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Grundeinkommen und Kontrolle

Ein Grundeinkommen wird von vielen als Lösung propagiert. Doch der Teufel steckt im Detail. Ist die Zuteilung an Bedingungen geknüpft, wird daraus ein scharfes Instrument der sozialen Kontrolle. Der Bürger gerät in existenzielle Abhängigkeit vom Staat.

JAN SCHULZ-WEILING, 2. April 2025, 25 Kommentare, PDF

Viele Menschen sehen das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) als Alternative zur traditionellen Sozialhilfe und Lösung vieler Probleme. Anstatt Geld nur an Bedürftige auszuzahlen, würden alle Bürger Leistungen erhalten. Unterstützer argumentieren, dass durch die wegfallende Bedürftigkeitsprüfung erhebliche Kosten eingespart würden. So lagen die Verwaltungsausgaben für die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland 2020 bei immerhin 40 Milliarden Euro.

Die Idee eines Grundeinkommens existiert seit langem. Berühmte Beispiele sind Thomas Morus´ Roman „Utopia“ (1516) sowie Thomas Paines Bericht „Agrarische Gerechtigkeit“ (1797), in dem argumentiert wird, dass es einer Kompensation bedürfe, um Privatbesitz zu rechtfertigen. Unter US-Präsident Nixon wäre in den 1970er Jahren beinahe schon einmal eine Art Grundeinkommen eingeführt worden: der sogenannte Family Assistance Plan – eine negative Einkommensteuer – scheiterte erst im Senat. Tatsächlich existiert bis heute keine volkswirtschaftliche Umsetzung der Idee. Die Vielzahl an Experimenten, die bislang versucht wurden, waren lediglich lokal und zeitlich begrenzt.

Die Einführung eines BGE wäre ein radikaler Bruch mit der mitteleuropäischen Auffassung eines Sozialstaats. Da vom Empfänger keine Gegenleistung erwartet wird, befürchten Kritiker, dass die Menschen davon faul würden. Außerdem sei es verschwenderisch, Menschen eine Leistung zu zahlen, die diese eigentlich gar nicht nötig haben.

Ursprünge des Wohlfahrtsstaates

Der erste moderne Sozialstaat entstand im deutschen Kaiserreich. Unter Otto von Bismarck wurden im Zuge der Industrialisierung verpflichtende Sozialabgaben eingeführt, welche die Folgen von Krankheit, Unfällen und Alter abmilderten. Dies geschah nicht aus altruistischen Motiven. Bismarck wollte die preußische Monarchie stärken und gegen egalitäre und sozialistische Bestrebungen schützen. „Geplagt vom Alptraum der Revolution“, so die Historikerin Heide Barmeyer, sei er Partnerschaften ohne Rücksicht auf Ideologie eingegangen, um den erstarkenden Sozialisten mit ihren Reformideen den politischen Wind aus den Segeln zu nehmen.

Auch für die Soziologen Frances Fox Piven und Richard Cloward leitet sich Sozialpolitik immer von den aktuellen Nöten der Regierung ab. Demnach funktionieren staatliche Wohlfahrtsprogramme zyklisch. Sie werden ausgebaut, wenn der Unmut in der Bevölkerung steigt und die Regierung in Bedrängnis gerät, beispielsweise durch Massenarbeitslosigkeit. Sobald sich die Lage entspannt, werden die Wohltaten wieder zurückgefahren, um die Arbeitsmoral zu steigern. Der Ansicht, dass Sozialpolitik im Laufe der Zeit immer verantwortungsbewusster, menschlicher und großzügiger werde, halten die beiden Soziologen entgegen, dass die Armen davon langfristig nie profitiert hätten. Die beiden Hauptfunktionen des Sozialstaats bestehen demnach in der Revolutionsprophylaxe, also der Verhinderung von Aufständen, und darin, die Menschen zum Arbeiten zu bewegen. Moral und christliche Vorstellungen von Nächstenliebe spielten eine untergeordnete Rolle.

Instrument für Soziale Kontrolle

Einmal auf den Weg gebracht, erfüllt Sozialpolitik noch weitere Funktionen. Einerseits werden natürlich Leistungen bereitgestellt, um soziale Härten auszugleichen. Andererseits bietet sich hier dem Staat auch die Möglichkeit, Einfluss auf das Verhalten der Menschen zu nehmen. Bereits der britische Sozialreformer und Liberale William Beveridge, der maßgeblich den britischen Wohlfahrtsstaat nach dem Zweiten Weltkrieg mitgestaltet hat, warnte davor, dass Sozialpolitik auch für soziale Kontrolle missbraucht werden könne. Peter Hartz, Namensgeber einer solchen Reform, bedauert in seinem Buch „Macht und Ohnmacht“, dass ein System herausgekommen sei, „mit dem die Arbeitslosen diszipliniert und bestraft werden.“

Auch im Zuge der Corona-Krise wurden Sozialleistungen immer mehr an Bedingungen geknüpft. Brasilien beispielsweise zwang Eltern dazu, ihre Kinder zu impfen, um weiterhin Gelder aus dem Sozialprogramm Bolsa Familia zu erhalten. Auch Österreich drohte ungeimpften Arbeitslosengeldempfängern mit der Sperrung von Leistungen, sollten sie eine Stelle ablehnen, für die eine Impfung vorgeschrieben ist. Es ist klar, dass der Staat finanziell von ihm abhängige Menschen leicht erpressen kann.

Gegenwärtig bezieht nur ein geringer Teil der Menschen in westlichen Industrienationen Sozialleistungen. Es ist also auch nur ein geringer Teil der Bevölkerung auf diese Weise erpressbar. Mit einem BGE würde sich das ändern. Zu Beginn wäre dies für viele Bezieher wahrscheinlich nur ein Bonus, auf den sie nicht zwangsläufig angewiesen wären. Wenn aber durch Krisen wie Lockdowns, Rezessionen oder auch durch künstliche Intelligenz viele Jobs vernichtet werden, geraten deutlich mehr Menschen in eine Abhängigkeit vom Staat und seinen Leistungen. Schon Jean-Jacques Rousseau bemerkte, es sei „unmöglich, einen Menschen zu versklaven, ohne ihn vorher in eine Lage der Abhängigkeit gebracht zu haben.“

Speziell die Lockdowns seit 2020 haben traditionelle Vorstellungen von Arbeit und der Rolle des Staates auf den Kopf gestellt. Faktisch wurde vielen Menschen verboten, arbeiten zu gehen. Teilweise wurden in der Folge Gelder ausgezahlt, um diese arbeitsfreie Phase überbrücken zu können. Damit hatte der Staat einen Paradigmenwechsel eingeleitet, denn die Menschen waren nicht durch eine Naturkatastrophe, einen Krieg oder Ähnliches in einen Zustand der Abhängigkeit gebracht worden – sondern durch eine politische Entscheidung.

BGE ist nicht gleich BGE

Wenn von einem bedingungslosen Grundeinkommen die Rede ist, meinen nicht alle dasselbe. Es existiert eine Vielzahl an Vorstellungen darüber, wie hoch es sein soll, ob es bestehende Leistungen ersetzt oder komplimentiert und wer es bekommen soll. Als Orientierung hilft die Definition des Basic Income Earth Network (BIEN). Die Organisation definiert fünf Schlüsselmerkmale:

  • Regelmäßig: Die Auszahlung erfolgt zum Beispiel jeden Monat, nicht als einmalige Leistung.

  • Cash: Die Auszahlung erfolgt bar, nicht als Sachleistung oder Gutschein, ohne Einschränkungen, wofür es ausgegeben werden kann.

  • Individuell: Die Auszahlung erfolgt an Einzelpersonen, nicht an Haushalte oder Familien.

  • Universell: Alle erhalten es.

  • Bedingungslos: Das Einkommen ist an keinerlei Bedingungen gekoppelt. Es ist nicht nötig, eine grundsätzliche Bereitschaft zum Arbeiten oder ähnliches zu demonstrieren.

Es ließen sich noch zwei weitere Merkmale ergänzen, die ein „echtes“ BGE ausmachen würden. Es müsste hoch genug sein, um tatsächlich davon leben zu können. Nur so wäre gewährleistet, dass der Zwang zum Arbeiten wegfällt und Entscheidungen wirklich frei getroffen werden können. Es müsste außerdem dafür sorgen, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich tendenziell eher schließt, als weiter aufzugehen, also einen Umverteilungseffekt erzielen.

„Grundeinkommen light“

Die Einführung eines solchen Grundeinkommens dürfte extrem unwahrscheinlich sein. Es wird bereits an der Verwässerung solcher Prinzipien gearbeitet. So hat auch das World Economic Forum das Grundeinkommen für sich entdeckt. Im April 2020 konnte man auf deren Website lesen, das Universal Basic Income (der englische Name des BGE) sei die Antwort auf eine durch Covid aufgedeckte Ungleichheit. Die Autoren, ranghohe Funktionäre beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, waren jedoch nicht bereit, auf Instrumente der sozialen Kontrolle zu verzichten. So gibt es ihnen zufolge gute Argumente für Bedingungen – zum Beispiel, dass Empfänger ihre Kinder impfen lassen und zur Schule schicken. Damit wäre das Grundeinkommen zu einer an Bedingungen geknüpften Sozialleistung degradiert.

Auch scheint mehr als fraglich, ob die Auszahlung eines Grundeinkommens tatsächlich in bar oder per normaler Banküberweisung erfolgen würde. Deutschland testet seit Mai 2024 Bezahlkarten für Geflüchtete. Damit kann die Ausgabestelle kontrollieren, wofür das Geld ausgegeben werden darf – beispielsweise nur für Lebensmittel im Umkreis der Unterkunft, nicht jedoch für Alkohol. Es scheint absehbar, dass bei der Verfügung solcher Limitierungen als nächstes die Empfänger von Bürgergeld an der Reihe sind. Sollte erst das Bargeld weitgehend verdrängt oder ganz abgeschafft sein, wären dann alle betroffen. Digitales Zentralbankgeld ließe sich programmieren, um das Ausgabeverhalten der Bevölkerung zu steuern.

Warum diese Entwicklungen hochproblematisch sind, wird eindrücklich und ausdauernd vom Wirtschaftsjournalisten Norbert Häring beschrieben. Es fällt nicht schwer, hier die Brücke zu schlagen zu einem Sozialkreditsystem, bei dem die Regierung gewünschtes Verhalten belohnen und unerwünschtes bestrafen kann. Aufhorchen lässt, wie sehr die EU an der Evaluierung derartiger Regierungssysteme interessiert ist, die „von der chinesischen Regierung als sinnvolle Alternative zu liberalen Demokratien propagiert wird“, um eine „vertrauenswürdige Gesellschaft“ zu schaffen.

Von Milliardären unterstützt

In den letzten Jahren konnte sich eine steigende Zahl von Milliardären für die Idee eines BGE begeistern – vorrangig aus dem Tech-Sektor – darunter Bill Gates, Elon Musk oder die Facebook-Gründer Chris Hughes und Mark Zuckerberg, die im BGE offenbar eine Möglichkeit sehen, die Risiken der vierten industriellen Revolution und massiver Jobverdrängung abzufedern. Möglicherweise steckt aber auch der bereits angesprochene Bismarcksche Alptraum der Revolution dahinter. Bereits 2014 warnte der amerikanische Multimilliardär Nick Hanauer, dass es angesichts der wachsenden Ungleichheit nur eine Frage der Zeit sei, bis „die Heugabeln“ wiederkämen und es den Plutokraten an den Kragen ginge:

„Wenn wir jetzt nichts unternehmen, um den himmelschreienden Ungerechtigkeiten in unserer Wirtschaft zu begegnen, werden die Heugabeln uns heimsuchen. Keine Gesellschaft kann eine derartige Ungleichheit auf Dauer aushalten. Tatsächlich gibt es kein Beispiel in der Weltgeschichte, bei dem soviel Wohlstand konzentriert angehäuft wurde, und die Heugabeln nicht letztendlich zum Vorschein kamen. Zeig mir ein Beispiel einer hochgradig ungerechten Gesellschaft und ich zeige dir einen Polizeistaat. Oder einen Aufstand. Es gibt keinerlei Gegenbeispiele. Keine. Es geht nicht darum ob es passiert, sondern wann es passiert.“

Dazu passt der „Marie-Antoinette-Moment“ des Jeff Bezos. Im Zuge seines Weltraumtrips („you guys paid for all this“) gab es auf change.org eine satirische Petition, um seine Rückkehr zur Erde zu verhindern: „Millionäre sollten nicht existieren, weder auf der Erde, noch im Weltraum. Entschließen sie sich für letzteres, sollten sie auch dort bleiben.“ Die Petition wurde zweihunderttausend mal unterzeichnet.

Ein BGE, das den Status Quo der Oberschicht sichert, würde einen Neofeudalismus verfestigen. Die breite Masse wäre mit Almosen ruhiggestellt, möglicherweise ohne Perspektive auf Job, sozialen Aufstieg und politische Partizipation, während eine Milliardärskaste weiter reicher wird. Die Politikwissenschaftlerin Alyssa Battistoni schreibt dazu, die extrem ungerechte Gesellschaft, die Zukunftsforscher fürchten, käme nicht dadurch zustande, dass die Roboter auftauchen, sondern dadurch, dass die Roboter so wenigen Menschen gehören.

In einer Krise vollzieht sich manches schneller als gewohnt. Auch Ideen, die derzeit unrealistisch erscheinen – wie die des BGE – könnten innerhalb kurzer Zeit und mit der richtigen medialen Begleitung salonfähig gemacht werden. Einige Beobachter glauben, dass die Einführung eines BGE das Zuckerstückchen sein könnte, um eine bittere Medizin leichter verdaulich zu machen – wie beispielsweise die Einführung eines digitalen Euros bei gleichzeitiger Verdängung des Bargelds. Wahrscheinlicher erscheint, dass ein Grundeinkommen light, mit Bedingungen und Limitierungen, eingeführt würde. Dann würde aus dem vermeintlich rettenden Grundeinkommen, das viele ersehnen, ein scharfes Instrument der sozialen Kontrolle – nicht bloß für eine Minderheit, sondern für den Großteil der Bevölkerung.

Über den Autor: Jan Schulz-Weiling, Jahrgang 1989, hat Global Studies M.A. an der Universität Leipzig studiert. Nach vielen Stationen im Ausland lebt er in seiner Heimatstadt Freiburg im Breisgau. Als Stipendiat der Sylff-Stiftung forschte er zwei Jahre in Spanien zum bedingungslosen Grundeinkommen. Dieser Text basiert auf seinem 2024 im Journal für Kritische Gesellschaftsforschung veröffentlichten Artikel “Between Emancipation and Social Control: The Equivocal Potential of Universal Basic Income (UBI)”.

Literatur

Barmeyer, H. (2002). Bismarck and the origins of the modern welfare state in 19th-century Germany. In The Welfare State: Past, present and Future (pp. 87–110). Edizioni Plus – Universita di Pisa.

Hartz, P., & Kloepfer, I. (2007). Macht und Ohnmacht. Hoffmann und Campe.

Nettle, D., Johnson, E., Johnson, M., & Saxe, R. (2021). Why Has the COVID- 19 Pandemic Increased Support for Universal Basic Income? Humanities and Social Sciences Communications.

Piven, F., & Cloward, R. (1993). Regulating the poor: The functions of public welfare.

Rousseau, J.-J. (1762). The Social Contract or Principles of Political Right. Translated by G. D. H. Cole, public domain.

Diskussion

25 Kommentare
SE, 2. April 2025, 19:50 UHR

Nee, also der Teufel ist nicht im Detail, sondern Grundeinkommen ist Teil des Teufels! Genau wie die Mär vom Bargeld. Illusionen, die aus einer nicht durchdachten Falschvorstellung von Wirtschaft entspringen und daher gesamtgesellschaftlich Schaden anrichten, wenn sie umgesetzt werden. Eigentlich richtetet die Streiterei bereits Schaden an, denn sie sorgt dafür, dass die wirklichen Grundsatzprobleme und echte (!) Ideen gar nicht besprochen werden können! Bevor ich wieder mit Erklärungen anfange, nur ein Zitat von einem der wirklich nachgedacht hat:

"Saying things like healthcare is a human right sounds nice but how can someone else's labour and capital be your right? Even saying you have the right to safety depends on others providing protection. It doesn't work without force.

Rights should be things that you inherently have without anyone giving you anything, like right to provide your own protection, to freely think and speak, to freely associate with whoever you want without infringement"

KARL REITTER, 2. April 2025, 20:40 UHR

Und wer soll dieser tiefe Denker sein?

SE, 3. April 2025, 13:20 UHR

@Karl Reitter

Welche Rolle spielt, wer dieser Denker ist? Richtig und Falsch hängt nicht von der Person ab. Metapher: wer sagt "Gras ist grün" hat recht. Die einzig relevante Frage ist: Stimmt die Begründung? Obiger Denker hat die mitgeliefert ... tatsächlich habe ich vergessen, wo und von wem ich das fand, weil es /mir/ egal ist, weil es egal ist, weil ... siehe Satz von eben: es stimmt!

MICH LAUST DER AFFE, 3. April 2025, 16:50 UHR

@SE,

„Die einzig relevante Frage ist: Stimmt die Begründung?“

Da haben Sie wahrscheinlich recht. Und ich denke, mit der Begründung meinen Sie den zweiten Absatz ihres Zitats.
Was mir bei dieser Begründung bedenklich erscheint ist: „right to provide your own protection“. Ich habe nämlich keine große Lust darauf, dass sich das jetzige staatliche Wettrüsten auf die Individualebene verschiebt. Das Wettrüsten, das auf der staatlichen Paranoia beruht, berührt mich in meinem Alltag (noch) nicht so stark, wie mich das von mir befürchtete Wettrüsten auf dem individuellen Sektor unmittelbar betreffen würde. Da müsste ich vielleicht damit rechnen, von der Kugel eines Paranoikers niedergestreckt zu werden, wenn ich für dessen Gefühl versehentlich zu nahe an seinem Grundstück vorbeigehe. Insofern: die von Ihnen angeführte Begründung stimmt für mich nicht.

SE, 3. April 2025, 21:00 UHR

@MICH LAUST DER AFFE

Ich verstehe das mit "protection" als Teil der Begründung: es ist ein Beispiel fürs Problem und wohl absichtlich so gebaut, dass das Thema Gewalt dazu kommt. Denn darauf läuft letztlich alles zwischenmenschliche hinaus: wird Gewalt verwendet oder nicht? Das MUSS JEDER entscheiden, a la "Verwende ICH Gewalt oder verzichte ICH?". Er will wohl zeigen, dass eine Forderung aufstellen bereits eine Form von Gewalt ist, insbesondere wenn es eine Forderung an andere ist - denn das macht die Forderung sofort zu einem gesellschaftlichen Problem.

... Gewalt existiert und wir Menschen sind sehr, sehr (sehr) gut darin - es bringt nichts und ist sogar falsch, so zu tun, als wäre das anders! JEDER muss entscheiden, was er mit SEINER Gewaltfähigkeit anstellt. NUR DAS entscheidet, wie die Gesellschaft sein wird.

Geistige Gewalt, wie Ignoranz etwa, oder Lüge, ist genau die gleiche Entscheidung wie physische Gewalt, denn das eine entsteht aus dem anderen! Unvermeidbar.

KARL REITTER, 2. April 2025, 20:35 UHR

Als Autor von zwei Büchern und zahllosen Artikeln zum Grundeinkommen möchte ich folgendes zu diesem Text sagen:

(-) Der Autor zitiert sehr selektiv aus den Stellungnahmen, Positionierungen und den Debatten zum Grundeinkommen. Alle die von ihm angeführten Argumente sind hundertfach (keine Übertreibung) diskutiert und die Kritik entkräftet worden.

(-) Seine Kritik basiert letztlich auf den Blick in die Glaskugel der Zukunft: Wenn das BGE kommt, dann nur als verallgemeinertes Almosen mit zahllosen Auflagen - also alles andere als ein echtes BGE, so seine Auffassung. Ich halte das a) für sehr unrealistisch, die Tendenz weist nicht in Richtung Ruhigstellung, sondern in Richtung brutale Repression (Gelbwesten!) und b) widerspricht es der historischen Entwicklung vom 'welfare state zum workfare state, also zu einem Sozialsystem, welches die lohnabhängige Bevölkerung mit aller Macht in die Lohnarbeit zwingen will, egal zu welchen Bedingungen. Das gibt es jetzt schon und ich kann nicht erkennen, inwiefern sich seine dystopische Version des BGE davon unterscheidet.

(-) Ich möchte nochmals erinnern, worum es beim BGE eigentlich geht. Wollen wir eine Gesellschaft, die jedem Individuum, egal was es tut oder lässt, lebenslang die materielle Grundversorgung garantiert? Soll sich die Gesellschaft auf dieses Grundrecht verpflichten? Das ist die entscheidende Frage, die man mit Ja oder Nein beantworten kann. Will man dieses Prinzip realisiert wissen, muss man für das BGE sein. Wenn nicht, dann eben nicht und man überlässt das Individuum dem Kampf ums Dasein, wie brutal er konkret auch sein mag. Das ist die entscheidende Ebene der Argumentation, alles andere ist spezifisch und ändert sich von Kontinent zu Kontinent, von politischer und gesellschaftlicher Konstellation zu politischer und gesellschaftlicher Konstellation. Hinter dem Grundeinkommen steht also die Frage: Welche Gesellschaft wollen wir, dieser kann man nicht ausweichen. Der Artikel versucht es.

PS: Der Autor müsste wissen, dass das groß angelegte Grundeinkommensexperiment in Katalonien politisch abgewürgt wurde, warum dazu kein Wort? Infos dazu: https://mosaik-blog.at/grundeinkommen-katalonien-pilotprojekt/

SE, 3. April 2025, 13:30 UHR

Sie verschwenden Zeit mit auf dem Autor herumhacken. Ihr Denkfehler ist: "die Gesellschaft" kann sich auf überhaupt nichts verpflichten, weil es eine imaginäre Person ist. Real existente Personen gibt es nur in Form von Individuen. Hier haben Sie nun ein Problem: Sie können nicht mich zu irgendetwas verpflichten, OHNE an meiner Selbstbestimmung anzurennen. Systemlichkeiten, die mit Selbstbestimmung anrennen, werden IMMER scheitern, weil sie schon immer gescheitert sind. Was anderes haben "wir" noch nie versucht.

MICH LAUST DER AFFE, 3. April 2025, 16:55 UHR

@Karl Reitter,

Wie wurde das katalanische Experiment von wem mit welcher Begründung abgewürgt? Das würde mich interessieren. In dem verlinkten Artikel wird das Experiment ja nur angekündigt. Wurde es überhaupt gestartet?

KARL REITTER, 4. April 2025, 09:30 UHR

@Mich laust der Affe: Das Experiment in Katalonien wurde nie begonnen, da es kurz vor Start von einer neuen Regierung abgewürgt wurde. Es gibt und gab weltweit dutzende Experimente mit dem BGE, Autor Jan Schulz-Weiling müsste darüber gut Bescheid wissen.

@SE: Sie variieren nur den Ausspruch Thatchers: There is no such Thing as Society.

SE, 4. April 2025, 17:55 UHR

@Karl Reitter

Ich weis nicht, was diese Thatcher gedacht hat oder sagen wollte. Wenn Sie mit mir reden wollen, müssen Sie schon mit /mir/ reden.

RALLE, 3. April 2025, 14:55 UHR

"Es müsste außerdem dafür sorgen, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich tendenziell eher schließt, als weiter aufzugehen, also einen Umverteilungseffekt erzielen."

Das im Zusammenhang mit dem BGE wäre Kommunismus und der funktioniert nicht. Glaube auch nicht, dass das der Plan ist. Wenn ich mir das WEF von Schwab anschaue, dann steckt wohl eher diese Motivation dahinter:

" Die Einführung eines digitalen Euros bei gleichzeitiger Verdrängung des Bargelds."

Dann das BGE eingeführt, natürlich mit Bedingungen, die bei Bedarf variieren. Da könnte z.B. die Bereitschaft zur "Impfung" oder aber auch für die "richtige" Seite in den Krieg zu ziehen verknüpft werden. Ja sogar das Wahlverhalten (wir wählen in Zukunft mit einer tollen App und natürlich nicht anonym). Es wäre nichts anderes, als die Versklavung der Bevölkerung.

FELDHELD, 5. April 2025, 06:40 UHR

Ich habe einmal ein paar Monate lang Arbeitslosengeld bezogen. Ich musste nichts tun, ja es wurde mir regelrecht hinterhergeworfen. Es war die beschissenste Zeit in meinem Leben, es ging steil mit mir bergab. Hab mich dann irgendwann bewußt nicht mehr beim Arbeitsamt gemeldet, sodaß die Zahlungen eingestellt wurden. Endlich lebte ich wieder in der harten Wirklichkeit, endlich hatte ich wieder Grund mich anzustrengen und meinen Geist und meinen Körper zu dem zu benutzen, zu was sie gebaut sind. Endlich war ich wieder frei, Herr meiner Selbst und meines Schicksals, endlich hatte ich wieder Selbstvertrauen, endlich wieder eine Zukunft!

Wie kann man auch nur eine Sekunde lang ein Grundeinkommen für eine gute Idee halten? Wir leben in einer Zeit totaler moralischer und intellektueller Degeneration. Wir paktieren kollektiv mit dem Teufel, aus Feigheit, Faulheit und Arroganz. Eine Gesellschaft im freien Fall.

STRESSTEST, 6. April 2025, 15:30 UHR

"Endlich war ich wieder frei, Herr meiner Selbst und meines Schicksals, endlich hatte ich wieder Selbstvertrauen, endlich wieder eine Zukunft! Wie kann man auch nur eine Sekunde lang ein Grundeinkommen für eine gute Idee halten?"

@FELDHELD: Niemand behauptet, dass bedingungsloses Grundeinkommen nur positive Seiten gehabt hätte. Mangelnde Selbstmotivation entsteht auch nicht zwangsläufig durch finanzielle Absicherung eigener Existenz. Kinder wohlhabender Eltern wie: Paris Hilton, Donald Trump oder Bill Gates, sind zwar, ethisch betrachtet, keine unstrittigen Beispiele hierfür, aber das Leben ist kein Wunschkonzert.

Die größte Gefahr eines echten BGE lag für Politiker und Kapitalisten darin, dass plötzlich auch die Arbeitskraft dem marktwirtschaftlichen Prinzip von "Angebot und Nachfrage" unterliegen würde und - nur als Beispiel - die türkische Putzfrau eines Anwalts nicht mehr bereit wäre, für 12,82 € brutto die Stunde seine Wohnung und sein Klo sauberzumachen. Aber keine Angst! Der "BGE-Zug" ist schon längst abgefahren. In der BRD wurde dieses Thema schon vor Jahren kurz angesprochen und fast alle Parteien: CDU/CSU, SPD, Die Grünen, FDP sowie AfD, waren dagegen. Einzige Ausnahme: die damalige LINKE (Nicht zu verwechseln mit der heutigen!). Die IG Metall war auch dagegen, der Katholische Sozialverband (KKV) ebenso. Das bedeutet: BGE wurde aus parteipolitisch-religiösen Gründen mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.

Die Idee des echten BGE war übrigens als vorbeugende Maßnahme gegen das gedacht, was in der Zukunft uns erwartet: Deindustrialisierung + Digitalisierung + KI = Massenarbeitslosigkeit:

https://www.handelsblatt.com/politik/international/folgen-von-ki-iwf-warnt-vor-arbeitslosigkeit-und-leeren-staatskassen/100043511.html

P.S. Betrachten Sie, bitte, die ersten Zeilen meines Kommentars keinesfalls als Vorwurf Ihnen gegenüber. Persönliche Bedürfnisse sowie Ansichten in den Mittelpunkt zu stellen und als einzig richtiges Rezept für den Rest der Menschheit zu erachten, könnte man durchaus als kontrovers bezeichnen, aber Ihre ehrliche Aussage war mir zu menschlich und zu sympathisch, um Sie der Intoleranz oder des Egozentrismus zu verdächtigen.

SIGRID PETERSEN, 5. April 2025, 16:00 UHR

Meine Gedanken zum "Bedingungslosen Grundeinkommen"

Erste Frage: Was ist Geld, wo entsteht es, was ist Lohn - Einkommen? Einkommen ist niemals Geld, sondern besteht aus dem, was man für Geld kaufen kann, aus Waren. Bei der Produktion von Waren, dem Transformationsprozess von natürlichen Ressourcen entsteht Geld, nämlich das Tauschobjekt, der Tauschwert, der sich der Einfachheit halber in Geld als Tauschmittel ausdrückt.

Zweite Frage: Woran orientiert sich der Geldwert eines Produktes? Der Geldwert eines Produktes orientiert sich an den Bedürfnissen der Mitmenschen. Ein Produkt, das niemand braucht, wird keinen Wert erhalten. Es wird nicht „getauscht“ werden.

Dritte Frage: Worin liegt der Sinn der Arbeit? Der Sinn der Arbeit liegt in der Schaffung von Produkten, die die Bedürfnisse der Mitmenschen erfüllen. Man arbeitet nicht für sich, jeder arbeitet für die Anderen, die die selbst geschaffenen Waren brauchen, es handelt sich um Arbeitsteilung. Man arbeitet nicht für Geld, sondern für die Möglichkeit, das selbst Produzierte im Tausch für andere Waren erhalten zu können.

Vierte Frage: Kann ich selbst den Sinn der Arbeit definieren? Eine Arbeit hat erst dann Sinn, wenn sie von der Gesellschaft als sinnvolle Arbeit anerkannt ist. D.h., dass das Ergebnis der Arbeit die Bedürfnisse anderer erfüllt (siehe zweite Frage).

Aus den vorbenannten vier Fragestellungen und den Antworten ergibt sich, dass jedes Geld sich als Geldwert im Tausch für verrichtete Arbeit beim Transformationsprozess zu Waren generiert. Jede Tätigkeit, die sich nicht an diesem Prozess beteiligt, aber als gesellschaftlich erforderlich herausstellt oder als solches erkannt wird, wird von denen getragen, die an dem Prozess der Herstellung von den notwendigen Waren, derer eine Gesellschaft bedarf (Lebensmittel, Kleidung, Maschinen ….) beteiligt sind. Besonders deutlich wird diese Tatsache in Krisenzeiten, in denen Knappheit an notwendigen Waren herrscht. In diesen Zeiten wird die Gesellschaft auf bspw. Kunsthistoriker, Künstler, Germanisten, Politikwissenschaftler, Dichter etc. verzichten und diese werden sich eher in den Produktionsprozess von Waren eingliedern, um nicht zu verhungern.

Je effizienter eine Gesellschaft für die notwendigen Grundlagen sorgen kann, desto eher kann sie sich leisten, Tätigkeiten, die nicht dem Produktionsprozess dienlich aber gesellschaftsrelevant anerkannt sind, mitzufinanzieren und sich dadurch auch im gesellschaftlichen Niveau heben, effizienter werden und sich wiederum einen größeren Anteil an nicht dem Produktionsprozess angegliederten Tätigkeiten leisten oder auch selbst Arbeitszeit im produktiven Bereich reduzieren können.

Es zeigt sich, dass jede Arbeit und Tätigkeit, und damit die Tauschwertzuerkennung in diesem gesellschaftlichen Konstrukt/Miteinander Bedingungen unterworfen ist. Bedingungen, die der Markt schreibt (Produkte, die gebraucht werden) oder Bedingungen, die der Produktivität unterliegen (Mitfinanzierung nicht am Produktionsprozess beteiligter Tätigkeiten) wie Bildung, Forschung, Kunst etc. Ein bedingungsloses Einkommen kann es nicht geben. Ein bedingungsloses Einkommen würde bedeuten, dass andere für dieses Einkommen arbeiten ohne die Bedingung stellen zu können, dass sie dafür das im Tausch erhalten, was sie brauchen, wünschen oder als wert anerkennen. Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man sich nur verdeutlichen, wo Geld entsteht.

SE, 6. April 2025, 13:40 UHR

Geld ist ein abstraktes Verrechnungsmittel, bei dem jeder Nutzer mit jeder Nutzung eine Spekulation auf die Zukunft eingeht. Spekulationsobjekt ist dabei nicht nur der "Wert" des Geldes (korrekterweise: irgendein zukünftiger Preis), sondern auch die Zeit selbst. Dem entsprechend ist Geldnutzung immer individuell.

... das von Altruisten geforderte Einkommen aus der Arbeitsleistung der Allgemeinheit ist schon vom Wort her Unfug: nicht mal das Nichts ist ohne Bedingung.

... ich persönlich denke, diese Forderung entspringt der Wohlstandsentgleisung, die sich seit 20..50..80 Jahren steigert, wo nun mehrere Generationen in Naturentfremdung aufgewachsen sind - die Wahrnehmungsfähigkeit für Wirklichkeit hat erheblich gelitten und wurde seit Kants Versuch eigentlich nie erreicht, gesellschaftlich.

... eine Forderung auf die Arbeitsleistung eines oder mehrere Völker zu erheben, war schon immer eine Tat des Hofstaates, schwappte dann in die christliche Priesterhierarchie unter dem Papst und wurde auch beim Bastille-Sturm nicht eingesehen, sondern lediglich mit anderen Mitteln umgesetzt. Heute wandelt sich das Mittel wieder und diesmal auch die Täter: das degenerierte Volk denkt sich per Selbstversklavung befreien zu können ...

CAROLIN NEUBAUER, 7. April 2025, 10:25 UHR

In meinen Augen sind das alles nur Übergangslösungen. Die wirklich erstrebenswerte Vision hat Bilbo Calvez in ihrem Buch "Saruj - Stell dir vor, es gibt kein Geld mehr" beschrieben.

SE, 8. April 2025, 09:20 UHR

Können Sie das kurz rezensieren? (habe das Buch seit Jahren auf meinem Stapel liegen... gekauft wegen der Möglichkeit eines echten neuen Gedankens darin ... aber noch kein Funke ist gesprungen, es anzufangen - wurde wohl schon zu oft enttäuscht)

CAROLIN NEUBAUER, 8. April 2025, 20:50 UHR

Es ist ein Zukunftsroman, der in ca. 70 Jahren spielt. Es gibt kein Geld mehr, gar keins. Alles in der Gesellschaft beruht auf Freiwilligkeit. Prinzip Anarchie. Ich bin Ende 2021 über ein Interview mit Bilbo Calvez bei M-Pathie darauf gestoßen, das mich sehr berührt hat. Sofort habe ich das Buch bestellt und später Lesungen mit Bilbo organisiert. Mich hat das Buch sehr inspiriert, sowie auch der Austausch mit Bilbo. Ich kann die Lektüre nur empfehlen.

Hier der Link zum Interview (es ist tatsächlich von 2021, nicht von 2024): https://www.youtube.com/watch?v=JfCXd-lIUp8

Hier der Link zum Buch, dort steht auch was zum Inhalt: https://bilbo.calvez.info/saruj

MICH LAUST DER AFFE, 9. April 2025, 10:10 UHR

@Carolin Neubauer,

Ich habe dieses Buch von Bilbo Calvez zwar nicht gelesen. Aber ich habe seinerzeit Bilbo Calvez‘ Interviews und ihre Kolumne bei KenFM verfolgt. Und dabei ist mir klar geworden, dass sie leider ganz grundsätzlich nicht verstanden hat, was Geld ist. Wenn man beim Begriff „Geld“ nur an Dollar, Euros oder evtl. Gold denkt, dann hätte sie natürlich recht: eine gesunde Gesellschaft kann jederzeit ohne diese Artefakte auskommen.

Aber was sie nicht verstanden hat: in einer arbeitsteiligen Gesellschaft entsteht ganz automatisch Geld dadurch, dass man nicht für die eigenen Bedürfnisse produziert, sondern für diejenigen seiner Mitmenschen. Berechtigter Weise verbindet man damit auch den Anspruch, dass es hierfür einen Ausgleich vonseiten seiner Mitmenschen gibt.
Und dieser Anspruch, das ist die Quintessenz von Geld. In einer Gemeinschaft anonymer Individuen (unvermeidlich ab einer gewissen Größe) muss dieses Konzept – Geld – natürlich in irgendeiner Weise formalisiert und praktikabel implementiert werden. Das kann auf ungerechte Weise geschehen, wie in unserer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, in der das so ausgestaltet ist, dass sich eine skrupellose Minderheit auf Kosten der Mehrheit ungerechtfertigte Vorteile damit erschleicht, die über kurz oder lang zu unhaltbaren gesellschaftlichen Zuständen führen. Aber ich bin mir sicher, es gäbe auch gerechte Lösungen, die mit gutem Willen in einem gemeinwirtschaftlichen Ansatz erarbeitet werden können. Die geldlose Gesellschaft, die sich Bilbo Calvez vorstellt, ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ein utopisches Hirngespinst.

PS: Jetzt habe ich mir doch glatt das verlinkte M-Pathie-Video angeschaut. Es ist mir gelungen, das seichte Geplapper eine halbe Stunde lang anzuhören, bevor es mir zu dumm geworden ist. Was für ein Niveau-Unterschied zu den hervorragenden Interviews der Serie „KenFM im Gespräch“. Was ich gehört habe, reicht für die Bestätigung, dass ich Bilbo Calvez richtig in Erinnerung hatte. Ihre „Bärensuppe“, in die jeder reintut, was er erübrigt und rausnimmt, was er braucht, erschien mir schon damals ein übles Gebräu zu sein. In dem Gespräch meint sie ja, ohne dies irgendwie zu belegen, diese Suppe würde – im Gegensatz zu der in der Praxis gemachten Erfahrung mit den vielen Köchen, die den Brei verderben – eine Köstlichkeit sein. Dann versucht sie auch noch, ihre diffusen Vorstellungen mit Versatzstücken des Anarchismus zu veredeln. Ihre vorgebrachten Argumente dabei erinnern mich an zahlreiche Diskussionen, die ich schon zum Thema Anarchismus hatte. Bei solchen Diskussionen hat sich regelmäßig herausgestellt, dass es sich nur um Halb-Anarchisten handelte, die zwar darauf bestanden, dass niemand ihnen etwas vorzuschreiben habe, aber umgekehrt bei genauerer Betrachtung nicht verbergen konnten, dass ihnen die Bevormundung anderer mit ihren eigenen Vorstellungen weit weniger anstößig erschien. (Disclaimer: ich habe nichts gegen Anarchismus. Ganz im Gegenteil, ich halte das für eine gesellschaftlich anstrebenswerte Leitidee. Allerdings nicht mit Halb-Anarchisten.)

Mir scheint, Bilbo Calvez versucht dabei, persönliche Traumata aufzuarbeiten, indem sie erwartet, dass die Gemeinschaft sie so bedingungslos zu lieben habe und keinerlei Erwartungshaltung ihr gegenüber haben dürfe, wie das landläufig von Mutterliebe erwartet wird. Dieser Anspruch erscheint mir unrealistisch hoch zu sein, wenn er über eine Gemeinschaft enger Freunde hinausgeht. Für die anonyme Gemeinschaft einer durch Arbeitsteilung miteinander verbundenen Volkswirtschaft geradezu absurd.

Dort wird meiner Meinung nach im Gegenteil die Formalisierung der aus Arbeitsteilung entstehenden Ansprüche gegenüber anderen geradezu unabdingbar. Wenn man den Begriff „Geld“ hierfür nicht mag, weil man all die Ungerechtigkeiten damit verbindet, die unserem aktuellen Geldsystem anhaften, dann könnte man sich ja eine neue Bezeichnung einfallen lassen. Aber auf das dahinterstehende Grundprinzip kann eine arbeitsteilige Gemeinschaft meiner Meinung nach nicht verzichten. In diesem Sinn ist die geldlose Gesellschaft ein absurdes Hirngespinst. Freiwillig etwas für andere, auch nicht persönlich Bekannte, zu tun, ist selbst in einer Gesellschaft mit einem ungerechten Geldsystem wie unserem aktuellen möglich. So unterstütze ich z.B. nicht nur Multipolar, sondern auch noch fünf weitere journalistisch hochwertige Projekte mit monatlichen Beiträgen, die ich auch umsonst lesen könnte. Die Betreiber dieser Projekte machen ihre Publikationen der Allgemeinheit unentgeltlich zugänglich. Man könnte auch sagen: das Konzept „Bärensuppe“ funktioniert auch in einer Gesellschaft mit Geldsystem. Ganz auf freiwilliger Basis, ohne daraus eine Ideologie von geldloser Gesellschaft zu machen. Wie diese Interaktion zwischen entgeltlos Publizierenden und dankbaren Lesern ohne Geld funktionieren sollte, ist mir schleierhaft.

CAROLIN NEUBAUER, 9. April 2025, 19:10 UHR

Interessant, welch unterschiedliche Reaktionen ein Mensch, ein Video, ein Buch in unterschiedlichen Menschen hervorruft.

SE, 10. April 2025, 13:00 UHR

Danke! Ich habe das Buch wegen diesem Interview - mein Eindruck war, dass sie nicht nur Ideologie redet, sondern tatsächlich wagt, Ideen zu entwickeln. Mein Problem war (und ist) der Geldbegriff, also das Problem mit Ausgleich - wie es MICH LAUST DER AFFE oben benennt und beschreibt.

Es ist ja so: ein heutiger Bäcker kann locker 100 Leute mit Backwaren versorgen, eher 1.000, 10.000 oder 100.000, wenn er "all out" geht mit dem, was heutige Technologie hergibt. Seine Produktivität ("Kapital" im Sinn des Wortes) ist weit, weit, weit über seinem direkten Umfeld aus Familie, Nachbarn und Dorf oder Stadt(teil). Das ist ein gesellschaftliches Problem, was existent ist und daher weder ignoriert werden kann, noch mit Ideologie übertüncht werden kann (was "wir" Menschen seit 200, 300 Jahren versuchen und scheitern ... müssen).

Mir ist nicht klar, ob Frau Calvez das verstanden hat. Ich werde es wohl doch lesen müssen, um das herauszufinden.

CAROLIN NEUBAUER, 10. April 2025, 18:00 UHR

Ich habe Bilbo Calvez als ziemlich intelligent erlebt - und natürlich geht die Idee & Vision über "wir versorgen uns und unsere Nächsten" hinaus. Lesen kann ich empfehlen ;)

HELENE BELLIS, 7. April 2025, 14:20 UHR

Mir geht es ein wenig wie Karl Reitter, auch ich empfinde den Artikel leicht einseitig, und vor allem stört mich, daß gleich davon ausgegangen wird, daß die an sich gute Idee eines BGE ja nur in vergewaltigter Form angegangen werden würde.

Trotz aller Kritik, die man üben kann: es gab auch gute Versuche mit ziemlich guten Ergebnissen, wie beispielsweise das Mincome Mitte der 70er Jahre in Kanada. Einen kurzen Überblick über die damaligen Folgen (u. a. eine Senkung der Krankheitskosten, aber auch höhere Bildungsabschlüsse) gibt es hier:

https://www.n-tv.de/panorama/Dauphin-war-die-Stadt-ohne-Armut-article15287556.html

Allerdings reiht sich das Mincome nicht ganz in die o. g. Liste mit den Schlüsselmerkmalen ein, weil es an Familien ausgezahlt wurde.

STRESSTEST, 7. April 2025, 23:20 UHR

"Allerdings reiht sich das Mincome nicht ganz in die o. g. Liste mit den Schlüsselmerkmalen ein, weil es an Familien ausgezahlt wurde."

@HELENE BELLIS: Hier weitere Ausschlusskriterien bei diesem Projekt:

"Die Screening-Umfrage identifizierte nicht infrage kommende Haushalte, darunter Haushalte: (a) mit einem Haushaltsvorstand über 57 Jahre; oder (b) mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von über 13.000 Dollar im Jahr 1972/73; oder (c) Haushalte von geistig inkompetenten Personen; (d) mit Sprachbarrieren, die es ihnen unmöglich machen, auf Englisch zu antworten; (e) mit einem oder mehreren Haushaltsvorständen bei den Streitkräften; (f) mit behinderten erwachsenen Mitgliedern; (g) Mitgliedern eines religiösen Ordens; (h) Heimhaushalten; (i) Angestellten von MINCOME Manitoba; (j) mit mehr als 5 Mitbewohnern, die in derselben Wohnung leben."

https://mdl.library.utoronto.ca/collections/numeric-data/microdata/manitoba-basic-annual-income-experiment-mincome-1974-1979

MICH LAUST DER AFFE, 8. April 2025, 20:10 UHR

@Feldheld,

„Ich habe einmal ein paar Monate lang Arbeitslosengeld bezogen. Ich musste nichts tun, ja es wurde mir regelrecht hinterhergeworfen.“

Also auch zum Thema Hartz IV / Bürgergeld nur Propaganda im Mainstream? So wie bei der Pandemie von nationaler Tragweite und beim brutalen Überfall auf die Ukraine? Keine entwürdigenden und existenzbedrohenden Sanktionen, sondern man muss in Deckung gehen, damit man nicht mit Arbeitslosengeld zugesch… wird? Und diesen entwürdigenden Umständen, die uns da von der Mainstreampropaganda verschwiegen werden, haben Sie mehrere Monate lang Stand gehalten, bevor Sie ihre Würde wieder entdeckt haben! Chapeau! Dabei sollte doch jedem Bürger, der nicht in Wolkenkuckucksheim wohnt, klar sein, wie leicht es ist, im besten Deutschland aller Zeiten ist, seine Würde wieder herzustellen: irgendeinen Job zum Latrinenputzen wird man bei ein wenig gutem Willen und entsprechender Selbstachtung schon finden, der mit dem halben Stundensatz des Mindestlohns entlohnt wird!

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