![Moldawien (orange) und Georgien (grün) | Bild: Wikipedia / CC BY-SA 3.0 Moldawien (orange) und Georgien (grün) | Bild: Wikipedia / CC BY-SA 3.0](https://multipolar-magazin.de/media/pages/artikel/georgien-moldawien/f68906f755-1734010111/georgien-moldawien-3b-282x.jpg)
Bruchkante oder Brücke? Moldawien und Georgien im geopolitischen Spannungsfeld
ELKE SCHENK, 12. Dezember 2024, 2 Kommentare, PDFDie Parlamentswahl am 26. Oktober sei „eine russische Sonderoperation” gewesen. Sie seien „Zeugen und Opfer” einer „neuen Form der hybriden Kriegsführung gegen unser Volk”, erklärte die georgische Präsidentin Salomé Surabischwili, nachdem die Auszählung der Stimmen eine absolute Mehrheit von 54 Prozent für die Regierungspartei Georgischer Traum ergeben hatte. Es habe sich „um eine totale Fälschung, einen totalen Diebstahl von Stimmen“ gehandelt, sagte Surabischwili, „bei dem alle Tricks angewandt wurden, die zur Fälschung von Wahlen verwendet werden können.”
„Ich möchte als Vertreterin der einzigen unabhängigen Institution sagen, dass ich diese Wahlen nicht anerkenne. (…) Wir werden zusammenstehen und sagen: Wir werden diese neue Form der Unterwerfung durch Russland nicht akzeptieren“.
Die Präsidentin rief zu Demonstrationen gegen das Wahlergebnis auf.
Georgiens politische Landschaft ist gespalten zwischen EU-naher Präsidentin und Opposition einerseits und einer Regierung unter der Mehrheitspartei „Georgischer Traum”. Sie gilt den herrschenden Kreisen des Westens als Ableger russischer Interessen in Georgien, sieht sich selbst als neutrale Kraft, die sich nicht in das Entweder-Oder zwischen West-und Ost-Orientierung begeben will. Georgien hat sich den Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen.
Dass die georgische Regierung gleichwohl den EU-Beitritt befürwortet, wird im Westen als Kalkül gewertet, obwohl Georgien die „Integration in die Europäische Union (…) in der Verfassung verankert (hat), (…) Mitglied in der Östlichen Partnerschaft der - Nachbarschaftspolitik [ist] und (...) 2016 ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen“ hat, wie das Auswärtige Amt erläutert. Darüber hinaus ist Georgien als kaukasische Brücke zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer Schachfigur in der geopolitischen Auseinandersetzung um die Kontrolle der Öl- und Gaspipelines aus dem kaspischen Becken. Die USA wollen Georgien in der Nato sehen, was Russland als Gefahr für die eigene Sicherheit betrachtet.
Der Konflikt innerhalb Georgiens erreichte eine neue Stufe, als Ministerpräsident Kobachidse am 29. November die EU-Beitrittsverhandlungen bis Ende 2028 stoppte. Georgien werde von der EU erpresst, wolle gleichwohl die Voraussetzungen für den EU-Beitritt 2030 schaffen, erklärte er.
Georgiens Ringen um die eigene Staatlichkeit
Die Geschichte der Kaukasusrepublik Georgien mit ihren knapp vier Millionen Einwohnern ist geprägt vom Ringen um Unabhängigkeit und Territorialkonflikte. Eine zentrale Rolle spielt in den letzten 200 Jahren Russland. Wenn Georgien in westlichen Medien als Opfer von Wladimir Putins Machtphantasien betrachtet wird, trifft dies das komplexe Verhältnis der Nachbarn unzureichend. Der Historiker Philipp Ammon sieht in seiner Analyse „Georgien zwischen Eigenstaatlichkeit und russischer Okkupation“ (1) ein paradoxes Verhältnis der beiden christlich-orthodoxen Länder: „ein Muster von Nähe und Fremdheit, von Verbundenheit und Abkehr, von russisch-imperialer Homogenisierung und georgischer Identitätsbehauptung.“
Im 19. Jahrhundert gewann das russische Zarenreich die Kontrolle über Georgien. Dies ging auch mit einer Unterdrückung der georgischen Sprache und Kirchentradition einher, wogegen sich der georgische Widerstand formierte. Andererseits habe Russlands „imperialer Schirm“ Georgien vor islamischer Herrschaft geschützt. Die Verwaltungsmodernisierung habe erst die Voraussetzungen für eine eigene georgische Staatlichkeit geschaffen.
Nach der Oktoberrevolution gegen das Zarenreich erklärte sich Georgien als demokratische Republik im Mai 1918 für unabhängig und wollte die Region Südossetien ins eigene Staatsgebiet eingliedern. Südossetien widersetzte sich und strebte seinerseits die Loslösung von Georgien an. Ein Schutzvertrag mit dem Deutschen Kaiserreich sollte Georgien vor osmanischen und bolschewistischen Bedrohungen schützen. Infolge der Niederlage der Reichswehr im Ersten Weltkrieg und der Besetzung durch die Rote Armee endete die Unabhängigkeit 1921 mit der Eingliederung in die Sowjetunion. Gorbatschows Reformpolitik wiederbelebte die Unabhängigkeitsbestrebungen. Im Frühjahr 1991 erklärte sich Georgien erneut für unabhängig.
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Territoriale Situation Georgiens nach den eingefrorenen Konflikten (Abchasien, Südossetien) | Bild: UN
Philipp Ammon stellt fest, dass die Loyalität der Georgier historisch der Kirche gelte, nicht ihrem Staat. „Diese geringe Staatsbindung verleiht den Regierungswechseln seit dem Ende der Sowjetherrschaft revolutionären bis bürgerkriegsartigen Charakter, verbunden mit jeweils komplettem Austausch der Staatsdienerschaft“ und erleichtere „politische Interventionen äußerer Mächte“. Als Musterbeispiel dafür kann die vom Westen geförderte „Rosenrevolution“ angeführt werden. Sie brachte Michail Saakaschwili 2004 bis 2013 ins Präsidentenamt. „Saakaschwili stand für eine enge, kompromisslose Anbindung Georgiens an die USA“ und ein Ende der „ausgeglichene(n) Balance zwischen Moskau und Washington“, für die der abgesetzte Eduard Schewardnadse gestanden hatte, schreibt der Journalist und Georgien-Kenner Rainer Kaufmann. (2)
Saakaschwilis politisches Erbe
Saakaschwili holte westliche Auslandsgeorgier in politische Ämter, wie beispielsweise die derzeitige Präsidentin Surabischwili als Außenministerin. Darüber hinaus betrieb er die Entmachtung der alten russlandfreundlichen Eliten und eine wirtschaftsliberale Privatisierungspolitik zugunsten ausländischer Investoren und der aus der Diaspora zurückgekehrten Georgier. Infolge „langjähriger Unterstützung der internationalen Gebergemeinschaft“ forciere Georgien die Privatisierung der Energiewirtschaft, hieß es im Jahr 2006 vonseiten des Auswärtigen Amtes.
Im Zuge des Zerfalls der UdSSR wurde auch der Konflikt zwischen Georgien und Südossetien bzw. Abchasien wieder virulent. Das südossetische Bemühen um Autonomie und Anerkennung durch Russland trifft auf georgische Versuche, das Gebiet dem georgischen Staatswesen einzugliedern. Zugleich kulminiert in den Gebietsstreitigkeiten der neue Kalte Krieg zwischen den USA, die ihre Einflusssphäre in den post-sowjetischen Raum ausweiten wollen, und Russlands Sicherheitsinteressen, einen NATO-Beitritt Georgiens zu verhindern.
Als Gegenbewegung gegen die grassierende Korruption und autoritäre Politik mit Notstandsrecht unter Saakischwili gründete der Milliardär Bidsina Iwanischwili im Frühjahr 2012 die Partei „Georgischer Traum“. Ihr schlossen sich weitere Parteien und Bürgerbewegungen an, so dass das Wahlbündnis im Oktober 2012 die Parlamentswahlen mit absoluter Mehrheit gewann und seither die Regierung stellt. Bidsina Iwanischwili gilt in westlichen Medien und der georgischen Opposition als russlandnaher Oligarch, da er sich in der Zeit des Zerfalls der Sowjetunion bei der Privatisierung des Staatseigentums bereichert hat.
Präsidentin Salomé Subarischwili
Die Präsidentin Salomé Subarischwili betreibt mit Macht die Integration Georgiens in die EU und NATO. Dafür überschritt sie auch die Grenzen ihrer verfassungsrechtlichen Zuständigkeit und betrieb eine Art Nebenaußenpolitik. Und dafür steht ihre persönliche und politische Biografie. Sie ist die Tochter hochrangiger georgischer Emigranten, die während der Russischen Revolution 1917 nach Paris emigriert sind. Salomé Subarischwili wurde 1952 in Paris geboren und betrat Georgien selbst erstmals im Jahr 1986. Nach dem Studium am Institut d’Etudes Politiques in Paris absolvierte sie 1973 ein Aufbaustudium bei Zbigniew Brzezinski an der Columbia University in New York. Brzezinski schrieb als Sicherheitsberater unter US-Präsident Jimmy Carter das geostrategische Grundlagenwerk „Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft”.
Als Diplomatin Frankreichs war sie seit 1974 unter anderem in den USA, in Italien, bei der UNO, der NATO in Brüssel und der OSZE in Wien eingesetzt. Im November 2003, während der sogenannten Rosenrevolution, wurde sie Botschafterin Frankreichs in Tiflis. Wie sie georgische Außenministerin wurde, beschreibt ein Portrait Surabischwilis in der Washington Post von 2004. Danach bat der damalige georgische Präsident Saakaschwili Frankreichs Staatspräsidenten Jaques Chirac im März 2004, die Diplomatin für das Amt der georgischen Außenministerin freizustellen. Chirac willigte ein, Surabischwili erhielt zusätzlich zu ihrer französischen die georgische Staatsbürgerschaft und trat noch im März 2004 das Amt als Außenministerin an.
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Salomé Surabischwili im September 2024 zu Gast in Berlin | Bild: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
Im Jahr 2006 gründete sie ihre eigene Partei ‚Georgiens Weg‘, die sich „vor allem für die Einführung einer konstitutionellen Monarchie einsetzte“. (2) Durch eine Sonderregelung durfte sie 2018 für das Präsidentenamt in Georgien kandidieren, wenn sie den Antrag auf Aufhebung der französischen Staatsbürgerschaft stellt. Mit Unterstützung des Georgischen Traums wurde Subarischwili 2018 zur Präsidentin gewählt.
Präsidentschaftswahlen und Transparenzgesetz
Am 14. Dezember finden nun Präsidentschaftswahlen nach dem neuen Wahlrecht statt. Das Wahlgremium, eine Art Bundesversammlung, von 300 Mitgliedern aus Parlament, Vertretern der Obersten Räte der Autonomen Republiken Adscharien und Abchasien sowie Kommunalvertretern entscheidet. Der Kandidat des Georgischen Traums kann mit etwa 170 Stimmen rechnen, falls es keine Abweichler gibt. Sollte er die notwendigen 180 Stimmen im ersten Wahlgang nicht erhalten, scheint ihm der Sieg im zweiten Wahlgang sicher, bei dem der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt. Präsidentin Subarischwili hat indes erklärt, es gebe kein legitimes Parlament, „und deshalb kann ein illegitimes Parlament keinen neuen Präsidenten wählen“. Deshalb werde sie „trotz ihrer im Dezember endenden Amtszeit auf ihrem Posten bleiben“.
Die Empörung Surabischwilis, der Opposition und der EU richtet sich auch gegen ein Gesetz, das von sogenannten „Nichtregierungsorganisationen“ (NGOs) die Registrierung und Offenlegung ihrer Finanzquellen verlangt, sobald mehr als 20 Prozent des Budgets von ausländischen Organisationen stammen. Damit ist auch die der Opposition nahe stehende Organisation „Civil.ge“ im Fokus. Laut Beschreibung auf der Homepage wird die „redaktionelle Unabhängigkeit” der Organisation durch ihre Finanzierung gewährleistet. Zu den Geldgebern gehören und gehörten die United Nations Association of Georgia (UNAG), das National Endowment for Democracy (NED) aus den USA, die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), das East-West Management Institute’s Civil Society Engagement Program (CSEP) in Georgia, finanziert von USAID, das Transition Promotion Program des tschechischen Außenministeriums sowie der Confidence Building and Early Response Mechanism (COBERM) mit Geldern der EU. Ein Geschäftsbericht steht auf der Homepage nicht zur Verfügung. Ebenso wenig gibt es Informationen über die Höhe der Zuwendungen.
„Civil.ge“ kann als exemplarisches Beispiel für den seit Jahrzehnten bestehenden Einfluss von westlichen NGOs in Georgien betrachtet werden. Die Aktivistin Almut Rochowanski und Sopa Japaridze, Vorsitzende der unabhängigen Gewerkschaft für Pflegekräfte in Georgien, haben deren Einfluss nachgezeichnet. Schon der georgische Präsident Eduard Schewardnadse habe nach der Unabhängigkeit internationalen NGOs die Tür geöffnet, in der Hoffnung auf wirtschaftliche Entwicklung. Mittlerweile existierten in Georgien bei etwa 3,7 Millionen Einwohnern 25.000 NGOs, finanziert von ausländischen, mehrheitlich westlichen Quellen, die oft Teil westlicher Regierungen sind oder westlichen Regierungen sehr nahestehen.
NGOs als westliche „Erfüllungsgehilfen“
Die einflussreichen Geldgeber legten Programme auf und gründeten georgische Ableger als „Erfüllungsgehilfen“ für die Projektabwicklung, um „den Schein der Einbindung der lokalen Bevölkerung zu wahren“, schreiben Rochowanski und Japaridze. Es seien „die meisten Bereiche der Politik und der öffentlichen Dienstleistungen – Schulwesen, Gesundheitssystem, Gerichtsreformen, Entwicklung des ländlichen Raumes, Infrastruktur und so weiter – kolonisiert“. Die demokratischen Prozesse und die Souveränität des Landes seien unterminiert, da die ungewählten NGOs nicht legitimiert seien und von den Bürgerinnen und Bürgern nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten.
Die Regierungspartei Georgischer Traum würde mit dem Transparenzgesetz an dieser Praxis nichts ändern. Sie folge auch einem „technokratischen, neoliberalen, depolitisierten“ Politikverständnis. Das Hauptziel des Transparenzgesetzes sei, „eine kleine, aber sehr mächtige Clique von NGOs, mit Jahresbudgets von bis zu einigen Millionen Dollar oder Euros von ausländischen Gebern, einige von ihnen eng verbunden mit Micheil Saakaschwilis Partei Vereinte Nationale Bewegung“ in die Schranken zu weisen. Diese NGOs erklärten seit Jahren die Regierung für illegitim und versuchten einen Umsturz über Straßenproteste herbeizuführen. „Um das Ganze abzurunden, lobbyieren sie auch noch die EU und USA, damit diese hochrangige Mitglieder von Georgischer Traum sanktionieren oder über sie Einreiseverbote verhängen.“ Die Strategie der westlichen NGOs scheint aktuell Erfolg zu haben: Die EU „erwägt“ bereits Sanktionen gegen georgische Regierungsmitglieder und den Milliardär Bidsina Iwanischwili.
Unter anderem wegen des sogenannten „Agentengesetzes“ hat die EU im Juni 2024 den Beitrittsprozess eingefroren. Die westliche Berichterstattung informiert über den Inhalt und Hintergrund kaum, sondern rahmt das Gesetz als Schritt hinzu russischen Verhältnissen. Eine Resolution des EU-Parlamentes fordert Neuwahlen und Sanktionen gegen hochrangige Politiker. Daraufhin hat am 28. November die georgische Regierung ihrerseits Beitrittsverhandlungen bis Ende 2028 ausgesetzt. Anfang Dezember eskalierte der Protest in Tiflis mit Straßenschlachten, Feuerwerkskörpern, Flammenwerfern und brennenden Barrikaden. Ob sich die Konflikte in Georgien zu einem „zweiten Maidan“ auswachsen, wird in naher Zukunft erkennbar.
Parallelen und Gegensätze in Moldawien
Eine ähnliche politische Konstellation ist in Moldawien zu finden. Ein CNN-Kommentar sieht die Präsidentenwahl im Herbst 2024 als Richtungsentscheidung, ob das Land auf EU-Kurs bleibe oder „zurück in die Umlaufbahn des Kremls taumelt”.
Maia Sandu, seit Ende 2020 Staatspräsidentin der Republik, fährt wie ihre Kollegin in Georgien einen Pro-EU-Kurs. Nach ihrer Berufsbiografie auf der Präsidentenhomepage steht sie für eine wirtschaftsliberale Ausrichtung der Politik. Die studierte Ökonomin arbeitete von 1998 bis 2005 bei der Weltbank in Chisinau, war anschließend zwei Jahre Direktorin des Wirtschaftsförderungsprogramms beim moldawischen Wirtschafts- und Handelsministerium. Nach einem Masterabschluss am Kennedy-Institut für Öffentliche Verwaltung der Harvard Universität 2010 war sie Beraterin des geschäftsführenden Direktors bei der Weltbank in Washington.
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Maia Sandu im Dezember 2024 zu Gast in Brüssel | Bild: picture alliance / Anadolu / Dursun Aydemir
Im Präsidentschaftswahlkampf bezeichnete sie ihren Hauptkonkurrenten, Ex-Generalstaatsanwalt Stoianoglo, als „Trojanisches Pferd” Moskaus und warnte vor gekauften Stimmen zugunsten ihres Konkurrenten. Diesen habe sie „rechtsstaatlich zweifelhaft” wegen Korruptionsvorwürfen 2021 entlassen, berichtete die Frankfurter Allgemeine. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gestand Stoianoglo zu, sein Recht auf ein faires Verfahren sei verletzt worden. Zudem war Sandu Anfang Oktober 2024 von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats dafür gerügt worden, eine ihr unliebsame Richterin per Präsidentialdekret entlassen zu haben. Dieses Recht erlaubt die moldawische Verfassung seit 2021 nicht mehr.
Der ehemalige ungarische Botschafter in Moldawien, György Varga, verweist auf die Vielzahl an wichtigen staatlichen Ämtern, die mit Personen rumänischer Staatsangehörigkeit besetzt sind, zum Beispiel das Staatsoberhaupt, der Präsident des Parlaments, der Premierminister, der Minister für auswärtige Angelegenheiten, die Mitglieder des Verfassungsgerichts, der Chef des Geheimdienstes. Letzterer sei zudem „von 2013 bis 2020 auch Mitarbeiter der George-Soros-Stiftung” gewesen. Die Anti-Korrruptionsbeauftragte, Veronica Dragalin, war früher Staatsanwältin in Los Angeles.
Moldawische Präsidentschaftswahlen im November 2024
In der Stichwahl der Präsidentschaftswahl am 3. November zeigte sich das gleiche Muster wie bereits beim vorangegangenen Referendum am 20. Oktober, in welchem es darum ging die EU-Anbindung des Landes in den Verfassungsrang zu heben. Es gab unter den in Moldawien lebenden Menschen keine Mehrheit für die Westanbindung. Das denkbar dünnste Ergebnis für ein „Ja“ wurde offiziell erst durch die Stimmen der im westlichen Ausland lebenden Moldawier erzielt.
Nach der Auszählung aller Stimmen führte Maia Sandu in der Stichwahl mit gut 55 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen. Wählerinnen und Wähler, die in Moldawien leben, präferierten mit gut 51 Prozent hingegen den Konkurrenten Stoianoglo. Die im westlichen Ausland lebenden Moldawier stimmten mit knapp 83 Prozent für Sandu und entschieden damit die Wahl. Zumal auch bei diesem Wahldurchgang die 200.000 bis 500.000 Moldawier, die in Russland leben, und die Wähler aus dem russlandfreundlichen Transnistrien bei der Stimmabgabe massiv gehindert wurden, wie Multipolar damals bereits berichtete. Im Hinblick auf die Benachteiligung der in Russland lebenden Moldawier hält sich die OSZE nicht für zuständig, wie Andrej Hunko, Wahlbeobachter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates auf Multipolar-Anfrage erklärte. Sie beobachtete nur die Vorgänge in Moldawien.
Die Beteiligung an der EU-Sanktionspolitik gegen Russland mit den Folgen für die Binnenwirtschaft könnte für das Wahlverhalten in Moldawien eine Rolle gespielt haben. Moldawien habe sich „befreit” von der „russischen Gasabhängigkeit” und sich den westlichen Sanktionen gegen Russland angeschlossen, um Sekundärsanktionen gegen die eigene Wirtschaft und das Bankensystem zu entgehen, räumte Sandu bei einem Wahlkampfauftritt ein. Die Folge sind hohe Gaspreise und eine Inflationsrate von 30 Prozent.
Sandus Vertrauter und nationaler Sicherheitsberater, Stanislav Secrieru, warf indes Russland massive Wahleinmischung vor. Neben Desinformation und Stimmenkauf habe es illegale organisierte Wählertransporte in Wahllokale in Weißrussland, Aserbaidschan und die Türkei gegeben. Beobachter des EU-Parlamentes und des Europarates schließen sich den Vorwürfen gegen „Russland und seinen moldawischen Oligarchen“ an. Trotz des Verbotes von russischen Fernsehkanälen und Internetplattformen sowie Razzien und Verhaftungen von Verdächtigen vor der Stichwahl sei der Wahlbetrug möglich gewesen, wegen der „ausgefeilten Instrumente Russlands“, erklärte der Politologe Iulian Groza vom moldawischen Institut für Europäische Politik und Reformen (IPRE).
Die Vertreterin des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), Ursula Gazek, äußert sich differenzierter, erwähnt zwar auch ausländische Beeinflussung, verweist als Quelle auf Regierungsangaben und benennt nicht Russland als Täter. Sie hebt die Beeinflussung der Wähler durch die der amtierenden Präsidentin nahe stehende Regierung und Angestellte im Öffentlichen Dienst hervor. Auch hätte die Medienberichterstattung Maia Sandu durch eine vorwiegend positive Darstellung bevorzugt.
Legitime Einmischung und illegitime Einmischung
Kit Klarenberg vom US-Investigativ-Magazin „The Grayzone“ dokumentierte unter Bezug auf geleakte Gespräche mit einflussreichen Politikern und Wirtschaftsführern die weitreichende Korruption im Umfeld von Präsidentin Sandu und der Regierung.
„Die Aufnahmen, die The Grayzone erhalten hat, sind umso schockierender, wenn man bedenkt, dass die Republik Moldau in das Programm Countering Kremlin Malign Influence (CMKI) der US-Agentur für Entwicklungshilfe (USAID) aufgenommen wurde. Unter der Schirmherrschaft von USAID, einem traditionellen Ableger des US-Geheimdienstes, erhalten Länder, die einst zur Sowjetunion und zum Warschauer Pakt gehörten, umfangreiche Finanzmittel und praktische Unterstützung, um sich angeblich gegen russische Einmischung zu schützen. Die Bekämpfung der Korruption ist eines der Hauptziele der Initiative.”
Die US-Organisation „Institute for the Study of War“ (ISW) problematisiert in ihrem Beitrag „Mögliche russische Gewinne in Georgien und Moldawien“ allein vermeintlichen russischen Einfluss sowohl auf die Wahlprozesse in Georgien als auch in Moldawien. Personell und ideologisch ist das ISW mit den US-Neokonservativen verbunden, deren erklärtes Ziel es ist, die US-Hegemonie über die Welt zu erhalten. Die russischen Versuche den post-sowjetischen Raum zu kontrollieren, sollten auch Russlands militärischem Vorgehen in der Ukraine nutzen, glaubt man beim ISW. Dem Kreml wird unterstellt, gewaltsame Proteste gegen die Wiederwahl Sandus zu inszenieren.
Man präsentiert eine fragwürdige Geschichte: Der moldawische Oligarch Ilan Shor finanziere das Training von jungen Moldawiern in Balkanstaaten, die von serbischen und bulgarischen Nationalisten gewaltsame Protestformen zur Destabilisierung des Landes lernten, inklusive dem Gebrauch von Waffen und Sprengstoff. Es gebe Verbindungen zu russischen Geheimdiensten und der Söldnergruppe „Wagner“. Als Quelle dient das EU-nahe Medium „Balkans Insight“, das Informationen von moldawischen Sicherheitsdiensten erhalten habe. Zu gewalttätigen Aufständen in Moldawien ist es entgegen der ISW-Behauptungen und ganz im Gegensatz zu den Vorgängen in Georgien jedoch nicht gekommen.
Während Russland hybride Einflussoperationen in Georgien und Moldawien vorgeworfen werden, gelten Formen der Einmischung in die inneren Angelegenheiten durch US- oder EU-Vertreter in deren Verständnis offenbar als legitim. Kurz vor der moldawischen Präsidentschaftswahl versprach EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ein Unterstützungspaket von 1,8 Milliarden Euro, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, besuchte Chisinau vor der Stichwahl zum Präsidentenamt, um „Informationssicherheit und demokratische Wahlen zu stärken“ und das Land auf dem europäischen Weg zu unterstützen.
Der EU-Botschafter in Georgien, Pavel Gerchinsky, habe die Wähler aufgefordert, die Opposition zu wählen und der Regierung gedroht, EU-Gelder zu streichen, falls sie ihren Kurs nicht ändere. Die Proteste gegen das Ergebnis der Parlamentswahl in Georgien unterstützt eine Delegation unter Führung des SPD-Außenpolitikers Michael Roth. Wegen der „antidemokratischen“ Aktionen des Georgischen Traums hat das US-Außenministerium die „strategische Partnerschaft“ mit Georgien „suspendiert“.
Ein blinder Fleck sind auch die Implikationen der seit 2004 aufgelegten Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) für die politische und wirtschaftliche Souveränität der Länder an der östlichen Peripherie der EU. Georgien und seine kaukasischen Nachbarn sollten politisch und wirtschaftlich an die EU angebunden werden, ohne ihnen damals Aussichten auf eine formale Mitgliedschaft zu gewähren. Damit verbunden sind „präzise Verpflichtungen“ der Nachbarländer unter anderem in Richtung „Rechtsstaatlichkeit, Demokratie (…) [und] marktwirtschaftlich ausgerichtete Reformen“, so die EU-Kommission im November 2005. Die Verpflichtungen werden in „Aktionsplänen“ festgelegt und ihre Erfüllung von Experten der EU-Kommission vor Ort geprüft.
Das Rechts- und Verwaltungssystem muss an „europäische Standards“ angepasst werden, um sich für „die Teilnahme an den Grundfreiheiten des Binnenmarktes zu qualifizieren“, womit der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital gemeint ist. Ausländische Investoren sollen die gleichen Rechte wie inländische erhalten. Das soll sich auch auf den sensiblen Energiesektor erstrecken. So hieß es vonseiten des Auswärtigen Amtes 2006 unverblümt: „Grundsätzlich liegen Georgiens Vorteile als Investitionsstandort in seiner geostrategischen Lage. (…) Größtes aktuelles Investitionsprojekt sind die Öl- und Erdgas-Pipelines, die unter Umgehung der Territorien Russlands und Irans Rohstoffe aus dem Kaspischen Meer über Georgien in die Türkei und von dort weiter auf europäische Märkte befördern soll“.
Die Mitteilung der EU-Kommission von 2006 zur ENP räumt ein, dass bei dem „ehrgeizigen Reformprogramm“ – einer „vertieften Freihandelszone“ von ungleichen Partnern – „kurzfristig erhebliche politische und wirtschaftliche Belastungen verbunden sind“ und die versprochenen Vorteile „erst viel später Früchte tragen“.
Ausblick: Brücke oder Bruchkante?
Im Hinblick auf den Wunsch der Bevölkerung in Georgien zweifelt Georgien-Kenner Rainer Kaufmann an der Angabe von 80 Prozent Zustimmung zum EU-Beitritt. Die meisten Menschen wollten „eine bessere Zukunft“ für sich und ihre Kinder, dies „aber in Georgien und nicht im Ausland und Exil. Und natürlich die Freiheit, zu reisen. Dafür sollten alle in der Welt das Land einfach in Ruhe lassen“, empfiehlt er. (2)
Repräsentanten der EU verlangen eine Positionierung allein in Richtung EU und heizen die Spannungen und Spaltungen an. Der ehemalige Außenbeauftragte Josep Borrell sagte bezogen auf Georgien, man könne dort nicht Beziehungen zu Russland haben „und erwarten, dass das eigene Land Teil der EU wird”. Georgiens Wirtschaft hängt jedoch am Außenhandel mit dem großen russischen Nachbarn und am Status als Transitland zwischen Iran, Türkei und Russland. Seit den EU-Sanktionen gegen Russland hat Georgien eine bedeutende Rolle als Transitland zur Umgehung der Sanktionen eingenommen. Für den pragmatischen Weg der georgischen Regierung sprechen die Wirtschaftsdaten von Wirtschaftswachstum, geringer Inflation und gesunkener Arbeitslosigkeit.
Rainer Kaufmann schreibt in seinem Kommentar (3) in der „Kaukasischen Post“:
„Georgien war immer ein Land des Übergangs, eine Brücke zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West – zwischen Orthodoxie und Islam, zwischen christlichem Europa und buddhistischem Asien. Und es war immer ein Land des Transits, des Durchgangs für viele Völker, Waren und Heere, auch ein Land, in dem sich Einflüsse all dieser Kulturen niedergeschlagen und irgendwie verschmolzen haben. (...) Warum dieses Land jetzt von mehreren Kräften im internationalen Wettbewerb eingeladen werden muss, deren einseitigen Interessen sozusagen als Vorposten zu dienen, sollte durchaus einmal grundsätzlich hinterfragt werden dürfen.“
Über die Autorin: Elke Schenk, Jahrgang 1960, studierte Sozialwissenschaften und Germanistik und arbeitete als Lehrerin an einem Berufsschulzentrum. Seit fast zwei Jahrzehnten ist sie ehrenamtlich in globalisierungskritischen Initiativen engagiert. Themen ihrer Veröffentlichungen und Vorträge sind unter anderem EU-Verträge, EU-Erweiterung, Eurokrise, geopolitische Entwicklungen und die öffentliche Gesundheitspolitik von WHO und EU.
Anmerkungen
(1) Philipp Ammon: Georgien zwischen Eigenstaatlichkeit und russischer Okkupation. Die Wurzeln des russisch-georgischen Konflikts vom 18. Jahrhundert bis zum Ende der ersten georgischen Republik (1921). Klagenfurt 2015
(2) Rainer Kaufmann: Vortrag bei der VHS Bruchsal, 13.11.2024, unveröffentlichtes Manuskript
(3) Rainer Kaufmann: Meine Meinung: Brücke kann doch wieder Brücke werden. In: Kaukasische Post, Mai/Juni 2024
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