Bundeskanzler Olaf Scholz am Rande des G7-Treffens auf Schloss Elmau im Juni 2022 | Bild: picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Die entkoppelte Regierung

Corona, Impfen, Nord Stream 2 – immer häufiger werden politische Entscheidungen, die Gesundheit, Leben und materielle Existenz aller Bürger betreffen, ohne jedes demokratische Verfahren getroffen. Die Regierung erscheint entkoppelt, vom Volk und von demokratischen Spielregeln. Eine kleine, abgeschottete Riege von Politikern, so der Eindruck, führt das Land nahezu freihändig. Wohin, in wessen Sinn und – vor allem – wie lange noch?

PAUL SCHREYER, 15. September 2022, 7 Kommentare, PDF

Hinweis: Dieser Beitrag ist auch als Podcast sowie auf Italienisch verfügbar.

Immer mehr Bürger und inzwischen auch Lokalpolitiker fordern in diesen Tagen die Öffnung von Nord Stream 2, um die absehbare Katastrophe bei der Energieversorgung abzuwenden. Doch der Stopp der fertig gebauten Erdgaspipeline ist für die Regierung Scholz unumstößlich. Vergessen scheint, dass dieser Stopp in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ohne jedes demokratische Verfahren, zwei Tage vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine beschlossen wurde. Ein kurzer Rückblick anhand dreier Agenturmeldungen vom 22. Februar 2022 verdeutlicht die Umstände dieser Entscheidung:

22.2., 10:44 Uhr: Putin sagt Fortsetzung aller Gaslieferungen zu – Ungeachtet der Eskalation der Ukraine-Krise hat Russlands Präsident Wladimir Putin laut Nachrichtenagentur Tass zugesagt, die Gaslieferungen an die Weltmärkte ohne Unterbrechung fortzusetzen.

22.2., 12:05 Uhr: Bundesregierung stoppt Zertifizierung von Nord Stream 2 – Bundeskanzler Olaf Scholz hat entschieden, die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 auf Eis zu legen. Dies kündigte Scholz in Berlin an. Er verurteilte die Entscheidung von Präsident Wladimir Putin zur Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten als schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts.

22.2., 14:56 Uhr: US-Regierung begrüßt Stopp von Nord Stream 2 – Die US-Regierung hat den von Deutschland beschlossenen vorübergehenden Stopp des Genehmigungsverfahrens für die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 begrüßt. US-Präsident Joe Biden habe klargemacht, dass die Erdgas-Pipeline bei einem russischen Angriff auf die Ukraine nicht in Betrieb gehen dürfe, erklärte seine Sprecherin Jen Psaki auf Twitter. „Wir haben uns im Lauf der Nacht eng mit Deutschland abgestimmt und begrüßen die Ankündigung“, schrieb sie weiter.

Gab es eine Debatte zu Scholz´ Beschluss vom 22. Februar? Fand eine demokratische Abstimmung in Gremien statt oder überhaupt eine Diskussion in der Öffentlichkeit? Fehlanzeige. Scholz´ Entscheidung, die die deutsche Energieversorgung nachhaltig zu ruinieren droht, wurde laut US-Regierung „im Lauf der Nacht“ vom 21. auf den 22. Februar, Hals über Kopf, am Telefon gefällt und wird seither als unumstößlich dargestellt.

Corona-Ausnahmezustand: auf welcher Basis?

Nicht anders erscheint das Vorgehen bei anderen Grundsatzentscheidungen, etwa zu den Corona-Maßnahmen und zur Massenimpfung. Am 17. März 2020 erklärte das der Bundesregierung nachgeordnete Robert Koch-Institut (RKI) erstmals:

„Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit insgesamt als hoch ein.“

Bis zum Vortag hatte die Gefahr lediglich als „mäßig“ gegolten. Eine Begründung für die Verschärfung wurde nicht genannt. Am 16. wie am 17. März, also vor und nach der Verschärfung erklärte das RKI vielmehr pauschal, eine Belastung des Gesundheitswesens könne „örtlich sehr hoch sein“ sowie: „auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor“. Deren Zahl belief sich am 17. März 2020 laut RKI auf 12, ihr Altersmedian auf 83 Jahre.

Die Feststellung des RKI vom 17. März war weitreichend. Sie bildete die Grundlage sämtlicher staatlichen Freiheitsbeschränkungen in den folgenden Monaten und Jahren. Regelmäßig argumentierten Gerichte mit der „hohen Gefährdung“, die das RKI erklärt hatte, um Klagen von Bürgern gegen die Maßnahmen pauschal als unberechtigt abzuweisen. Der „Corona-Staat“ des permanenten Ausnahmezustands etablierte sich.

Doch wie kam die Behörde überhaupt zu ihrer Einschätzung, die Gefährdungsstufe auf „hoch“ heraufzusetzen? Welche Argumente wurden abgewogen? Welche Gremien und Personen waren beteiligt? Wie verlief der Diskussionsprozess? Gab es überhaupt einen? All diese Fragen sind bis heute – von allgemeinen Floskeln abgesehen – unbeantwortet. Multipolar hat deshalb Ende 2021 vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klage gegen das RKI erhoben, um Einblick in die entsprechenden Protokolle des Krisenstabes der Behörde zu erhalten. Eine Entscheidung des Gerichts dazu steht noch aus.

Impfung für alle: woher der Automatismus?

Die Agenda der Massenimpfung schließlich wurde am 15. April 2020 von der Bundesregierung, wie nebenbei, im Unterpunkt 17 eines „Telefonschaltkonferenzprotokolls“ vorgestellt und verkündet:

„Eine zeitnahe Immunität in der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 ohne Impfstoff zu erreichen, ist ohne eine Überforderung des Gesundheitswesens und des Risikos vieler Todesfälle nicht möglich. Deshalb kommt der Impfstoffentwicklung eine zentrale Bedeutung zu. Die Bundesregierung unterstützt deutsche Unternehmen und internationale Organisationen dabei, die Impfstoffentwicklung so rasch wie möglich voranzutreiben. Ein Impfstoff ist der Schlüssel zu einer Rückkehr des normalen Alltags. Sobald ein Impfstoff vorhanden ist, müssen auch schnellstmöglich genügend Impfdosen für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen.“

Auffällig an dieser Formulierung ist der dogmatische Ton. Es wurde der irreführende Eindruck erweckt, als handle es sich um völlig unstrittige Aussagen. Doch von wem stammte der Vorschlag der Massenimpfung überhaupt? Wer hatte ihn mit wem debattiert? Welche demokratischen Verfahren gingen dem Beschluss voraus? Auch bei diesem Schlüsselthema liegen die Antworten bis heute im Dunkeln. Wiederum erscheint das Handeln der Regierung losgelöst von demokratischen Spielregeln – und das mit, angesichts des Ausmaßes an schweren Impfschäden, unabsehbaren Folgen für die kommenden Jahre.

Verschwinden von Verantwortlichkeit

Wesentlich für die beschriebene Entkopplung der Regierung in diesen drei Beispielen ist, dass sie mit dem Verschwinden von Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht einhergeht. Alle an den Entscheidungen Beteiligten wähnen sich „unbelangbar“, handeln als Rädchen in einem technokratischen Getriebe, das den Blick auf den eigentlichen Motor, den jeweiligen Impulsgeber der Beschlüsse verdeckt.

Dieses Verlöschen von Verantwortlichkeit geht an die Substanz. Der Staat, verstanden als Gemeinwesen der Bürger (im Unterschied zum Staat als synthetische, fassadenhafte Verwaltungseinheit zur Durchsetzung von Konzerninteressen), wird erst durch eine Rechenschaftspflicht der leitenden Beamten und Politiker legitimiert. Wo diese Verantwortlichkeit sich auflöst, da schwindet nicht nur Stück für Stück die öffentliche Akzeptanz des Staates, sondern letztlich auch dessen Legitimität.

„Delegitimierung des Staates“

Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht mit seinem 2021 eingeführten neuen Beobachtungsbereich „Delegitimierung des Staates“ davon aus, diese Delegitimierung sei verfassungsfeindlich und gehe von Bürgern aus, deren „öffentlich geäußerte Meinungen oder Aktionen über einen legitimen Protest hinaus“ reichten und die darauf abzielten, „das Vertrauen in das staatliche System zu erschüttern und dessen Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen“. Der Verfassungsschutz übersieht in dieser Analyse – und muss das als Regierungsbehörde wohl auch übersehen – dass die Regierung selbst ihre Legitimität untergräbt, wenn sie Grundsatzentscheidungen, die alle Bürger nachhaltig betreffen, weitgehend ohne demokratische Verfahren fällt, ohne Transparenz und ohne dass die handelnden Akteure haftbar sind, also auch tatsächlich in der Praxis zur Rechenschaft gezogen und nicht von anderen Verfassungsorganen gedeckt werden.

Wo keiner mehr haftbar ist, wo jeder Politiker und Behördenleiter sich hinter anderen versteckt, wo die eigentlichen Player und Impulsgeber verborgen bleiben, da wird am Ende der Staat selbst obsolet, erscheint als leere Hülle, die den Bürgern nicht nützt, sondern die von anderen einflussreichen Akteuren für eigene Zwecke benutzt wird.

Die beschriebene Entkopplung der Regierung zu beenden, eine Rechenschaftspflichtigkeit einzufordern und auch wiederherzustellen wäre Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Staat, der Akzeptanz findet. Wo das nicht mehr möglich ist, da sind neue, demokratischere und gerechtere Organisationsformen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gefragt. Die Debatte dazu aber steht noch ganz am Anfang.

RIPPLE, 15. September 2022, 12:10 UHR

Der Staat, verstanden als Gemeinwesen der Bürger (im Unterschied zum Staat als synthetische, fassadenhafte Verwaltungseinheit zur Durchsetzung von Konzerninteressen)...

Wenn ein Starker und ein Schwacher aufeinandertreffen, ist die Abwesenheit von Regeln gleichbedeutend mit der Unterdrückung des Schwachen. Der gleiche Satz, nur etwas mehr ins Politische gewendet: Wenn ein wirtschaftlich Starker und ein Armer aufeinandertreffen, ist die Abwesenheit von Regeln gleichbedeutend mit der Unterdrückung des Armen. Die Summe dieser Regeln plus die Macht, diese Regeln auch durchzusetzen, heißt "Der Staat". Idealerweise!

Der Staat bzw. "Die Politik" ist theoretisch(!) dieser Schutz des Schwachen. Recht eigentlich betrachtet hat Politik jede Existenzberechtigung verloren, wenn sie nicht das Zusammenleben der Menschen so regelt, dass am Ende der Schutz des Schwachen vor dem Starken herauskommt.

Wenn natürlich, wie gegenwärtig leider der Fall, diejenigen, die den Staat leiten, selbst nur den Willen des Starken (des Kapitals) am Schwachen exekutieren ("marktkonforme Demokratie"), ist klar, dass der Staat seine Macht massiv missbraucht und seine eigentliche Aufgabe pervertiert. Unser Problem, also der Grund dafür, dass uns die so formulierte Aufgabe eines Staatswesens so überaus naiv vorkommt, liegt nicht im dieserart formulierten Prinzip "Staat" sondern daran, dass wir uns heute kaum noch einen nicht-pervertierten Staat vorstellen können.

Alle Wessis und inzwischen auch schon wieder fast alle Ossis kennen gar nichts anderes als kapitalistische Regierungen, die ihre Aufgabe darin sehen, den Kapitalwillen an der Bevölkerung zu exekutieren. Der politische Handlungsspielraum, den Regierungen mit einer solchen Vormagnetisierung haben, wird somit vom Kapitalwillen vorgegeben.

Dieser Kapitalwille ist in einer Hinsicht statisch: er wollte bis 2020 nichts anderes als die Erfüllung der Zinsforderungen des Kapitals, egal wie, und zum anderen war er bis 2020 dynamisch, nämlich dadurch, dass diese Zinsforderungen des Kapitals exponentiell anstiegen. An dieser Stelle lässt sich dann die Einengung des Handlungsspielraums einer dieserart pervertierten Regierung schön zeigen:

Zu Beginn des flachen Teils der exponentiellen Steigerung der Zinsforderungen konnten die Zinsforderungen noch durch Ausbeutung der Menschen in der Warenproduktion erfüllt werden. Hierbei war der Privatbesitz der Produktionsmittel Voraussetzung und deshalb Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen (-> Marx).

Irgendwann (ab ganz ganz grob etwa Ende der 1970er Jahre, man beachte hierbei auch den Zeitpunkt, an dem Brzezinski in Afghanistan der Systemkonkurrenz, also der Sowjetunion, "ihr Vietnam bescherte"!) waren die Zinsforderungen mit mathematischer Notwendigkeit allerdings so weit gestiegen, dass selbst die Globalisierung, also die Ausweitung der Ausbeutung in der Warenproduktion, dass also die gesamte Weltwirtschaft nicht mehr ausreichte, um sie zu erfüllen.

Der Kapitalismus, bzw. die von Anfang an pervertierte Politik musste einen neuen Weg finden, um die Zinsforderungen des Kapitals zu erfüllen. Dieser neue Weg bestand im ersten Schritt aus dem Börsencasino, in dem finanztechnische Massenvernichtungswaffen (Credit Default Swaps und andere "innovative Finanzprodukte") die Jetons bildeten und schließlich dann in Sekundenbruchteilen Gewinne ermöglichten, die alles in der Weltwirtschaft aus den Menschen herauspressbare Geld um ein Vielfaches überstiegen.

Allerdings waren das eben nur Jetons, die abends in einem zweiten Schritt erst noch in echtes Geld zurückgewechselt werden mussten. Der Vorgang des Umwandelns der Börsenjetons in das echte Geld der Menschen heißt "Scheitern". Und zwar Scheitern von Banken (oder Staaten, was absolut das Gleiche ist). Banken (oder Staaten wie etwa Griechenland) werden hierbei durch Verschuldung beim Kapital (remember: "Zinszahlungen") vorsätzlich zum Scheitern gebracht, um sie mit dem Geld der Menschen retten zu müssen.

Nun könnten die Menschen, die das Scheitern-Und-Retten-Spiel des Staates zur Erfüllung der Zinsforderungen des Kapitals durchschauen, an dieser Stelle noch sagen: "Nö. Lasst die Banken doch pleite gehen. Interessiert mich nicht." Dass die Menschen dies an dieser Stelle noch hätten sagen können, hatte ihnen ein ganz bestimmtes Gesetz ermöglicht, das 1933 im Ausgang der "Großen Depression" erlassen worden war: Der Glass-Steagall-Act. Dieses Gesetz schrieb die Trennung zwischen den Geschäftsbanken, bei denen alle Menschen ihr Geld liegen haben, und den Investmentbanken des Börsencasinos vor. Dieses Gesetz ermöglichte es den Menschen zu sagen "Lasst diese zockenden Investmentbanken doch pleite gehen" weil deren Pleite die Geschäftsbanken nicht betroffen hätte.

Dieses Gesetz musste also weg. Das war dann 1999 so weit. Bill Clinton hob die Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken auf. Damit war ein Pleitegehenlassen der ab jetzt tatsächlich "systemrelevanten" (weil vorsätzlich systemrelevant gemachten) Investmentbanken nicht mehr möglich. Es hätte die gesamte Bankenwelt mit sich gezogen und damit alles Geld aller Menschen vernichtet.

Also mussten die Menschen dem Retten der vorsätzlich zum Scheitern gebrachten Banken zustimmen. Dieses Retten war das abendliche Umtauschen der Börsenjetons in das echte Geld der Menschen, durch das die Farbsättigung von Brechts...

Reicher Mann und armer Mann
Standen da und sah'n sich an.
Und der Arme sagte bleich:
"Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich."
("Alfabet", 1934)

... die 100%-Marke weit überschritt.

Dass auch dieser neue Weg, die Erfüllung der Zinsforderungen des Kapitals zu ermöglichen, nicht allzu lange Bestand haben würde, überrascht den nicht, der einen Blick auf die Kurve der exponentiellen Steigerung dieser Zinsforderungen wirft, die inzwischen aus dem Knie herausgekommen und im steilen Teil angekommen ist, dem zwangsläufigen Ende des aktuellen kapitalistischen Zyklus, der zum ersten mal NICHT zu einem Reset durch einen "normalen" Weltkrieg zwischen Nationen führen soll, in den dann, wenn genug zerstört worden ist, um über einen Wiederaufbau den nächsten kapitalistischen Zyklus zu starten, von anderen Nationen eingegriffen und der Weltkrieg beendet wird.

Dank technischer Entwicklungen (Digitalisierung) ist diesmal ein "Great Reset" möglich, der KEINEN neuen kapitalistischen Zyklus einläuten wird. Deshalb auch nicht "Reset" sondern "Great Reset". Nach dem Great Reset wird es keine Ausbeutung zur Erfüllung von Zinsforderungen mehr geben und auch kein Scheitern-Und-Retten-Spielchen, weil es keine Zinsforderungen mehr geben wird.

Aus diesem kurzen Abriss wird deutlich, wie sehr der Handlungsspielraum der Politik eingeschränkt ist, wenn Politiker unter "Politk" das Exekutieren des Kapitalwillens an der Bevölkerung verstehen und dadurch das Prinzip "Staat", also den Schutz des Schwachen vor dem Starken, pervertieren und damit, wie Paul Schreyer völlig korrekt schreibt, den Staat tatsächlich delegitimieren.

Die Legitimation von Staat und Politik hängt davon ab, dass im Bundestag intelligente Leute mit politischem Bewusstsein sitzen. Leute, die den Kapitalismus und seine Funktionsweise verstanden haben. Und die die Rolle der Geldschöpfung in privater Hand verstanden haben.

(–) Leute, die wissen, dass der Kapitalismus kein anderes Ziel kennt als die Erfüllung der Zinsforderungen des akkumulierten Kapitals.

(–) Leute, die wissen, dass der Kapitalismus unabänderlich und systembedingt Menschen am Leben lässt und ihnen sogar ein Bisschen Geld gibt, wenn es zur Erfüllung dieser Zinsforderungen notwendig ist (Ford: "Autos kaufen keine Autos").

(–) Leute, die wissen, dass der Kapitalismus Banken erst systemrelevant macht (Clinton 1999: Aufhebung des Glass-Steagall Acts), um sie dann vorsätzlich an die Wand zu fahren, um sie dann mit dem Geld der Bürger retten zu müssen, wenn die steigenden Zinsforderungen das notwendig machen.

(–) Leute, die wissen, dass der Kapitalismus ohne mit der Wimper zu zucken (Sachzwänge) Hunderte Millionen oder Milliarden Menschen tötet, wenn die steigenden Zinsforderungen es notwendig machen, dass das Leben der "Alten Normalität" für alle Menschen zerstört werden muss, um eine Neue Normalität einführen zu können.

(–) Leute, die wissen, dass der Kapitalismus ohne mit der Wimper zu zucken alles in die Körper aller Menschen auf diesem Planeten spritzen würde, was ihm zur Einführung dieser Neuen Normalität mit ihrer transhumanen und transhumanistischen "Industriellen Revolution 4.0" nötig erscheint, wenn die steigenden Zinsforderungen die Neue Normalität notwendig machen.

(–) Leute, die wissen, dass für den Kapitalismus weder die Existenz einzelner Menschen noch ihr Leid oder auch nur das Überleben der Menschheit insgesamt zu seinem Aufgabengebiet gehört.

(–) Leute, die wissen, dass die Zinsforderungen des Kapitals immer und systembedingt exponentiell steigen, und dass nicht nur Kriege und Hunderte Millionen Verhungernde am anderen Ende der Welt systembedingt unausweichliche Phänomene des Kapitalismus sind, sondern auch der Überwachungsstaat im eigenen Land und terroristische Attentate zu seiner Einführung (9/11, London, Madrid, die Coronapandemie, die ebenfalls als terroristisches Attentat betrachtet werden muss...).

(–) Leute, die diese Zusammenhänge nicht nur permanent im Arbeitsspeicher ihres Bewusstseins haben, sondern die auch über die notwendige Persönlichkeitsbildung und die notwendige Charakterfestigkeit verfügen, sich dem Druck des akkumulierten Kapitals und seiner Medien entgegenzustellen.

(–) Leute, die verstanden haben, dass beim Aufeinandertreffen eines Starken und eines Schwachen die Abwesenheit von Regeln (die "Freiheit" der FDP und allen anderen Parteien des Kapitals) gleichbedeutend mit der Unterdrückung des Schwachen ist – und die auch danach handeln.

Stattdessen haben wir Baerbock, Scholz, Lauterbach und Habeck. Und Regimerichter Harbarth als Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.

Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass zu der vorsätzlichen Zerstörung unseres Lebens, der Zerstörung all unserer materiellen Grundlagen, dem Diebstahl der Kindheit, der Traumatisierung der Jugend, dass zu dieser allesumgreifenden Zerstörungsorgie der ganzen bekannten Welt kein Anis Amri, kein Mohammed Atta, kein Saddam Hussein und kein Osama Bin Laden auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätten, dass diese allesumgreifende Zerstörungsorgie ausschließlich unsere sogenannten Politiker auf Geheiß des Kapitals und mit Hilfe der Medien des Kapitals über uns bringen konnten und gebracht haben – und ganz offen ankündigen, in täglich immer schneller eskalierender Manier in naher Zukunft erst noch so richtig über uns bringen werden.

Und sie tun das vorsätzlich. Sie tun das nicht aus Dummheit oder Unfähigkeit, die ihrer Charakterlosigkeit freilich hilfreich zur Hand gehen.

HELENE BELLIS, 15. September 2022, 18:50 UHR

»Und sie tun das vorsätzlich. Sie tun das nicht aus Dummheit oder Unfähigkeit, die ihrer Charakterlosigkeit freilich hilfreich zur Hand gehen.«

Genau das befürchte ich auch. Was ich allerdings nie verstanden habe, ist: warum tun sie das? Wie kann man in der Welt, die danach entsteht, auch nur ansatzweise zufrieden oder gar glücklich sein? Warum sollte man das alles wollen? Schön kann das doch nicht sein?

Vielleicht liest manch einer aus diesen meinen Fragen eine gewisse Naivität heraus, aber selbst wenn das so sein sollte – dann freue ich mich, diesbezüglich naiv zu sein, denn mir sind die grundlegenden Dinge im Leben wichtig: eine möglichst intakte Umwelt (Luft, Wasser, Böden, Nahrung), liebevolle Beziehungen bzw. respektvolle Gemeinschaft und ein in diesem Rahmen einigermaßen sorgloses Dasein. Der ganze andere Rest ist doch immer nur Mittel zum Zweck gewesen (scheint sich bei manchen unserer Mitmenschen allerdings zum Selbstzweck verselbständigt zu haben).

RIPPLE, 15. September 2022, 22:20 UHR

@Helene Bellis

Falls Ihr Nichtverstehen naiv ist, bin ich genauso naiv. Marxisten würden unser Nichtverstehen vermutlich mit Begriffen wie "Charaktermaske" beantworten. Ich hatte es hier ...

https://multipolar-magazin.de/artikel/furcht-vor-der-freiheit-der-autoritare-charakter

... in einem Kommentar mal mit Kant (im 2. Unterpunkt "Das Böse") versucht, bin mir aber selbst nicht sicher, wie weit diese Analyse bei Politikern den gesuchten Erklärungswert hat.

Unsere politischen Figuren sind Lokführer, die für die Gleise und den Streckenverlauf nicht verantwortlich sind. Es ist der Kapitalismus, der die Gleise so verlegt, dass die Menschheit zum Wohle der Kapitalzinsen überfahren wird – was erst ab dann für jeden sichtbar wird, wenn der flache Teil des exponentiellen Anstiegs in der Vergangenheit liegt. Also jetzt.

Was den Exekutoren des Kapitalwillens aber sehr wohl individuell anzulasten ist, ist ihre Bereitschaft, sich dem System als Lokführer zur Verfügung zu stellen. Keine Merkel, kein Scholz und kein Habeck würde erschossen, wenn sie sich weigern würden, als Lokführer des Systems die Menschheit zu Brei zu fahren, sondern stattdessen als Kinderbuchautor, Automechaniker oder Physikerin einer ethisch vertretbaren Arbeit nachgehen würden.

Diese Entscheidung, als Lokführer die ganze Menschheit in für das Kapital mundgerechte Stückchen zu tranchieren, haben diese Menschen nicht über Nacht getroffen. Sie wurden in verschiedenen Elitenschmieden, nicht nur in Klaus Schwabs Young Global Leaders Programm, ihr ganzes Leben lang dazu abgerichtet, sich einzubilden, über den Menschenmassen zu stehen wie ein Landschaftsgärtner über einem Haufen Laub.

Erinnern Sie Sich noch, wie Gerhard Schröder in einer kindischen PR-Aktion am Gitter des Kanzleramts gerüttelt hat, um seinen überaus großen Willen kundzutun, sich dem System als Lokführer zur Verfügung zu stellen? Und als er dann Lokführer war, hat er die Arbeitslosenhilfe gestrichen, Hartz4 eingeführt, den Sozialstaat zerstört und auch sonst den Kapitalwillen mit nachgerade katholischer Inbrunst übererfüllt. Charakterbildung kann eben auch radikal nach hinten losgehen. Aber dann wären wir wieder bei den Charaktermasken der Marxisten, und wir waren ja eingangs schon nicht restlos zufrieden mit dieser Erklärung.

ALEXANDER FEIN, 16. September 2022, 13:00 UHR

Der Vergleich weiter unten in Ihrer Antwort zwischen den verantwortlichen Politikern und einem Lokführer, der für den Streckenverlauf nicht zuständig ist, ist wirklich großartig. Momentan zeichnet sich im "Kritischen Lager" ein Streit ab zwischen Great-Reset-Apologeten und demjenigen Lager, welches eher eine gesamtkulturelle Entwicklung - im Neoliberalismus vorgezeichnet - sieht. Der bizarre Streit zwischen dem US-Psychiater Peter Breggin und dem belgischen Psychologieprofessor Mattias Desmet steht stellvertretend dafür.

Das Problem an der Great-Reset-Apologetik besteht meines Erachtens darin, dass sie die Idee von Machbarkeit und damit der Macht von "Eliten" vital erhält - also die Prämissen der Gegner unbewusst übernimmt. Ohne dass ich bestreiten will, dass es Machtkartelle und einen tiefen Staat als Folge des neoliberalen Systems gibt.

Das völlig unwirkliche Aufeinandertreffen von Martin Sonneborn und Ursula v.d. Leyen im EU-Parlament zeigt, wie hypnotisiert "Eliten" zu sein scheinen - nicht mehr erreichbar, genau wie der US-Historiker Christopher Lasch das schon vor Jahrzehnten prognostiziert hat. Die Isolation der "Eliten" liefert zwar eine Erklärung, aber gewiss keine Entschuldigung. Von daher sind die andernorts vorgebrachten Angriffe auf Herrn Professor Desmet - der im Übrigen auf dem Stand der Sozialwissenschaft argumentiert, abwegig und unangemessen.

WILLY SCHÜRER, 16. September 2022, 14:30 UHR

@Ripple:

„Also mussten die Menschen dem Retten der vorsätzlich zum Scheitern gebrachten Banken zustimmen. Dieses Retten war das abendliche Umtauschen der Börsenjetons in das echte Geld der Menschen, …“

Sehr schön herausgearbeitet, Mr?s. Ripple. Ich bin immer wieder fasziniert von Ihren treffenden Analysen. Als die Banken damals gerettet werden mussten, ist mir auch ein Licht aufgegangen bezüglich einer Frage, die ich schon dauernd im Hinterkopf hatte: wie werden sie es bewerkstelligen, die überbordende Menge der Jetons in echte Werte einzutauschen, bevor ihnen alles zusammenbricht?

Damals war ich noch der festen Überzeugung, dass im Fiatmoney die Verführung zum Betrug derartig fest verwurzelt ist, dass es gar keine realistische Alternative seiner Anwendung geben kann, als die des Betrugs der Massen. Damals rechnete ich schon seit 20 Jahren mit dem jederzeitigen Zusammenbruch des Betrugssystems. Und es funktioniert sogar jetzt – 14 Jahre später – immer noch mehr schlecht als recht. Das (Fiatmoney) ist schon ein erstaunliches Konstrukt!

In der Zwischenzeit habe ich mich weiterhin intensiv mit dem Thema Geldsysteme beschäftigt. Und irgendwann überwand ich dann auch meinen Widerwillen, mich mal etwas näher mit der Modern Money Theory (MMT) zu beschäftigen. Ich hatte mich lange dagegen gesträubt, weil ich dachte, das wäre nur noch eine weitere mehr oder weniger originelle Theorie, wie ein Geldsystem sein sollte. Erst durch die Beschäftigung damit lernte ich, dass es stattdessen eine sehr profunde Analyse der Funktionsweise unseres aktuellen Geldsystems ist.

Und die Beschäftigung mit MMT brachte mich zu ganz erstaunlichen neuen Erkenntnissen und zu einer neuen Bewertung des Systems „Fiatmoney“. Der Zweck meiner Beschäftigung mit Geldsystemen war und ist immer gewesen, herauszufinden, wie denn ein solches beschaffen sein müsste, damit es gemeinwohlfördernd eingesetzt werden kann. Parallel dazu verfolgte ich auch gespannt die Serie „The Wolff of Wallstreet“ bei KenFM, deren Episoden immer mit der Hoffnung versprechenden Schlussbemerkung endeten: „Die Zeit ist reif für ein demokratisches Geldsystem!“. Bis zum Schluss der Serie hatte ich mir erhofft, dass Herr Wolff irgendwann das Geheimnis lüften würde, wie denn dieses demokratische Geldsystem beschaffen sein müsste. Leider kam es bis zum heutigen Tag nicht dazu.

Nun, ich habe mir im Lichte der neuen Erkenntnisse, die sich mir durch die Beschäftigung mit MMT eröffneten, meine eigenen Gedanken darüber gemacht, wie denn ein demokratisches Geldsystem beschaffen sein muss. Und dabei bin ich zu Erkenntnissen gekommen, die mir vorher nicht im Traum eingefallen wären. Gegen die ich mich vermutlich sogar mit Händen und Füßen gewehrt hätte. Um es kurz zu machen: wir müssen nicht mehr weiter nach diesem Geldsystem suchen, wir haben es bereits. Es ist unser aktuell implementiertes Fiatmoneysystem! Bevor Sie sich jetzt kopfschüttelnd abwenden, bitte ich Sie um ein klein wenig Geduld. Des Rätsels Lösung ist das Prinzip: Schwerter zu Pflugscharen.

Tötungswerkzeuge können zu wertschaffenden Werkzeugen umgeschmiedet werden. Analog kann ein Betrugssystem so umgestaltet werden, dass es gemeinwohldienlich wird. Hierfür sind natürlich einige kleine, aber wichtige Veränderungen an entscheidenden Stellen erforderlich. Wie kam ich zu dieser Erkenntnis? Ich fragte mich, welche Eigenschaften denn das Geld unbedingt haben müsse, damit es gemeinwohlfördernd eingesetzt werden kann. Die Antwort:

(1.) Geld darf keinen eigenen (intrinsischen) Wert haben.
(2.) Geld darf (aus der volkswirtschaftlichen Perspektive betrachtet) nicht knapp sein.
(3.) Es muss möglich sein, Geld schulden- und damit zinsfrei in Umlauf bringen zu können.

Unser gegenwärtiges Geldsystem erfüllt alle diese drei Anforderungen:

(-) Ad 1, Eigenwert) ist offensichtlich. Der Eigenwert unserer Papierscheine, Geldmünzen oder ihrer digitalen Repräsentation ist vernachlässigbar.

(-) Ad 2, Knappheit) da unser Geld jederzeit zum Nulltarif aus dem Nichts geschaffen werden kann, ist es natürlich nicht knapp.

(-) Ad 3, schulden/zinsfreie Schöpfung) Wie unsere Zentralbanken eindrücklich demonstriert haben (Quantitative Easing) kann Geld jederzeit geschaffen werden, ohne dass sich der Staat deswegen bei privaten Geldgebern verschulden müsste.

Jetzt muss ich natürlich noch die Begründung für die drei von mir geforderten gemeinwohlkonstituierenden Eigenschaften an das Geld nachliefern.

(-) Ad 1, Eigenwert) Geld mit intrinsischem Wert verführt zur Hortung. Finanzkräftige Kapitalisten werden es akkumulieren und somit dem volkswirtschaftlichen Kreislauf entziehen.

(-) Ad 2, Knappheit) Gemeinwohlfördernde Projekte stoßen (wie alle Projekte) auf reale Hindernisse in Form von Ressourcenknappheiten. Das ist eine Tatsache, die unabhängig vom zugrundeliegenden Geldsystem existiert. Wäre obendrein Geld auch noch knapp, käme darüber hinaus ein weiteres Hindernis ins Spiel. Selbst wenn alle Ressourcen (Rohstoffe, Maschinen, Ideen, Arbeitskraft, Energie) zur Verwirklichung des gemeinwohlfördernden Projekts vorhanden wären, könnte es an Geldmangel scheitern. So wie heutzutage der Bau dringend benötigter Kindergärten regelmäßig an diesem Problem scheitert. Während es gleichzeitig nie an Geld fehlt, wenn Zockerbanken gerettet werden müssen, Tötungsmaschinen im großen Stil beschafft werden müssen oder genverändernde, ungetestete Substanzen zur Profitmaximierung der Pharmaindustrie in Oberarme gespritzt werden müssen.

(-) Ad 3, Schulden/Zinsfreie Schöpfung) ist erforderlich, um die von Ihnen beschriebenen Effekte der Exponentialkurve zu vermeiden.

Was noch fehlt, sind die Veränderungen am gegenwärtigen System, die erforderlich sind, um es den Betrügern zu entwinden.

(-) Die wichtigste Veränderung ist der Geldschöpfungsprozess. Im aktuellen System schöpft die unabhängige (in Wirklichkeit: der demokratischen Kontrolle entzogene) Zentralbank das Geld aus dem Nichts gemäß den Wünschen und Vorgaben der Politik. Diese sogenannte Unabhängigkeit der Zentralbank muss durch eine effektive demokratische Kontrolle des Geldschöpfungsprozesses ersetzt werden. Die Gemeinwohlverträglichkeit der Schöpfung muss dabei oberstes Prinzip sein. Der unvermeidliche Einwand, der kommen wird: in unserem aktuellen Geldsystem wird das Gros des Geldes durch private Geschäftsbanken geschöpft (Giralgeld). Das ist nur bedingt richtig, denn diese Art der Geldschöpfung zieht notwendigerweise die Schöpfung von Zentralbankgeld durch die Zentralbank nach sich. Ich möchte die Erörterung dieser Problematik außer Acht lassen, um eine unnötige Verkomplizierung des Themas in diesem Rahmen zu vermeiden.

(-) Auch das Gegenstück zur Geldschöpfung – die Geldvernichtung – muss reformiert werden. Die Geldvernichtung im aktuellen Geldsystem ist die Steuereintreibung. Wenn man dem gängigen Märchen Glauben schenkt, das uns eintrichtert, der Staat müsse Steuern erheben, um sich zu finanzieren, dann verwundert dies auf den ersten Blick. Aber ein klein wenig eigenständiges Nachdenken wird unmittelbar und unweigerlich zu der Einsicht führen, dass ein Akteur, der mit der Fähigkeit zur unbegrenzten Geldschöpfung ausgestattet ist, keine weitere Finanzierungsquelle benötigt. Und ein Blick in die Buchhaltung der Zentralbank bestätigt: Geldschöpfung ist Bilanzverlängerung, Steuererhebung ist Bilanzverkürzung. Da landet nichts von den eingetriebenen Steuern im Sparschweinchen des Finanzministers. Im aktuellen System wird die Geldvernichtung ebenso wie die Geldschöpfung im Interesse mächtiger Finanzgiganten betrieben. Schlagwort: Steuerparadiese, Steuervermeidung der internationalen Monopolisten, während der kleine Mann geschröpft wird.

Die Erkenntnisse der MMT sind aktuell schwer vermittelbar. Denn sowohl der Mainstream als auch selbsternannte alternative Geldreformer halten das für Teufelszeug, mit dem man nichts zu tun haben möchte. Diese Einschätzung entspringt meines Erachtens im ersten Fall (Mainstream) der Einsicht, welche Gefahr für das gegenwärtige Betrugssystem damit verbunden ist. Und im zweiten Fall (selbsternannte alternative Geldreformer) kann das narzisstische Neigung (Verliebtheit in die eigene Reformidee) oder einfach nur Denk- und/oder Recherche-Faulheit sein.

Leider hat sich bisher offenbar auch Ernst Wolff noch nicht wirklich mit MMT auseinandergesetzt. Ich bin in diversen Veröffentlichungen und Interviews darauf gestoßen, dass er die MMT verteufelt. Allerdings mit Argumenten, die offenbaren, dass er sich nie wirklich eingehend mit MMT beschäftigt hat.
Meine neueste Entdeckung ist das alternative Geldsystem Gradido ( https://gradido.net/de/ ). Vielleicht kennt das der ein oder andere hier. Falls nicht, bitte nicht gleich vom ersten Eindruck abschrecken lassen. Mir war es auch so ergangen. Ich hielt das einfach für naiv und obendrein noch auf äußerst ungeschickte Art und Weise beworben. Inzwischen habe ich mich etwas näher damit beschäftigt und sehe darin (diverse Anpassungen vorausgesetzt – aber es handelt sich ja nach Aussage der Initiatoren eh um ein Forschungsprojekt) durchaus Potential. Vor allem konnte ich keinerlei versteckte (Gewinn-)Absichten hinter der Idee entdecken.

Die Initiatoren scheinen mir von echtem Idealismus und der Sorge ums Gemeinwohl angetrieben zu sein. Und wenn die ursprüngliche Idee in dieser Hinsicht makellos ist, so sollte man ihr zumindest eine Chance geben. Die Idee ist der Samen, und die Intention hinter der Idee beeinflusst die Richtung, in der die sich daraus entstehende Kreatur entwickeln wird.

Vor allem scheint mir die mögliche Ersetzung der Mechanismen zur Geldschöpfung und -vernichtung im gegenwärtigen System durch diejenigen, die Gradido verwendet den Vorteil zu haben, dass die Kontrolle der Einhaltung ziemlich einfach implementierbar wäre. Ich bin gerade dabei diesbezüglich mit den Gradido-Leuten einen Dialog und Gedankenaustausch zu beginnen.

BERNHARD MÜNSTERMANN, 15. September 2022, 20:35 UHR

Wo kein funktionierender Rechtsstaat mehr die Spielregeln des Gemeinwesens auf transparente und nachvollziehbare Art überwacht und auftragsgemäß weiterentwickelt, delegitimiert sich der Staat selbst. Das gilt ergänzend zu den Beispielen in Paul Schreyers Artikel wohl auch für den vorliegenden Fall, dass man das Land nämlich faktisch zur Kriegspartei gegen Russland gemacht hat und damit auf vielen Ebenen fundamental gegen seine Interessen verstößt.

Der nachstehende Gedanke wird häufig irrtümlich Jean Jacques Rousseau zugeschrieben. Er geht aber auf einen französischen Dominikaner, auf Jean Baptiste Lacordaire (1802–1861) zurück. Der hat in der Epoche der frühen industriellen Revolution und krassester Gegensätze zwischen dem wohlhabenden Bürgertum und der Menge der Besitzlosen wie folgt formuliert:

Zwischen dem Starken und dem Schwachen, zwischen dem Reichen und dem Armen, zwischen dem Herrn und dem Diener ist es die Freiheit die unterdrückt, ist es das Gesetz das befreit. (franz.: entre le fort et le faible, entre le riche et le pauvre, entre le maître et le serviteur, c'est la liberté qui opprime, c'est la loi qui affranchit).

Das kann man heute im vom Niedergang gezeichneten Westen in zahlreichen Fällen verfolgen. Und die üppig privilegierten christlichen Kirchen gehen dabei wieder einmal den Propagandisten und Profiteuren unserer Fassadendemokratie willfährig zur Hand. Wie lange noch wird sich das immer grotesker werdende System in sich zuspitzender Situation halten können?

AYU, 16. September 2022, 01:55 UHR

Berechtigte Einwände und Fragen. Einen diskussionswürdigen Punkt vernahm ich gestern erst bei einer AUF1-Nachrichtensendung zum Thema: Warum Scholz?

Ich gebe mal wieder, was ich denke, was die da meinten: Eine derart unpräsente, fähigkeiten-unspektakuläre und formatfreie politische Führungspersönlichkeit mit derart vielen Verstrickungen und nichtsklärenden Aussagen sei schon fast die Idealbesetzung, gerade für das strategisch wichtige Deutschland in dieser momentanen Situation, in der alles (inkl. Regierungen) jederzeit (so kontrolliert wie möglich) zusammenbrechen kann/soll.

Und in der Tat ist Scholz mit einer solchen Akte im Gewissen und einschlägigem Parteiumfeld ganz offensichtlich eher zum "Rumeiern" bereit als etwa Merkel "ihren Kurs" in der Regierung sowie innerhalb der Union fuhr, oder besser gesagt, furchte. Auch kann ich bei den vielen Auftritten von Merkel als Bundeskanzlerin/Staatsoberhäuptin kaum diese kalkuliert-unterlaufende Deckungshaltung während der wichtigsten Geschehnisse ausmachen, die freilich Herrn Scholz' Duktus sind. Merkel hat, wenn sie sich mal weitestgehend aus Fragen von Nationaler Tragweite rausgehalten hat, vorher mindestens ein paar mehr oder weniger fähige Leute bestimmt, die exakt das für sie übernehmen sollten, der Rest wurde zur "Chefsache" erklärt und mit gottgleicher Schöpferkraft dann auch exakt so exekutiert, und nicht anders.

Scholz ist in dieser Amtsausführung komplett verschieden und (für mich) nicht der Kanzler einer kommenden (selbsterfüllend-prophezeihend) "Internationalen Militärischen Führungsmacht", auch nicht einer mit Dienerrolle - er kann beides nicht, und hat zudem unnatürlich schwerwiegendere Gedächtnisfehlfunktionen als sein US-Amerikanischer Kollege; was faktisch jedoch kein Karriere-Nachteil sein muss.

Die einzige gute Aussicht, das kleinere Übel: Solange er Kanzler ist, braucht das vereinte Qualitätsprodukt "Der Deutsche Verbraucher" nur Klopapier, Kohlenwasserstoffe und Sichtschutzfolie zu horten und ist gut beraten, sich an nichts zu erinnern. Und am Tage der Amtseinführung derdiedas nächsten kann sich ein jeder Überlebende Notizen mit der Kohle-auf-Trümmer-Technik machen, was "wir" und wir und die UkrainerInnen dem letzten Kanzleramtsinhaber in Wirklichkeit alles zu verdanken haben.

Der ganz wesentliche andere Punkt, auf den hier bereits angesprochen wurde, ist die (aktuell durchgesetzte) Rechtsnormauslegung und wie, hiervon ausgehend, die Zukunft zu denken wäre.

Freiheitlich-Demokratische-Grundordnung wird unleugbar immer mehr zur Auslegungssache, etwa wenn während einer Solidaritäts-Pandemie obdachlose Menschen abgewiesen werden dürfen und Volksinteressenvertreter Millionenprovisionen behalten zu haben. Die Beispiele und Vergleiche einer krassen Tatsachenentwicklung allein der letzten zwei Jahre sind unzählbar. Kein einziger Fall davon hätte stattfinden können - mit entsprechend fairen, menschenfreundlichen Regeln des Miteinander und Zusammmenseins, die für ausnahmslos alle ihre Gültigkeit entfalten. Aber es sind und waren eben auch politische Entscheidungen - etwa der Auslegung der Gesetzgebung - und die sind nun mal von der jeweils aktuellen Regierung abhängig.

Eine Möglichkeit irgendwann einen Ausweg zu beschreiten oder finden zu können, wird wohl sein, zu begünstigen, dass sich schon bald genug selbst gefunden haben, um dem Ablenkungsbullshitstorm nicht mehr anzuhängen, man sich zudem kollektiv nur noch friedlich in Zusammentreffen und Methode und defensiv in Forderung und Umsetzung aufstellt, um die Probleme kooperativ angehen zu können, da Gewalt in jeglicher Form vom Menschen zur Interessendurchsetzung angewandt, auch die berechtigtste reaktionäre, stets einer überwiegend destruktiv wirkenden Kraft zuträglich ist, die dieses Spiel, das nur Opfer und Verlierer macht, schön am Laufen hält - wie Du mir, so ich Dir. Vereinfacht könnte man sagen, wer eine Waffe überhaupt hat, ist auch insoweit reizbar und sozial-labil, diese zu benutzen. Ullrich Mies brachte diesen Denkanstoß auch schon mal, in der Positionen Sendung 15: "Ich muss nicht ständig aufrüsten, wenn ich nicht auch die perverse Idee habe, das alles irgendwann auch einzusetzen."

Die Frage ist darum auch, ob es für uns also in letzter Konsequenz nicht so sehr darum geht, wer das Zeug wofür einsetzen könnte, denn das ist klar: Menschen gegen Menschen, sondern, dass es existiert - mitunter der deutlichste Beleg, den der Mensch aufbringen kann für sowohl eine gewisse Unfähigkeit, sich Konflikten definitiv waffenfrei zu stellen, als auch ein ausgeprägtes Misstrauen in den Lauf der Dinge im großen Ganzen. Das mag verständlich sein, ist aber sehr, sehr gefährlich.

Grund genug, denen nicht mit blindem Gehorsam zu folgen, die ihre Sicht vornehmlich gewaltbereit unter die Leute bringen wollen. Das wird ja zunehmend eindeutiger, wer sich wovon bislang noch nicht deutlich genug distanziert hat.

Der Winter könnte nämlich besonders hart für "wir" werden, wenn ein Wir sich plötzlich nicht mehr ständig aufs Neue provozieren lässt, sich gefälligst am Repertoire der Mittel zu versuchen, die doch allesamt dem Lebens- und dem Frohsinn abträglich sind!

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