion sie näher an den Tod gebracht hätte. Von diesen Menschen hätten wir statistisch gesehen erwartet, dass sie demnächst sterben. Was wir quantifizieren, sind die Todesfälle, die aufgetreten sind und die wir unter normalen Bedingungen nicht erwartet hätten. Aus medizinischer Sicht kann man das nur schlecht trennen. Wenn jemand an Corona gestorben ist, kann man medizinisch ja nicht festlegen, er wäre in zwei Monaten sowieso gestorben. Das ist sehr schwierig. Statistisch können wir das jedoch. Wenn wir sagen, wir erwarten eine gewisse Anzahl von über 80-Jährigen, die in einem Jahr versterben, dann brauchen wir gar nicht so genau wissen, woran sie gestorben sind. Das erklärt zunächst einmal die Unterschiede. Und vermutlich ist der Anteil derer, die im ersten Jahr wirklich und unerwartet an Corona gestorben sind, sehr klein.
Multipolar: In Deutschland hat das Statistische Bundesamt diese Trennung ja angeblich vorgenommen. In der Pressemitteilung zu den COVID-19-Toten im Jahr 2020 heißt es, dass bei über 36.000 Todesfällen COVID-19 als Erkrankung vermerkt war. Bei über 30.000 Fällen soll die Krankheit die Todesursache gewesen sein, bei den restlichen 6.000 lediglich eine Begleiterkrankung. Sie kommen jedoch auf 4.000 statt 30.000 zusätzlich Verstorbene.
Reitzner: Ich glaube, das Statistische Bundesamt würde auf die selben Zahlen wie wir kommen, wenn es wieder die Corona-Toten durch die Übersterblichkeit schätzt. Wir verwenden ja exakt die Zahlen und die Sterbewahrscheinlichkeiten des Statistischen Bundesamtes und nichts Selbstgebasteltes.
Multipolar: Für 2022 haben Sie eine Übersterblichkeit von 66.000 Todesfällen berechnet. Die Anzahl der offiziellen COVID-19-Todesfälle für dieses Jahr wird vom Statistischen Bundesamt mit 52.000 angegeben. Das heißt, da ist ein Diskrepanz von 14.000 Todesfällen, die nicht durch Corona erklärt werden kann. Ist das richtig?
Reitzner: Die Diskrepanz ist sogar noch deutlich größer, wenn man sich die Pandemiejahre anschaut, was wir für sehr vernünftig halten. Wenn man jeweils von April bis März geht, dann haben wir im ersten Jahr 22.000 mehr Tote als erwartet berechnet. Im selben Zeitraum wurden 78.000 Corona-Tote gemeldet. Das heißt, wir haben im ersten Pandemiejahr 56.000 Corona-Tote, die nicht in der Übersterblichkeit auftauchen. Von diesen Personen hätten wir erwartet, dass sie versterben, unabhängig von Corona. Im dritten Jahr – April 2022 bis März 2023 – dreht sich das vollkommen um. Für diesen Zeitraum haben wir eine Übersterblichkeit von fast 80.000 ermittelt, aber die offizielle Anzahl der Corona-Toten liegt nur bei 38.000. Hier haben wir also eine Diskrepanz von über 40.000 Toten.
Multipolar: Zumindest in Deutschland wird vom Statistischen Bundesamt noch nicht einmal der Versuch angestellt, die Abweichungen zwischen Übersterblichkeit und COVID-19-Todesfällen zu erklären. Wie beurteilen Sie die Arbeitsweise der statistischen Ämter in Deutschland und Österreich?
Reitzner: Ich vermute, dass die statistischen Ämter in Deutschland und Österreich unter hohem politischen Druck stehen. Ich möchte mich im Folgenden auf Deutschland beziehen. Das Statistische Bundesamt hat zu Beginn der Coronapandemie seine Berechnungsmethode für Übersterblichkeit vollkommen geändert. Normalerweise verwendet das Bundesamt exakt die Methode, die wir in unserem Paper verwendet haben. Zu Beginn der Coronapandemie hat es jedoch gesagt, wir machen etwas anderes. Auf eine Anfrage im Parlament 2023 hat das Statistische Bundesamt geantwortet, dass die ursprüngliche Methode zu kompliziert gewesen sei, um schnell zu Ergebnissen zu kommen. Es musste aber zugeben, dass es im Hintergrund die normale Berechnung weitergeführt hat. Das heißt, das Statistische Bundesamt wusste die ganze Zeit, wie hoch die Übersterblichkeit tatsächlich war. Es hat weiterhin Sterbewahrscheinlichkeiten verwendet. Es hat auch Übersterblichkeiten ganz konventionell berechnet. Ich nehme an, es gab einen hohen politischen Druck, die Übersterblichkeiten plötzlich anders zu rechnen, weil das Ergebnisse lieferte, die man von politischer Seite hören wollte.
Multipolar: Gab es eine offizielle Begründung vom Statistischen Bundesamt, warum es die Methode geändert hat, und wird diese Methode heute auch noch so weiter fortgeführt?
Reitzner: Die Begründung war, dass man nicht genug Personal hatte, um die herkömmlichen Berechnungen in einem kurzen Zeitraum durchzuführen. Man findet die normalen Berechnungen sogar auf der Homepage der Behörde. Sie ist nur so versteckt, dass man sie kaum findet. Die Begründung stimmt natürlich zu einem gewissen Grad schon. Das Statistische Bundesamt braucht am Ende des Jahres immer circa ein halbes Jahr, manchmal sogar länger, bis es das vorangegangene Jahr aufgearbeitet hat. Erst dann gibt es wirklich genaue Resultate. Doch man kann natürlich ungefähre Ergebnisse, die immer pro Monat auf plus minus 200 Todesfälle stimmen, schon viel früher angeben. Wenn man mich fragt, war die Begründung also ein Pseudo-Argument. Es ging damals darum, Schätzungen bereits am selben Tag zu veröffentlichen, nicht erst nach Monaten oder nach dem Jahresende. Das war der Hintergrund der Begründung des Statistischen Bundesamtes. Doch man hätte mit sehr simplen Methoden sehr viel bessere Schätzungen abgeben können, auch am selben Tag. Man hat sehr bewusst ein paar Dinge ausgeblendet. Die statistischen Bundesämter haben mit Ende der Coronapandemie ihre seltsame Berechnungsweise wieder eingestellt und ermitteln die Übersterblichkeit jetzt wieder mit der herkömmlichen Methode.
Multipolar: Sie haben in Ihren Arbeiten einen Zusammenhang zwischen der Übersterblichkeit und den COVID-19-Impfungen festgestellt – insbesondere ab April 2021 in der Altersgruppe der 15- bis 79-jährigen. Erst kürzlich musste das Bundesgesundheitsministerium nach einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Jessica Tatti vom Bündnis Sahra Wagenknecht zugeben, dass die vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erfasste Anzahl der Verdachtsmeldungen von Nebenwirkungen bei den COVID-19-Impstoffen 20 mal höher liegt als bei allen anderen Impfungen. Bei den für die Corona-Maßnahmen verantwortlichen Politikern und in der medialen Öffentlichkeit werden diese Zusammenhänge größtenteils totgeschwiegen oder pauschal abgewiesen. Die Gründe dafür lassen sich erahnen. Wie ist die Resonanz in der Fachwelt?
Reitzner: Dass das Paul-Ehrlich-Institut dies zugibt, ist keine große Überraschung. Es ist ja bekannt, dass zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende der Betriebskrankenkasse ProVita bereits 2022 auf Basis der eigenen Abrechnungsdaten deutlich gesagt hat, dass es eine Untererfassung der Impfnebenwirkungen gibt. Allein bei den 10,9 Millionen Krankenversicherten der Betriebskrankenkasse sind seinen Angaben nach fast ebenso viele Nebenwirkungen nach COVID-19-Impfungen ärztlich behandelt worden, wie das PEI an Verdachtsfällen von Impfnebenwirkungen der damals über 60 Millionen gegen COVID-19 Geimpften erfasst hat. Daraufhin ist der Vorstandsvorsitzende innerhalb einer Woche fristlos entlassen worden. Ab diesem Zeitpunkt haben die meisten Versicherungsmathematiker gewusst, dass sie besser schweigen. Entsprechend ist das Echo in der Fachwelt im versicherungsmathematischen Bereich sehr ruhig. Ich bin mir sicher, dass die Versicherungsmathematiker in den Versicherungen ganz genau wissen, was abgelaufen ist. Es will nur sonst keiner wissen, also schweigt man. Man gefährdet auch seinen Job, wenn man nicht schweigt. Da fühle ich mich natürlich als Universitätsprofessor mit der grundgesetzlich garantierten Freiheit von Forschung und Lehre viel sicherer. Alles, was ich aufgrund meiner Forschung begründen kann, kann ich sagen. Es ist sehr schwierig, mir deswegen zu kündigen.
Multipolar: Man konnte bereits 2021 anhand der öffentlich zugänglichen Datenbanken zu Verdachtsfällen von Impfnebenwirkungen nachweisen, dass die Anzahl der Verdachtsfälle bei den COVID-19-Impfungen im Verhältnis zu anderen Impfungen zum Teil um ein Vielfaches höher lag.
Reitzner: Warum genau das Robert Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut diese Zahlen ignoriert haben, ist naheliegend. Der politische Druck muss sehr groß gewesen sein. Das ist jetzt auch bei dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in Osnabrück deutlich geworden. Der neue Direktor des Robert-Koch-Instituts hat in der Verhandlung gesagt, dass die Behörde ein weisungsgebundenes Institut ist – nicht im Bezug auf die Methoden, aber im Sinne dessen, was es verlautbaren darf. Was öffentlich geäußert wird, kann auf Weisung des Gesundheitsministers verschwiegen oder geändert werden, so weit ich das als Nicht-Jurist verstanden habe. Ich hätte mir gewünscht, dass hohe Beamte in gewissen Positionen den Mut haben, auch dann die Wahrheit zu sagen, wenn der Minister das nicht wünscht. Aber das scheint in Deutschland leider nicht mehr der Fall zu sein. Eigentlich ist das Berufsbeamtentum nur damit zu begründen, dass man im Fall der Fälle auch einem Minister widersprechen darf. Wenn man das abschafft, dann gibt es keinen Grund mehr, Leute zu Beamten zu machen. In dem Sinne hätte ich mir erhofft, dass trotz Weisung aus dem Ministerium sowohl der Direktor des Robert Koch-Instituts als auch der des Paul-Ehrlich-Instituts deutlich realistischere Zahlen veröffentlicht und auch kontroverser Stellung genommen hätten.
Multipolar: Gab es denn Rückmeldungen zu Ihren Beiträgen aus anderen Bereichen, beispielsweise vom RKI, vom PEI, von der Ständigen Impfkommission, von Versicherungen, Ärztevereinigungen oder ähnlichen Institutionen?
Reitzner: An mich persönlich gab es keine Rückmeldung, nein. Es gab eine Pressemitteilung der Barmer Krankenkasse, die eine eigene Studie nicht vorgestellt, sondern nur daraus berichtet hat. In dieser Studie hat die Krankenkasse im ersten Schritt die normalen versicherungsmathematischen Berechnungen durchgeführt und konnte exakt das Ergebnis von Herrn Kuhbandner und mir verifizieren. Im zweiten Schritt hat sie ihre Methode aber geändert und kommt plötzlich auf fast doppelt so viele Tote – wobei nicht erklärt wird, wo die Toten herkommen, die sie mit der ersten Methode nicht ermitteln konnte. Ohne die zweite Berechnungsmethode offenzulegen, kommt die Barmer Krankenkasse zu dem Schluss, das die Resultate von Reitzner und Kuhbandner damit widerlegt seien.
Multipolar: Kritiker Ihrer Berechnungen und Ihrer Schlussfolgerung, dass die Impfungen selbst eine Auswirkung auf die Übersterblichkeit haben, werfen Ihnen vor, dass Sie beispielsweise das erneute Aufkommen von Grippeerkrankungen 2022 nicht einbezogen haben. Es gibt noch einen weiteren Faktor, der bisher nicht ausreichend untersucht worden ist. Mit dem ersten Lockdownbeschluss im März 2020 ist die Anzahl der Krankenhauspatienten massiv zurückgegangen und auch nach der Coronakrise nicht mehr angestiegen. Die Menschen haben von sich aus hauptsächlich auf Diagnosemaßnahmen im Krankenhaus verzichtet. Das kann zu unentdeckten Erkrankungen führen, die als Spätfolge mehr Todesfälle nach sich ziehen können. Inwieweit können Sie ausschließen, dass diese Faktoren die Übersterblichkeit 2022 erklären?
Reitzner: Ich vermute, dass die Übersterblichkeit in den Pandemiejahren – die geringe Übersterblichkeit am Anfang und die hohe Übersterblichkeit am Schluss – sehr viele Ursachen hat. Ich kann gar nicht ausschließen, dass eine gewisse Anzahl von Todesfällen auf verschiedenste Ursachen zurückgeht. Das ist auch statistisch nicht herauszufinden. Da müsste man tatsächlich von unabhängiger Seite die Krankenkassendaten durchforsten. Es erscheint jedoch sehr unplausibel, dass eine Grippewelle für die hohe Übersterblichkeit im dritten Pandemiejahr verantwortlich ist. Die schlimmsten Grippewellen der letzten 20 Jahre haben höchstens 25.000 Tote gefordert. Wir sehen im dritten Jahr jedoch eine Übersterblichkeit von bis zu 80.000 Toten. Das kann nicht durch eine Grippewelle erklärt werden, außer sie war so schrecklich wie bisher keine Grippewelle, ist aber nicht entdeckt worden. Das ist sehr unplausibel. Es könnte durchaus sein, dass ein gewisser Teil auf die Grippe zurückzuführen ist, aber kaum mehr als 20 Prozent. Es wird natürlich auch verschobene Diagnosen geben, die zu mehr Erkrankungen und Todesfällen geführt haben. Doch wir hatten im zweiten und dritten Pandemiejahr zusammen eine Übersterblichkeit von über 100.000 Todesfällen. Dass diese aufgrund verspäteter Diagnosen zustande gekommen sind, erscheint mir völlig unplausibel.
Multipolar: Das Peer-Review-Verfahren Ihres im Februar 2024 veröffentlichten Beitrags dauert bis heute an. Was sind die Gründe dafür?
Reitzner: Die Review-Verfahren, jedenfalls in der Mathematik, ziehen sich durchaus ein paar Monate hin. Die Reviewer brauchen ja die Zeit, um den Artikel zu lesen, zu verstehen und auch über ihre Kritikpunkte nachzudenken. Inzwischen haben wir die Rückmeldungen bekommen, und es ist weniger die zeitliche Länge, die mich erschreckt, sondern die Art der Rückmeldungen. Darin heißt es unter anderem, die Daten und die Berechnungsmethoden seien richtig – mit anderen Worten: Was wir herausbekommen, ist richtig. Doch dann folgt die Kritik, dass das Ergebnis nicht dem entspricht, was erwartet wurde, und deswegen darf es nicht veröffentlicht werden. Das ist uns wortwörtlich so rückgemeldet worden. Unser Ergebnis widerspräche dem gesunden Menschenverstand, hat einer der Reviewer geschrieben. Wenn man zugibt, dass die Berechnungen und die Daten korrekt sind und damit im Grunde auch das Ergebnis korrekt ist, und man nur verhindern möchte, dass es veröffentlicht wird, dann halte ich das für sehr schlechte Wissenschaft.
Multipolar: Inwieweit ist die Wissenschaft aus Ihrer Sicht unabhängig?
Reitzner: Ich würde das gar nicht an dem Wort „unabhängig“ festmachen. Ich glaube nicht, dass die Reviewer bestochen wurden oder alle für die Pharmaindustrie arbeiten. Ich denke eher, dass man auch als Wissenschaftler sein eigenes Weltbild hat – und wenn in diesem Weltbild die Impfungen geholfen haben müssen, dann ist es sehr schwer, jemandem vom Gegenteil zu überzeugen. Dann misstraut man allen Zahlen – egal, wie korrekt sie sind –, die diesem Weltbild widersprechen. Das erinnert mich ein bisschen an das Mittelalter, als viele Menschen glaubten, die Erde sei eine Scheibe. Egal, welche Daten vorliegen, die Erde bleibt flach, und die Daten dürfen nicht veröffentlicht werden. Das spricht nicht für die wissenschaftliche Neugierde von vielen Wissenschaftlern.
Multipolar: Als Grund für mögliche Nebenwirkungen werden Verunreinigungen beim Herstellungsprozess der mRNA-Impfpräparate vermutet. Für die Zulassungsstudie von Pfizer/Biontech wurde das PCR-Verfahren verwendet, um die Impfstoffe herzustellen. In der Massenproduktion wurde hingegen mit Bakterienkulturen gearbeitet. Die Forscher eines dänischen Beitrags, der mittlerweile auch mit schwedischen Daten bestätigt wurde, konnten bei der Anzahl der Nebenwirkungsverdachtsfälle bei Impfungen mit dem mRNA-Präparat von Biontech/Pfizer deutliche Abhängigkeiten zu einzelnen Impfstoffchargen feststellen. Hierzu hat das PEI, das Paul-Ehrlich-Institut, eine Stellungnahme verfasst, in der die Behörde keine Abhängigkeit zwischen Chargennummern und Anzahl der Verdachtsmeldungen erkennen kann. Sie haben wiederum ein Gutachten zu dieser Stellungnahme verfasst, in dem Sie dem PEI vorwerfen, es verfehle vollständig jedes wissenschaftliche Niveau. Wie kommen Sie zu dieser Schlussfolgerung?
Reitzner: Das Paul-Ehrlich-Institut hat in der Stellungnahme, die sich auf eine noch geheime Studie bezieht, im Wesentlichen vier Zahlen und zwei Grafiken veröffentlicht. Mein Gutachten bezieht sich auf diese Zahlen und Grafiken – und daraus geht hervor, dass das PEI riesige Unterschiede zwischen den Chargen festgestellt hat. Doch wenn man dann – wie es das PEI macht – alle Chargen, die ausschließlich nur leichte Nebenwirkungen erzeugt haben, ausklammert und nur die Chargen mit schweren Nebenwirkungen auswertet, dann ist die Anzahl der Verdachtsfälle je Charge halbwegs gleich. Wenn man dann aber zurückrechnet, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass unter allen Chargen, die vorhanden waren, nur ein gewisser Teil viele schwere Nebenwirkungen hervorgerufen haben und andere nur leichte Nebenwirkungen, dann kommt man darauf, dass es statistisch extrem unplausibel ist, dass die Anzahl der Nebenwirkung bei allen Chargen gleich ist. Mit anderen Worten, die paar Zahlen, die in der Stellungnahme veröffentlicht wurden, beweisen exakt das, was von der dänischen Studie ebenfalls nahegelegt wurde: nämlich, dass die Verdachtsfälle sich sehr unterschiedlich auf die Chargen verteilen. Doch genau kann man das erst ernsthaft sagen, wenn die Daten veröffentlicht werden. Die werden aber bisher weiter geheim gehalten – mit der Begründung, dass daraus irgendwann einmal eine wissenschaftliche Studie entstehen soll. Auf die warten wir jetzt seit eineinhalb Jahren und ich glaube, sie wird nie kommen, weil die wissenschaftliche Studie das Gegenteil von dem belegen würde, was das Paul-Ehrlich-Institut behauptet.
Multipolar: Das PEI weigert sich beharrlich, die Rohdaten zu seiner Stellungnahme preiszugeben. Zudem hat das Gesundheitsministerium auf die Kleine Anfrage von Jessica Tatti zugeben müssen, dass die Behörde bisher noch keinen Abgleich der Verdachtsmeldungen mit den extra hierfür von den Krankenkassen bereitgestellten Abrechnungsdaten vorgenommen hat. Wie beurteilen Sie die Arbeitsweise und das Informationsgebaren des PEI, das in Deutschland für die Sicherheit von Impfstoffen und Arzneimitteln zuständig ist?
Reitzner: Ich muss zugeben, bis zum Beginn der Corona-Pandemie habe ich vom Paul-Ehrlich-Institut sehr viel gehalten. Ich habe die Behörde für eine vernünftige wissenschaftliche Institution gehalten. Ich möchte das einmal mit dem Statistischen Bundesamt vergleichen. Ich weiß, dass dort vernünftige Statistiker sitzen, die aber aufgrund politischen Drucks nicht sagen durften, was sie wussten. Das erscheint mir sehr plausibel. Wenn ich hingegen die Pressemitteilung zur Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts lese, weiß ich nicht mal, ob es dort jemanden gibt, der ordentliche Auswertungen machen könnte. Ich frage mich, was verwerflicher ist: wenn eine Behörde aus Dummheit falsche Sachen sagt, oder wenn eine Behörde falsche Sachen wider besseren Wissens sagt und sich damit unmoralisch verhält. Auf jeden Fall ist die Arbeitsweise des PEI verheerend. Wenn schon seit längerer Zeit ein massiver Verdacht von Nebenwirkungen besteht, dann ist es Aufgabe der Behörde nachzufassen, was wirklich los ist, anstatt zu mauern und so zu tun, als gäbe es den Verdacht nicht. Das Paul-Ehrlich-Institut ist nicht dafür gegründet worden, um Nebelkerzen zu werfen, sondern um Verdachtsfällen nachzugehen. In meinen Augen gehört zumindest die Spitze des Instituts vollständig ausgetauscht, und man müsste darüber nachdenken, wie in Zukunft bei Verdachtsfällen kritisch nachgeprüft wird. Es ist klar, dass man dies nicht direkt nach den ersten Impfungen machen konnte, aber als dann 20 Millionen verabreicht wurden, hat man das Datenmaterial beim Paul-Ehrlich-Institut gehabt, um ernsthaft nachprüfen zu können. Dass man das nicht gemacht hat, ist eine schwere Dienstverfehlung.
Zum Interviewpartner: Professor Dr. techn. Matthias Reitzner, Jahrgang 1966, studierte Technische Mathematik an der TU Wien und promovierte dort zum Doktor der technischen Wissenschaften. Danach studierte er Versicherungsmathematik und ist anerkannter Aktuar. 2001 habilitierte er an der TU Wien. Nach Aufenthalten in Freiburg und Salzburg wurde er 2009 auf den Lehrstuhl für Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik an der Universität Osnabrück berufen und leitet seit 2011 das Institut für Mathematik an der Universität Osnabrück.
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